Archiv für den Monat: März 2013

Wer den Mund hält, wird mit Kosten „bestraft“?

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Im Bußgeldverfahren ist folgende Konstellation, die dem AG Leipzig, Beschl. v. 12.02.2013 – 231 OWi 208/13 – zugrunde gelegen hat, nicht selten: Nach Einstellung des Bußgeldverfahren gegen die Betroffene und Rücknahme des Bußgeldbescheides wird die Auferlegung der notwendigen Auslagen auf die Stadtkasse gemäß § 109a Abs.2 OWiG abgelehnt, da durch ein rechtzeitiges Vorbringen der entlastenden Umstände die entstandenen Auslagen hätten vermieden werden können. Grundlage dieser Kostenentscheidung ist folgender Sachverhalt:

„Gegenstand des Verfahrens war der Vorwurf, dass Ihre Mandantin am 15.03.2012 mit dem Fahrzeug, amtliches Kennzeichen XXXXX, trotz eines Verkehrsverbots zur Vermeidung schädlicher Luftverunreinigungen am Verkehr teilgenommen haben soll.
Im daraufhin eingeleiteten Ordnungswidrigkeitsverfahren wurde Ihrer Mandantin am 21.03.2012 unter der vom Kraftfahrtbundesamt mitgeteilten Wohnanschrift ein Anhörungsbogen zugesandt. Der Anhörungsbogen kam nicht als unzustellbar zurück, so dass davon auszugehen ist, dass Ihre Mandantin dieses Schreiben auch erhalten hat, zumal sie unter Vorlage einer Vollmacht mit Schreiben vom 27.03.2012 Akteneinsicht beantragten. Diese wurde Ihnen am 02.04.2012 gewährt. Eine Äußerung erfolgte innerhalb der gesetzten Frist nicht, weshalb nach Aktenlage zu entscheiden und von der Fahrereigenschaft Ihrer Mandantin auszugehen war. Gegen den am 10.05.2012 erlassenen und Ihnen am 12.05.2012 zugestellten Bußgeldbescheid legten Sie mit Schriftsatz vom 25.05.2012 Einspruch ein. Eine weitergehende Entlastung, beispielsweise durch die Mitteilung, dass die Mandantin nicht Fahrzeugführerin war bzw. wer das Fahrzeug zum Tatzeitpunkt geführt hatte, erfolgten nicht.
Erst mit Schreiben vom 15.06.2012 teilten Sie mit, dass Ihre Mandantin zwar Halterin des Fahrzeuges, jedoch nicht Nutzerin im Zeitraum 12.03. – 16.03.2012 gewesen sei.
Der Fahrzeugführer sei der Sohn ihrer Mandantin, Herr pppppp, gewesen. Die Ordnungswidrigkeit konnte wegen Verfolgungsverjährung gegenüber dem tatsächlichen Fahrzeugführer nicht mehr verfolgt werden. Somit wurde das Verfahren am 20.06.2012 eingestellt und der Bußgeldbescheid zurückgenommen.“

Das sieht das AG anders: Für die Ermessensausübung nach § 109a Abs. 2 OWiG sei darauf abzuheben, ob sich für das Verhalten des Betroffenen, Entlastungsmomente erst spät vorzutragen ein verständlicher und einfühlbarer Grund finden lasse, oder ob es vom Standpunkt eines redlichen Betrachters aus nicht gebilligt oder entschuldigt werden könne. Billigenswerter Grund in diesem Sinne sei u.a. der Schutz eines nahen Angehörigen vor Verfolgung. M.E. zutreffend weist das AG darauf hin, dass „jede andere Entscheidung vorliegend das Recht eines jeden Betroffenen im Bußgeldverfahren zum Tatvorwurf zu schweigen, letztlich untergraben würde, da in diesem Falle immer mit negativen Kostenfolgen zu rechnen hätte.

 

Neue Arbeitsstelle – kein Fahrverbot, sondern „Du-Du“ reicht

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Ich hatte ja gestern bereits über das AG Sigmaringen, Urt. v. 12.02.2013, 5 OWi 15 Js 7112/12 – zum Vier-Augen-Prinzip bei der Lasermessung berichtet (vgl. hier: Und es gibt doch ein Vier-Augen-Prinzip bei der Lasermessung – zumindest in Baden-Württemberg). Die Entscheidung des AG ist m.E. aus noch einem weiteren Grund berichtenswert, und zwar hinsichtlich der Fahrverbotsentscheidung. Das AG hat bei dem Betroffenen nämlich mit folgender Begründung vom Regelfahrverbot abgesehen:

„…Von der Verhängung des Regelfahrverbots hat das Gericht ausnahmsweise abgesehen, nachdem das Fahrverbot für den Betroffenen eine Existenzgefährdung darstellen würde:

Der Betroffene war fast ein Jahr lang arbeitslos und hat jetzt seit dem 2. Januar 2013 wieder eine neue Arbeitsstelle gefunden. Er arbeitet jetzt als Servicetechniker für eine Firma S. und befindet sich noch in der Probezeit. Zur Zeit wird er gerade eingearbeitet, die Probezeit beträgt 6 Monate. Während der Probezeit kann er keinen Urlaub nehmen, er kann das Fahrverbot somit auch nicht im Urlaub abdienen. Im Falle der Verbüßung des Fahrverbots würde er die neue Arbeitsstelle sofort wieder verlieren.

Daher hat das Gericht ausnahmsweise von der Verhängung des Fahrverbots abgesehen. Der Betroffene ist daraufhin gewiesen worden, dass es diese Ausnahme nur ein einziges Mal gibt. Zur Einwirkung auf ihn wurde die Geldbuße angemessen auf 500,00 EUR erhöht….“

Also: Deutliches „Du-Du“ reicht – beim ersten Mal.

Auf der Suche nach einem neuen Straßenstrich

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Auf der Suche nach einem neuen Straßenstrich sind demnächst die Stadtväter in Dortmund. LTO meldet gerade zu einem Urteil des VG Gelsenkrichen von heute:

„VG Gelsenkirchen zur Prostitution

Dortmund muss neuen Straßenstrich suchen

21.03.2013

Die Stadt Dortmund muss einen Bereich ausweisen, in dem Frauen sich legal prostituieren dürfen. Das entschied das VG Gelsenkirchen in einem Urteil von Donnerstag. Dortmunds Versuch, die Prostitution im Stadtgebiet vollständig zu verbieten, ist damit gescheitert.

Nach der Aufnahme Rumäniens und Bulgariens in die Europäische Union schwärmten zahlreiche Dirnen aus den Beitrittsländern auf den Straßenstrich in Dortmund. Die Stadt verbannte daraufhin mit Genehmigung des Landes das Rotlichtmilieu aus dem Stadtgebiet. Eine Betroffene wollte sich damit nicht abfinden und klagte vor dem Verwaltungsgericht (VG) Gelsenkirchen das Recht ein, sich in Dortmund zu prostituieren.

Das VG hat nun entschieden, dass der alte Straßenstrich nicht wieder eröffnet werden muss. Die Stadt durfte den Bereich zum Schutz von Jugendlichen sperren, weil viele Prostituierte von ihren Wohnungen zu Fuß in das alte Rotlichtgebiet in der Nordstadt gependelt waren. Die Klägerin errang aber zumindest einen Teilerfolg. Denn die Stadt muss außerhalb des erweiterten Innenstadtbereichs nun einen neuen Standort suchen, um legale Prostitution zu ermöglichen (Urt. v. 21.03.2013, Az. 16 K 2082/11).“

Na, dann mal viel Spaß und Erfolg

Was ist Hinterlist?

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Im Bereich der Körperverletzungsdelikte befassen sich BGH-Entscheidungen immer wieder mit der Frage nach einem „hinterlistigen Überfall“ i.S. des § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB und damit der Annahme einer gefährlichen Körperverletzung. Da machen Tatgerichte häufig Fehler, wenn sie davon ausgehen, für „Hinterlist“ genüge ein überraschender Angriff des Täters auf das Opfer von hinten. Dass das nicht richtig ist, hat jetzt noch einmal der BGH, Beschl. v. 12.02.2013 – 2 StR 524/12 – klar gestellt:

„Allerdings begegnet die Annahme, der Angeklagte habe die Körperverletzung mittels eines hinterlistigen Überfalls (§ 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB) begangen, durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Ein Überfall ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht schon dann hinterlistig, wenn der Täter für den Angriff auf das Opfer das Moment der Überraschung ausnutzt, etwa indem er plötzlich von hinten angreift. Hinterlist setzt vielmehr voraus, dass der Täter planmäßig in einer auf Verdeckung seiner wahren Absicht berechneten Weise vorgeht, um dadurch dem Gegner die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs zu erschweren und die Vorbereitung auf seine Verteidigung nach Möglichkeit auszuschließen (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Mai 2012 – 3 StR 146/12, NStZ 2012, 698 mwN; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 224 Rn. 10). Ein vergleichbares planmäßiges Vorgehen des Angeklagten hat das Landgericht nicht festgestellt.“

Allerdings: Für den Schuldspruch hat der Rechtsfehler dem Angeklagten nichts gebracht, aber für die Strafzumessung:

„Dieser Rechtsfehler berührt indes den Schuldspruch wegen der rechtlich zutreffend angenommenen Verwirklichung der Tatbestandsalternativen des § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB nicht.

Gleiches gilt allerdings nicht für den Strafausspruch; denn die Strafkammer hat bei ihrer Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten G. ausdrücklich berücksichtigt, dass er drei Tatbestandsalternativen des § 224 Abs. 1 StGB verwirklicht habe. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Beurteilung eine mildere Freiheitsstrafe verhängt hätte.

Und es gibt doch ein Vier-Augen-Prinzip bei der Lasermessung – zumindest in Baden-Württemberg

entnommen wikimedia.org Original uploader was VisualBeo at de.wikipedia

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Ich hatte vor einiger Zeit u.a. über den OLG Hamm, Beschl. v. 19.07.2012 – III 3 RBs 66/12 – und den OLG Düsseldorf, Beschl. v. 13.09.2012 – IV 2 RBs 129/12 berichtet (vgl. u.a. hier: Auch beim OLG Düsseldorf gibt es kein “Vier-Augen-Prinzip”). Diese beiden OLG hatten ein sog. Vier-Augen-Prinzip bei der Lasermessung abgelehnt.

Das OLG Düsseldorf hatte zudem in seinem Beschluss dem AG Sigmaringen, das in seiner Rechtsprechung (zfs 2010, 530) ein Vier-Augen-Prinzip gefordert hatte, „freie Rechtsschöpfung“ vorgeworfen. Darauf hat nun das AG Sigmaringen im AG Sigmaringen, Urt. v. 12.02.2013, 5 OWi 15 Js 7112/12 – geantwortet, und zwar ohne große Begründung. So ein wenig nach dem Motto: Und sie dreht sich doch!“

„Bei der Messung der Geschwindigkeit ist auch die Dienstanweisung des Innenministeriums Baden-Württemberg für Geschwindigkeitsmessungen mit Laser-Geschwindigkeitshandmessgeräten (Stand: April 2010) beachtet worden. In dieser Dienstanweisung ist unter „Einsatz und Bedienung des Gerätes“ u.a. Folgendes vermerkt:

 „Die Geräte sind nach der Gebrauchsanweisung des Herstellers, den Zulassungsbedingungen der PTB und den ergänzenden Regelungen des Innenministeriums Baden-Württemberg zu handhaben. Bei widersprüchlichen Regelungen gelten die Regeln dieser Dienstanweisung. Abweichungen von den vorgegebenen Messbedingungen im Messbetrieb stellen ein Verfahrenshindernis dar. …

 „Die Geschwindigkeitsmessungen sind grundsätzlich als Anhaltekontrollen mit mindestens zwei uniformierten Beamten/Beamtinnen (einem Messbeamten/Messbeamtin und einem zweiten Beamten/Beamtin) und als Einzelmessungen durchzuführen.

 Das Messergebnis muss immer von diesen beiden Beamten/Beamtinnen abgelesen werden (Vier-Augen-Prinzip). Der zweite Beamte/Beamtin muss nicht zwingend die Laser-Schulung absolviert haben. Dies wird jedoch empfohlen.

 Das aus dem Display angezeigte Geschwindigkeitsmessergebnis kann dem Betroffenen auf dessen Wunsch gezeigt werden, soweit der Messbetrieb dadurch nicht beeinträchtigt wird. …“

 Das Vier-Augen-Prinzip ist somit jedenfalls im Land Baden-Württemberg bei jeder Messung mit dem Lasermessgerät Riegl FG21-P zu beachten . Die Oberlandesgerichte Düsseldorf (Beschluss vom 13.9.2012, IV-2 RBs 129/12 , DAR 2012, S. 646 und BeckRS 2012,19400) und Hamm ( BeckRS 2012, 18144 und 18145) haben die Auffassung vertreten, dass bei derartigen Geschwindigkeitsmessungen kein Vier-Augen-Prinzip gelte. Dies ist jedenfalls für das Land Baden-Württemberg nicht zutreffend. Das Prinzip berücksichtigt die Tatsache, dass bei diesem Messverfahren kein Foto gefertigt wird, aus welchem die gemessene Geschwindigkeit abgelesen werden kann. Daher muss gewährleistet sein, dass der gemessene Wert richtig abgelesen und ins Messprotokoll eingetragen wird. Es dient somit dem Zweck, Ablese- und Übertragungsfehler zu vermeiden. Sowohl der Messbeamte als auch der Beobachter müssen das Messergebnis ablesen. Nach dem Eintrag in das Messprotokoll müssen beide kontrollieren, ob die Eintragung auch richtig erfolgt ist.2

Ich hatte schon an anderer Stelle darauf hingewiesen, dass der „Vorwurf“ der „freien Rechtsschöpfung“ m.E. so nicht berechtigt ist, wenn sich das AG an die entsprechenden Richtlinien hält. Auf die wird doch sonst immer so viel Wert gelegt.