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StPO I: Mitteilungspflicht zur Verständigung erfüllt?, oder: Was muss in der Revision vorgetragen werden?

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Heute dann ein wenig StPO. Und ich eröffne den Tag mit dem schon etwas älteren BGH, Beschl. v. 01.03.2023 – 2 StR 56/22. Es geht – mal wieder – um die ausreichende Begründung der Verfahrensrüge. Das LG hat die Angeklagte J, um deren Revision es geht, u.a. wegen schweren Bandendiebstahls in 31 Fällen verurteilt. Hiergegen richten sich Revision der Angeklagten, mit der u.a.  das Verfahren beanstandet wird. Mal wieder: Ohne Erfolg:

„Der von der Angeklagten J. erhobenen Verfahrensbeanstandung bleibt der Erfolg ebenso versagt (1.) wie ihrem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur weiteren Begründung dieser Rüge (2.).

1. Die Verfahrensrüge, mit der die Angeklagte eine Verletzung der Vorschriften zur Verständigung geltend macht, ist unzulässig.

a) Die Revision hat Folgendes vorgetragen:

aa) Am zweiten Tag der Hauptverhandlung wurde unter Ausschluss der Öffentlichkeit zwischen den Verfahrensbeteiligten ein Verständigungsgespräch geführt. Nach Fortsetzung der Hauptverhandlung wurde in das Protokoll der Satz aufgenommen, wonach der Vorsitzende den „wesentlichen Inhalt des Rechtsgesprächs“ mitgeteilt habe. Eine konkrete Dokumentation dieses wesentlichen Inhalts im Protokoll erfolgte zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht. Am vierten Hauptverhandlungstag ließ sich die Angeklagte sodann geständig ein. Danach – am fünften Hauptverhandlungstag – verlas der Vorsitzende einen umfassenden – und von der Revision nicht beanstandeten – Vermerk zum wesentlichen Inhalt der zuvor geführten Verständigungsgespräche, der als Anlage zum Hauptverhandlungsprotokoll genommen wurde.

bb) Die Revision meint, es liege damit ein durchgreifender Verfahrensfehler vor. Im Zeitpunkt, in dem sich die Angeklagte geständig eingelassen habe, habe das Protokoll entgegen den Anforderungen des § 273 Abs. 1a StPO den wesentlichen Inhalt der geführten Gespräche nicht dokumentiert. „Diese Mitteilung kam erst einen Monat später mit einem Wochen nach dem eigentlichen Gespräch gefertigten Vermerk, und zwar nachdem – und das ist entscheidend – sich die Angeklagte umfassend zur Sache geständig eingelassen und damit eine Entscheidung über ihre Verteidigungsposition getroffen hatte.“ Bereits die im Zeitpunkt der Ablegung des Geständnisses unzureichende Protokollierung begründe einen eigenständigen Rechtsfehler. Das Risiko einer informellen Verständigung sei mit Händen zu greifen.

b) Der Revisionsvortrag genügt den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht.

aa) Nach dieser Vorschrift sind die den Verfahrensmangel begründenden Tatsachen so vollständig und verständlich darzulegen, dass das Revisionsgericht allein aufgrund dieser Darlegung das Vorhandensein eines Verfahrensmangels feststellen kann, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden. Der Revisionsführer muss die vorgebrachten Tatsachen mit Bestimmtheit behaupten, das heißt keinen Zweifel daran lassen, dass sie sich tatsächlich ereignet haben. Für einen erschöpfenden Vortrag ist hierbei nicht nur erforderlich, dass der Beschwerdeführer die ihm nachteiligen Tatsachen nicht übergeht, sondern auch, dass er die Fakten vorträgt, die für das Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes sprechen können, der seiner Rüge den Boden entzieht (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Urteil vom 22. Juli 2015 – 2 StR 389/13 , juris Rn. 55; Beschluss vom 23. Juni 2022 – 2 StR 269/21 , NStZ-RR 2022, 355; BGH, Urteil vom 26. Mai 1981 – 1 StR 48/81 , BGHSt 30, 131, 135 ; Beschluss vom 11. September 2007 – 1 StR 273/07 , BGHSt 52, 38, 40 f. ; vgl. auch BVerfG, NJW 2005, 1999, 2001; KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 344 Rn. 38 ff. mwN).

bb) Einen erschöpfenden und widerspruchsfreien Vortrag zum maßgeblichen Verfahrensgeschehen lässt die Revision vermissen.

(1) Insbesondere ergibt sich aus ihrer Begründung nicht eindeutig, ob der Vorsitzende bereits am zweiten Sitzungstag der Hauptverhandlung – mithin vor Ablegung des Geständnisses durch die Angeklagte – seiner mündlichen Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO nachgekommen ist (vgl. zum Zeitpunkt BGH, Beschluss vom 3. August 2022 – 5 StR 62/22 , NStZ 2022, 761).

(a) Hierfür kann zwar der – indes mit Blick auf § 257b StPO nicht gänzlich eindeutige und auch deswegen von der Revision beanstandete – Protokollinhalt angeführt werden, wonach der Vorsitzende den „wesentlichen Inhalt des Rechtsgesprächs“ mitgeteilt habe. Auch der Vortrag der Revision, wonach es der Vorsitzende vor Ablegung des Geständnisses durch die Angeklagte versäumt habe, den wesentlichen Inhalt der Erörterungen zwischen den Verfahrensbeteiligten „zu Protokoll“ mitzuteilen, spricht dafür, dass zwar eine mündliche Mitteilung erfolgt ist, diese jedoch ihrem Inhalt nach nicht protokolliert wurde.

(b) Diese Erwägungen lassen sich aber nicht mit dem weiteren Vortrag der Revision vereinbaren, wonach das Vorliegen einer „informellen Verständigung“ zu besorgen sei. Gleiches gilt für die Ausführungen der Revision, dass „diese Mitteilung“ erst nach Ablegung des Geständnisses durch Verlesung eines Vermerks am fünften Sitzungstag erfolgt sei.

(2) Die Revision weist zwar zutreffend darauf hin, dass der Senat in einer früheren Entscheidung das Vorbringen eines Revisionsführers zu § 273 Abs. 1a StPO grundsätzlich bereits dann als den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügend erachtet hat, sofern sich daraus ergibt, dass Verständigungsgespräche außerhalb der Hauptverhandlung geführt wurden und eine (mündliche) Mitteilung des Vorsitzenden über deren wesentlichen Inhalt jedenfalls nicht entsprechend § 273 Abs. 1a StPO im Protokoll dokumentiert wurde (vgl. Senat, Urteil vom 10. Juli 2013 – 2 StR 195/12 , BGHSt 58, 310, 311 f. ).

(a) Indes hat der Gesetzgeber Verstöße gegen die verfahrensrechtlichen Sicherungen der Verständigung nicht als absolute Revisionsgründe eingestuft (vgl. BVerfGE 133, 168, 223). Die Bandbreite bei Verstößen gegen die Transparenz- und Dokumentationspflichten reicht von geringfügigen Unvollständigkeiten bis hin zu deren völliger Missachtung oder groben Falschdarstellungen (vgl. BVerfG, NStZ 2015, 170, 171 f. [BVerfG 15.01.2015 – 2 BvR 878/14] ). Die Revisionsgerichte sind daher nicht gehindert, aufgrund einer an den Umständen des Einzelfalls ausgerichteten Gesamtbetrachtung ausnahmsweise zu einer Unbeachtlichkeit des Verstoßes gegen die Vorschriften zur Verständigung zu gelangen (vgl. BVerfG, NJW 2020, 2461, 2464 [BVerfG 04.02.2020 – 2 BvR 900/19] ; BGH, Beschluss vom 23. Juni 2020 – 5 StR 115/20 , NStZ 2020, 751, 752).

Auch der Senat hat in seiner Entscheidung vom 10. Juli 2013 auf die Möglichkeit hingewiesen, dass ein Angeklagter „im Einzelfall auch bei fehlerhaftem Hauptverhandlungsprotokoll durch eine ebenso zuverlässige Dokumentation in anderer Weise so unterrichtet wird, dass das Beruhen des Urteils auf dem Protokollierungsfehler ausgeschlossen werden kann“ (Senat, Urteil vom 10. Juli 2013 – 2 StR 195/12 , BGHSt 58, 310, 314 ).

(b) Um dem Senat die Möglichkeit einer entsprechenden Gesamtbetrachtung des gerügten Verstoßes gegen § 273 Abs. 1a StPO zu eröffnen, hätte die Revisionsführerin aber darlegen müssen, ob der Vorsitzende vor Ablegung des Geständnisses den Anforderungen des § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO entsprechend den wesentlichen Inhalt der geführten Verständigungsgespräche mündlich mitgeteilt hat (vgl. zur Authentizität solcher Mitteilungen BVerfG, NJW 2020, 2461, 2464 [BVerfG 04.02.2020 – 2 BvR 900/19] mwN). Aufschluss hierüber gibt im vorliegenden Fall – anders als im Verfahren 2 StR 195/12 – auch nicht der gänzlich abstrakt gehaltene Protokolleintrag vom zweiten Sitzungstag.

c) Der Senat muss daher nicht entscheiden, ob er – wozu er neigt – eingedenk einer neueren Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ( Beschluss vom 9. Dezember 2015 – 2 BvR 1043/15 ; vgl. auch MüKo-StPO/Knauer/Kudlich, § 344 Rn. 138 ff.) seine bisherige Rechtsprechung zur Revisibilität von Verstößen gegen § 273 Abs. 1a StPO aufgibt (diese bereits ablehnend BGH, Urteil vom 3. November 2022 – 3 StR 127/22 , NStZ 2023, 306, 307; Beschluss vom 12. Dezember 2013 – 3 StR 210/13 , BGHSt 59, 130, 136 ).

2. Der Antrag der Angeklagten J. auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung zur Frist zur weiteren Begründung der Verfahrensrüge ist – ungeachtet des Umstandes, dass sie ihn entgegen § 45 Abs. 1 StPO an die Staatsanwaltschaft Köln gerichtet hat – ebenfalls unzulässig.

a) Die Revision der Angeklagten ist nämlich infolge der rechtzeitig erhobenen Sachrüge frist- und formgerecht begründet worden. In solchen Fällen kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur weiteren Begründung der Revision nur bei besonderen Verfahrenslagen in Betracht, in denen dies zur Wahrung des Anspruchs eines Angeklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich ist (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 2. Dezember 2020 – 2 StR 267/20 , NStZ 2021, 753; BGH, Beschlüsse vom 21. Februar 1951 – 1 StR 5/51 , BGHSt 1, 44, 46 , und vom 23. August 2012 – 1 StR 346/12 ; vgl. auch KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 345 Rn. 26 mwN).

b) Eine solche Ausnahmesituation liegt hier nicht vor. Der Antrag ist auf eine Ergänzung der Revisionsbegründung um den vollständigen Inhalt des durch den Vorsitzenden am fünften Sitzungstag verlesenen Vermerks gerichtet. Indes hat die Revision bereits innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO vorgetragen, dass der Inhalt dieses Vermerks nicht zu beanstanden sei und daher von ihr nicht angegriffen werde. Der Anspruch der Angeklagten auf rechtliches Gehör gebietet damit keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.“

StPO I: Umfang und Reichweite der Mitteilungspflicht, oder: Was hat wer mit wem und wie erörtert?

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Und heute einige StPO-Entscheidungen,

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 10.08.2023 – 3 StR 93/23 – zu Umfang und Reichweite der verständigungsbezogenen Mitteilungspflicht (§ 243 Abs. 4 StPO).

Das LG hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Der Angeklagte hat dagegen Revision eingelegt und gerügt, der Vorsitzende habe gegen seine Pflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. Satz 1 StPO verstoßen, den wesentlichen Inhalt von außerhalb der Hauptverhandlung geführten verständigungsbezogenen Erörterungen mitzuteilen. Die Revision hatte Erfolg.

Der Rüge liegt im Wesentlichen das folgende Verfahrensgeschehen zugrunde: Die Hauptverhandlung wurde auf Anregung der Verteidigung am ersten Sitzungstag unterbrochen, um Verständigungsmöglichkeiten zu erörtern. Bei dem Gespräch sagte der Vorsitzende in Anwesenheit der Beisitzerin, der Schöffen, des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft, der beiden Verteidiger und des Angeklagten sinngemäß, für den Fall eines Geständnisses könne die Strafkammer einen Strafrahmen von fünf Jahren und sechs Monaten bis sechs Jahre und sechs Monate zusagen. Er erläuterte dessen Angemessenheit und äußerte, die geständige Einlassung könne auch dazu führen, dass sich die Tat nicht als täterschaftliches Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, sondern lediglich als Beihilfe hierzu darstelle. Daraufhin erklärte der Vertreter der Staatsanwaltschaft, er wolle dem genannten Strafrahmen nicht entgegentreten, während die Verteidigung nicht Stellung nahm. Nach Fortsetzung der Hauptverhandlung machte der Vorsitzende Angaben zu dem Gespräch. Die Mitteilung verhielt sich aber nicht zu der Erklärung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft sowie dem Hinweis des Vorsitzenden auf eine etwaige Beihilfestrafbarkeit bei entsprechender geständiger Einlassung. Im nächsten Hauptverhandlungstermin äußerte die Verteidigung, der Angeklagte nehme das Angebot des Gerichts nicht an.

Nach zehn weiteren Sitzungstagen fand auf Anregung der Verteidigung in Unterbrechung der Hauptverhandlung ein weiteres Gespräch statt, das auf die Herbeiführung einer Verständigung gerichtet war. Am darauffolgenden Sitzungstag gab der Vorsitzende bekannt, dass nach dem vorausgegangenen Hauptverhandlungstermin auf Anregung der Verteidigung ein weiteres Gespräch zur Herbeiführung einer verfahrensabkürzenden Absprache zwischen der Strafkammer, den Verteidigern sowie der Staatsanwaltschaft stattgefunden habe und welcher (erhöhte) Strafrahmen dem Angeklagten nunmehr „für ein Geständnis“ als „Ergebnis“ zugesagt worden sei. Die Mitteilung verhielt sich wiederum nicht zu der Erklärung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft sowie zu den Äußerungen der Beteiligten mit Bezug zu einer etwaigen Beihilfestrafbarkeit. Anschließend wurde der Angeklagte über die Voraussetzungen und Folgen einer möglichen späteren Abweichung des Gerichts von der in den Blick genommenen Verständigung belehrt (§ 257c Abs. 5 StPO). Im nächsten Hauptverhandlungstermin äußerte der Angeklagte, einer solchen verfahrensabkürzenden Absprache nicht zuzustimmen, und ließ sich weiter bestreitend zur Sache ein. Zu einer Verständigung kam es auch in der Folgezeit nicht mehr.

Der BGH verweist in seinem Beschluss zunächst darauf, dass der revisionsgerichtlichen Prüfung das vom Angeklagten vorgetragene Verfahrensgeschehen zugrunde zu legen sei. Die behaupteten Vorgänge in der Hauptverhandlung seien insbesondere durch die Sitzungsniederschrift (§ 274 Abs. 1 StPO) und daneben durch die Urteilsurkunde bewiesen. Dem Revisionsvorbringen zu den außerhalb der Hauptverhandlung geführten Gesprächen stünden weder die Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft (§ 347 Abs. 1 Satz 2 und 3 StPO) noch die – vom Senat im Wege des Freibeweises eingeholten – dienstlichen Stellungnahmen des Vorsitzenden und der Beisitzerin entgegen. Die dienstlichen Erklärungen seien, was der BGH im Einzelnen ausführt zumindest als nicht hinreichend substantiiert zu bewerten, um das Revisionsvorbringen zu den außerhalb der Hauptverhandlung geführten Gesprächen in Zweifel ziehen zu können.

Und dann führt er zum Umfang und Reichweite der Mitteilungspflicht aus, was sich etwa in folgendem Leitsatz zusammenfassen lässt:

Umfang und Reichweite der verständigungsbezogenen Mitteilungspflicht gebieten, nicht nur mitzuteilen, dass es Erörterungen mit verständigungsbezogenem Inhalt gegeben hat, sondern auch deren wesentlicher Inhalt. Hierzu gehört in der Regel, wer an dem Gespräch teilgenommen hat, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen worden ist, welche Standpunkte die einzelnen Gesprächsteilnehmer vertreten haben und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen sind.

StPO I: Absprache – Mitteilungspflicht verletzt, oder: „vage erinnerte und nur mögliche Verfahrensabläufe“

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Und heute dann noch einmal ein paar StPO-Entscheidungen. Heute habe alle drei mit Rechtsmitteln zu tun.

Hier zunächst der BGH, Beschl. v. 18.04.2023 – 6 StR 124/23 -, der sich noch einmal zum erforderlichen Umfang/Vortrag für eine ausreichende Begründung der Verfahrensrüge (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) äußert, wenn ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht des § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO – Stichwort: Verständigung – geltend gemacht wird.

Das LG hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Dagegen dann u.a. die Rüge der Verletzung formellen Rechts. Die hate keinen Erfolg:

„1. Die Verfahrensrüge, das Landgericht habe seine Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO verletzt, greift nicht durch.

a) Der Beschwerdeführer trägt folgendes Verfahrensgeschehen vor:

Am ersten Sitzungstag regte der Strafkammervorsitzende ein „Rechtsgespräch“ an und unterbrach zu diesem Zweck die Hauptverhandlung. Bei dem sodann zwischen den Berufsrichtern, den Schöffen, der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger geführten „Rechtsgespräch“ wurde die „Frage des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge erörtert“, wobei die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft darauf hinwies, dass aus ihrer Sicht kein minder schwerer Fall vorliege. Über dieses Gespräch berichtete der Vorsitzende nach Fortsetzung der Hauptverhandlung nicht; die Sitzungsniederschrift enthält für den Zeitpunkt der Fortsetzung nach dem „Rechtsgespräch“ den Hinweis, dass „eine Verständigung jedoch nicht erzielt wurde“. Der Angeklagte machte keine Angaben zur Sache; zu einer Verfahrensabsprache kam es auch später nicht.

Der Beschwerdeführer macht geltend, Inhalt und Ablauf der Gespräche nicht näher vortragen zu können. Sein Verteidiger habe ihm im Anschluss an das „Rechtsgespräch“ lediglich mitgeteilt, dass es für ihn „nicht gut aussehe“ und die Staatsanwaltschaft nicht unter fünf Jahren Freiheitsstrafe beantragen werde. Deshalb habe er ihm geraten zu schweigen. Im Revisionsverfahren erbat der Beschwerdeführer Auskunft von der Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft über Inhalt und Ablauf des „Rechtsgesprächs“. Diese erklärte hierauf in einer E-Mail: „Da (…) aus meiner Sicht ein minder schwerer Fall nicht vorlag, vertrat ich die Auffassung, dass von einer Mindeststrafe von fünf Jahren auszugehen sei. Ich meine auch zu erinnern, dass das Gericht die Auffassung äußerte, dass sich nach derzeitiger Lage ein minder schwerer Fall zumindest nicht aufdrängen würde“.

Aus dem Verfahrensablauf und den Angaben der Sitzungsvertreterin folgert der Beschwerdeführer, dass das „Rechtsgespräch“ verständigungsbezogene Erörterungen zum Gegenstand hatte und der Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 StPO unterstand.

b) Die Verfahrensrüge ist schon unzulässig, weil das Revisionsvorbringen nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt.

aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind für eine zulässige Verfahrensrüge die den Mangel begründenden Tatsachen so vollständig und genau anzugeben, dass das Revisionsgericht allein aufgrund der Revisionsbegründung prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorläge, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen wären (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 11. September 2007 – 1 StR 273/07, BGHSt 52, 38, 40). Für die Rüge einer Verletzung von § 243 Abs. 4 Satz 2 StPO ist danach erforderlich, dass Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich ergibt, dass ein nach dieser Vorschrift mitteilungspflichtiges Gespräch stattgefunden hat und dessen wesentlicher Inhalt in der Hauptverhandlung nicht oder nicht ausreichend mitgeteilt und protokolliert wurde (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Juni 2022 – 2 StR 269/21). Notwendig ist deshalb die bestimmte Behauptung von Tatsachen, die eine Überprüfung dahin gestatten, ob dabei ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände einer Verständigung im Raum standen, was jedenfalls dann der Fall ist, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in einen Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht wurden, damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung nahelag und somit die Mitteilungspflicht ausgelöst wurde (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. September 2015 – 3 StR 310/15, NStZ 2016, 362; vom 7. März 2017 – 5 StR 493/16, NStZ 2017, 424).

bb) Diesen Anforderungen genügt die Revision nicht.

(1) Es fehlt bereits an einem konkret behaupteten vollständigen Verfahrensgeschehen. Die bloße Wiedergabe vage erinnerter und nur möglicher Verfahrensabläufe (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 1964 – 3 StR 60/63, BGHSt 19, 273, 275) ersetzt den notwendigen bestimmten Tatsachenvortrag nicht (vgl. im Einzelnen KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 344 Rn. 33 mwN).

(2) Dessen ungeachtet wäre auch anhand der mitgeteilten Stellungnahme der Staatsanwaltschaft für das Revisionsgericht nicht abschließend zu überprüfen, ob es sich um verständigungsbezogene oder lediglich um unverbindliche sonstige verfahrensfördernde Erörterungen gehandelt hat, die nicht auf eine einvernehmliche Verfahrenserledigung abzielten (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 14. April 2015 – 5 StR 9/15, NStZ 2015, 535, 536). Denn als Gegenstände unverbindlicher Erörterungen, die das Gericht ohne Verständigungsbezug allein als Ausdruck eines transparenten kommunikativen Verhandlungsstils führen kann, sind etwa Rechtsgespräche und Hinweise auf die vorläufige Beurteilung der Beweislage oder die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses für unbedenklich erachtet worden (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168, 228; BGH, Beschluss vom 14. April 2015 – 5 StR 9/15, BGHR StPO § 243 Abs. 4 Mitteilung 4; vom 7. März 2017 – 5 StR 493/16). Dies gilt gleichermaßen für die Klärung der – einer Verständigung entzogenen (vgl. BVerfG, aaO, S. 228; BGH, Beschluss vom 25. April 2013 – 5 StR 139/13, NStZ 2013, 540) – Vorfrage, ob überhaupt die Möglichkeit der Verständigung bei Annahme eines minder schweren Falles in Betracht kommt, ohne dass ein Prozessverhalten des Angeklagten in Rede steht (vgl. BGH, Beschluss vom 18. August 2021 – 5 StR 199/21, NStZ 2022, 55, 56). Ob der Gesprächsgegenstand hier bereits über diese abstrakte Vorfrage einer möglicherweise erwogenen Verständigung hinausging, vermag der Senat ohne Vortrag näherer Inhalte nicht abschließend zu prüfen.

(3) Nichts anderes gilt vor dem Hintergrund des übrigen Revisionsvorbringens (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. Juli 2014 – 1 StR 210/14, NStZ 2015, 48; vom 21. März 2017 – 1 StR 622/16, NStZ 2017, 482, 483), das sich auf die pauschale Behauptung beschränkt, auf Initiative des Gerichts sei „ein Rechtsgespräch“ (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. April 2014 – 3 StR 24/14, NStZ 2014, 529 f.; vom 23. Juni 2022 – 2 StR 269/21, NStZ-RR 2022, 355) durchgeführt, eine Verständigung „jedoch nicht erzielt“ worden (vgl. KK-StPO/Schneider, 9. Aufl., § 243 Rn. 112 mwN).

(4) Der Beschwerdeführer behauptet schließlich auch nicht, dass es ihm oder seinem Revisionsverteidiger unmöglich gewesen wäre, nähere Informationen zum Verfahrensgeschehen bei seinem Instanzverteidiger einzuholen (vgl. hierzu BVerfG [Kammer], Beschluss vom 22. September 2005 – 2 BvR 93/05, StraFo 2005, 512, 513; BGH, Urteil vom 3. August 2022 – 5 StR 203/22; Beschluss vom 23. November 2004 – 1 StR 379/04, NStZ 2005, 283; Hamm/Pauly, Die Revision in Strafsachen, 8. Aufl. Rn. 408 mwN).“

StPO I: Mal wieder Verletzung der Mitteilungspflicht, oder: What’s talked about?

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Heute stelle ich dann drei StPO-Entscheidungen vor, und zwar eibnmal BGH, einmal OLG und einmal LG.

Ich beginne mit dem BGH, Beschl. v. 08.03.2023 – 1 StR 19/23. Das LG hat den Angeklagaten u.a. wegen Diebstahls verurteilt. Dagegen die Revision, die mit der Verfahrensbeanstandung einer Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1, § 257c Abs. 3 StPO Erfolg hatte:

„1. Der Entscheidung liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

a) Nach Eröffnung des Hauptverfahrens fanden am 24. Mai 2022 und am 7. Juni 2022 außergerichtliche Vorgespräche mit sämtlichen Verteidigern der drei Angeklagten – lediglich der Verteidiger des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt S.    , war am 24. Mai 2022 urlaubsbedingt verhindert -, der Vertreterin der Staatsanwaltschaft sowie dem Vorsitzenden Richter und dem Berichterstatter statt. In beiden Besprechungen wurde eine mögliche Verfahrensverständigung erörtert. In dem Gespräch am 7. Juni 2022 wurde die zu erwartende Strafhöhe im Falle eines Geständnisses des Angeklagten zwischen dem Vorsitzenden Richter, dem Beisitzer, der Vertreterin der Staatsanwaltschaft und Rechtsanwalt S.     als Verteidiger des Angeklagten mit dem Hinweis darauf besprochen, dass eine Erörterung mit den weiteren Verteidigern unter Bezugnahme auf das Besprechungsprotokoll vom 24. Mai 2022 bereits stattgefunden habe.

b) Der Vorsitzende Richter gab in dem Gespräch vom 7. Juni 2022 eine Einschätzung zu den Tatvorwürfen ab und wies darauf hin, dass sich in erheblichem Maß strafmildernd auswirken könne, wenn der Angeklagte weitergehende Informationen zu weiteren, unbekannten Tatbeteiligten liefern könnte.

c) Daraufhin erläuterte die Vertreterin der Staatsanwaltschaft ihre Sichtweise und erklärte, dass bei einem Geständnis mit einer Freiheitsstrafe von mindestens sieben Jahren und sechs Monaten zu rechnen sei. Bei einer echten Aufklärungshilfe könne diese Strafe auch reduziert werden, wobei insoweit keine konkrete Zahl genannt werden könne. Ohne geständige Einlassung sei mit einer Mindeststrafe von neun Jahren Freiheitsstrafe zu rechnen.

d) Der Vorsitzende Richter stellte im Anschluss daran folgenden Strafrahmen in Aussicht: Ohne ein Geständnis sei mit einer Verurteilung mit einer Freiheitsstrafe zwischen neun Jahren und elf Jahren zu rechnen, bei einem Geständnis mit einer solchen zwischen sieben Jahren und sechs Monaten sowie neun Jahren und sechs Monaten. Sollte ein Geständnis über den Tatbeitrag des Angeklagten hinaus weitere Informationen enthalten, so könnte von einem Strafrahmen von sieben Jahren bis zu acht Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe auszugehen sein. Bei sehr weitgehenden Informationen zu den Beteiligten und Dritten sei daran zu denken, dass die Strafe noch weiter reduziert werden könnte, möglicherweise bis zur Hälfte der ansonsten in Aussicht gestellten Strafe. Etwas Genaueres könne noch nicht gesagt werden; das hänge von der Wertigkeit der Informationen ab.

e) Schließlich erläuterte auch der Verteidiger des Angeklagten seine Einschätzungen hinsichtlich der Tatvorwürfe und äußerte, dass er die Differenz der in Aussicht gestellten Strafen bei einem Geständnis und ohne Geständnis für zu gering halte.

2. Eine Verständigung kam nicht zustande. Zu Beginn der Hauptverhandlung am 19. Juli 2022 gab der Vorsitzende nach der Feststellung der Personalien bekannt, dass eine Verständigung bislang nicht vorliege. Es hätten am 24. Mai 2022 und 27. Juni 2022 (richtig: 7. Juni 2022) Erörterungen mit letztlich sämtlichen Verteidigern stattgefunden. Dabei seien durch die Staatsanwaltschaft, die Berufsrichter der Strafkammer und den Verteidigern Strafmaßvorstellungen je nach dem jeweiligen Prozessverhalten ausgetauscht worden. Verständigungen seien dabei nicht zustande gekommen. Im Übrigen nehme er „auf die Einzelheiten zu den jeweils erstellten Protokollen Bezug“, die übersandt worden seien.

3. Der Beschwerdeführer ließ sich anschließend am ersten Hauptverhandlungstag, noch vor Eintritt in die Beweisaufnahme, in objektiver und subjektiver Hinsicht zu seiner eigenen Tatbeteiligung geständig ein; zu einem Mitwirken anderer Personen äußerte er sich nicht.

II.

1. Die Rüge der Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO hat Erfolg.

a) Das Vorbringen des Beschwerdeführers genügt – entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts – den Darlegungsanforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Die Revision teilt zwar nur den Inhalt des Verständigungsgesprächs vom 7. Juni 2022 unter Beifügung des vom Vorsitzenden hierzu gefertigten und übersandten Protokolls mit, nicht aber den Inhalt der am 24. Mai 2022 geführten und ebenfalls protokollierten Gespräche. Die Darstellung des Inhalts dieses Gesprächs vom 24. Mai 2022 ist jedoch nicht erforderlich, um den angebrachten Verfahrensverstoß nachzuweisen. Die Verletzung der Vorschrift des § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO ergibt sich schon aus der unzureichenden Mitteilung des Vorsitzenden über den Inhalt des Verständigungsgesprächs vom 7. Juni 2022 in der Hauptverhandlung vom 19. Juli 2022.

b) Die Verfahrensrüge ist begründet. Der Vorsitzende der Strafkammer hat die sich aus § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO ergebende Pflicht zur Information über außerhalb der Hauptverhandlung geführte verständigungsbezogene Erörterungen verletzt, indem er das Ergebnis des Gesprächs vom 7. Juni 2022 zwar in der Hauptverhandlung als erfolglose Verständigungsbemühungen referiert, den Inhalt aber unzureichend dargestellt hat, weil er hinsichtlich der Einzelheiten des Inhalts der geführten Gespräche lediglich auf die übersandten Protokolle verwies.

aa) Bei Gesprächen, die außerhalb der Hauptverhandlung geführt werden und als Vorbereitung einer Verständigung verstanden werden können, ist vom Vorsitzenden über deren wesentlichen Inhalt in der Hauptverhandlung zu informieren (§ 243 Abs. 4 StPO). Die Mitteilungspflicht greift ein, sobald ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände einer Verständigung im Raum stehen, was jedenfalls dann der Fall ist, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht werden und damit die Frage nach einer oder die Äußerung zu einer Straferwartung naheliegt. Zum mitzuteilenden Inhalt solcher Erörterungen gehört, welche Standpunkte von den einzelnen Gesprächsteilnehmern vertreten wurden, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen wurde und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168 Rn. 85 mwN). Nach der Konzeption der gesetzlichen Regelung sind die Transparenz und Dokumentation von Verständigungsgesprächen zu gewährleisten. Dies erfordert als Voraussetzung einer effektiven Kontrolle durch die Öffentlichkeit, die Staatsanwaltschaft und das Rechtsmittelgericht die Mitteilung des Inhalts dieser Gespräche in der Hauptverhandlung selbst (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168 Rn. 80 ff. und BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2020 – 2 BvR 900/19 Rn. 22). Darüber hinaus dienen die Transparenz- und Dokumentationspflichten nach § 243 Abs. 4 StPO auch dem Schutz des von einer Verständigung betroffenen Angeklagten. Deshalb gewährleistet die Mitteilung der Einzelheiten der Gesprächsinhalte über verständigungsbezogene Erörterungen durch den Vorsitzenden in der Hauptverhandlung vornehmlich auch die Information des Angeklagten, der an den Gesprächen regelmäßig nicht beteiligt war, um für ihn eine Wissensparität zu schaffen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2020 – 2 BvR 900/19 Rn. 35 mwN). Die Unterrichtung des Angeklagten (allein) durch seinen Verteidiger über den Inhalt der Verständigungsgespräche vermag die Mitteilung durch das Gericht in der Hauptverhandlung grundsätzlich nicht zu ersetzen. Richterliche und nichtrichterliche Mitteilungen sind nicht von identischer Qualität; der Strafprozessordnung liegt an verschiedenen Stellen die Wertung zugrunde, dass Authentizität, Vollständigkeit und Verständlichkeit einer Mitteilung oder Belehrung nur durch richterliches Handeln verbürgt sind (BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2020 – 2 BvR 900/19 Rn. 38 mwN).

bb) Gemessen an diesen Maßstäben war die Mitteilung des Vorsitzenden in der Hauptverhandlung zum Inhalt der verständigungsbezogenen Erörterungen defizitär. Eine Kontrollmöglichkeit hinsichtlich des Inhalts der Gespräche war für die Öffentlichkeit schon nicht gegeben. Auch der Beschwerdeführer könnte allenfalls durch seinen Verteidiger über die Einzelheiten der ergebnislos gebliebenen Verständigungsgespräche in Kenntnis gesetzt worden sein. Dies genügt jedoch nicht, um die sich aus § 243 Abs. 4 StPO ergebende Verpflichtung der richterlichen Mitteilungspflicht zu erfüllen.

cc) Ein Beruhen des Urteils auf diesem Rechtsfehler kann – entgegen der Argumentation des Generalbundesanwalts – nicht ausgeschlossen werden (vgl. schon BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE, 133, 168 Rn. 97 ff. mwN). Der Beschwerdeführer hat seine Tatbeteiligung ohne ausreichende Mitteilung des Vorsitzenden (§ 243 Abs. 4 StPO) über die Einzelheiten des Inhalts der ergebnislos gebliebenen Verständigungsgespräche eingeräumt. Schon aus diesem Gesichtspunkt war seine Aussagefreiheit (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168 Rn. 60) betroffen. Darüber hinaus hatten die Erörterungen auch konkrete Vorstellungen des Vorsitzenden und der Staatsanwaltschaft zu möglichen Straferwartungen zum Gegenstand, je nachdem, ob der Beschwerdeführer Aufklärungshilfe leistet und gegebenenfalls wie werthaltig dies ist. Nachdem der Angeklagte keine weitergehenden Angaben zu möglichen weiteren Beteiligten machen wollte, ist nicht auszuschließen, dass der aufgezeigte Rechtsfehler sich auch auf den Umfang seines Geständnisses ausgewirkt hat.“

StPO II: Verletzung der Mitteilungspflicht? oder: Verständigungs- oder Organisationsgespräch?

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Im zweiten Posting des Tages dann noch einmal etwas zur Mitteilungspflicht (§ 243 Abs. 4 Satz 1 StPO9, und zwat der BGH, Beschl. v. 03.03.2022 – 5 StR 228/21. Die Sache ist zum zweiten Mal beim BGH. Der BGH hatte ein erstes Urteil des LG aufgehoben. Das hatte in dann erneut wegen  Untreue verurteilt, allerdings nicht mehr zu einer Freiheitsstrafe, sondern zu einer Geldstrafe.  Dagegen hat der Angeklagate dann nochmals Revision eingelegt, mit der u.a. ein Verstoß gegen § 243 Abs. 4 StPO gerügt worden war. Die hatte keinen Erfolg.

Die Rüge des Verstoßes gegen die Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO war im Hinblick auf ein zwischen der Vorsitzenden und dem zuständigen Dezernenten der Staatsanwaltschaft am 06.04.2020 geführtes Telefonat erhoben worden. In dem Telefonat hatte die Vorsitzende den Oberstaatsanwalt gefragt, ob er für einen gemeinsamen Besprechungstermin mit der Strafkammer und dem Verteidiger zur Verfügung stehe. Der Oberstaatsanwalt hatte dies bejaht und zugleich aber mitgeteilt mit, er wolle bereits jetzt erklären, dass er mit einer Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO, wie vom Verteidiger vorgeschlagen, nicht einverstanden sei. Dies hat die Vorsitzende in einem zu den Akten gebrachten Vermerk niedergelegt, der vor der Hauptverhandlung dem Verteidiger im Wege der Akteneinsicht und dem Angeklagten durch Übersendung einer Kopie des Aktenauszuges bekannt gemacht wurde. In der Hauptverhandlung teilte sie den Inhalt dieses Vermerks dann nicht (noch einmal) mit.

Der BGH sieht keinen Rechtsfehler:

„a) Die Rügen eines Verstoßes gegen § 243 Abs. 4 StPO zeigen keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf.

aa) Die Rüge eines Verstoßes gegen die Mitteilungspflicht aus § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO im Hinblick auf ein zwischen der Vorsitzenden und dem zuständigen Dezernenten der Staatsanwaltschaft am 6. April 2020 geführtes Telefonat ist unbegründet. In dem Telefonat fragte die Vorsitzende den Oberstaatsanwalt, ob er für einen gemeinsamen Besprechungstermin mit der Strafkammer und dem Verteidiger zur Verfügung stehe. Der Oberstaatsanwalt bejahte dies und teilte mit, er wolle bereits jetzt erklären, dass er mit einer Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO, wie vom Verteidiger vorgeschlagen, nicht einverstanden sei. Dies legte die Vorsitzende in einem zu den Akten gebrachten Vermerk nieder, der vor der Hauptverhandlung dem Verteidiger im Wege der Akteneinsicht und dem Angeklagten durch Übersendung einer Kopie des Aktenauszuges bekannt wurde. In der Hauptverhandlung teilte sie den Inhalt dieses Vermerks nicht mit.

Einen Rechtsfehler deckt die Revision damit nicht auf, denn Gegenstand des Telefongesprächs war nicht die Möglichkeit einer Verständigung, so dass es nicht der Mitteilungspflicht nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO unterfiel. Die Mitteilungspflicht greift ein, sobald bei außerhalb einer Hauptverhandlung geführten Gesprächen ausdrücklich oder konkludent die Möglichkeit und die Umstände einer Verständigung im Raum stehen. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn Fragen des prozessualen Verhaltens in Konnex zum Verfahrensergebnis gebracht werden und damit die Frage nach oder die Äußerung zu einer Straferwartung naheliegt (BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., BVerfGE 133, 168 Rn. 85; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2020 – 2 BvR 900/19, NJW 2020, 2461; BGH, Beschluss vom 18. August 2021 – 5 StR 199/21, NStZ 2022, 55). So verhält es sich hier nicht.

Die Frage der Vorsitzenden zielte allein auf die Organisation eines gemeinsamen Gesprächs zwischen den Verfahrensbeteiligten hin. Die Äußerung des Oberstaatsanwalts in diesem Zusammenhang stellt lediglich eine einseitige Willensbekundung auf den – wie allseits bekannt (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 8. Januar 2020 – 5 StR 366/19 Rn. 42) – bereits im ersten Durchgang von der Verteidigung formulierten Vorschlag einer Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO dar, die als solche (eine Reaktion der Vorsitzenden hierauf wird auch von der Revision nicht bestimmt behauptet) nicht mitteilungsbedürftig ist (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Januar 2020 – 5 StR 366/19 Rn. 42). An der inhaltlichen Richtigkeit des Vermerks der Vorsitzenden bestehen keine Zweifel, zumal nach der Äußerung des Oberstaatsanwalts – anders als möglicherweise in anderen Fällen – auch keine Reaktion der Vorsitzenden hierzu nahelag, denn ohne Zustimmung der Staatsanwaltschaft kommt eine Einstellung nach § 153a Abs. 2 StPO von vornherein nicht in Betracht. Die von der Revision in diesem Zusammenhang behauptete Verletzung von § 273 Abs. 1a Satz 2 StPO liegt nicht vor, denn das Protokoll gibt den Verfahrensgang zutreffend wieder.

bb) Soweit die Revision das Fehlen einer sogenannten „Negativmitteilung“ nach § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO rügt, also einer ausdrücklichen Mitteilung der Vorsitzenden, dass keine Verständigungsgespräche stattgefunden hatten, schließt der Senat aus, dass das Urteil auf diesem Rechtsfehler im Sinne von § 337 Abs. 1 StPO beruht. Denn auch nach dem Vortrag der Revision (insbesondere auch zu dem ausführlich dokumentierten und in der Hauptverhandlung mitgeteilten Erörterungstermin am 9. November 2020) kann der Senat ausschließen, dass es Gespräche über die Möglichkeit einer Verständigung gegeben hat (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 26. August 2014 – 2 BvR 2172/13, NStZ 2014, 592, 594; BGH, Beschlüsse vom 29. Januar 2014 – 1 StR 523/13, NStZ-RR 2014, 115; vom 25. Februar 2015 – 5 StR 258/13, NStZ 2015, 232 mwN).“