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5 Jahre nach Ablauf der Bewährungszeit – kein Widerruf mehr…

© Elena Schweitzer - Fotolia.com

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Zwei Aussagen enthält der KG, Beschl. v. 04.03.2016 – 2 Ws 41/16, wovon m.E. eine – jedenfalls für mich – selbst verständlich ist.

Das KG setzt sich zunächst mit der Zulässigkeit einer Untätigkeitsbeschwerde auseiander und hält insoweit an seiner Rechtsprcehung fest, dass eine Untätigkeitsbeschwerde jedenfalls seit dem 03.12.2011 grundsätzlich nicht mehr statthaft. Das ist der Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. 11. 2011 (BGBl. I S. 2302). Es bestehe seitdem keine Regelungslücke mehr. Nun das sehe ich anders, aber gegen die geballte Meinung – andere OLG sehen das auch so – kommt man nicht.

Im zweiten Teil der Entscheidung geht es um den Widerruf von Strafaussetzung zur Bewährung. Es geht um den Widerruf der Bewährung aus einer Verurteilung aus dem Jahr 2009. Die Strafe war schon mal erlassen, der Straferlass ist dann aber aufgehoben worden. Vor einer erneuten Entscheidung über Straferlass oder den Widerruf wollte man den Abschluss eines damals gegen den Verurteilten bei der StA Braunschweig geführten Ermittlungsverfahrens gewarten. Das Verfahren ist dann an die Staatsaanwaltschaft Frankfurt/Oder abgegeben worden. Und dort dümpelt es mit dem dort anhängigen Verfahren herum; oder „Nichts Genaues weiß man“. Das veranlasst das KG zu folgendem Hinweis:

„Der Senat merkt an, dass im vorliegenden Fall der Widerruf der Bewährung aufgrund der oben dargestellten Umstände des Einzelfalls wohl nicht mehr in Betracht kommen dürfte. Die Bewährungszeit ist seit mittlerweile mehr als fünf Jahren abgelaufen. Zwar musste die Strafkammer grundsätzlich vor einer Entscheidung über den Straferlass den Ausgang der noch offenen weiteren Strafverfahren gegen den Verurteilten abwarten (vgl. Senat in seinem dieses Verfahren betreffenden Beschluss vom 25. Mai 2011 – 2 Ws 182/11 –). Ein Widerruf kommt aber dann nicht mehr in Betracht, wenn aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes eine Entscheidung nicht mehr vertretbar wäre, etwa weil sie ungebührlich hinausgezögert worden ist (vgl. schon OLG Düsseldorf VRS 89, 365 [366] sowie Senat StV 2013, 393). Dabei macht es aus Sicht des Verurteilten keinen Unterschied, ob die Entscheidung durch die die Bewährungsaufsicht führende Kammer oder – wie hier – von einem anderen Gericht, dessen Verfahrensausgang abgewartet werden soll, ungebührlich verzögert worden ist. Letztes scheint hier der Fall zu sein. Entgegen dem verfassungsrechtlichen Gebot einer funktionierenden Strafrechtspflege, das auch den Abschluss strafgerichtlicher Verfahren in angemessener Zeit umfasst, scheint das Verfahren vor dem Landgericht Frankfurt/Oder nach erneuter Anklageerhebung im Juni 2013 zum völligen Stillstand gekommen zu sein. Jedenfalls bei einem Zeitablauf von über fünf Jahren nach Ende der Bewährungszeit dürfte daher ein Bewährungswiderruf ausscheiden, wenn sich nicht anhand eigener Aktenauswertung des Bezugsverfahrens durch die Strafkammer außergewöhnliche Gründe ergeben, die ein solches Zuwarten ausnahmsweise vertretbar erscheinen lassen. Vor einem etwaigen Straferlass wird die Kammer daher zu prüfen haben, ob solche außergewöhnlichen Gründe vorliegen, die beispielsweise in einem Verschulden des Verurteilten an der eingetretenen Verfahrensverzögerung zu sehen wären.“

Eigentlich selbstverständlich, aber der „kluge Mann – das KG – baut vor“.

Untätigkeitsbeschwerde? Ein kleines Loch in der Mauer

© Alex White - Fotolia-com

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Die Frage, ob es im Strafverfahren eine „Untätigkeitsbeschwerde“gibt oder nicht, war vor Einführung der §§ 198, 199 GVG umstritten Nach Einführung der Verzögerungsrüge hat sich die h. die m.E unzutreffend dahin entwickelt, das unter Hinweis auf die Neuregelung der § 198, 199 GG die Statthaftigkeit einer Untätigkeitsbeschwerde verneint worden ist. M.E. ist das u.a. deshalb falsch, weil die §§ 198, 199 GVG nicht weniger, sondern mehr Rechtsschutz bringen sollten. Aber gegen den „geballten Sachverstand“ der OLG kommt ma nicht an.

Um so mehr hat es mich da  gefreut, als ich den KG, Beschl. v. 26.05.2015 – 2 Ws 104/15 – gelesen habe. Ein kleiner Lichtblick bzw. ein kleines Loch in der Mauer. Denn das KG macht einen „Neigungsbeschluss“ und sagt (jetzt) für einen Teilbereich:

„1. Der Senat neigt dazu, eine Untätigkeitsbeschwerde auch nach Einführung der §§ 198 ff. GVG ausnahmsweise als statthaft anzusehen, wenn ein weiteres Hinausschieben der Entscheidung (hier: Fortdauer der Sicherungsverwahrung gemäß § 67d Abs. 3 StGB) zu einer durch finanzielle Kompensation nicht auszugleichenden Verletzung des Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG führt.

2. Andere Rechtsschutzmöglichkeiten müssen zuvor ausgeschöpft worden sein.“

Ist zwar ein wenig „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“ – ist ja auch nur ein Neigungsbeschluss 🙂 , aber immerhin ein kleines Loch in der Tür, das man vielleicht vergrößern kann.

Das wird Herrn Mollath aber freuen: (Untätigkeits)Beschwerde unzulässig

Eine neue Facette im Fall Mollath, die Herrn Mollath freuen wird :-(. Die PM 9/13 des OLG Nürnberg vom 24.06.2013 informiert darüber, dass das OLG Nürnberg die Beschwerde, die im Wiederaufnahmeverfahren wegen der Untätigkeit des LG Regensburg betreffend den Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung eingelegte „Untätigkeitsbeschwerde“ als unzulässig angesehen. Begründung: Eine Untätigkeitsbeschwerde gibt es nach Einführung der §§ 198, 199 GVG nicht mehr (so übrigens auch gerade das OLG Frankfurt im OLG Frankfurt, Beschl. v. 10.04.2013 – 3 Ws 245/13). Dazu aus der PM:

„Der Verteidiger Mollaths hatte mit seiner Beschwerde gerügt, dass das Landgericht Regensburg im dort anhängigen Wiederaufnahmeverfahren über seinen Antrag auf Aussetzung der Vollstreckung bislang nicht entschieden hat. Der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg hat die Beschwerde mit Beschluss vom 24. Juni 2013 als unzulässig verworfen.
Der Senat weist darauf hin, dass eine Untätigkeitsbeschwerde gesetzlich nicht vorgesehen ist. Zwar habe die Rechtsprechung früher eine solche Beschwerde als zulässig erachtet, wenn sich das Verhalten eines Gerichts nicht bloß als Verzögerung der Entscheidung, sondern als endgültige Rechtsverweigerung darstellte. Seit Ende 2011 seien die rechtlichen Folgen einer überlangen Verfahrensdauer aber gesetzlich geregelt (§§ 198 ff. des Gerichtsverfassungsgesetzes). Der Bundesgerichtshof habe deshalb erst kürzlich klargestellt, dass für die von der Rechtsprechung zur Füllung einer gesetzlichen Lücke entwickelte Untätigkeitsbeschwerde kein Raum mehr sei.

Im Übrigen wäre die Beschwerde auch nach früherer Rechtslage erfolglos geblieben. Die Tatsache, dass die Strafkammer bislang nicht über den Antrag entschieden habe, stelle sich nicht als endgültige Rechtsverweigerung dar, zumal die Vorsitzende in ihrem Vermerk ausdrücklich darauf hinweise, dass das Gericht die Möglichkeit einer Aussetzung der Vollstreckung laufend prüfe.“

M.E. ist diese inzwischen h.M. zur Zulässigkeit des Untätigkeitsbeschwerde falsch, da sie dazu führt, dass die §§ 198, 199 GVG nicht mehr, sondern weniger Rechtsschutz gebracht haben. Und schöner als im Fall Mollath kann man es doch nicht aufzeigen: Was bitte schön nutzt Herrn Mollath die Verzögerungsrüge – ggf. als Vorbereitung für eine Entschädigung? In meinen Augen für dieses Verfahren nichts. Sie wird hier – aber auch in anderen Verfahren – häufig keinen Beschleunigungserfolg haben.

Anmerkung und, um Kommentaren vorzubeugen: Zu der Hilfserwägung „auch unbegründet“ kann man ohne Kenntnis der Akten m.E. nichts sagen.

Nachtrag um 17.10: Hier ist der Volltext des OLG Nürnberg, Beschl. v. 24.06.2013 – 1 Ws 268/13.

Rückwirkende Pflichtverteidigerbestellung? – Gibt es nicht – daher Untätigkeitsbeschwerde nicht vergessen….

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In der Rechtsprechung der OLG wird seit längerem die Auffassung vertreten, dass es eine rückwirkende Pflichtverteidigerbestellung nicht gibt. Die LG sehen das – m.E. zutreffend – anders, wenn es aus Verschulden der Justiz nicht zur Bestellung des notwendigen Verteidigers gekommen ist. Der Auffassung hat das OLG Hamm im OLG Hamm, Beschl. v. 24.10.2012, III-3 Ws 215/12 – ausdrücklich noch einmal eine Absage erteilt. Ich will auf die Argumente hier nicht noch einmal hinweisen, die sind bekannt. Etwas Neues ist dem OLG auch nicht (mehr) eingefallen.

Allerdings: Ist schon ein etwas eigenartiger Sachverhalt. Das LG leitet die Beschwerde gegen den Ablehnungsbeschluss der Strafvollstreckungskammer nicht weiter. Die Beschwerde geht dann entgegen der Regelung des § 306 Abs. 2 StPO um vier Monate verspätet beim OLG ein. Das OLG bescheinigt der Verteidigerin auch, dass die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO vorgelegen haben und das das Verfahren rechtsfehlerhaft war. Nur: Es bringt nichts mehr. Beschluss zwar materiell unrichtig und Verfahren auch nicht ok, aber für eine Pflichtverteidigerbestellung ist es zu spät. Ich frage mich, was solche Beschlüsse sollen. Allerdings: Die Verteidigerin ist auch selbst mitverantwortlich. Warum lässt sie sich auf das Hin und Her ein? Warum wird nicht auf Vorlage beim OLG gedrängt.

Das OLG gibt dazu auch einen Hinweis:

„Außer Acht lässt die Gegenauffassung auch, dass die Korrektur gerichtlicher Fehler auf andere Weise geregelt ist: So hat der Verurteilte bei fehlender Weiterleitung der Beschwerde die Möglichkeit der Untätigkeitsbeschwerde gemäß § 304 StPO, weil das Unterlassen hier einer ablehnenden Entscheidung gleichsteht (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl. 2012, § 304 Rz. 3). Unter den Voraussetzungen des Art. 34 GG i. V. m. § 839 BGB können dem Verurteilten nachträglich Amtshaftungsansprüche zustehen, zumal das so genannte Richterprivileg bei pflichtwidriger Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts nicht gilt (vgl. § 839 Abs. 2 BGB). Schließlich steht ihm der Weg offen, die Dienstaufsicht anzurufen….“

Schön, dass das OLG die Untätigkeitsbeschwerde entdeckt hat. Nur: Ist das der Königsweg bei einer Kammer, die offensichtlich nicht vorlegen will? Und: Ob es eine Untätigkeitsbeschwerde überhaupt (noch) gibt, ist ja nun auch nicht so unbestritten.

Jedenfalls kann man auf der Grundlage dieser Entscheidung in vergleichbaren Fällen Verteidigern nur raten: Gleich noch ein Rechtsmittel hinterher. Aber: Was passiert, wenn darüber auch nicht entschieden wird? Dann also eine Untätigkeitsbeschwerde gegen die Untätigkeitsbeschwerde? Da gefällt mir der Weg der LG über die ausnahmsweise Fehlerkorrektur dorch viel besser.

 

 

Der Abschied von der Untätigkeitsbeschwerde

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Ich hatte ja vor einigen Tagen über den KG, Beschl. v. 15.03.2012 – 8 W 17/12 -berichtet (vgl. hier), der für das Zivilrecht davon ausgeht, dass nach Inkrafttreten des § 198 Abs. 3 GVG (Verzögerungsrüge) es eine Untätigkeitsbeschwerde nicht mehr gibt bzw. diese unzulässig ist. Jetzt hat mich ein Kollege auf einem im Strafverfahren ergangenen Beschluss hingewiesen, und zwar auf den OLG Hamburg, Beschl. v. 19.03.2012 – 3 (Vollz) Ws 9/12, – der für den Bereich des Strafvollzugs dieselbe Auffassung vertritt, und zwar mit folgender Begründung:

 „Mit dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ist die gesetzliche Rechtsschutzlücke geschlossen worden. Dabei erschöpft sich dieses Gesetz nicht in der Regelung von Entschädigungsansprüchen (so offenbar Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 27.12.11, L 8 KR 326/11 B, Rdnr. 15, zitiert nach juris).

 Bereits die gesetzliche Überschrift des siebzehnten Titels des GVG „Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren“ macht deutlich, dass hier eine umfassende und abschließende Regelung des Rechtsschutzes erfolgt. (OVG, Mecklenburg-Vorpommern aaO. Rdnr. 4). Entsprechendes ergibt sich auch aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes. So wird in der Begründung ausdrücklich hervorgehoben, dass die von der Rechtsprechung entwickelten Rechtsbehelfskonstruktionen mit diesem Gesetz grundsätzlich hinfällig sind, weil eine abschließende Regelung beabsichtigt ist (BT-Drucks. 17/3802, S. 16).

 Die Neuregelung berücksichtigt auch den Präventionsgedanken der bisherigen Untätigkeitsbeschwerde. So kann ein Verfahrensbeteiligter gemäß § 198 Abs. 3 S. 1 GVG nur eine Entschädigung erhalten, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens zuvor gerügt hat (Verzögerungsrüge). Mit dieser Verzögerungsrüge soll erreicht werden, dass die Gerichte auf entsprechende Rügen mit Abhilfe reagieren können (BT-Drucks. aaO.).

 Im Übrigen würde ein Nebeneinander der von der Rechtsprechung entwickelten Untätigkeitsbeschwerde und gesetzlicher Regelung dem gesetzgeberischen und verfassungsrechtlichen Ziel der Rechtsbehelfsklarheit widersprechen (vgl. BT-Drucks. aaO. S. 1, 15 unter Berufung auf BVerfGE 107, 395, 416; 122, 190, 202).“

M.E. falsch und widerspricht im Grunde auch den Intentionen des Gesetzgebers, den Rechtsschutz durch die gesetzliche Neuregelugn auszudehnen. Durch diese Rechtsprechung wird er aber eingeschränkt. Sie führt zudem zu dem in meinen Augen widersinnigen Ergebnis, dass der Betroffene keine Möglichkeit hat, von sich aus auf eine schnellere Verfahrensführung zu drängen. Ihm bleibt nur die Verzögerungsrüge. Und ob die die Gerichte veranlasst, das Verfahren voran zu treiben, wage ich zu bezweifeln. Zudem auch die Staatsanwaltschaften dürfte diese Rechtsprechung nicht erfreuen. Denn auch sie haben dann jetzt keine Möglichkeit mehr, in ihren Augen verzögerte Verfahren – es fehlt z.B. die Eröffnungsentscheidung – voran zu treiben. Und sie sollen die Verzögerungsrüge erheben? Mit welchem Ziel?

Es war übrigens, das OLG Hamburg, dass, worauf der Senat im Beschl. v. 19.03.2012 hinweist, „der das Institut der Untätigkeitsbeschwerde durch Beschluss vom 03.06.02 (3 Vollz (Ws) 46/02) in Anlehnung an eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH, NJW 1993, 1279) im Strafvollzugsrecht zur Schließung einer Rechtsschutzlücke für Fälle begründet [erachtet hat, in denen die Untätigkeit des Gerichts praktisch einer endgültigen Ablehnung der begehrten Entscheidung gleichkommt bzw. eine Rechtsverweigerung darstellt. In diesen Fällen sollte die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Untätigkeit präventive Funktion entfalten, indem durch die Feststellung eine beschleunigte Bearbeitung durch das betroffene Gericht erreicht werden sollte (vgl. BVerfG, NJW 2005, 3488, 3489).“ Also Abschied von der Untätigkeitsbeschwerde?