Der Bundestag hat am 03.07.2009 das 2. Opferrechtsreformgesetz beschlossen. Die von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries vorgelegten Neuregelungen schließen inhaltlich an frühere Gesetzesänderungen an und verfolgen das Ziel, Opfer und Zeugen von Straftaten noch besser zu schützen und ihre Rechte im Strafverfahren zu erweitern.
Das Gesetz knüpft an Verbesserungen für Opfer im Strafverfahren an, die zuletzt vor allem durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren (Opferrechtsreformgesetz – OpferRRG) vom 24.06.2004 (BGBl. I S. 1354) erreicht wurden. Das heute verabschiedete Gesetz sieht weitere Verbesserungen in drei zentralen Bereichen vor.
Verbesserungen zum Schutz von Verletzten im Strafverfahren
- Im Bereich der Nebenklage und des Opferanwalts orientiert sich das Gesetz durchgängig daran, den besonders schutzbedürftigen Opfern besondere Rechte einzuräumen, um deren Belastungen durch das Strafverfahren abzumildern. Dabei bündelt es Vorschläge des Bundesrates und insbesondere zahlreiche Anregungen von Opferschutzverbänden zu einem stimmigen Gesamtkonzept. Der Schwere des Delikts und den Folgen wird künftig ein stärkeres Gewicht beigemessen. Im neuen § 395 StPO wird nun beispielsweise auch Opfern von Zwangsheirat oder sexueller Nötigung die Möglichkeit eingeräumt, sich dem Verfahren als Nebenkläger anzuschließen. Auch Opfer von Raub, Erpressung oder anderen Delikten gegen höchstpersönliche Rechtsgüter sind in Zukunft nebenklagebefugt, wenn sie von schweren Tatfolgen betroffen sind. Daneben wird im neuen § 397a StPO der Kreis derjenigen erweitert, die – unabhängig von ihren wirtschaftlichen Voraussetzungen – Anspruch auf Beiordnung eines kostenlosen Opferanwalts haben. Künftig übernimmt der Staat die Anwaltskosten auch bei Straftaten wie etwa schwere Körperverletzung, Raub oder schweres Stalking, wenn die Tatfolgen besonders schwer sind.
- Da jede Rechtsverfolgung die Kenntnis der Rechte voraussetzt, werden in § 406h StPO auch die Informationspflichten der Strafverfolgungsbehörden gegenüber Verletzten von Straftaten erweitert. Beispielsweise muss künftig schon die Polizei bei der Anzeigeerstattung das Opfer in verständliche Weise und sehr viel umfassender als bisher über seine Rechte belehren und auf spezielle Hilfsangebote von Opferhilfereinrichtungen hinweisen. So muss das Opfer etwa über die Möglichkeit einer psychosozialen Prozessbegleitung oder andere Unterstützung von Opferhilfeeinrichtungen aufgeklärt und auf Entschädigungsansprüche oder Schadensersatz im Adhäsionsverfahren aufmerksam gemacht werden. Zudem werden durch Änderungen in den §§ 138 und 142 StPO die Auswahlmöglichkeiten der Verletzten bei der Wahl eines anwaltlichen Beistand vergrößert.
- Durch eine Ergänzung des § 158 StPO können Verletzte künftig leichter in Deutschland Straftaten anzeigen, die an ihnen im europäischen Ausland begangen wurden.
Verbesserungen zum Schutz von Zeugen im Strafverfahren
- Die Rechte von Zeugen bei ihrer polizeilichen Vernehmung werden zukünftig in § 163 Absatz 3 StPO eindeutig im Gesetz festgeschrieben. Dies wird in der Praxis für alle Beteiligten zu mehr Klarheit führen.
- Die Möglichkeit des Zeugen, jederzeit einen Rechtsanwalt als Zeugenbeistand hinzuzuziehen – ein Recht, das bereits durch höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt ist -, wird erstmalig gesetzlich verankert. Zudem kann das Gericht besonders schutzbedürftige Zeugen künftig in mehr Fällen als bisher einen anwaltlichen Beistand beiordnen (§ 68b StPO). Flankierend dazu wird geregelt, dass eine die Beiordnung ablehnende Entscheidung der Staatsanwaltschaft in Zukunft gerichtlich überprüft werden kann.
- Die nach § 68 Absatz 2 StPO für Zeugen bestehende Möglichkeit, in bestimmten Fällen ihren Wohnort nicht angeben zu müssen, wird sachgerecht erweitert. Erstmalig wird festgeschrieben, dass der Zeuge auch im Nachhinein den Austausch seiner Wohnadresse gegen eine andere Anschrift verlangen kann, wenn sich eine Gefährdung erst nach Beendigung seiner Aussage ergibt. Daneben müssen die Strafverfolgungsbehörden künftig dafür Sorge tragen, dass die Adresse des Zeugen potentiellen Gefährdern auch dann nicht bekannt wird, wenn diese Akteneinsicht erhalten. Aber auch unabhängig von Gefährdungen werden die persönlichen Daten des Zeugen künftig besser geschützt: Anders als bisher muss die Staatsanwaltschaft nicht mehr die volle Anschrift des Zeugen in die Anklageschrift aufnehmen. Weiterhin sollen die Strafverfolgungsbehörden sollen den Zeugen auf dessen Rechte hinweisen und bei deren Wahrnehmung behilflich sein.
Verbesserungen beim Schutz von jugendlichen Opfern und Zeugen im Strafverfahren
- Zur Stärkung der Rechte von jugendlichen Opfern und Zeugen von Straftaten wird die Schutzaltersgrenze in verschiedenen Vorschriften der Strafprozessordnung und des Gerichtsverfassungsgesetzes von derzeit 16 auf nunmehr 18 Jahre heraufgesetzt. Danach kann künftig auch bei 16- und 17-jährigen Zeugen etwa die Öffentlichkeit ausgeschlossen, der Angeklagte zum Schutz des Zeugen aus dem Gerichtssaal entfernt oder der Zeuge per Video befragt werden (§ 58a Absatz 1, § 241a Absatz 1, § 247 Satz 2, § 255 Absatz 2 StPO; § 172 GVG). Diese neue Altersgrenze wird der altersspezifischen Belastungssituation besser gerecht. Sie entspricht zudem der Schutzaltersgrenze, die zahlreichen internationalen Abkommen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen zugrunde liegt. Zudem wird ein Gleichklang mit der Altersgrenze hergestellt, bis zu der jugendlichen Beschuldigten besonderer Schutz zukommt.
- In den Fällen von Genitalverstümmelungen bei Kindern und Jugendlichen, die durch Erziehungsberechtigte veranlasst wurden (Misshandlung von Schutzbefohlenen nach § 225 StGB), beginnt die zehnjährige Verjährungsfrist künftig erst mit der Vollendung des 18. Lebensjahrs des Opfers zu laufen. Damit wird berücksichtigt, dass es Opfern solcher Straftaten häufig faktisch nicht möglich ist, solche Taten anzuzeigen, solange sie noch minderjährig und fest in das Familienleben eingebunden sind. Die verlängerte Strafverfolgungsmöglichkeit soll dabei auch abschreckend wirken.
Quelle: Bundesministerium der Justiz, Pressemitteilung vom 03.07.2009