Aus der Reihe: Wie wird gehaftet?“ weise ich heute auf das OLG Saarbrücken, Urt. v. 22.01.2015 – 4 U 69/14 hin. Er kommt bei der Konstellation: Rückwärts in eine Grundstückseinfahrt einbiegender Lkw mit einem einen Radweg in der falschen Richtung befahrenden Radfahrerin, zu der für mich ein wenig überraschenden vollen Haftung des LKW-Fahrers. Das begründet das OLG mit
- der Betriebsgefahr beim LkW,
- einem Verstoß des Lkw-Fahrers gegen § 9 StVO,
kein Verschulden des Radfahrerin, das insbesondere nicht in der Benutzung des Radwegs in der nicht angezeigten „falschen“ Richtung besteht, da die Richtung eines Radwegs nur den Gegen-, nicht aber den kreuzenden Verkehr schützt.
Überraschend, jedenfalls für mich, aber ich kann ja auch kein Zivilrecht 🙂 . Die Radfahrerin selbst war übrigens wohl nur von einer Haftungsquote von 75% zu ihren Gunsten ausgegangen und hatte erst gar nicht mehr beantragt.
Was überrascht sie daran? Der LKW-Fahrer musste sich „so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist; erforderlichenfalls muss man sich einweisen lassen.“ Dagegen hat er eklatant verstoßen. Das Fahrrad hat keine Betriebsgefahr, die Radfahrerin hat keine Normen verletzt, die den LKW irgendwie schützten. Wären Sie auch überrascht, wenn der Radfahrerin (nur) vorgeworfen würde, bei Tag keine funktionierende Beleuchtung mit geführt zu haben oder Pedale ohne Rückstrahler verwendet zu haben. Juristisch scheint mir das das gleiche zu sein.
Fiat iustitia et pereat mundus.
@ VRiLG
Hä ?
Radfahrer befährt linken Gehweg, Kollision mit rückwärts aus Hofeinfahrt herausfahrendem Pkw. Der Radfahrer haftete mit 100 % (OLG Celle MDR 03, 928, s. auch OLG Hamm NZV 95, 152; OLG Karlsruhe NZV 91, 154);
Radfahrer benutzt verbotswidrig linken Radweg, Kollision mit wartepflichtigem Pkw an Einmündung . Der Radfahrer haftet mit 100 %(OLG Düsseldorf NZV 00, 506);
es gibt unzählige Urteile mit Radfahrer, die in der falschen Richtung fahren und mit einem Kfz, der aus einem Grundstück herausfährt, kollidiert. Die Haftung des Radfahrers beläuft sich jenachdem von 100 % bis 20 %.
Tourix hat absolut Recht, dass die Rspr. bei der betr. Sachlage (Radfahrer in falscher Richtung auf Geh- oder Radweg und Grundstücksausfahrt) eine Haftung des Radfahrers von 100% bis 20% annimmt.
Doch der Teufel steckt bekanntlich im Detail:
Denn einerseits sinkt die Haftungsquote des Radfahrers, wenn er „nur“ in falscher Richtung auf dem Radweg unterwegs ist und nicht auf dem Gehweg. Und der Urteilssachlage nach war gerade dies (Rad- oder Gehweg) streitig; wobei sich das OLG schließlich für Radweg entschied.
Ferner kam hier neben der Grundstücksausfahrt/-einfahrt das Rückwärtsfahren des Kfz hinzu.
Insofern sind wir schon am unteren Rahmen der o.a. Haftungsquote angekommen, sodass das Ergebnis des OLG sicherlich ein wenig, aber nicht vollkommen überraschend ist. Denn die Rspr. in Verkehrsunfallsachen tendiert in der Haftungsquote bei ähnlicher/gleicher Sachlage im Bereich von +/- mind. 1/4 zu wandern.
@ Tourix:
Völlig richtig. Der LKW-Fahrer hätte bei seinem Manöver darauf vertrauen dürfen, dass auch andere Verkehrsteilnehmer sich ebenfalls vorschriftsmäßig i.S.d. StVO verhalten, dass die Radfahrerin also den Radweg in vorgeschriebener Richtung benutzt. Vorausgesetzt, es gab sie, die vorgeschriebene Richtung.
Benutzungspflichtige Radwege sind grds. durch ein blaues Schild gekennzeichnet. Eine Benutzungspflicht der Radwege in der jeweiligen Fahrtrichtung besteht indes nur, wenn dies durch Zeichen 237, 240 oder 241 angeordnet ist. Rechte Radwege ohne diese Zeichen dürfen immer benutzt werden und die linken Radwege ohne diese Zeichen dürfen nur benutzt werden, wenn dies durch das Zusatzzeichen „Radverkehr frei“ angezeigt ist.
Es gibt aber auch nicht benutzungspflichtige Radwege, die fahrbahnbegleitenden, baulich angelegten und nach außen erkennbar für die Benutzung durch den Fahrradverkehr bestimmten Radwege, die jedoch nicht ausgeschildert sind. Ihre Benutzung ist in Fahrtrichtung freiwillig.
Wie der Radweg im vorliegenden Fall aussah, wird uns durch die Urteilsgründe überliefert. An der Unfallstelle habe kein getrennter und benutzungspflichtiger Radweg (vgl. § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO), sondern ein fakultativ zu benutzender so genannter anderer Radweg bestanden, ohne dass dessen Benutzung durch besondere Zeichen in Gegenrichtung zugelassen gewesen sei. Ein Verstoß gegen § 2 Abs. 4 Satz 4 StVO, der die Benutzung linker Radwege ohne die Zeichen 237, 240 oder 241 nur zulässt, wenn dies durch das Zusatzzeichen „Radverkehr frei“ allein angezeigt ist – was hier nicht der Fall war -, ist im Verhältnis zu dem abbiegenden LKW-Fahrer der Radfahrerin nicht entgegenzuhalten. Die Regelung über die Benutzung linker Radwege bezweckt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung, der sich der Senat angeschlossen hat, nur den Schutz des Gegen- und Überholverkehrs auf dem Radweg, nicht des Einbiege- und Querverkehrs.
Also, muss ich im Endeffekt dem VRiLG recht geben – der LKW-Fahrer musste sich so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Vorliegend hat er das nicht getan. Ende. Aus.
also: Basta? Ob das immer so einfach ist, weiß ich nicht 🙂
Ich muss gestehen, dass ich von Verkehrsrecht wenig Ahnung habe.
Aber der Kommentar von VRiLG lag mir derart schwer im Magen, dass ich mal etwas gesucht habe und die von mir geschriebene Urteile fand.
Leider müsste ich erheblich tiefer in die Materie einsteigen, um auf Russischdolmetschers Kommentar noch etwas erwidern zu können – falls möglich. Und diese Zeit habe ich leider nicht.