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Umfang der Beiordnung des Pflichtverteidigers, oder: Erstreckung auch auf das Adhäsionsverfahren

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Und als zweite Entscheidung dann der OLG Dresden, Beschl. v. 21.12.2023 – 2 Ws 298/23. Den Beschluss hätte ich auch an einem „Pflichti-Tag“ bringen können. Er passt aber wegen der gebührenrechtlichen Auswirkungen auch/besser an einem RVG-Tag.

Das OLG hat zum Umfang der Beiordnung des Pflichtverteidigers entschieden, und zwar zur Frage der Erstreckung der Vertretung des Angeklagten auch auf das Adhäsionsverfahren. Dazu führt es nun aus:

„Die Beiordnung des Pflichtverteidigers gemäß § 140 Abs. 1 StPO erstreckt sich auch auf die Vertretung des Angeklagten im Adhäsionsverfahren. Diese in Rechtsprechung und Literatur bislang umstrittene Frage ist in der Rechtsprechung nunmehr geklärt. An seiner früheren entgegenstehenden Rechtsauffassung (OLG Dresden, Beschluss vom 10. Dezember 2013 – 2 Ws 569/13 – BeckRS 2014,00582) hält der Senat hält nicht fest.

Für eine Umfangsbeschränkung der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1 StPO auf die Abwehr allein des staatlichen Strafanspruchs findet sich im Gesetz keine Grundlage. Da das Adhäsionsverfahren Teil des Strafverfahrens ist, wie sich aus dessen gesetzlicher Regelung in den §§ 403 ff. StPO ergibt, erstreckt sich der Umfang der notwendigen Verteidigung gemäß § 140 Abs. 1 StPO schon deshalb auch hierauf. Der Senat verweist hierzu auf die Ausführungen des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 27. Juli 2021 — 6 StR 307/21 juris Rdnr. 2 ff. m.w.N.; ebenso BGH, Urteil vom 30. Juni 2022 —1 StR 277/21 —, juris Rdnr. 4), der dies auf Grundlage der Gesetzesbegründung zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2016/191 vom 26. Oktober 2016 überzeugend darlegt. Denn wenn die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig im Sinne von § 140 Abs. 1 StPO ist, so erstreckt sich diese Notwendigkeit auf das gesamte Verfahren (§ 143 Abs. 1 StPO), mithin auch auf die Verteidigung gegen Adhäsionsanträge. Eine Beschränkung des Umfangs der notwendigen Verteidigung auf die Abwehr des staatlichen Strafanspruchs hat der Gesetzgeber in § 140 StPO nicht vorgenommen.

Die von der Staatskasse in Bezug genommene abweichende Entscheidung des 5. Strafsenats (BGH, Beschluss vom 08. Dezember 2021 — 5 StR 162/21 —, juris) enthält demgegenüber keine sachbezogene Begründung.

Geht doch 🙂

Pflichti II: Erteilung einer Vertretungsvollmacht, oder: Kein Aufhebungsgrund

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Im zweiten Pflichti-Posting dann der OLG Nürnberg, Beschl. v. 23.05.2023 – Ws 468/23. Der äußert sich zur Aufhebung der Pflichtverteidigerbeiordnung, wenn der Angeklagte seinem Pflichtverteidiger gemäß § 329 Abs. 2 S. 1 StPO eine Vertretungsvollmacht erteilt.

Im entschiedenen Fall hatte das AG dem Angeklagten einen Pflichtverteidiger bestellt. Der Angeklagte wird dann verurteilt. Er legt gegen dei Verurteilung Berufung ein.

Im Termin zur Berufungshauptverhandlung vor dem LG legt der Pflichtverteidiger eine Vertretungsvollmacht nach § 329 StPO vor. Das LG hebt daraufhin auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Pflichtverteidigerbestellung auf. Die Berufung des Angeklagten wurde verworfen. Der Angeklagte hat inzwischen Revision eingelegt.

Gegen die Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung wird Beschwerde eingelegt. Die hatte beim OLG Erfolg:

„1. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung nach § 143a Abs. 1 StPO liegen nicht vor.

Nach § 143a Abs. 1 S. 1 StPO ist die Bestellung des Pflichtverteidigers aufzuheben, wenn der Beschuldigte einen anderen Verteidiger gewählt und dieser die Wahl angenommen hat. Wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zutreffend ausgeführt hat, führt unabhängig davon, ob bei Personenidentität des Verteidigers überhaupt von einem „anderen Verteidiger“ im Sinne der Vorschrift gesprochen werden kann (so BeckOK StPO/Krawczyk, 47. Ed. 1.4.2023, StPO § 143a Rn. 1 unter Verweis auf SK-StPO/Wohlers Rn. 2 „Die Aufhebung der Bestellung muss auch dann erfolgen, wenn der bisherige Pflichtverteidiger gewählt wird.“), die Vorlage einer Vertretungsvollmacht nach § 329 Abs. 2 S. 1 StPO nicht zur Annahme eines Wahlmandats. Davon, dass auch dem Pflichtverteidiger eine Vollmacht im Sinne des § 329 Abs. 2 S. 1 StPO erteilt sein kann (ohne dass dadurch die Pflichtverteidigerbestellung obsolet wird), gehen neben dem OLG Hamm in der von der Generalstaatsanwaltschaft zitierten Entscheidung (Beschluss vom 03.04.2014, 5 RVs 11/14) auch das OLG Köln (Beschluss vom 12.06.2018, 1 RVs 107/18) und der BGH aus (der anders als die beiden vorstehenden Entscheidungen sogar das Fortwirken einer vor der Pflichtverteidigerbestellung erteilten uneingeschränkten Vertretungsbefugnis annimmt, Beschluss vom 24.01.2023, 3 StR 386/21, beck-online Rn. 28). Zu Recht hat die Generalstaatsanwaltschaft ferner darauf hingewiesen, dass es nicht nur an der notwendigen Feststellung fehlt, dass der Pflichtverteidiger als Wahlverteidiger mandatiert und zur Durchführung der Verteidigung dauerhaft und nicht nur punktuell in der Lage ist (vgl. KK-StPO/Willnow, 9. Aufl. 2023, StPO § 143a Rn. 2), sondern vielmehr erhebliche Zweifel bestehen, dass die vom Landgericht angenommene Wahlverteidigerbestellung gesichert wäre.

2. Die Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung konnte auch nicht auf der Grundlage des § 143 Abs. 2 S. 1 StPO erfolgen.

Nach § 143 Abs. 2 S. 1 StPO kann die Bestellung aufgehoben werden, wenn kein Fall notwendiger Verteidigung mehr vorliegt. An den für die Pflichtverteidigerbestellung nach § 140 Abs. 2 StPO maßgeblichen Umständen – der Verurteilte stand zur Tatzeit hinsichtlich einer Freiheitsstrafe von einem Jahr zehn Monaten unter Bewährung, deren Widerruf im Raum steht – hat sich allerdings vorliegend nichts geändert. Ein Fall notwendiger Verteidigung ist nach wie vor gegeben. Eine bloße Änderung der rechtlichen Bewertung des Vorliegens der Voraussetzungen der Pflichtverteidigerbestellung kann aus Gründen des prozessualen Vertrauensschutzes eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung nicht begründen (KG, Beschluss vom 28.02.2017, 5 Ws 50/17; OLG Nürnberg, Beschluss vom 07.03.2023, Ws 173-174/23, sowie Beschluss vom 04.04.2023, Ws 294/23).“

Erfasst die Pflichtverteidigerbestellung die Adhäsion?, oder: Nicht bei uns, meint das LG Osnabrück

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Und im zweiten Gebührenbeitrag 2023 dann noch etwas zum Adhäsionsverfahren, nämlich der LG Osnabrück, Beschl. v. 05.09.2022 – 18 KLs 5/22. Der behandelt dann erneut die Frage der Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung. Und das LG Osnabrück entscheidet – wie in meinen Augen häufig – gegen den Pflichtverteidiger und für die Staatskasse/den Bezirksrevisor.

Der Rechtsanwalt war dem Verurteilten in einem Verfahren mit dem Vorwurf des besonders schweren Raubes u.a. als Pflichtverteidiger beigeordnet. Mit Schreiben vom 15.02.2020 beantragte der Geschädigte, den Angeklagten im Wege des Adhäsionsverfahrens zur Zahlung eines Schmerzensgeldes zu verurteilen. Im Hauptverhandlungstermin vom 15.07.2021 schlossen der Angeklagte und der Geschädigte A einen entsprechenden Vergleich. Der Angeklagte hat weder einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Verteidigung gegen die Schmerzensgeldklage gestellt, noch hat er beantragt, die Verteidigerbestellung auf das Adhäsionsverfahren zu erstrecken. Auch von Amts wegen erfolgte keine Erweiterung der bereits erfolgten Pflichtverteidigerbestellung auf das Adhäsionsverfahren.

Nach Beendigung des Verfahrens hat der Pflichtverteidiger die Festsetzung seiner gesetzlichen Vergütung beantragt. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die geltend gemachte Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV RVG für das Adhäsionsverfahren in Höhe von 98,- EUR nebst Umsatzsteuer und eine Einigungsgebühr in Höhe von 49,-EUR nebst Umsatzsteuer nicht festgesetzt. Dagegen die Erinnerung zum LG, das – zumindest teilweise – falsch entschieden hat:

„Die Zuständigkeit der Kammer folgt aus § 56 Abs. 1 Satz 1 RVG. Mangels besonderer Schwierigkeit tatsächlicher oder rechtlicher Art und mangels grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache obliegt die Entscheidung nach § 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG dem Einzelrichter.

Die Erinnerung ist in der Sache nicht begründet. Zwar ist für die Teilnahme am Adhäsionsverfahren eine Gebühr angefallen. Der Beschwerdeführer kann deren Erstattung in-dessen nicht aus der Landeskasse beanspruchen. Prozesskostenhilfe gemäß § 404 Abs. 5 StPO, § 114 ZPO ist dem Angeklagten mangels entsprechender Antragstellung nicht bewilligt worden, so dass ein Gebührenanspruch des Verteidigers gegen die Landeskasse hieraus ausscheidet. Ein Erstattungsanspruch ergibt sich auch nicht daraus, dass der Erinnerungsführer dem Angeklagten als Verteidiger bestellt worden war.

Die Frage, ob bei bereits bestehender Pflichtverteidigung – automatisch – Prozesskosten-hilfe für das Adhäsionsverfahren gewährt und der Verteidiger insoweit beigeordnet wird, ist umstritten. Während einerseits angenommen wird, die Pflichtverteidigung umfasse auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren (vgl. u.a. OLG Rostock Beschluss vom 15.6.2011 – I Ws 166/11, BeckRS 2011, 18598; OLG Köln Beschluss vom 29.6.2005 – 2 Ws 254/05, BeckRS 2005, 7953; OLG Hamm Beschluss vom 31.5.2001 – 2 [s] Sbd. 6¬87/01, BeckRS 2001, 5826; OLG Schleswig NStZ 1998, 101; KK-StPO/Willnow, 8. Aufl., § 140 Rn. 4; jeweils m.w.N.), wird andererseits eine gesonderte Beiordnung für erforderlich gehalten (vgl. OLG Dresden Beschluss vom 27.3.2013 – 3 Ws 2/13, BeckRS 2013, 22042; KG Beschluss vom 24.6.2010 – 1 Ws 22/09, BeckRS 2011, 2650; OLG Bamberg NStZ-RR 2009, 114 Ls.; MüKoStPO/Grau, 2019, § 404 Rn. 8; v. Heintschel-Heinegg/Bockemühl in Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, 2020, § 404 Rn. 29; Schöch in Satzger/Schlucke-bier/Widmaier, StPO, 4. Aufl., § 404 Rn. 19; Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl., VV RVG Nr. 4141 – 4147 Rn. 41, jeweils m.w.N.).

Der Bundesgerichtshof hat diese Frage bislang nicht einheitlich entschieden: Während der 6. Strafsenat die Auffassung vertritt, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren umfasst (BGH NJW 2021, 2901), hat der 5. Strafsenat in seinem Beschluss vom 08.12.2021 – 5 StR 162/21 (BeckRS 2021, 40545) dargelegt, dass die Beiordnung des Verteidigers für das Adhäsionsverfahren nach § 404 Abs. 5 Satz 2 StPO die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und damit einen entsprechenden Antrag unter Beifügung einer Erklärung über die wirtschaftlichen Verhältnisse voraussetzt (§ 405 Abs. 5 Satz 1 StPO i. V. mit § 117 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, § 119 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Letzterer Ansicht schließt sich die Kammer – im Einklang mit der Rechtsauffassung des Oberlandesgerichts Oldenburg (vgl. Beschluss vom 22.04.2010 – 1 Ws 178/10, BeckRS 2010, 11888) – an. Danach wird die Vertretung im Adhäsionsverfahren von der Pflichtverteidigerbestellung nicht erfasst….“

Den Rest schenke ich mir hier. Das sind die Argumenten, die wir aus einer Vielzahl falscher Entscheidungen, kennen. Insoweit nichts Neues.

Anzumerken ist: Soweit die Kammer der Auffassung ist, „dass mangels besonderer Schwierigkeit tatsächlicher oder rechtlicher Art und mangels grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache …. die Entscheidung nach § 56 Abs. 2 Satz 1, § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG“ dem Einzelrichter obliege, kann man nur den Kopf schütteln. Meint man das wirklich ernst bei einer der immer noch/leider wieder höchst umstrittenen Fragen im anwaltlichen Gebührenrecht? Allein der Umstand, dass der entscheidende Einzelrichter zwei gegensätzliche BGH-Beschlüsse zitiert und OLG-Rechtsprechung sowohl für die eine als auch für die andere Auffassung anführt, zeigt m.E., dass das falsch ist. Da ist dann noch nicht berücksichtigt, dass zahlreiche weitere OLG-Entscheidungen sich mit der Frage befassen. Warum die Sache dann keine grundsätzliche Bedeutung haben soll, erschließt sich nicht. Eine (nachvollziehbare) Begründung gibt das LG dann auch lieber nicht.

In der maßgeblichen Streitfrage ist in den letzten Jahren viel hin und her geschrieben worden. Man, zumindest ich, hatte gehofft, dass nach der auch vom LG angeführten Entscheidung des 6. Strafsenats des BGH die Problematik erledigt und sich die richtige Auffassung, die von einer Erstreckung ausgeht, durchsetzen würde. Aber leider gefehlt, weil der 5. Strafsenat des BGH in seinem Beschluss v. 8.12.2021 meinte, anders entscheiden zu müssen, ohne sich allerdings mit einem Wort mit der Entscheidung des 6. Strafsenats auseinanderzusetzen, mit Ausnahme des Hinweises, dass eine Anrufung des Großen Senats nicht erforderlich sei. Auf diesen Zug des 5. Strafsenats springt nun das LG auf, wobei es allerdings außer acht lässt, dass es inzwischen weitere obergerichtliche Rechtsprechung gibt, die die Rechtslage ebenso gesehen hat wie der 6. Strafsenat (vgl. BGH, Urt. v. 30. 6.2022 – 1 StR 277/21, NStZ-RR 2022, 336; OLG Brandenburg, Beschl. v. 24.1.2022 – 1 Ws 108/21 (S), AGS 2022, 211).

Ich erspare mir, noch einmal im Einzelnen darzulegen, warum die Auffassung des 5. Strafsenats des BGH und des LG Osnabrück falsch ist. Die Argumente insoweit sind ausgetauscht. Die Argumentation des LG wird auch nicht dadurch richtiger, dass man auf alte/frühere Rechtsprechung des OLG Oldenburg aus dem Jahr 2010 (!) verweist. Denn woher will das LG wissen, ob das OLG diese Auffassung heute noch immer vertritt oder ob es nicht wie das OLG Brandenburg, das früher auch die andere Auffassung vertreten hat (vgl. OLG Brandenburg AGS 2009, 69 = StRR 2009, 3 [Ls.]), die „Seite wechselt“ und sich dem 1. und 6. Strafsenat des BGH anschließt.

Was nun? Nun, man kann auf der Grundlage dieser alten/neuen Rechtsprechung dem Verteidiger nur weiter empfehlen, in den Fällen, in denen ein Adhäsionsantrag gestellt wird, nach wie vor durch entsprechende Anträge auf Klarstellung und/oder Erweiterung der Pflichtverteidigerbestellung zu drängen, damit dann im Vergütungsfestsetzungsverfahren der Einwand der Staatskasse: Die Pflichtverteidigerbestellung umfasst das Adhäsionsverfahren nicht, ausgeschlossen ist. Es nutzt nichts, sich auf der BGH-Rechtsprechung auszuruhen und darauf zu vertrauen, dass diese zum eigenen Gunsten angewendet werden wird. Der vorliegende Fall zeigt, dass das ein Fehlschluss sein kann, der erhebliche finanzielle Einbußen zur Folge haben kann. Hier waren es wegen eines offenbar nur geringen Gegenstandswert nur knapp 150 EUR, die dem Verteidiger verloren gegangen sind, ggf. kann es sich aber auch um sehr viel höhere Beiträge handeln.

Zutreffend ist es allerdings, dass das LG eine Einigungsgebühr nicht festgesetzt hat. Insoweit hätte in der Tat eine ausdrücklich PKH-Bewilligung erfolgen müssen. Aber ich bin mir nicht so sicher, ob das LG überhaupt erkannt hat, dass das aufgrund einer andern Argumentation richtig ist (OLG Jena AGS 2009, 587; OLG Nürnberg StraFo 2014, 37).

Rückwirkende Aufhebung der “Pflichtibestellung”, oder: Das LG Amberg kann es auch nicht

Smiley

Und dann Gebührenfreitag.

Ich hatte im November über den AG Amberg, Beschl. v. 12.10.2022 – 6 Gs 398/21 – berichtet (vgl. hier Rückwirkende Aufhebung der “Pflichtibestellung”, oder: Das AG Amberg als Gesetzgeber). Der Kollege Jendricke, der mir den Beschluss geschickt hatte, hat natürlich gegen die falsche Entscheidung Rechtsmuttel eingelegt. Und: Ebenso natürlich (?) hatte das kein Erfolg. Das LG Amberg hat sich dem AG angeschlossen und geht im LG Amberg, Beschl. v. 05.12.2022 – 11 Qs 79/22 – ebenso davon aus, dass ein Gebührenanspruch mit Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung entfallen ist.:

„Zur Vermeidung von Wiederholungen wird zunächst Bezug genommen auf die Ausführungen im angefochtenen Beschluss des Amtsgerichts Amberg vom 12.10.2022.

Ergänzend wird ausgeführt:

Zwar erhält nach § 48 Abs. 6 RVG der Rechtsanwalt, der in Angelegenheiten nach den Teilen 4 bis 6 des Vergütungsverzeichnisses im ersten Rechtszug bestellt oder beigeordnet wird, die Vergütung auch für seine Tätigkeit vor dem Zeitpunkt seiner Bestellung, in Strafsachen einschließlich seiner Tätigkeit vor Erhebung der öffentlichen Klage und in Bußgeldsachen einschließlich der Tätigkeit vor der Verwaltungsbehörde.

Vorliegend wurde aber die Pflichtverteidigerbestellung auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft aufgehoben. Die Kammer sah die Voraussetzungen für eine Beiordnung nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens im konkreten Fall für nicht gegeben an. Es kann deshalb nicht von einer erfolgten Pflichtverteidigerbestellung i.S.d. § 48 Abs. 6 RVG ausgegangen werden. Der vorliegende Fall ist auch nicht mit den Fällen vergleichbar, bei denen es nachträglich zu einer Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung, z.B. durch Entpflichtung, Widerruf oder Zurücknahme, gekommen ist. Denn in diesen Fällen erfolgte eine (rechtskräftige) Pflichtverteidigerbestellung bzw. dauerte eine Pflichtverteidigerbestellung u.U. schon mehrere Wochen an. Erst nachträglich erfolgte dann eine Beendigung der Pflichtverteidigerbestellung.

Die Pflichtverteidigerbestellung ist nunmehr seit dem 01.01.2020 nach § 142 Abs. 7 StPO nur noch mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar. Der Gesetzgeber hat mit Einführung der sofortigen Beschwerde das Ziel verfolgt, schnell Klarheit über die Bestellung zu schaffen und das weitere Verfahren nicht mit Fragen über die Rechtmäßigkeit der Bestellung oder deren Ablehnung zu belasten. Die Sachlage ist somit im vorliegenden Fall, also im Fall einer Aufhebung der Bestellung im Rahmen einer sofortigen Beschwerde, völlig anders als in den Fällen, in denen nachträglich eine Aufhebung der rechtskräftigen Bestellung erfolgt. Dies gilt umso mehr, als vorliegend Rechtsanwalt Jendricke ausschließlich vor der (aufgehobenen) Pflichtverteidigerbestellung tätig wurde und nach dem Beschluss des Amtsgerichts Amberg vom 08.03.2021 keinerlei Tätigkeiten mehr in Bezug auf das bereits eingestellte Ermittlungsverfahren entfaltete.“

Wenn man die Entscheidung gelesen hat, möchte man aufstehen, zum Fenster gehen, dieses öffnen und zum Himmel rufen: „Herr, lass Hirn vom Himmel regnen und schicke viel davon nach Amberg“. Denn – ich hatte bereits in der Anmerkung zum Beschluss des AG Amberg (AGS 2022, 516) darauf hingewiesen -: Die Ansicht des AG und jetzt auch die des LG sind falsch. Die vom LG gegebene Begründung ist in keiner Weise nachvollziehbar. Nicht nur, dass das LG keins der gegen die Entscheidung des AG Amberg vorgebachten Argumente entkräftet, sondern die Entscheidung zeigt m.E. auch, dass sich das LG nicht mit den Folgen der Bestellung des Rechtsanwalts als Pflichtverteidiger auseinander gesetzt hat. Der wird, wenn er bestellt wird, Pflichtverteidiger, und zwar ohne „Wenn und Aber“ und nicht nur, wovon offenbar das LG ausgeht, „bedingt“ bis der Bestellungsbeschluss in Rechtskraft erwachsen, also die Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde des § 142 Abs. 7 StPO abgelaufen ist. Alles andere ist m.E. Unsinn, denn sonst wäre der Beschuldigte bis zu dem Zeitpunkt nicht ordnungsgemäß verteidigt.

Zudem führt die spätere – hier im Übrigen auch noch falsche – Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung nicht zum rückwirkenden Entfallen der Stellung des Verteidigers während des Bestellungszeitraums. Denn das hätte, wenn man es konsequent zu Ende denkt, dann ggf. auch zur Folge, dass zwischenzeitliche Handlungen des Rechtsanwalts für seinen Mandanten unwirksam (geworden) wären. Will das LG das wirklich behaupten bzw. vertreten? Zudem ist auch, worauf ich schon im Zusammenhang mit dem AG-Beschluss hingewiesen habe, keine Rechtsgrundlage ersichtlich, die die Annahme des LG stützen könnte, dass der Gebührenanspruch nachträglich entfällt und dazu führt, dass der Rechtsanwalt ohne Gebühren tätig geworden ist. Das ist bzw. wäre mal wieder „Verteidigung zum Nulltarif“, womit der LG aber offenbar kein Problem hat.

Der einzige kleine Lichtblick im Beschluss ist, dass das LG die weitere Beschwerde zum OLG – in diesem Fall das OLG Nürnberg – zugelassen hat. Das sieht im Übrigen die materielle Frage der Zulässigkeit einer nachträgliche/rückwirkenden Pflichtverteidigerbestellung – zutreffend – anders als das LG (vgl. OLG Nürnberg, Beschl. v. 6.11.2020 – Ws 962/20, StraFo 2021, 71 = StRR 1/2021, 21), was dieses aber bei seinem Beschluss vom 8.4.2021 nicht weiter interessiert hat. Man kann nur hoffen, dass das OLG dem LG erklärt, welche Folgen die (falsche) Aufhebung einer nachträglichen Pflichtverteidigerbestellung hat.

Im Übrigen: Das LG irrt, wenn es meint, es gebe zu der Problematik nur die zum „alten“ Recht ergangene Entscheidung des LG Kaiserslautern (vgl. RVGreport 2019, 135 = JurBüro 2019, 245). Abgesehen davon, dass die Rechtsänderung in 2019 m.E. keine Auswirkungen auf die Frage des Bestehenbleibens des Gebührenanspruchs hat, hat bereits auch das AG Osnabrück anders entschieden (AGS 2021, 548 = RVGprofessionell 2022, 18). Dort hätte das LG nachlesen können, was richtig ist.

Rückwirkende Aufhebung der „Pflichtibestellung“, oder: Das AG Amberg als Gesetzgeber?

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Heute ist RVG-Tag und da gibt es eine AG- und eine OLG-Entscheidung.

Ich beginne mit dem AG Amberg, Beschl. v. 12.10.2022 – 6 Gs 398/21 -, der sich mit der Frage befasst, was eigentlich mit den gesetzlichen Gebühren des Pflichtverteidigers ist, wenn die Pflichtverteidigerbestellung rückwirkend aufgehoben wird. Das AG meint, dass damit dann ein Vergütungsanspruch des Verteidigers entfällt. Das ist schlicht falsch.

Folgender Sachverhalt: Der Kollege Jendricke, der mit den Beschluss geschickt hat, war Verteidiger des Beschuldigten in dem Verfahren mit dem Vorwurf des Verbreitens jugendpornographischer Schriften. Er erhielt am 17.02.2021 Akteneinsicht (in einen Sonderband). Mit Schriftsatz vom 19.o2.2021 beantragte der Verteidiger die Einstellung des Verfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO. Mit Schriftsatz vom 23.02.2021 beantragte er seine Beiordnung als Pflichtverteidiger.

Die Staatsanwaltschaft stellte mit Verfügung vom 03.03.2021 das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein. Mit Beschluss vom 08.03.2021 hat das AG entgegen der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten den Kollegen als Pflichtverteidiger bestellt. Aus den Gründen des Bestellungsbeschlusses ist ersichtlich, dass dies zur Wahrnehmung des Akteneinsichtsrechts erfolgte. Ds LG hat auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft die Pflichtverteidigerbestellung mit Beschluss vom 08.04.2022 aufgehoben.

Der Kollege hat die Festsetzung seiner Vergütung beantragt. Die Rechtspflegerin hat den Antrag zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Erinnerung des Rechtsanwalts hatte beim AG keinen Erfolg:

„Ein Vergütungsanspruch ist nicht entstanden, da das Landgericht Amberg mit Beschluss vom 08.04.2022 die Pflichtverteidigerbestellung aufgehoben hat.

Die 1. Strafkammer des Landgerichts Amberg hat in seinem Beschluss vom 08.04.2021 u.a. ausgeführt:

„Die Kammer hält an ihrer bisherigen Rechtsprechung fest, dass eine nachträgliche, rückwirkende Bestellung für ein abgeschlossenes Verfahren oder einen abgeschlossenen Instanzenzug unzulässig ist und zwar auch dann, wenn der Beiordnungsantrag rechtzeitig gestellt wurde und in der Sache hätte Erfolg haben können. Denn die Bestellung des Pflichtverteidigers dient nicht dem Kosteninteresse des Betroffenen oder seines Verteidigers, sondern verfolgt allein den Zweck, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass ein Betroffener in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhält und der ordnungsgemäße Verfahrensverlauf gewährleistet ist.

Soweit in der (der Kammer bekannten) Rechtsprechung -…- die Auffassung vertreten ‚wird, unter besonderen Umständen sei eine Ausnahme von dem Grundsatz der Unzulässigkeit einer nachträglichen Beiordnung zu machen, namentlich wenn der Antrag auf Beiordnung rechtzeitig vor Abschluss des Verfahrens gestellt wurde, die Voraussetzungen für eine Beiordnung vorlagen und das Begehren in verfahrensfehlerhafter Weise behandelt wurde, folgt die‘ Kammer dem nicht. Denn das Institut der notwendigen Verteidigung ist dazu bestimmt, dem Beschuldigten einen rechtskundigen Beistand zu sichern und einen ordnungsgemäßen Verfahrensverlauf zu gewährleisten. Die gerichtliche Bestellung eines Verteidigers kann nur für die Zeit ab dem Beiordnungsakt erfolgen weil dieser Akt keinen Einfluss darauf hat, ob in zurückliegenden Verfahrensabschnitten ein Verteidiger tatsächlich mitgewirkt hat oder nicht. Für die erfolgte Verteidigermitwirkung nachträglich eine Bestellung anzuordnen, befriedigte nur noch das Kosteninteresse des Beschuldigten oder des Verteidigers, diente aber nicht mehr dem aufgezeigten Zweck der Sicherung einer Verteidigung.“

Die Pflichtverteidigerbestellung dient nicht – wie etwa die Beiordnung eines ,Rechtsanwalts im Prozesskostenhilfeverfahren – der finanziellen Sicherstellung der Verteidigung, sondern der Gewährleistung des erforderlichen rechtskundigen Beistands und der Sicherung des ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs.

In vorliegendem Verfahren erhielt der zu diesem Zeitpunkt bereits durch den damaligen Beschuldigten beauftragte Rechtsanwalt (BI. 5) am 17.02.2021 Akteneinsicht in dem Sonderband.

Mit Schriftsatz vom 19.02.2021 beantragte der Verteidiger die Einstellung nach § 170 Abs. 2 StPO.

Mit Schriftsatz vom 23.02.2021 beantragte der Verteidiger die Beiordnung als Pflichtverteidiger.

Mit Verfügung vom 03.03.2021 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein.

Mit Beschluss vom 08.03.2021 bestellte das Amtsgericht Amberg entgegen der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Amberg dem Beschuldigten den bereits von diesem beauftragten Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger. Aus den Gründen des Bestellungsbeschlusses ist ersichtlich, dass dies zur Wahrnehmung des Akteneinsichtsrechts erfolgte.

Die Akteneinsicht durch den vom Beschuldigten beauftragten Rechtsanwalt hatte jedoch bereits vor dem Bestellungsbeschluss und auch schon vor dem Antrag auf Beiordnung stattgefunden.

Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers zur Sicherung eines rechtskundigen Beistands für den Beschuldigten und zur Gestaltung eines ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs war zum Zeitpunkt der Bestellung des Pflichtverteidigers nicht mehr erforderlich. da das Verfahren bereits eingestellt war und der Beschuldigte zum Zeitpunkt der Akteneinsicht durch seinen Wahlverteidiger vertreten war.

Wie in dem Aufhebungsbeschluss des Landgerichts Amberg ausführlich erläutert, würde die Bestellung eines Pflichtverteidigers genau zu dem von der 1. Strafkammer dargestellten Effekt führen, dass die Verteidigung in vorliegendem Verfahren zwar zu jeder Zeit gesichert war und durch die nachträgliche Beiordnung lediglich noch das Kosteninteresse des Beschuldigten bzw. des Verteidigers befriedigt würde.

Aus den Ausführungen der 1. Strafkammer geht hervor, dass genau diese Wirkung durch das Landgericht nicht gewollt war. Es hat deswegen den Bestellungsbeschluss des Amtsgerichts aufgehoben, da nach Ansicht des Landgerichts eine rückwirkende Bestellung für ein abgeschlossenes Verfahren oder einen abgeschlossenen Instanzenzug unzulässig ist.

Der Aufhebungsbeschluss des Landgerichts und das damit beabsichtigte Ergebnis würde vollkommen ins Leere laufen, wenn man nun trotz der Aufhebung der Bestellung eine Pflichtverteidigervergütung zubilligen würde.,

Die Begründung des Aufhebungsbeschlusses des Landgerichts Amberg kann nur so aufgefasst und ausgelegt werden, dass damit die Bestellung des Pflichtverteidigers rückwirkend aufgehoben sein sollte, da eine Beiordnung zum damaligen Zeitpunkt nicht mehr erforderlich war.

Dass auch eine rückwirkende Aufhebung möglich ist, davon geht wohl auch das. vom Herrn Verteidiger zitierte Landgericht Kaiserslautern aus.

In dessen Entscheidung vom 11.01.2019, 4 Ks 6034 Js 10590/16 ist in RdNr. 15 ausgeführt:

… Die Aufhebung dieses Beschlusses bewirkte das Ende der Bestellung, allerdings nur für die Zukunft und nicht rückwirkend. Weder aus dem Aufhebungsbeschluss _vom 18:01.2017 noch aus dem weiteren Ablehnungsbeschluss vom 25.01.2017 ergibt sich eine rückwirkende Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung.“

 

In vorliegendem Verfahren ergibt sich aus dem Aufhebungsbeschluss des Landgerichts Amberg, dass die Pflichtverteidigerbestellung rückwirkend aufgehoben sein sollte.

Im Übrigen ist aus der Entscheidung des Landgerichts Kaiserslautern nicht ersichtlich, dass dort der gleiche Sachverhalt zugrunde lag, nämlich Bestellung des Pflichtverteidigers erst nach Abschluss des Verfahrens.

Die rückwirkende Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung widerspricht auch nicht dem Rechtsgedanken des § 15 Abs. 4 RVG.

§ 15 Abs. 4 RVG regelt, dass es ohne Einfluss auf bereits entstandene Gebühren ist, wenn sich die Angelegenheit vorzeitig erledigt oder der Auftrag endigt, bevor die Angelegenheit erledigt ist.

Der rückwirkende Wegfall der Pflichtverteidigerbestellung führt nicht zum Erlöschen der bereits entstandenen Gebühren, sondern hat hierauf keinerlei Einfluss.

Allerdings führt der rückwirkende Wegfall der Pflichtverteidigerbestellung zum Erlöschen des Erstattungsanspruchs gegen die Staatskasse.

Eine Bearbeitung für den Staat zum „Nulltarif“ wird nicht erwartet, jedoch war in vorliegendem Fall zeitlich nach der Bestellung keine Bearbeitung mehr angefallen und eine Bestellung zur Sicherung der Verteidigung nicht mehr erforderlich, weil das Verfahren bereits vor der Bestellung eingestellt worden war.

Die zum Zeitpunkt der Bestellung beim Verteidiger bereits entstanden gewesenen Gebühren und Auslagen sind nicht erloschen, sondern können weiterhin bei, seinem Auftraggeber geltend gemacht werden.

Eine Erstattung wurde durch die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle daher berechtigt abgelehnt.“

Eine wortreiche Begründung des AG, aber m.E. leider falsch.

Die Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellung hat entgegen der Auffassung des AG gebührenrechtliche keine Rückwirkung mit der Folge, dass ggf. entstandene Gebührenansprüche des Pflichtverteidigers mit der Aufhebung entfallen. Dafür gibt es keine gesetzliche Grundlage, insbesondere ist nicht ersichtlich, worauf das Erlöschen des anwaltlichen Gebührenanspruchs beruhen soll. Insbesondere kann das nicht auf einem nicht durch eine gesetzliche Grundlage gedeckten landgerichtlichen Beschluss beruhen, wovon das AG offenbar ausgeht. Dagegen spricht – entgegen der Auffassung des AG – der Rechtsgedanke des § 15 Abs. 4 RVG. Dagegen spricht zudem auch § 48 RVG, der für die Höhe und den Umfang des Vergütungsanspruchs des Rechtsanwalts maßgeblich ist. Damit hat dann auch die Regelung in § 48 Abs. 6 Satz 1 RVG Bedeutung, die das AG völlig übersieht/negiert. Sie regelt (auch hier), dass dem Wahlanwalt, der nachträglich zum Pflichtverteidiger bestellt wird, seine vor der Bestellung liegenden Tätigkeiten honoriert werden, also auch die Akteneinsicht in den Sonderband. Im Übrigen irrt das AG, wenn es meint, dass nach der Einstellung keine Tätigkeiten des Pflichtverteidigers mehr erbracht worden sind, die honoriert werden müssten. Dieser hat dem Mandanten nämlich zumindest die Einstellungsnachricht übermitteln. Diese Tätigkeit wird von der Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV RVG erfasst. Damit bleibt es dabei: Zutreffend sind die bislang zu der Problematik vorliegenden Entscheidungen des LG Kaiserslautern (RVGreport 2019, 135 = JurBüro 2019, 245) und des AG Osnabrück (AGS 2021, 548), die die Frage anders als das AG Amberg entschieden haben. Über beide habe ich hier auch berichtet.

Der Kollege hat (natürlich) Rechtsmittel eingelegt. Ich hoffe, dass sich das LG nicht auch als Gesetzgeber aufspielt, wie es im Grunde das AG getan hat.