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Corona I: Die Maskenpflicht – binnen und buten, oder: Ungebühr des sich selbst verteidigenden Rechtsanwalts

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In die 2. KW. 2022 starte ich mit Entscheidungen zu Corona. In diesem ersten Posting zunächst zwei Beschlüsse des OLG Oldenburg, die beide aus demselben Verfahren stammen. In dem Verfahren ging es um einen Maskenverstoß.

Das AG hat den Betroffenen, einen Rechtsanwalt, wegen eines Verstoßes gegen eine Allgemeinverfügung des Landkreises Aurich betreffend die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung an öffentlichen Plätzen zu einer Geldbuße von 100 EUR verurteilt. Der Betroffene hatte sich trotz Maskenpflicht geweigert – auch auf eine entsprechende Aufforderung der Polizei hin, – eine Maske im öffentlichen Raum aufzusetzen. In der Hauptverhandlung hat sich der Betroffene dann selbst verteidigt. In der Hauptverhandlung ist dann ein Ordnungsgeld von 150 EUR ersatzweise 3 Tage Ordnungshaft festgesetzt worden, weil sich der Betroffene trotz Aufforderung durch den Vorsitzenden geweigert hat, in der Hauptverhandlung eine Mund-Nasen-Bedeckung aufzusetzen. Dagegen dann die Beschwerde und die Rechtsbeschwerde des Betroffenen. Beide Rechtsmittel hatten keinen Erfolg.

Zunächst hier zu dem Ordnungsgeldbeschluß – das ist m.E. die rechtlich interessantere Entscheidung – der erste OLG Oldenburg, Beschl. v. 03.01.2022 – 2 Ss (OWi) 240/21. Das OLG führt zu dem Ordnungsgeldbeschluss aus:

„Auch in der Sache selbst lässt das festgesetzte Ordnungsgeld weder dem Grund noch der Höhe nach Rechtsfehler erkennen.

Das Ordnungsgeld konnte zunächst gegen den Betroffenen, auch wenn er von Beruf Rechtsanwalt ist und sich selbst verteidigt hat, festgesetzt werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat zur Rechtsstellung eines sich selbst verteidigenden Rechtsanwaltes folgendes ausgeführt:

„Dagegen ist es nach übereinstimmender Ansicht in Rechtsprechung und Schrifttum nicht zulässig, dass der Rechtsanwalt in dem von der Strafprozessordnung und dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten gebrauchten Sinne sein eigener Verteidiger sein kann. Der Status des Verteidigers und die Stellung des Beschuldigten oder Betroffenen sind offensichtlich miteinander unvereinbar: Der Verteidiger nimmt nicht nur ein durch privatrechtlichen Geschäftsbesorgungsvertrag erteiltes Mandat wahr, sondern wird als unabhängiges – mit eigenen Rechten und Pflichten versehenes – Organ der Rechtspflege grundsätzlich gleichberechtigt mit der Staatsanwaltschaft im Strafprozess tätig. Seine Position ist deshalb mit einer spürbaren Distanz zum Beschuldigten hin ausgestattet (vgl Kurzka, MDR 1974 S 817). Ihm sind Beschränkungen auferlegt, die die Strafprozessordnung einem Beschuldigten aus guten Gründen nicht abverlangt (vgl BGHSt 9, 71 (73); 14, 172 (174); Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 4. Aufl 1977, S 29f; § 68 der Grundsätze des anwaltlichen Standesrechts, abgedruckt bei Kleinknecht, aaO, § 137 vor Rdnr 1). Daraus folgt beispielsweise: Der im Strafgeldverfahren oder Bußgeldverfahren beschuldigte Rechtsanwalt kann in eigener Sache weder sein Wahlverteidiger sein, noch kann er in Fällen notwendiger Verteidigung zu seinem eigenen Pflichtverteidiger bestellt werden (vgl BGH, NJW 1954, S 1415; Kurzka, MDR 1974, S 817; Kleinknecht, aaO, § 138 Rdnr 3, § 140 Rdnr 1; Löwe-Rosenberg, aaO, § 140 Rdnr 2). Er hat kein Recht auf Akteneinsicht (Löwe-Rosenberg, aaO, § 147 Rdnr 3; Kleinknecht, aaO, § 147 Rdnr 8; Klussmann, NJW 1973 S 1965). Er ist weder zum Kreuzverhör nach § 239 StPO berechtigt (Löwe-Rosenberg, aaO, vor § 137 Rdnr 8; Löwe-Rosenberg, aaO, § 239 Rdnr 6) noch zur Befragung von Mitangeklagten nach § 240 Abs 2 Satz StPO befugt (Löwe-Rosenberg, aaO, vor § 137 Rdnr 8). In den Anwendungsbereichen des § 176 GVG und der §§ 168c Abs 3, 231 Abs 2, 231a, 231b und 247 StPO hat seine berufliche Qualifikation als Rechtsanwalt keine Bedeutung.
(BVerfG, Beschluss vom 26. Februar 1980 – 2 BvR 752/78 –, BVerfGE 53, 207-218, Rn. 22)“.

Obwohl in dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes § 178 GVG nicht ausdrücklich erwähnt wird, ist auch die Festsetzung eines Ordnungsgeldes gegen einen sich selbst verteidigenden Rechtsanwalt zulässig (vergleiche Burhoff, Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 9. Aufl., RN 2727; OLG Köln, Beschluss vom 3.3.2010, 2 Ws 62/10, juris).

Die beharrliche Weigerung des Betroffenen der Aufforderung des Vorsitzenden zu folgen, eine Mund-Nasen-Bedeckung aufzusetzen, stellt eine Ungebühr dar:

Eine Ungebühr im Sinne von § 178 Abs. 1 GVG ist ein erheblicher Angriff auf die Ordnung in der Sitzung, auf deren justizgemäßen Ablauf, auf den Gerichtsfrieden und damit auf die Ehre und Würde des Gerichts (OLG Stuttgart, a.a.O.)

Das Gericht war zunächst berechtigt, vom Betroffenen das Aufsetzen einer Mund-Nasen-Bedeckung zu verlangen (vergleiche Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 9.8.2021, 202 ObOWi 860/21, juris; OLG Celle, NdsRpfl 2021, 251). Soweit der Betroffene argumentiert, die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung widerspräche § 176 Abs. 2 GVG, haben sich die beiden vorgenannten Oberlandesgerichte mit diesem Einwand in überzeugender Weise auseinandergesetzt. Hierauf kann verwiesen werden.

Durch die Weigerung des Betroffenen, trotz mehrfacher Aufforderung die dem eigenen auch als dem Schutz der übrigen Beteiligten dienende Mund-Nasen-Bedeckung aufzusetzen, hat der Betroffene den Ablauf der Sitzung nachhaltig gestört. Letztlich ist die Sitzung erst dann zur Sache fortgesetzt worden, als der Betroffene des Saales verwiesen worden war und in seiner Abwesenheit verhandelt worden ist.“

Jetzt lassen wir mal die Frage der „Ungebühr“ außen vor. Eins ist auf jeden Fall richtig: Der Rechtsanwalt, der sich selbst verteidigt, ist „normaler“ Angeklagter/Betroffener mit der Folge, dass § 178 GVG auch für ihn gilt.

Und zur Hauptsache – also zur Rechtsbeschwerde – dann noch der Leitsatz aus dem zweiten OLG Oldenburg, Beschl. v. 03.01.2022 – 2 Ss (OWi) 240/21; der ist m.E. nicht so interessant, das man das alles schon einmal gelesen hat.

„Ein Verstoß gegen die Pflicht zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung konnte auch vor Inkrafttreten des § 28a IfSG mit einem Bußgeld geahndet werden.“

Und wenn schon das OLG unser Handbuch zitiert hier dann <<Werbemodus an>< der Hinweis auf Burhoff (Hrsg.), Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 9. Aufl., 2022, und auf Burhoff (Hrsg.), Handbuch für die strafrechtliche Hauptverhandlung, 10. Aufl., 2022, beide brandaktuell, die man hier – einzeln oder im Paket – bestellen kann.<<Werbemodus aus>>.

Aufstehen, wenn das Gericht den Saal betritt, oder: Wenn es der Wahrheitsfindung dient

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Als zweite Entscheidung im „Kessel Buntes“ dann der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 14.05.2018 – 1 Ws 88/17. Er stammt zwar aus einem Strafverfahren, die vom OLG entschiedene Problematik ist aber keine rein straf(verfahrens)rechtliche. Vielmeher kann sich die Frage ggf. auch in jedem Verfahren stellen. Es geht (mal wieder) um Ungebühr vor Gericht (§ 178 Abs. 1 Satz 1 GVG), wenn man sich – im entschiedenen Fall ein Zeuge – bei Eintreten des Gerichts nicht von seinem Sitzplatz erhebt. Also: Ungebühr im Sinne von § 178 Abs. 1 Satz 1 GVG, ja oder nein. Das OLG Zweibrücken hat die Frage bejaht:

„Der angefochtene Ordnungsmittelbeschluss beruht auf einem in förmlicher Hinsicht ordnungsgemäßen Verfahren (§§ 178 Abs. 2, 182 GVG). Er ist auch in sachlicher Hinsicht nicht zu beanstanden, da die Voraussetzungen für die Verhängung eines Ordnungsmittels gemäß § 178 Abs. 1 GVG erfüllt sind. Dadurch, dass der Beschwerdeführer beim Eintreten des Gerichts sitzenblieb und trotz der Aufforderung aufzustehen sich nicht von seinem Platz erhoben hat, hat er sich einer Ungebühr im Sinne des § 178 Abs. 1 GVG schuldig gemacht.

Der Zweck dieser Vorschrift, in dessen Licht der in ihr enthaltene Begriff der Ungebühr auszulegen ist, geht dahin, die Würde des Gerichts zu wahren und Störungen abzuwehren, die den gesetzmäßigen Ablauf der Verhandlung und die geordnete Wahrheitsfindung in ihr beeinträchtigen (Schäfer in: Löwe-Rosenberg, StPO, 23. Aufl., § 178 GVG Rdnrn. 1 – 3; Mayr in: KK, § 178 GVG Rdnr. 2). Indessen ist beides, die Würde des Gerichts und die geordnete Wahrheitsfindung, nicht im Sinne eines unverbundenen Nebeneinander zu verstehen, die Würde des Gerichts daher nicht als ein von der Wahrheitsfindung abgehobener Achtungsanspruch aufzufassen. Worum es im Kern geht, ist vielmehr die Gewährleistung einer dem Ernst der Strafrechtspflege angemessenen, persönliche Distanz schaffenden, emotionsfreien, Unparteilichkeit und Verantwortungsbereitschaft fördernden und damit letztlich dem Ziel der Wahrheitsfindung dienenden Atmosphäre. Diese Atmosphäre herzustellen, sind die in der Hauptverhandlung gebräuchlichen äußeren Formen bestimmt (OLG Hamm, NJW 1975, 943; Schäfer, aaO, Rdnr. 4). Zu ihnen gehört das Aufstehen aller im Gerichtssaal anwesenden Personen beim Eintreten des Gerichts. Das Aufstehen versinnbildlicht die Haltung gesteigerter Verantwortung und den Ernst, die einer strafgerichtlichen Verhandlung mit ihrer oft schicksalhaften Bedeutung für den Angeklagten eigen sein muss (Eb. Schmidt, ZRP 1969, 256). Indem das Aufstehen diese Verantwortungsbereitschaft und diesen Ernst symbolhaft für alle Beteiligten darstellt, trägt es zu deren Verwirklichung und damit zur Wahrheitsfindung auch selbst bei. Mithin ist das Aufstehen vor Gericht weder Selbstzweck noch Befolgung einer bloßen Tradition, und ebensowenig ist es eine außerhalb rechtlicher Erzwingbarkeit liegende Höflichkeitsbekundung (OLG Hamm, aaO; Schäfer, aaO, Rdnrn. 4, 12). Es handelt sich auch nicht um eine den Richtern persönlich erwiesene Reverenz (Eh. Schmidt, aaO). Soweit dem Sicherheben vor dem Gericht ein Element der Achtung innewohnt, ist es die Achtung vor der besonderen Bedeutung des richterlichen Auftrags, losgelöst von der Person dessen, der jeweils diesen Auftrag erfüllt (OLG Hamm, aaO). Nicht der Person des Richters gebührt das Sicherheben bei Eintritt in die Verhandlung, sondern seinem Richteramt (OLG Hamm, aaO), und noch allgemeiner: dem gemeinsam von allen Verfahrensbeteiligten angestrebten Ziel der Verwirklichung von Wahrheit und Gerechtigkeit. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu ausgeführt: “Den Richtern, die nach der Verfassung im Namen des Volkes die rechtsprechende Gewalt ausüben (Art. 92 GG), ist von jedermann die schuldige Achtung zu erweisen” (Beschl. v. 3. 8. 1966 – 1 BvR 441/66, DRiZ 1966, 356; vgl. für das gesamte Vorstehende OLG Koblenz, Beschluss vom 2.12.1983, NStZ 1984, 234, beck-online).“

Nun ja, wenn es der Wahrheitsfindung dient…..

Lachen während der Hauptverhandlung – das kostet dann ggf. 150 EUR, oder: Teures Lachen

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Vor einiger Zeit ist in einigen anderen Blogs schon über den OLG Oldenburg, Beschl. v. 09.02.2017 – 1 Ws 50/17 – berichtet worden, allerdings nur auf der Grundlage der dazu vom OLG herausgegebenen PM. Mir reicht(e) das – i.d.R. – nicht aus und daher habe ich den Volltext beim OLG angefordert. Und der ist dann in der vergangenen Woche eingegangen.

Es geht um die Verhängung eines Ordungsgeldes gegen eine Zeugin. Die war nach ihrer Vernehmung noch als Zuschauerin im Gerichtssaal geblieben. Als der nächste Zeuge an der Reihe war, kommentierte die Zeugin dessen Aussage durch mehrfaches Lachen und Zurufe, wie „Das stimmt nicht!“. Zwei Ermahnungen durch die Amtsrichterin halfen nichts. Die Frau lachte ein weiteres Mal. Hierfür verhängte die Richterin dann ein Ordnungsgeld in Höhe von 150,- EUR ersatzweise drei Tage Ordnungshaft. Die Zeugin ist mit ihrer Beschwerder beim OLG gescheitert;

„Auch inhaltlich ist die Entscheidung nicht zu beanstanden.

Gemäß § 178 GVG kann u.a. gegen Zeugen, die sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig machen, ein Ordnungsgeld bis zu eintausend Euro oder Ordnungshaft bis zu einer Woche festgesetzt werden. Ungebühr ist ein erheblicher Angriff auf die Ordnung in der Sitzung, auf deren justizgemäßen Ablauf, auf den „Gerichtsfrieden“ und damit auf die Ehre und Würde des Gerichts (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 178 GVG Rn. 2). Nach dem Protokoll der Hauptverhandlung hatte die zuvor als Zeugin vernommene und nun als Zuhörerin anwesende Beschwerdeführerin, nachdem sie zuvor zwei Mal ermahnt worden war, Zurufe und Lachen zu unterlassen, erneut gelacht. Das Protokoll ist von der Protokollführerin und der Vorsitzenden unterschrieben worden, so dass kein Anlass zu Zweifeln daran besteht, dass der Sachverhalt sich so zugetragen hat.

Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, die den Sachverhalt davon teilweise abweichend dargestellt hat, folgt der Senat deshalb nicht.

Ein derartiges Verhalten stellt eine Ungebühr gegenüber dem Gericht dar. Auch wenn die Beschwerdeführerin aufgrund der Prozesssituation möglicherweise einer emotionalen Belastung ausgesetzt war, so war es für das Gericht nicht hinnehmbar, dass der ordnungsgemäße Ablauf der Verhandlung seitens der Beschwerdeführerin durch Zurufe, wie etwa „Das stimmt nicht!“ und Lachen fortwährend gestört wurde, zumal nicht auszuschließen war, dass diese Störungen das Aussageverhalten des Zeugen beeinflussen. Die Vernehmung von Zeugen in einem Gerichtsverfahren erfolgt ausschließlich durch den Gerichtsvorsitzenden und anschließend durch Befragung durch weitere Prozessbeteiligte und keineswegs durch Zurufe oder anderweitige Unmutsäußerungen aus dem Zuhörerraum, mögen sie auch aus deren subjektiver Sicht ein berechtigtes Anliegen verfolgen.

Auch stellt sich die Verhängung des Ordnungsgeldes als angemessene Reaktion auf das Verhalten der Beschwerdeführerin dar. Bei einer einmaligen Entgleisung hätte ein Ordnungsmittel nach § 178 GVG möglicherweise noch entbehrlich sein können. Da sich die Beschwerdeführerin jedoch trotz mehrfacher Ermahnungen nicht von weiteren Störungen abhalten ließ, verblieb als letztes Mittel die Verhängung eines Ordnungsmittels, das auch in der festgesetzten Höhe angemessen erscheint.“

Wenn sich der Reichsbürger (?) „lautstark erregt“, oder: Keine „temperamentvolle Reaktion“

© canstockphoto5259235

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Es dürfte sich um einen Angeklagten aus dem „Lager“ der Reichsbürger gehandelt haben, der mit einem Amtsrichter beim AG Bocholt so aneinander geraten ist, dass der ein Ordnungsgeld von 150 € ersatzweise drei Tage Ordnungshaft gegen ihn verhängt hat. Jedenfalls spricht einiges dafür, weil der Angeklagte zu Beginn der Hauptverhandlung zunächst das Hinsetzen verweigerte und  später dann verlangte, zunächst Unterlagen einzusehen, aus denen sich ergebe, dass der erkennende Richter wirklich ein staatlicher Richter sei und sich deswegen nicht zur Sache einlassen wollte. Bis dahin dann also schon eine recht muntere Hauptverhandlung. Es gin dann aber wohl munter weiter, nachdem „er im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung im Beisein des gerade vernommenen Zeugen seine Stimme [erhob] und zeigte „mit dem nackten Finger“ auf ihn, die Wachtmeister und den Vorsitzenden“. Es wurden dem Angeklagten jeweils sitzungspolizeiliche Maßnahmen bzw. die Verhängung eines Ordnungsgeldes, ersatzweise Ordnungshaft, angedroht. Nach einer Minute begann der Verurteilte erneut „sich lautstark zu erregen“ – was immer das ist/war. Jedenfalls hat es dem Vorsitzenden dann gereicht und er hat das Ordnungsgeld gegen den Angeklagten verhängt. Die Beschwerde dagegen hat beim OLG nicht viel genutzt, denn das hat die Beschwerde des Angeklagten im OLG Hamm, Beschl. v. 06.10.2016 – 4 Ws 308/16 – verworfen:

„Das Verhalten des Verurteilten, sich zweifach im Beisein des gerade vernommenen Zeugen lautstark zu erregen bzw. seine Stimme zu erheben, stellt eine Ungebühr i.S.d. § 178 GVG dar. Ungebühr im Sinne von § 178 Abs. 1 GVG ist ein erheblicher Angriff auf die Ordnung in der Sitzung, auf deren justizgemäßen Ablauf, auf den „Gerichtsfrieden“ und damit auf die Würde des Gerichts (OLG Hamm, Beschl. v. 03. 06.2008 – 1 Ws 338/08 – juris m.w.N.). Zu einem geordneten Ablauf der Sitzung gehört auch die Beachtung eines Mindestmaßes an äußeren Formen und eine von Emotionen möglichst freie Verhandlungsatmosphäre. Die Ordnungsmittel des § 178 GVG können dabei insbesondere als Antwort auf grobe Achtungsverletzungen und bewusste Provokationen eingesetzt werden. Es muss jedoch nicht jede Störung der Sitzung zugleich einen erheblichen Angriff auf die Würde und das Ansehen des Gerichts enthalten. So kann daher eine Ahndung mit einem Ordnungsmittel nach § 178 GVG entbehrlich sein, wenn eine augenblickliche, aus einer gereizten Verhandlungssituation geborene Entgleisung vorliegt. Das wird häufig insbesondere bei Angeklagten oder Betroffenen wegen der durch die Prozesssituation gegebenen emotionalen Belastung der Fall sein (OLG Hamm, Beschl. v. 28.11.2000 – 2 Ws 296/00 –juris m.w.N.).

Das lautstarke Erheben der Stimme bzw. das lautstarke „Sich-erregen“ im Beisein des gerade zu vernehmenden Zeugen ist ein solcher erheblicher Angriff auf den justizgemäßen Ablauf der Sitzung. Das im Hauptverhandlungsprotokoll dokumentierte Verhalten, welches zum Erlass des angefochtenen Beschlusses geführt hat, ist geeignet gewesen, den Ablauf der Zeugenvernehmung zu stören, insbesondere ist ein solches Verhalten geeignet, den zu vernehmenden Zeugen einzuschüchtern und damit sein Aussageverhalten zu beeinflussen, zumal es in dem Strafverfahren gerade um eine Widerstandshandlung im Zusammenhang mit einer Vollstreckungshandlung des als Gerichtsvollzieher tätigen Zeugen ging.

Das geahndete Verhalten des Verurteilten war mehr als nur eine bloße „temperamentvolle Reaktion“, wie der Verteidiger in der Hauptverhandlung meinte, zumal nicht erkennbar ist, welches Geschehen eine solche „temperamentvolle Reaktion“ oder überhaupt eine derartige Erregung gerechtfertigt haben könnte. Die Verhandlungssituation als solche war – abgesehen von dem Verhalten des Verurteilten – nicht gereizt und der Verurteilte war bereits mehrfach – auch in anderem Zusammenhang zur Mäßigung ermahnt worden.“

Rechtliches Gehöhr hat es für den Angeklagten nicht mehr gegeben. Ist aber nicht schlimm sagt das OLG Hamm:

„….Denn in der Rechtsprechung ist als Ausnahme von der Pflicht zu einer ausdrücklichen vorherigen Anhörung der Fall anerkannt, dass der Betroffene zuvor ermahnt, bzw. ihm die Festsetzung eines Ordnungsgeldes angedroht worden ist (OLG Brandenburg NJW 2004, 451). Das ist hier der Fall. Nur etwa eine Minute vor dem zweiten Vorfall waren dem Verurteilten (zuletzt) sitzungspolizeiliche Maßnahmen wegen des Lautwerdens angedroht worden.“

Viel Spaß bei der Vollstreckung 🙂 .

Ach: Und das mit dem „nackten Finger“ würde mich nicht stören. Was soll er machen? Handschuhe anziehen 🙂 ?

Angeklagter erscheint nicht zur HV ==> Ordnungsgeld, oder: Teure Kreuzfahrt (?)

entnommen wikimedia.org Urheber Patrick-sg

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Ein wenig kurios (?) ist für mich der Sachverhalt des OLG Celle, Beschl. v. 17.05.2016 – 2 Ws 88/16. Es geht um die Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen den Angeklagten wegen Ungebühr. Und zwar auf der Grundlage folgenden Sachverhaltes:

Anklageerhebung unter dem 28.06.2015 zum Amtsgericht ? Schöffengericht – wegen des Vorwurfs des Bankrotts und der Insolvenzverschleppung. Termin zur Hauptverhandlung wurde auf den 08. 03.2016 bestimmt. In diesem Termin wurden die Beteiligten zur Fortsetzung der Hauptverhandlung auf den 17.03.2016 geladen. Im Fortsetzungstermin am 17.03.2016 wurde erörtert, an welchem weiteren Tag die Hauptverhandlung fortgesetzt werden soll. Der Angeklagte erklärte, dass er sich ab dem 26.03.2016 auf einer Südamerikareise befinde und während dieses Urlaubs nicht zur Fortsetzung der Hauptverhandlung zur Verfügung stehe. Einen eigenen Terminsvorschlag unterbreitete er nicht. Der Vorsitzende des Schöffengerichts wies ihn darauf hin, dass er bei eigenmächtiger Abwesenheit mit einem Haftbefehl rechnen müsse. Eine Übereinkunft über einen Fortsetzungstermin wurde in der Hauptverhandlung letztlich nicht erzielt. Die Hauptverhandlung wurde hierauf ohne weitere Terminsbestimmung unterbrochen. Mit Verfügung vom 23.03.2016 bestimmte der Vorsitzende des Schöffengerichts Termin zur Fortsetzung der Hauptverhandlung auf den 07.04.2016. Dabei wies er den Angeklagten darauf hin, dass er zur Anwesenheit verpflichtet sei und die Hauptverhandlung im Falle seiner Abwesenheit ohne ihn fortgesetzt werden könne. Die Reise sei kein ausreichender Entschuldigungsgrund, da der Angeklagte bereits seit Zugang der Ladung am 11.11.2015 Kenntnis vom Beginn der Hauptverhandlung habe. Es sei für ihn vorauszusehen gewesen, dass sich die Hauptverhandlung in dem umfangreichen und unter Beteiligung eines Sachverständigen geführten Verfahren mit der Reise überschneiden könnte. Der Angeklagte habe aber weder die Reise verlegt noch das Gericht von Beginn der Hauptverhandlung hiervon in Kenntnis gesetzt. Das Gericht sei daher nicht in der Lage gewesen, die Hauptverhandlung auf einen Zeitpunkt nach der Rückkehr des Angeklagten zu verlegen.

Zum Fortsetzungstermin am 07. 04.2016 erschien der Angeklagte nicht. Mit in der Hauptverhandlung verkündetem Beschluss verhängte das Schöffengericht gegen den Angeklagten wegen Ungebühr ein Ordnungsgeld von 1.000 EUR, ersatzweise eine Woche Ordnungshaft. Daneben ordnete es an, dass die Hauptverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten fortgesetzt wird. Dagegen richtet sich die Beschwerde des Angeklagten. Das OLG hat aufgehoben:

Voraussetzung für die Verhängung eines Ordnungsmittels nach § 178 GVG gegen einen der dort genannten Beteiligten ist, dass sich dieser einer Ungebühr in der Sitzung schuldig gemacht hat. Darunter fällt jedes Verhalten, welches den ordnungsgemäßen Ablauf der Sitzung gefährdet oder beeinträchtigt und die Würde des Gerichts und der Verfahrensbeteiligten angreift oder missachtet (vgl. KG, Beschluss vom 6. November 2007 – 4 Ws 140/07 = StraFo 2008, 33; Diemer in Karlsruher Kommentar, StPO, 7. Aufl. (2013), § 178 RdNr. 1, 2; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl. (2015), § 178 RdNr. 2). Solche Verfahrensweisen, die lediglich prozessualen Vorgaben zuwiderlaufen, beinhalten für sich genommen noch keine Ungebühr, sondern ziehen ggf. die im Verfahrensrecht vorgesehenen Konsequenzen nach sich (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 3. Dezember 1990 – 1 Ws 252/90 = NStZ 1991, 297; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 15. August 1995 – 6 W 15/95 = SchlHA 1995, 293).

In dem bloßen Nichterscheinen zu dem Fortsetzungstermin ist eine Ungebühr des Angeklagten nach diesen Maßstäben auch nicht vor dem Hintergrund zu sehen, dass sich der Angeklagte dazu entschlossen hat, stattdessen die geplante Urlaubsreise anzutreten. Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift an den Senat hierzu Folgendes ausgeführt:

„Allein die Teilnahme an der Kreuzfahrt lässt nicht erkennen, dass dem Gericht kein hinreichender Respekt gegenüber gebracht wird. Der Angeklagte hat den Interessenkonflikt bezüglich des von ihm gewünschten Urlaubs und der Teilnahme an der Hauptverhandlung dahingehend für sich gelöst, sich für seinen Urlaub zu entscheiden. Dass er damit aber das Gericht provozieren oder herabsetzen wollte, ist nicht ersichtlich.

Gleiches gilt für den Umstand, dass er seine Meinung gegenüber dem Gericht kommuniziert hat, was in keiner anstößigen Art und Weise erfolgt ist.

Ihm ist es offenbar lediglich darum gegangen, den gebuchten Urlaub auch wahrzunehmen und Stornierungskosten zu vermeiden. Durch seinen Verteidiger ist er offenkundig auch darin bestärkt worden, dass von ihm Unzumutbares abverlangt werde und er deshalb die Reise auch antreten dürfe. Sein Verhalten zielt nicht auf eine Provokation oder Herabsetzung des Gerichts ab. Eine Ungebühr ist vor diesem Hintergrund nicht zu erkennen.“

Dem tritt der Senat bei und hebt den Beschluss hinsichtlich des Ordnungsmittels auf.“

M.E. zutreffend, auch wenn man nicht weiß, wann die Kreuzfahrt gebucht worden ist: Vor oder nach der Ladung zum HV-Termin. Denn m.E. muss der Angeklagte nicht mit Fortsetzungsterminen rechnen, so lange das Gericht keine anberaumt oder in Aussicht gestellt hast. Und unabhängig davon stellt sich dann immer noch die vom OLG verneinte Frage, ob das Nichterscheinen einen Ungebühr ist. M.E. handelt es sich bei dem AG-Beschluss um einen Retourkutsche für einen offenbar nicht koopertaionswilligen Angeklagten.