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OWi II: Verteidiger als „unbedarfter Zuschauer“ (?) bei „Taschenspielertricks“, oder: OLG Koblenz, muss das sein?

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Die zweite Entscheidung, auf die ich heute hinweisen möchte, stammt vom OLG Koblenz. Es handelt sich um den OLG Koblenz, Beschl. v. 19.11.2018 – 1 OWi 6 SsBs 155/18. Der steht so ganz „unschuldig“ auf der Seite „Landesrecht Rheinland-Pfalz“ mit dem Leitsatz:

„Die Zuverlässigkeit des Messgerätes ES 3.0 wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass es möglich ist, durch Projektion eines sich über Karosserie eines vor dem Messgerät stehenden Fahrzeug bewegenden Lichtflecks eine Messung auszulösen.“

Wenn man den Beschluss dann aber insgesamt liest, merkt man: Der hat es in sich. Nicht wegen der entschiedenen (Fach)Frage, sondern wegen der Art und Weise, wie das OLG formuliert:

„I.

Ungeachtet der von der Generalstaatsanwaltschaft in ihrem Verwerfungsantrag vom 30. Oktober 2018 zutreffend dargestellten und auf handwerkliche Fehler des Verteidigers zurückzuführenden Unzulässigkeit der Verfahrensrügen ist anzumerken:

1. Die beanstandete Verlesung hat ihre Rechtsgrundlage in dem gemäß § 71 Abs. 1 OWiG auch im Bußgeldverfahren anwendbaren § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO (in der seit dem Jahre 2004 geltenden Fassung) und nicht in dem inzwischen weitgehend bedeutungslos gewordenen § 77a Abs. 2 OWiG, so dass eine Zustimmung der anwesenden Verfahrensbeteiligten nicht notwendig war.

2. Auf einem digitalen Datenträger gespeicherte Informationen sind bekanntlich der unmittelbaren menschlichen Wahrnehmung nicht zugänglich. Erforderlich ist vielmehr eine Sichtbarmachung etwa durch Erstellung eines Text- und/oder Bilddokuments, das auf einem Bildschirm betrachtet oder ausgedruckt werden kann. Der Tatrichter kann und darf grundsätzlich davon ausgehen, dass ein von einer staatlichen Stelle hergestelltes und in den Akten befindliches Beweisfoto keine von der Originaldatei abweichenden beweiserheblichen Informationen enthält und auf dieser Grundlage entscheiden. Er muss sich insbesondere nicht anlasslos mit der Frage befassen, ob irgendjemand zwischen der Öffnung der Messdatei (Stichwort: Schlüsselsymbol) und der Herstellung des JPEG-Ausdrucks manipuliert haben könnte. Im Übrigen wurde, was der Verteidiger zu erwähnen „vergaß“, in der Hauptverhandlung ein Datenträger abgespielt, auf der auch das mit dem Auswerteprogramm esoDigitales II erstellte Bild mit Schlüsselsymbol zu sehen ist.

3. Es steht dem Verteidiger selbstverständlich frei der Meinung zu sein, das Messgerät ES 3.0 sei völlig ungeeignet und hätte deshalb nicht zugelassen dürfen. Tatsache ist allerdings, dass das Messgerät als solches zugelassen ist und das bei der beanstandeten Messung eingesetzte Gerät auch geeicht war.

Es mag sein, dass man unbedarften Zuschauern Unzuverlässigkeit vorgaukeln kann, indem man eine Messung durch die Projektion eines sich über Karosserie eines vor dem Messgerät stehenden Fahrzeug bewegenden Lichtflecks auslöst. Ein solches Szenarium hat allerdings nichts mit einer realen Verkehrsbedingung im Messalltag zu tun. Zudem greift in einem solchen Fall eine der systemimmanenten Absicherungen: Auf dem Beweisfoto ist dann nämlich kein Fahrzeug zu sehen, dem die Messung zugeordnet werden könnte. Mit einem sich bewegenden Fahrzeug funktioniert dieser demonstrative Taschenspielertrick ohnehin nicht, weil der Rechner mit den einander widersprechenden Informationen, die von den Sensoren kommen, nichts anfangen kann und deshalb die Messung annulliert.

Im Übrigen ist die Erkenntnis, dass man ES 3.0 mit der Projektion eines sich bewegenden Lichtflecks auf eine im „Blickfeld“ der Sensoren befindliche Fläche zu einer Messung bewegen kann, keine sensationelle Neuigkeit. Vielmehr macht man sich diese „Unzuverlässigkeit“ schon seit langem (durch den Einsatz eines Lauflichtsimulators) bei der Eichung zunutze.

4. Es trifft nicht zu, dass die Prüfungen durch die PTB unter „Idealbedingungen“ erfolgten. Richtig ist, dass sich die sog. Referenzstrecken, an denen die Vergleichsmessungen in sehr großer Zahl durchgeführt werden, auf öffentlichen Straßen befinden. Die Prüfungen erfolgen also unter den alltäglichen Bedingungen des Straßenverkehrs.“

Ich habe mich nach Lektüre des Beschlusses gefragt: Muss die Polemik des OLG eigentlich sein bzw. was erreicht man damit bzw. was will man erreichen? Ich meine, Formulierungen wie

  • „auf handwerkliche Fehler des Verteidigers zurückzuführenden Unzulässigkeit der Verfahrensrügen“
  • (in der seit dem Jahre 2004 geltenden Fassung) und nicht in dem inzwischen weitgehend bedeutungslos gewordenen § 77a Abs. 2 OWiG“
  • „sind bekanntlich der unmittelbaren menschlichen Wahrnehmung nicht zugänglich“
  • was der Verteidiger zu erwähnen „vergaß“,
  • „Es steht dem Verteidiger selbstverständlich frei, der Meinung zu sein….“
  • „Es mag sein, dass man unbedarften Zuschauern Unzuverlässigkeit vorgaukeln kann.“
  • Mit einem sich bewegenden Fahrzeug funktioniert dieser demonstrative Taschenspielertrick ohnehin nicht
  • „Im Übrigen ist die Erkenntnis, dass ….., keine sensationelle Neuigkeit.“

sind nicht nur unnötig, sondern auch eines OLG unwürdig. Da hat sich m.E. mal wieder ein OLG-Einzelrichter „ausgetobt“ und wollte dem Verteidiger – „unbedarfter Zuschauer“, der „handwerkliche Fehler“ macht – zeigen, wie dumm dieser ist und wie schlau doch der OLG-Richter, der alles weiß, vor allem alles besser. Denn wie sonst soll man die Formulierungen: „handwerkliche Fehler“, „bekanntlich“, „unbedarften Zuschauern vorgauckeln“ verstehen/deuten? Und was hat man damit erreicht, wenn man sein Mütchen gekühlt hat? Nichts, außer, dass man sagen kann: Dem habe ich es aber gegeben. Nun ja, wer es braucht, der mag Beschlussgründe für solche Spielchen missbrauchen. Ich finde es jedenfalls – siehe oben: Für ein OLG unwürdig.

Übrigens: Dass der Amtsrichter auch ein wenig „unbedarft§ ist/war: Obwohl ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls und der schriftlichen Urteilsgründe der Betroffene einer vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung für schuldig befunden wurd, steht im Urteilstenor dann „fahrlässig“, übersieht man bzw. bügelt man mit einem „beruht offensichtlich auf einem Versehen“ glatt.

Und: Es ist nicht das erste Mal, dass das OLG Koblenz – in meinen Augen – über das Ziel weit hinausschießt. Ich erinnere an den OLG Koblenz, Beschl. v. 22.03.2017 – 1 OWi 4 SsRs 21/17 (dazu Fake-News vom „übergeordneten“ OLG Koblenz?, oder: „unprofessionelle Zeit- und Geldverschwendung“). Da hatte sich der entscheidende Einzelrichter m.E. auch im „Ton vergriffen“. Ob das Usus ist in Koblenz, kann ich nicht sagen. Es fällt aber jedenfalls auf.

OWi III: Nochmals „zwei Künstler“, oder: Wenn der Amtsrichter dem Betroffenen den A…. rettet

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Der ein oder andere Leser wird sich erinnern, dass ich im vergangenen Jahr über den OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.05.2017 – 1 RBs 55/16 berichtet habe (Zwei “Künstler” am Werk, oder: Wenn der Amtsrichter den Verteidiger “rettet”).

Jetzt stelle ich den OLG Hamm, Beschl. v. 22.06.2018 – III – 2 RBs 86/18 – vor, der eine ähnliche Konstellation zum Gegenstand hat. Auch hier hatte der Verteidiger einen (Beweis)Antrag gestellt, der mit „ob“ formuliert war. An sich tötlich für einen Antrag, weil dann die Annahme eines Beweisermittlungsantrages nahe liegt und das Gericht nicht an die Ablehnungsgründe des § 244 StPo gebunden ist. Das AG springt aber nicht auf den Zug, sondern macht es sich einfach und bescheidet den Antrag lieber gleich gar nicht. Das rettet dann aber wieder den Verteidiger/den Betroffenen. Denn das ist eine Verletzung des rechtlichen Gehörs und führt zur Aufhebung nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG:

„Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat mit der Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs einen – zumindest vorläufigen – Erfolg.

Die Rüge ist in zulässiger Form erhoben worden. Die Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs ist wie eine Verfahrensrüge, also gemäß 344 Abs. 2 §. 2 StPO zu begründen. Es müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden, so dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen der Rechtsbeschwerde zutrifft (zu vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Auflage, 344 Rdnr. 21 f). Diesen Anforderungen genügt die Begründung der Rechtsbeschwerdebegründung.

So ist nach den Darlegungen des Betroffenen ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 19.02.2018 auf den Schriftsatz vom 30.01.2018 sowie Anlage 2 des Sitzungsprotokolls in der Hauptverhandlung Bezug genommen und diese verlesen worden (BI. 136 d.A.). Anlage 2 des Sitzungsprotokolls beinhaltet jedoch einen Beweisantrag hinsichtlich der Vernehmung der Messbeamten N. und G. (BL 142 d.A.), hinsichtlich dessen eine Bescheidung nicht erfolgt und welcher entgegen § 273 StPO auch nicht protokolliert worden ist. Seitens des Amtsgerichts entschieden wurde lediglich über den ebenfalls in dem Schriftsatz enthaltenen Widerspruch gegen die Bekanntgabe des wesentlichen Inhalts des Messprotokolls. Anhaltspunkte dafür, dass seitens des Betroffenen erklärt worden wäre, dass über den Beweisantrag nicht entschieden werden solle, ergeben sich zudem nicht.

Insoweit kann auch dahinstehen, ob es sich bei dem gestellten Antrag um einen Beweisantrag oder einen Beweisermittlungsantrag handelt, weil nach dem Vorbringen des Betroffenen dieser letztlich Beweis darüber begehrt, „ob“ bestimmte Tatsachen vorgelegen haben. Dies ändert indes nichts daran, dass über den Antrag eine Entscheidung hätte getroffen werden müssen, entweder durch die Anordnung des Tatrichters, dass dem Begehren nachzugehen ist, oder aber durch die Ablehnung des Antrags, die nach 34 StPO so zu begründen gewesen wäre, dass der Antragsteller über den Grund der Ablehnung ausreichend unterrichtet und dadurch in die Lage versetzt wird, sein weiteres Prozessverhalten darauf einzustellen und eventuell weitere Beweisanträge zu stellen (zu vgl. BGH, Beschluss vom 02.10.2010 – 3 StR 373/07 -). Eine solche Entscheidung ist unerlässlich, denn der Antragsteller darf – schon aufgrund seines Anspruchs auf rechtliches Gehör – nicht im Unklaren darüber gelassen werden, warum seinem Antrag nicht nachgegangen wird (zu vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26.05.2017 – IV 1 RBs 55/16 -). Gegen diese Grundsatze, die nicht nur für die Anwendung des   244 StPO im Strafverfahren, sondern nach 71 OWiG (mit den Einschränkungen des § 77 OWiG) auch im Bußgeldverfahren gelten (zu vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.) hat das Amtsgericht durch die völlige Außerachtlassung und Nichtbescheidung des zur Rede stehenden Beweisbegehrens verstoßen und hierdurch den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt (zu vgl. BVerfG, NJW 1992, 2811, OLG Hamm, NZV 2008, 417).“

Und: Schönschreiben ist angesagt:

„Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass sich das Protokoll der Hauptverhandlung in Teilbereichen an der Grenze zur Unleserlichkeit bewegt und es dadurch seiner sich aus §§ 273. 274 StPO ergebenden Bedeutung kaum noch gerecht wird.“

Zwei „Künstler“ am Werk, oder: Wenn der Amtsrichter den Verteidiger „rettet“.

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So, der erste „Nichtfeierarbeitstag“ der Woche ist OWi-Entscheidungen gewidmet. Aus dem Bereich stelle ich dann zunächst den OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.05.2017 – 1 RBs 55/16 – vor. Der passt ganz gut noch zu Pfingsten. Denn man kann nur hoffen, dass sowohl der Verteidiger des Betroffenen als auch der Amtsrichter pfingstliche Erleuchtung erfahren haben. Denn es waren in dem Verfahren zwei „Künstler“ am Werk. Der Fehler des einen, nämlich des Amtsrichters, hat allerdings den Verteidiger dann „gerettet“. Der Betroffene darf sich bei ihm bedanken.

Es geht um einen Beweisantrag in einem Verfahren wegen des Vorwurfs einer Geschwindigkeitsüberschreitung. Der Verteidiger beantragt, „den verantwortlichen Messbeamten zu laden zu der Beweisfrage, ob dieser das Messgerät nach den Vorgaben der Bedienungsanleitung aufgestellt und in Betrieb genommen hat“ vollständig übergangen hat.“ Das wäre es an sich gewesen, denn das war kein Beweisantrag, sondern nur ein Beweisermittlungsantrag und hätte ohne Bindung an den § 244 StPO zurückgewiesen werden können. Also: Kardinalfehler des Verteidigers – zumindest in meinen Augen. Aber: Der Antrag hätte beschieden werden müssen. Und das hat der Amtsrichter übersehen. Das ist sein Kardinalfehler, was dann zum Erfolg der Verfahrensrüge führt:

„Der Betroffene stützt sein Rechtmittel in verfahrensrechtlicher Hinsicht unter anderem darauf, dass Amtsgericht habe seinen in der Hauptverhandlung gestellten Antrag „den verantwortlichen Messbeamten zu laden zu der Beweisfrage, ob dieser das Messgerät nach den Vorgaben der Bedienungsanleitung aufgestellt und in Betrieb genommen hat“ vollständig übergangen hat. Dies trifft ausweislich des Sitzungsprotokolls zu.

Die Nichtbeachtung des genannten Antrags erweist sich als durchgreifender Rechtsfehler, der zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen muss. Zwar handelt es sich bei dem hier zur Rede stehenden Beweisbegehren seinem Wortlaut nach nicht um einen Beweisantrag, sondern um einen Beweisermittlungsantrag, weil keine bestimmten Tatsachen behauptet werden, sondern Beweis darüber verlangt wird, „ob“ sie vorgelegen haben (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl. [2017], § 244 Rn. 20b). Dies ändert indes nichts daran, dass über den Antrag eine Entscheidung hätte getroffen werden müssen, entweder durch die Anordnung des Tatrichters, dass dem Begehren nachzugehen ist, oder aber durch die Ablehnung des Antrags, die nach § 34 StPO so zu begründen gewesen wäre, dass der Antragsteller über den Grund der Ablehnung ausreichend unterrichtet und dadurch in die Lage versetzt wird, sein weiteres Prozessverhalten darauf einzurichten und eventuell weitere Beweisanträge zu stellen (vgl. BGH Beschluss vom 2. Oktober 2010 — 3 StR 373/07 <juris>). Eine solche Entscheidung ist unerlässlich, denn der Antragsteller darf — schon aufgrund seines Anspruchs auf rechtliches Gehör — nicht im Unklaren darüber gelassen werden, warum seinem Antrag nicht nachgegangen wird (vgl. BGH a.a.O.; Krehl in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 7. Aufl. [2013], § 244 Rn. 101 m.w.N.; BayObLG Beschluss vom 15. Mai 1986 — 1 Ob OWi 81/86 m.w.N. für den Beweisantrag). Gegen diese Grundsätze, die nicht nur für die Anwendung des § 244 StPO im Strafverfahren, sondern nach § 71 OWiG (mit den Einschränkungen des § 77 OWiG) auch im Bußgeldverfahren gelten (vgl. BayObLG a.a.O.), hat das Amtsgericht durch die völlige Außerachtlassung und Nichtbescheidung des zur Rede stehenden Beweisbegehrens verstoßen und hierdurch auch den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt.

Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil. ohne dass es darauf ankäme, ob das Amtsgericht den Antrag mit rechtsfehlerfreier Begründung hätte ablehnen können. Denn es kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass der Betroffene, wenn sein Antrag nicht übergangen, sondern in der Hauptverhandlung durch eine mit zumindest kurzer Begründung versehene Entscheidung abgelehnt worden wäre, durch weiteres tatsächliches Vorbringen die für das Amtsgericht maßgeblichen Ablehnungsgründe hätte entkräften oder zusätzliche – formell richtige – Beweisanträge hätte stellen können.“

Also: Glück gehabt.

Das kleine Einmaleins der Revisionsbegründung, oder: Stolperstein

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Ich habe ja bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass man als Verteidiger bei der Formulierung der Revisionsbegründung vor sichtig sein muss/sollte und alle Formulierungen vermeiden muss, aus denen das Revisionsgericht schließen könnte, dass die Revisionsbergündung nicht vom Verteidiger stammt bzw. der nicht die volle Verantwortung übrnimmt. Denn dann dort wegen eines Verstoßes gegen § 345 StPO die Verwerfung der Revision als unzulässig. Etwas Entspannung hat da zwar BVerfG, Beschl. v. 07.12. 2015 – 2 BvR 767/15 – vgl. dazu Unterzeichnung „i.V.“ und/oder mit „nach Diktat verreist“: Revisionsbegründung nicht unwirksam – aber er hat Probleme/Fragen an anderer Stelle nicht gelöst. Das zeigt der OLG Hamm, Beschl. v. 09.06.2016 – 4 RVs 60/16.

Die Angeklagte hatte selbst Revision eingelegt, die dann von ihrer Verteidigerin begründet worden ist. Das OLG verwirft die Revision als unzulässig. Begründung:

„Die Revision der Angeklagten war als unzulässig zu verwerfen. Sie hat gegen das angefochtene Urteil zwar selbst form- und fristgerecht Revision eingelegt. Die fristgerecht eingelegte Revisionsbegründung entspricht jedoch nicht der Formvorschrift des § 345 Abs. 2 StPO. Zwar ist die Revisionsbegründung von einer Rechtsanwältin unterzeichnet worden. Es bestehen aber durchgreifende Zweifel, dass diese die volle Verantwortung für den Inhalt der Revisionsbegründungsschrift übernommen hat. Liegen solche Zweifel vor, so fehlt es an einer von einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift i.S.v. § 345 Abs. 2 StPO (BGH NJW 2014, 2664; BGH Beschl. v. 26.07.2005 – 3 StR 36/05 = BeckRS 2005, 10136 m.w.N.; vgl. auch BVerfG NJW 1983, 2762, 2763 f.). Es ist jedenfalls dann mit dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf einen wirksamen Rechtsschutz vereinbar, Zweifel an der Übernahme der Verantwortung durch den Rechtsanwalt zu hegen, wenn sich diese aus dem Schriftsatz selbst ergeben (BVerfG NJW 2016, 1570, 1571). Das ist hier der Fall. Die Revisionsbegründung lautet: „hat mich Frau U gebeten, ihre selbst eingelegte Revision gegen das Urteil des LG Münster vom 22.12.2015 wie folgt zu begründen: Gerügt wird die Verletzung materiellen Rechts.“ Die Formulierung macht deutlich, dass (gerade) die Erhebung der allgemeinen Sachrüge auf Bitten der Angeklagten geschah. Ob die Rechtsanwältin hierfür die volle Verantwortung übernahm, ist angesichts dessen zweifelhaft. Diese Formulierung erweckt den Eindruck, dass lediglich eine von der Angeklagten stammende Beanstandung vorgetragen wird (vgl. BGH NJW 2014, 2664; vgl. auch: OLG Rostock NStZ-RR 2009, 381, 382).

Da eine Heilung des Mangels außerhalb der inzwischen abgelaufenen Revisionsbegründungsfrist ausgeschlossen ist (vgl.: Meyer-Goßner in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 59. Aufl., § 345 Rdn. 16), bedurfte es weder eines vorherige Hinweises noch des Abwartens der Frist des § 349 Abs. 3 StPO hinsichtlich des von der Generalstaatsanwaltschaft nach § 349 Abs. 2 StPO gestellten Verwerfungsantrags (OLG Rostock NStZ-RR 2009, 381, 382).“

Nun ja, die Formulerung ist nun wirklich „unglücklich“. Mir erschließt sich auch nicht, warum ich als Verteidiger so „begründe“.

Revisionsbegründung: Bloß nicht höflich sein wollen, das bringt nichts

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Am Samstag hatte ich über die Formenstrenge bei der Revision und die Gefahren, die in der Unterschrift „i.V.“ lauern berichtet (vgl. hier). Kurz darauf bin ich auf den BGH, Beschl. v. 27.03.2012 – 2 StR 83/12 – gestoßen, der in dieselbe Richtung geht und ebenfalls anschaulich zeigt, wie vorsichtig der Verteidiger bei der Begründung der Revision sein muss. Ist er es nicht, riskiert er die Verwerfung als unzulässig (§ 349 Abs. 1 StPO). Das hatte der Verteidiger in dem Verfahren nicht beachtet und nicht darauf geachtet, dass er für den Inhalt der Revisionsbegründung die „volle Verantwortung“ übernehmen muss, so der BGH:

Die hiergegen eingelegte Revision entspricht nicht den Formerfordernissen des § 345 Abs. 2 StPO und ist deshalb unzulässig im Sinne von § 349 Abs. 1 StPO. Aus der Fassung der Revisionsbegründungsschrift ergibt sich, dass der Rechtsanwalt nicht – wie nach ständiger Rechtsprechung erforderlich (vgl. nur BGH NStZ-RR 2002, 309; Meyer-Goßner StPO 54. Aufl. § 345 Rn. 16 mwN) – die volle Verantwortung für ihren Inhalt übernommen hat. Vielmehr nehmen sämtliche Formulierungen sprachlich auf die Auffassung des Angeklagten Bezug („Herr G. rügt …“, „möchte vortragen“, „bleibt bei seiner Darstellung“, „ist der Überzeugung“), und die Schrift enthält keine eigenständigen Ausführungen des unterzeichnenden Rechtsanwalts.

Welcher Überzeugung/Ansicht der Angeklagte ist, ist also völlig egal. Es interessiert die Auffassung des Verteidigers und nur die. Denn er muss das Rechtsmittel  begründen. Darauf ist zu achten. Und: Höflich sein wollen – „möchte vortragen“ etc. bringt auch nichts, außer die Revision in die Nähe der Verwerfung.