Das LG Bonn, Urt. v. 09.12.2011 – 25 Ns 555 Js 131/09 – 148/11 setzt sich mit der Frage des Notwehrrechts eines Polizeibeamten gegen einen Angreifer auseinander. Das wesentliche Tatgeschehen liest sich wie folgt:
„Daraufhin „prustete“ der Nebenkläger, der zu diesem Zeitpunkt eine Zigarette rauchte, dem Angeklagten Zigarettenrauch mit spürbar feuchter, d. h. mit Spuke-Partikeln versetzte Atemluft ins Gesicht. Um zu verhindern, vom Nebenkläger weiter mit Zigarettenrauch und Spuke-Partikeln „angeprustet“ zu werden, versetzte der Angeklagte daraufhin dem Nebenkläger mit der flachen linken Hand einen heftigen und schmerzhaften Schlag gegen dessen rechte Gesichtshälfte. Dabei traf der Angeklagte mit dem Ballen seines Daumens auf das Auge des Nebenklägers. Durch den dadurch auf den Augapfel wirkenden Impuls brach der Orbitaboden der Augenhöhle, ohne jedoch merklich zu dislozieren.„
Das LG ist von einer Körperverletzung im Amt ausgegangen, hat aber das Verhalten des Polizeibeamten als gerechtfertigt angesehen. Zur Notwehr:
„Er handelte jedoch nicht rechtswidrig, weil die Tat durch Notwehr gem. § 32 StGB gerechtfertigt war.
Notwehr ist die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich abzuwenden, § 32 Abs. 2 StGB. Ist die zur Aburteilung anstehende Tat durch Notwehr geboten, so ist sie nicht rechtswidrig, § 32 Abs. 1 StGB.
1. a) Das provozierende Anrauchen mit zuvor bereits inhaliertem und damit mit Atemluft und Speichelnebel vermengtem Zigarettenrauch gegen das Gesicht des Angeklagten stellte einen rechtswidrigen Angriff nicht nur gegen die Ehre, sondern auch gegen die körperliche Unversehrtheit des Angeklagten dar. Das Anblasen mit Zigarettenrauch und Spukeanteilen gegen das Gesicht ist über die Grenze hinzunehmender Bagatellen hinaus geeignet, das körperliche Wohlbefinden und die Gesundheit zu beeinträchtigen. Die Gesundheitsbeeinträchtigung resultiert dabei sowohl aus den karzinogenen Anteilen des Zigarettenrauches als auch aus den potentiellen Viren und Bakterien in der Körperflüssigkeit „Spuke“. Zudem hat es beleidigenden Charakter.
b) Der Angriff durch den Nebenkläger war zum Zeitpunkt der Tat auch noch gegenwärtig. Denn das Anrauchen durch den Nebenkläger dauerte noch an, als der Angeklagte seinen Schlag platzierte.
c) Der Angeklagte sah sich nach seiner nicht zu widerlegenden Einlassung auch subjektiv in einer solchen objektiven Notwehrlage und hatte damit den erforderlichen Verteidigungswillen.
Der Angeklagte hatte nach den Feststellungen der Kammer auch zum Zeitpunkt seines Zusammentreffens mit dem Nebenkläger an der Tür keine Informationen darüber, dass die draußen eingesetzten Kollegen N und O die Situation als „im Griff“ einschätzten. Damit liegt für die Kammer auch im Öffnen der Türe durch den Angeklagten kein Indiz dafür, dass der Angeklagten etwa einen Konflikt mit dem Nebenkläger gesucht hätte.
d) Der Schlag des Angeklagten war in der konkreten Situation zur erfolgreichen und dauerhaften Abwehr des vorliegenden Angriffes tatsächlich erforderlich im Sinne des § 32 Abs. 2 StGB.
aa) Er war zunächst geeignet. Geeignet ist eine Abwehrhandlung dann, wenn mit ihr der Angriff sofort beendet und die durch den Angriff entstandene Gefahr endgültig abgewendet werden konnte. Den Kopf und damit den Mund des Nebenklägers durch einen Schlag gegen das Gesicht des Nebenklägers zur Seite zu bringen, damit dieser den Angeklagten nicht weiter anblasen konnte beendet das Anprusten des Nebenklägers sofort und unmittelbar und beseitigte damit die körperliche Beeinträchtigung des Angeklagten endgültig.
bb) Es war in rechtlicher Hinsicht auch geboten. Geboten ist eine Rettungshandlung dann, wenn Sie – bei einer objektiven ex-ante Beurteilung – das relativ mildeste Mittel darstellt, d. h. es dürfen objektiv keine anderen Möglichkeiten zur Verfügung gestanden haben, welche genauso effektiv und ebenso wirksam den Angriff hätten beenden und die Gefahr beseitigen können (vgl. Fischer, StGB, 58 Aufl., § 32 Rz. 30 m. w. N.). Dabei findet jedoch eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter grundsätzlich nicht statt (vgl. Fischer, a.a.O. Rz. 31 m.w.N.), was vorliegend aber der Annahme eines Notwehrrechts sowieso nicht entgegenstehen würde, da hier das angegriffene Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit und Gesundheit des Angeklagten dem gleichen Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit und Gesundheit des Nebenklägers gegenüber steht.
Ein in diesem Sinne milderes, aber gleich effektives Mittel stand dem Angeklagten in der konkreten Situation an der Tür dabei nicht zur Verfügung.
Ein demütigendes Zurückweichen ist dem Angegriffenen grundsätzlich nicht zuzumuten (vgl. Fischer, a.a.O. Rz. 33 m. w. N.).
Ein Versuch, dem Nebenkläger mit der flachen Hand den Mund nur zuzuhalten ist aus Sicht der Kammer unabhängig von der Frage, ob der Angeklagte in der konkreten Situation Handschuhe übergezogen hatte oder nicht – wozu die Kammer keine Feststellungen getroffen hat – nicht genauso effektiv, die Gefahr zu beseitigen. Zum einen hätte das Zuhalten des Mundes mit der Hand möglicherweise nicht zu einem effektiven vollständigen Verschluss des Mundes geführt und zum anderen dem Nebenkläger die Möglichkeit eröffnet, nunmehr seine Zähne gegen den Angeklagten einzusetzen und in diese Hand zu beißen.
Den Nebenkläger durch einen kräftigen Stoß gegen die Brust derart weit von sich weg zu stoßen, dass der Angeklagte nicht mehr im Bereich des ausgeatmeten Rauches mit Spuke ist, stellt nach Ansicht der Kammer schon kein milderes Mittel dar. Denn damit wäre die Gefahr verbunden gewesen, dass der Nebenkläger sein Gleichgewicht verliert und womöglich ungebremst mit seinem Hinterkopf auf dem Boden aufschlägt und dadurch schwere Kopfverletzungen erleidet…..“
Man wird sehen, was das OLG Köln dazu sagen wird.
Was ist denn bitte „Spuke“?!
@ S. Meyer
Das gleiche wie Spucke, nur mit einem Geisterheilersegen drübergesprochen.
Ich hätte obwohl selber Raucher das Gleiche wie der Angeklagte gemacht. Nur wäre ich sicher bestraft worden.
Ich sehe die Entscheidung als durchaus nachvollziehbar an, aber es wundert mich, dass es zu diesem Themenkomplex anscheind keine weiteren Judikate anderer (höherer) Gerichte gibt.
Auch selbst Raucher kann ich die Entscheidung überhaupt nicht nachvollziehen und sie ist mir nur erklärlich, dass der Angeklagte Polizeibeamter ist. Otto N wäre wohl verurteilt worden. „Mit Spucke“ liest sich eher wie „feuchte Aussprache“, die nun mal einige Mitmenschen haben.
Ich bin der Ansicht, dass hier zunächst ein Ausweichen aus dem Rauch zu fordern ist bzw eine Aufforderung, das Verhalten zu unterlassen. Ein sofortiges Schlagen mit den Folgen halte ich für absolut inakzeptabel.
Wäre das Wegnehmen/Wegschnippen der Zigarette nicht ein zur Verfügung stehendes milderes Mittel in der konkreten Situation?
@jurastudent: Hilft aber nicht gegen die „Spuke“.
Nein, denn das wäre im Wortsinne „brandgefährlich“ 😉
offenbar war der polizeibeamte nicht der deutschen sprache mächtig. denn sonst wäre er in der lage gewesen, den störer auf grundlage der polizeirechtlichen generalklausel anzuweisen, dieses verhalten zu unterlassen.
@n.n.:
Wenn Sie die Entscheidung lesen würden, könnten Sie dort finden, dass es offenbar vor dem „Angriff“ reichlich verbalen Kontakt nebst Platzverweis gegeben hat.
Und welche konkrete Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung stellt ein – ich nenne es mal so – Angriff auf die körperliche Unversehrtheit des Polizeibeamten/eine tätliche Beleidigung dar, die ein Einschreiten aufgrund der Generalklausel ermöglichen würde? Abgesehen davon: auch neben dem PolR gilt für jeden Beamten das Notwehrrecht.
@meine5cent:
wenn man das blasen von rauch in kombination mit feuchter atmung als beleidigung – und damit als straftat – ansieht und gleichzeitig wiederholungsgefahr bejaht, welche bedenken haben sie da, eine gefahr für die öffentliche sicherheit anzunehmen?
§ 32 stgb und polizeirecht: das bayrische oberste lg haben sie da sicherlich auf ihrer seite. falsch ist die auffassung eines uneingeschränkten notwehrrechts der polizeibeamten trotzdem.
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