Der Kollege Kabus, der mir den AG Riedlingen, Beschl. v. 22.01.2014- Ds 24 Js 13275/13 – übersandt hat, hatte ihn als „Kuriosität aus Riedlingen“ bezeichnet und als Leitsatz vorgeschlagen: „Für einen Freispruch in einem Strafverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung braucht’s keinen Fachanwalt für Strafrecht“. Ich habe mich dann entschieden für: „Zur Frage der Erforderlichkeit der Zuziehung eines (nicht ortsansässigen) Fachanwalts für Strafrecht.“
Im Beschluss geht es um die Erstattungsfähigkeit der Kosten eines auswärtigen Fachanwalts für Strafrecht nach einem Freispruch vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung. Das AG hat die Reisekosten lediglich bis zur Höhe der fiktiven Reisekosten eines am Wohnort des Angeklagten ansässigen Rechtsanwalts erstattet.
„Die vorliegende Strafsache weist sowohl vom Umfang als auch von der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage her nur durchschnittlichen Charakter auf, weshalb aus Sicht des Gerichts keine Beauftragung eines Fachanwaltes zwingend erforderlich erscheint. Im Übrigen hat sich auch der Nebenkläger mit der Vertretung durch einen Anwalt ohne Fachanwaltsqualifikation begnügt, was im Ergebnis die genannte Auffassung des Gerichts bestätigt, dass keine besondere fachspezifische Qualifikation zur Verteidigung oder Vertretung in einem durchschnittlich umfangreichen und schwierigen Strafrechtsfall erforderlich ist.
Hierbei handelt es sich jeweils, was ausdrücklich hervorzuheben ist, um eine Einzelfallentscheidung bezogen auf den konkreten Strafrechtsfall. Keinesfalls kann nach Auffassung des Gerichts die Zuziehung eines Fachanwalts für Strafrecht in Strafverfahren generell als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig angesehen werden. Die generalisierende Betrachtungsweise, die sich das Amtsgericht Staufen (NStZ 2001, 109) in der vom Verteidiger zitierten Entscheidung zu eigen macht, wird vom Amtsgericht Riedlingen nicht geteilt. Es mag durchaus sein, dass die Bezeichnung als Fachanwalt für Strafrecht bei den von einem Strafverfahren betroffenen Personen die Erwartung begründet, der sie führende Rechtsanwalt sei aufgrund von Spezialkenntnissen in besonderer Weise geeignet, ihre Interessen wahrzunehmen, jedoch ist eben gerade — bezogen auf den jeweiligen Einzelfall — zu prüfen, ob es dieser Spezialkenntnisse des Verteidigers tatsächlich bedarf. Hier im vorliegenden Fall handelt es sich, wie die Bezirksrevisorin zu Recht feststellt, um keine derart schwierige Materie oder ein spezielles Delikt, was die Beauftragung eines Fachanwaltes für Strafrecht zur sachgerechten Verteidigung erforderlich machen würde. Im Umkehrschluss würde die in der zitierten Entscheidung des Amtsgerichts Staufen vertretene Ansicht nämlich bedeuten, dass eine Verteidigung in einem Strafverfahren durch einen Nichtfachanwalt ebenso generell nicht als zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung geeignet anzusehen ist. Dies findet jedoch in der langjährigen strafrechtlichen Praxis des Gerichts keine Bestätigung. Nochmal sei betont, dass die Entscheidung, ob die Beauftragung eines Fachanwaltes erforderlich erscheint, immer einzelfallbezogen unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweils Strafrechtsfalles zu treffen ist. Keinesfalls ist es aber so, wie die nur auszugsweise in dem Zivilrechtsstreit des Amtsgerichts Riedlingen (Az.: 1 C 140/12) zitierte Entscheidung des Amtsgerichts Staufen vermuten lässt, dass in jedem noch so einfach gelagerten Strafverfahren generell zur zweckentsprechenden Verteidigung die Beauftragung eines Fachanwaltes für Strafrecht erforderlich ist. Falls ein Angeklagter die in objektiver Hinsicht nicht zutreffende Auffassung vertreten sollte, zur zweck-entsprechenden Verteidigung einen Fachanwalt beauftragen zu müssen, entsteht ihm kein unzumutbarer Nachteil, wenn er die hierdurch verursachten — vorliegend geringen — Mehrkosten selbst tragen muss. Hierfür hat er dann auch den Vorteil, von einem (über-)qualifizierten Fachanwalt verteidigt zu werden.2
Was ich davon halten soll, kann ich nicht abschließend beurteilen, da der Beschluss sich nicht zu den Einzelheiten verhält. Es kommt sicherlich auf den Vorwurf – den kennen wir: gefährliche Körperverletzung – aber auch die sonstigen Umstände – die kennen wir nicht an. Ich persönlich würde eher für eine großzügige(re) Lösung plädieren. Denn sonst ist man sehr schnell an der Stelle, die die Überschrift des Postings vorgibt: Einen Fachanwalt gilt es nur bei Mord und Totschlag.
Was m.E. gar nicht geht: Der Hinweis darauf, dass der Nebenkläger sich auch „mit der Vertretung durch einen Anwalt ohne Fachanwaltsqualifikation begnügt“ hat. Was hat die Entscheidung des Nebenklägers für oder gegen einen Fachanwalt mit der Frage zu tun, ob der Angeklagte einen Fachanwalt beauftragen „durfte“ oder nicht. Die Interessenlage ist eine ganz andere.
Wie sagte doch immer meine Großmutter seeligen Angedenkens: „wenn’s nichts zum Heulen wäre, wär’s zum Lachen.“
Ich finde es ohnehin kurios, dass die Justiz das Recht hat zu entscheiden, welche von ihr selbst (!) zu erstattenden Kosten als „notwendig“ anzusehen sind. M. E. sollte darüber nicht ein Bezirksrevisor, sondern ein (Verteidiger-)Ausschuss etwa bei der Rechtsanwaltskammer befinden.
Erstens hat nicht „die Justiz“ die Kosten zu erstatten (auch wenn man manchmal den Eindruck hat, die Auslagen würden Kostenbeamten und Rechtspflegern direkt vom Gehalt abgezogen), sondern die Landeskasse, und zweitens dürfte es wohl kaum für ein höheres Maß an Objektivität sorgen, wenn stattdessen Anwälte darüber befinden, wieviel Geld Anwälte zu bekommen haben.
Ich kann dem nicht so ganz folgen. Woher soll der der normale Bürger wissen, ob ein FA für Strafrecht erforderlich ist oder nicht? Er kann nur erkennen, welches Rechtsgebiet betroffen ist und wer – weil durch den FA erkennbar – auf diesem Gebiet arbeitet. Es gibt genug Anwälte, die auch bei überschaubaren Fällen mit einer Verteidigung überfordert wären – zumindest aber Fehler produzieren. Nicht jeder Anwalt kann Strafrecht. Und das ist nicht abwertend gemeint. Es gibt genügend Rechtsgebiete, bei denen ich mangels ausreichender Kenntnisse Mandate nicht annehme.
Bei der Kostenfestsetzung geht es sicher nicht darum, wie viel Geld der Anwalt bekommt. Das hat er schon längst vom Mandanten erhalten. Sondern darum, wieviel dem Mandanten von dem gezahlten Honorar die Landeskasse (natürlich nicht „die Justiz“, das ist richtig) erstatten muss. Und da meine ich schon, dass die Frage einer „Notwendigkeit“ bestimmter Aufwendungen von Verteidigern besser und objektiver beurteilt werden kann als von Rechtspflegern und Kostenbeamten. Die sehen eben nur die eine Akte, bei der die Sachlage (bei ex post Betrachtung) ja vollkommen klar und einfach war, weshalb ja auch freigesprochen wurde. Und nicht die zig anderen Verfahren, bei denen die Sachlage genauso (vor allem für den vermeintlich unschuldigen Angeklagten!) klar und einfach erschien und der Angeklagte am Ende trotzdem verurteilt wurde, weil er das Verfahren vielleicht nicht ernst genug genommen und es mit dem Anwalt von nebenan versucht hat.