Archiv für den Monat: September 2012

Änderungen/Ergänzungen des § 153a StPO durch – dann bald Gesetz

© Marcito – Fotolia.com

Ich hatte Ende Juni 2012 schon über des Gesetzentwurf des Bundesrates (BT-Drs. 17/1466) zur Stärkung der Täterverantwortung, der vom Bundestag beschlossen worden war, berichtet. (BT-Drs. 17/10164)(vgl. hier Änderungen/Ergänzungen des § 153a StPO – (mal wieder) Opferschutz). Der ist jetzt in der vergangenen Woche vom Bundesrat ebenfalls beschlossen/abgenommen worden. Dazu heißt es in der PM:

Einführung von qualifizierten Täterprogrammen zur Gewaltprävention und zum Opferschutz vom Bundesrat gebilligt

Die Länder haben am 21.09.2012 ein Gesetz gebilligt, das Gewalttäter verstärkt in die Verantwortung nehmen und zur Teilnahme an qualifizierten Täterprogrammen bewegen soll. Diese sollen Verhaltens- und Wahrnehmungsänderungen auf Täterseite bewirken und die Fähigkeit zur Verantwortungsübernahme und Selbstkontrolle – insbesondere bei häuslicher Gewalt – vermitteln.

Nach dem Beschluss können Staatsanwälte oder Gerichte künftig Ermittlungs- bzw. Strafverfahren einstellen und zugleich die Weisung erteilen, dass der Beschuldigte innerhalb eines Jahres an einem qualifizierten Täterprogramm teilnimmt. Erfüllt der Täter die Weisung nicht, droht ihm Anklage oder Verurteilung.

Das Gesetz geht auf einen Entwurf des Bundesrates zurück, den dieser im März 2010 in den Bundestag eingebracht hatte.

Folgende Dokumente finden Sie im Internetangebot des Bundesrates:

Den Gesetzesbeschluss des Deutschen Bundestages: BR-Drs. 491/12 (PDF)
Den Beschluss des Bundesrates: BR-Drs. 491/12(B) (PDF)“

Die Änderungen werden wie folgt durchgeführt: In § 153a StPO wird eine neue Nr. 6 eingefügt – die Einstellung ist in Zukunft auch unter der Auflage möglich,

„6. an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen oder“.

In dem Fall kann dann das Verfahren bis zu einem Jahr eingestellt werden (§ 153a Abs. 3 S. 1 StPO neu).

Bankräuber sprengen Geldautomaten – und das in Westfalen

© froxx – Fotolia.com

Das sag noch mal einer, im Münsterland wäre nichts los. Das kann man m.E. nicht behaupten, wenn man die Meldungen der Tagespresse (vgl. u.a. hier)  über einen am Wochenende in Darup/Münsterland ausgeführten Banküberfall auf eine Sparkassenfiliale liest. Da haben Bankräuber einen Geldautomaten in dem Gebäude gesprengt und dabei gleich die ganze Bankfiliale mit in die Luft gejagt. Und drum herum sieht es aus wie nach einem Bombenangriff.

Na, da wird zu dem Raubdelikt in der Anklage wahrscheinlich auch ein § 308 StGB stehen (gehe ich mal von aus, habe ich jetzt nicht näher geprüft).

Festgebühr – das ist m.E. klar, aber offenbar nicht für alle…

© Gina Sanders – Fotolia.com

Manchmal frage ich mich, was mit einer Vorgehensweise eigentlich bezweckt wird. So bei einer Anfrage einer Kanzleiangestellten im gebührenrechtlichen Forum auf meiner Homepage.

Es geht um die Frage, in welcher Höhe die Gebühr Nr. 5115 VV RVG abgerechnet werden kann. Die Fragestellerin hatte im Kostenfestsetzungsverfahren habe ich unter Hinweis auf den Kommentar Gerold/Schmidt die besondere Gebühr nach Nr. 5115 VV RVG in Höhe der Mittelgebühr abgerechnet und zudem darauf hingewiesen, dass sich dies auch schon aus dem Wortlaut des Gesetztes ergebe. Dort ist von „Rahmenmitte“ die Rede. Sie konnte damit aber das AG nicht beeindrucken. Es hat die Gebühr um 35 % reduziert und zur Begründung auf Rechtsprechung des LG Neuruppin, des OLG Stuttgart und des LG Leipzig verwiesen. Die des LG Neuruppin kenne ich nicht. Sie ist aber genauso falsch wie die des OLG Stuttgart und die des LG Leipzig.

Denn es ist ganz h.M. in der gebührenrechtlichen Rechtsprechung und Literatur, dass die Gebühr Nr. 5115 VV RVG und die gleichlautende Nr. 4141 VV RVG jeweils nach deren Anm. 3 Satz 2 sich nach der Rahmenmitte bemessen und der Gesetzgeber von einer Festgebühr ausgeht. Das folgt aus der  BT-Drucks. 15/1971, S. 228. Zu verweisen ist zu der Problematik auf:  Aus der Rspr auf LG Dresden, RVGreport 2010, 454  [für Nr. 5115 VV]; LG Verden, 07.04.2008 – 1 Qs 218/07 [für Nr. 5115 VV]; AG Hamburg, RVGreport 2006, 351 = AGS 2006, 439; AG Stuttgart, AGS 2008, 547 = RVGreport 2008, 430 = VRR 2008, 400; AG Weilburg, AGS 2007, 561. Aus der Lit. auf nwKomm-RVG/N. Schneider, VV 4141 Rn. 91; Gerold/Schmid/Burhoff, VV 4141 Rn. 38; Hartmann, KostG, Nr. 4141 VV RVG Rn. 12 und unseren RVG-Kommentar bei Nr. 4141 VV Rn. 52. Zu allem dann auch noch: RVGreport 2005, 401.

Das OLG Stuttgart sieht es zwar anders, aber ohne jede Begründung, ebenso das LG Leipzig, AGS 2010, 19.

Auf der Grundlage frage ich mich dann: Was soll das? Warum soll offenbar gegen die gesamte h.M. – und contra legem –  entschieden werden und damit genau das eintreten, was der Gesetzgeber mit der Formulierung in Anm. 3 Satz 2 vermeiden wollte: Streit, der die Gerichte beschäftigt. Da kann man nur fragen: Nichts anderes zu tun?

Interessante Frage: Kann man so einen falschen Beschluss „reparieren“?

Eine in meinen Augen interessante Frage hat ein Kollege vor einigen Tagen an mich herangetragen, er sprach von einem „exotischen Problem:“

Folgender Sachverhalt:

Mein Mandant hatte wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts einen  Bußgeldbescheid erhalten mit einer Geldbuße von 160 € und einem Fahrverbot von 1 Monat.

Vor der Hauptverhandlung erhob ich aufgrund eines Privatgutachtens Einwendungen gegen die Geschwindigkeitsmessung.

Das Gericht hob daraufhin den Termin zur Hauptverhandlung auf und erließ einen Beschluss über eine Geldbuße ohne Fahrverbot.

Aktenkundig ist ein Beschluss mit einer Geldbuße über 100,00 €. Damit war auch die Amtsanwaltschaft einverstanden.

Zugestellt wurde ein Beschluss mit einer Geldbuße von 35,00 €. Zur Begründung wurde auf den Bußgeldbescheid verwiesen. Allerdings waren das Aktenzeichen und der Tatvorwurf nicht korrekt. Die Mitarbeiterin der Geschäftsstelle hatte sich offensichtlich verschrieben.  Dies stellte ich im Rahmen einer Akteneinsicht fest.

Trotz eines eindeutigen Verfahrensfehlers (kein Hinweis an den Betroffenen gem. § 72 OWiG) erhob mein Mandant natürlich keine Rechtsbeschwerde.

Am 21.9.2012 stellte das Amtsgericht den Beschluss nochmals zu, diesmal allerdings mit dem korrekten Aktenzeichen des Bußgeldbescheides und der Geldbuße von 100,00 €.  Das Gericht behauptete, der Beschluss mit diesem Inhalt sei rechtskräftig und der ursprünglich zugestellte Beschluss fehlerhaft und als nichtig zu betrachten.“

Frage: Kann man den falschen ersten Beschluss so „reparieren“? Es ist ja mit dem zweiten Beschluss kein „Berichtigungsbeschluss“ – mal dahingestellt, inwieweit der Beschluss überhaupt „berichtigt“ werden konnte – ergangen. Sondern ein komplett neuer. Der erste Beschluss ist m.E. nicht nichtig, sondern in der Welt und wirksam sowie rechtskräftig. Allein das falsche Aktenzeichen machte ihn nicht unwirksam/nichtig. M.E. muss der Kollege daher gegen den zweiten Beschluss mit der Rechtsbeschwerde vorgehen und Strafklageverbrauch/ne bis in idem geltend machen.

Das wird er tun. Mal sehen, was das zuständige OLG dazu sagt.

 

 

Rechtlicher Hinweis – und danach?

© Dan Race – Fotolia.com

Fangen wir heute die Berichterstattung mal mit einer BGH-Entscheidung an, und zwar mit dem BGH, Beschl. v. 09.08.2012 – 1 StR 323/12, in dem es um die Frage des weiteren Vorgehens nach einem rechtlichen Hinweis gem. § 265 StPO geht.

Der Angeklagte ist wegen Körperverletzung verurteilt worden, die in einem Lokal begangen wurde. Am Geschehen waren mehrere Personen beteiligt. Die Anklage ging noch davon aus, dass der Angeklagte im Lokal das Geschehen abgesichert, aber nicht selbst zugeschlagen hatte. Nach dem Plädoyer der Staatsanwältin erging dann der Hinweis, dass er der Schläger gewesen sein könnte. Der Angeklagte ist dann als Täter verurteilt worden. Seine Revision hält § 265 Abs. 1 StPO für verletzt. Ihm sei nicht eröffnet worden, dass er sich zu diesen Vorwürfen äußern könne. Auch die Staatsanwältin habe ihren Antrag nicht wiederholt. Hätte sich der Angeklagte geäußert, wäre er vielleicht niedriger bestraft worden.

Der BGH lässt die Frage, ob die Verfahrensrüge ordnungsgemäß ausgeführt worden ist, offen, sieht aber die Rüge als unbegründet an:.

(a) Dabei kann offen bleiben, ob hier bei einer Änderung des Sachverhalts ohne Änderung der rechtlichen Bewertung ein Hinweis – in entsprechender Anwendung von § 265 StPO – wegen des Ablaufs der Hauptverhandlung überhaupt geboten war (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Januar 2012 – 1 StR 45/11). Es liegt fern, dass der Angeklagte verkannt hätte, dass seine Angaben Urteilsgrundlage werden können.

(b) Im Übrigen ist eine gesonderte Befragung des Angeklagten nach einem Hinweis gemäß/entsprechend § 265 StPO zwar zweckmäßig (vgl. Stuckenberg in KMR, § 265 Rn. 48 mwN), unerlässlich aber nur, wenn sonst keine Verteidigungsmöglichkeit bestünde. So wäre es etwa rechtsfehlerhaft, unmittelbar nach dem Hinweis die Urteilsberatung zu beginnen oder das Urteil zu verkünden (vgl. Stuckenberg aaO mwN). So oder damit vergleichbar war es hier nicht. Nach dem Hinweis plädierte der Verteidiger, der Angeklagte hatte das letzte Wort; eine Erklärung, wonach eine beabsichtigte Stellungnahme zu dem Hinweis nicht auf der Stelle abgegeben werden könne (vgl. BGH, Urteil vom 19. Januar 1965 – 5 StR 578/64), erfolgte nicht. Nach alledem bestand genügend Gelegenheit zur Verteidigung.

(3) Der unerläutert in die Ausführungen zu fehlender Verteidigungsmöglichkeit eingefügte Hinweis, die Staatsanwältin habe nicht erneut plädiert, hängt mit dem zusammenfassenden Ergebnis, der Angeklagte wäre bei einer eigenen Äußerung vielleicht milder bestraft worden, nicht klar zusammen.

(a) Ist aber nicht eindeutig, ob das geschilderte Geschehen auch deshalb gerügt sein soll, weil die Staatsanwältin nach dem Hinweis nicht nochmals das Wort erhielt, so spricht dies wegen insoweit unklarer Angriffsrichtung gegen eine derartige (weitere) Rüge (vgl. BGH, Beschluss vom 29. August 2006 – 1 StR 371/06; Sander/Cirener JR 2006, 300 jew. mwN).

(b) Außerdem könnte der Angeklagte nicht die fehlende Stellungnahme der Staatsanwältin zu diesem Punkt, sondern allenfalls die fehlende Möglichkeit hierzu rügen (vgl. BGH, Beschluss vom 9. September 2008 – 1 StR 449/08). Die Staatsanwältin hätte jedoch entsprechend § 258 Abs. 2 Satz 2 erster Halbsatz StPO nochmals das Wort ergreifen können, wenn sie dies wegen eines zu-nächst von ihr nicht behandelten Gesichtspunkts für geboten gehalten hätte (vgl. Eschelbach in Graf (Hrsg.), BeckOK StPO, Edit 14, § 258 Rn. 16; Forkert-Hosser in Radtke/Hohmann, StPO, § 258 Rn. 18). Sie machte hiervon keinen Gebrauch; einer Aufforderung durch das Gericht bedurfte es nicht.