Ich war in der vergangenen Woche zu einer Fortbildung in Neu-Ulm. Dort hat mir einer der Teilnehmer den AG Kempten, Beschl. v.07.05.2013 – 22 OWi 145 Js 70/11 – zukommen lassen. Er behandelt mal wieder die Problematik: Wie gehe ich als Gericht mit der Frage um, dass mir keine Informationen zur Funktionsweise eines Messgerätes erteilt werden?
In dem Verfahren hatten sowohl das Gericht als auch der vom Gerichte bestellte Sachverständige vergeblich versucht, an die entsprechenden Unterlagen zu kommen. Der Hersteller hatte sie nicht herausgerückt, die PTB hatte sie ebenfalls nicht herausgegeben und zur Begründung auf das Geschäfts-/Betriebsgeheimnis des Herstellers verwiesen (wen die PTB so alles schützt :-(). Die bayerischen Behörde, die Gericht und Sachverständiger um Überlassung eines Gerätes für Probemessungen gebeten hatten, haben sich auf „standardisiertes Messverfahren“ berufen und ein Gerät nicht zur Verfügung gestellt. Das alles hat so lange gedauert, dass inzwischen Verfolgungsverjährung eingetreten war.
Das AG hat dann aber nicht (nur) eingestellt, sondern frei gesprochen und darauf verwiesen:
„Im Übrigen ist die freie Beweiswürdigung gem. §§ 46 OWiG, 261 StPO eine ureigene Aufgabe des Tatrichters und kann nicht durch irgendwelche innerdienstlichen Weisungen oder Rechtsmeinungen der Exekutive eingeschränkt werden….
Der Sachverständige führt für das Gericht überzeugend aus, dass jede durchgeführte Messung beeinflusst werde durch innere und äußere Bedingungen und regelmäßig zu systematischen oder zufälligen Fehlern führe. Zur Prüfung der Richtigkeit einer Messung sei daher die Kenntnis der Funktionsweise eines Messgerätes (und nicht nur des Messprinzips) erforderlich. Ohne die erforderlichen Kenntnisse können die Funktionsweisen der besagten Örtlichkeit und deren Einflüsse nicht bestimmt werden.
Aus mehreren anderen Versuchen sei bekannt, dass in dem vorliegenden Messverfahren durch Reflexionen durchaus Fehlmessungen erzeugt werden können. Hinsichtlich der geringen Messentfernung und der großen zur Verfügung stehenden Fläche ist die Leistungsdichte des Laserimpulses noch ausreichen hoch, sodass Reflexionen durchaus in Betracht kommen können.
Der Sachverständige kommt zu dem Schluss, dass es aufgrund des vorhandenen Beweismaterials nicht möglich gewesen sei, zu bestimmen, ob die konkrete Geschwindigkeitsmessung an dieser Örtlichkeit ordnungsgemäß war. Ohne weitere Unterlagen zur Funktionsweise des Messgerätes könnten vorhandene Einflüsse nicht sicher ausgeschlossen werden. Die Messung könne richtig sei, müsse es aber nicht!
Das Gericht ist aufgrund der Ausführungen des Sachverständigen ebenfalls von diesem Ergebnis überzeugt. Bei der Beweisaufnahme und Beweiswürdigung im Strafverfahren beziehungsweise Ordnungswidrigkeitenverfahren ist nochmals zu betonen, dass es nicht mit den Regeln einer strafprozessualen Beweisaufnahme vereinbar ist, eine sachverständige Überprüfung auf die äußeren Umstände eines standardisierten Messverfahrens zu beschränken. Möglicherweise zivilrechtliche Tatbestände (aus dem Urheberrecht, dem Markenschutz oder dem Patentschutz), auf die sich das physikalisch-technische Bundesamt beruft, können auf keinen Fall zu einer Verkürzung der Rechte des Betroffenen im Strafprozess führen, da dies eine unzulässige Beeinträchtigung der Grundrechte des Betroffenen darstellen würde.“
Erinnert ein bisschen an die Entscheidungen von AG Landstuhl und AG Kaiserslautern, deren Urteile vom OLG Zweibrücken aufgehoben worden sind. Aber ich habe ja schon damals gesagt: § 261 StPO lässt grüßen und der Tatrichter muss letztlich selbst entscheiden, was er als für eine Verurteilung erforderlich ansieht. Da hilft allein die Berufung auf standardisiertes Messverfahren nicht.
Gibst du mir die Bedienungsanleitung nicht, dann spreche ich eben frei… via @burhoff http://t.co/oXLuf2akLS
Strafrecht Online: Gibst du mir die Bedienungsanleitung nicht, dann spreche ich eben frei…: Ich war in der ver… http://t.co/Hl6PsLRQDI
Man könnte ja mal an einen Durchsuchungsbeschluss denken, aufgrund dessen man sich die Bedienungsanleitung dann eben selbst beschaffen lässt.
Das hatte ich auch schon mal irgendwo angeregt. Das würde sicherlich ein wenig Spannung/Bewegung in die Diskussion bringen :-).
Eine Entscheidung die ich ausdrucken und einrahmen werde 🙂
@Herr Burhoff:
Verstehe ich das falsch oder gäbe es mit der Begründung des AG unabhängig von konkreten Einwänden gegen die Messung kosequenterweise kein standardisiertes Messverfahren mehr? :
„jede durchgeführte Messung beeinflusst werde durch innere und äußere Bedingungen und regelmäßig zu systematischen oder zufälligen Fehlern führe.“
@meine5cent: Könnte man so sehen, ist mir allerdings auch noch nicht ganz klar. Jedenfalls habe ich mit den standardisierten Messverfahren schon immer Probleme gehabt. Denn, wenn man hört/liest, wie viele Messungen fehlerhaft sind, kann man sich schon fragen, ob der Ausgangspunkt des BGH zutreffend ist.
@Miraculix: Den Kollegen wird es freuen :-).
Wenn ich mich richtig erinnere gilt das standardisierte Messverfahren nur solange nichts für einen tatsächlichen Fehler spricht.
Gibt es einen diesbezüglichen Verdacht (den man natürlich gut begründet vortragen muss) bleibt die Überprüfung den Gerichten vorbehalten und das ist auch gut so.
Entgegen der Überschrift ging es jedoch nicht um die Überlassung der Gebrauchsanweisung.
Ein Verfahren, in dem das Messgerät zur genaueren Untersuchung durch einen SVen beschlagnahmt wurde, läuft m. W. derzeit irgendwo in Hessen. Bin gespannt, wie das ausgeht.
In der Tat, aber in der Sache geht es immer um dasselbe: Die Überprüfungsmöglickeit und die Funktionsweise der Messgeräte.
Wisssen Sie, wo in Hessen?
Ja, ich weiß, welches Gericht das ist. Aber da das ein laufendes Verfahren ist, weiß ich nicht, ob ich das hier verbreiten sollte. Denn das ist schon eine sehr sensible Angelegenheit, die insbesondere von einigen SVen mit großem Interesse verfolgt wird. Es geht nämlich um ein aktuelles Gerät, das nicht ganz unumstritten ist.
Hinsichtlich der Entscheidung des AG Kempten ahne ich, um welches Verfahren es geht. Wenn ich richtig liege, ist der wesentliche Unterschied zur Herausgabe der Gebrauchsanweisung darin zu sehen, dass das Gericht bzw. der beauftragte Sachverständige Unterlagen einsehen wollten, die bei der PTB unter Verschluss liegen (im Gegensatz zu den mehr oder weniger frei erhältlichen Gebrauchsanweisungen).
Man hat die Herausgabe verweigert mit dem Verweis auf die Verletzung von Geschäfts- und Firmengeheimnissen des Herstellers.
Ach, wie dumm von mir. Es gibt ja einen Link zu einem Beitrag über den oder die Fälle des AG Kemptens. Lag ich ja sogar mit meiner Erinnerung richtig, ohne zu gucken. 😉