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Vereinsrecht II: Verlust der Gemeinnützigkeit??? oder: Kein „actio pro socio“ des Vereinsmitglieds“

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In der zweiten Entscheidung, dem OLG Brandenburg, Urt. v. 11.05.2023 – 5 U 38/23 – wird um den Erlass einer einstweiligen Verfügung gekämpft. Und zwar verlangen die Kläger (Vereinsmitglieder) verlangen von dem Verfügungsbeklagten (dem Verein) im Wege der einstweiligen Verfügung, den Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit der angestellten Geschäftsführerin zu unterlassen, weil sie hierin die Gemeinnützigkeit des Beklagten sowie in der Folge auch ihre Gemeinnützigkeit gefährdet sehen.

Nach dem Sachverhalt beabsichtigten der Vorstand des Beklagten und Frau B. im Herbst 2022, den Geschäftsführervertrag mit dieser vorzeitig zu beenden. Hierzu war zunächst eine Verkürzung der restlichen Vertragslaufzeit bis zum 31.12.2023 gegen Freistellung von der Dienstleistung bei gleichzeitiger Zahlung von Gehaltsbestandteilen beabsichtigt. Hiermit befasste sich der Vorstand des Beklagten zunächst auf seiner Sitzung vom 3.11.2022 und fasste am 23.11.2022 einen dahingehenden Beschluss, den er am 12.12.2022 nochmals bestätigte.

Am 21.12.2022 erklärten die Kläger zu 1, 3 und 4 den Austritt aus dem Beklagten. Auf Antrag des Beklagten vom 29.12.2022 erteilte das Finanzamt Potsdam dem Beklagten am 14. März 2023 die verbindliche Auskunft nach § 89 Abs. 2 AO, dass es der Auffassung zustimme, die Vergütungsfortzahlung im Sinne der im Antrag gestellten Regelung bei Freistellung sei nicht gemeinnützigkeitsschädlich. Grundlage der Anfrage war der Entwurf einer Beendigungsvereinbarung mit einer Restlaufzeit unter Freistellung von 6 Monaten ab Zugang der Auskunft des Finanzamts.

Das LG hat dem Beklagten bei Androhung von Ordnungsmitteln untersagt, an Frau A. B. für Zeiträume ab dem 01.01.2023 Zahlungen auf Vergütungen, Nebenleistungen, sonstige Leistungen mit steuerwerten Vorteilen und Abfindungen zu leisten und sie gleichzeitig von arbeits- oder dienstrechtlichen Verpflichtungen freizustellen, oder mit ihr einen Vertrag abzuschließen, mit dem sich der Beklagte hierzu verpflichtet. Dagegen hat der Beklagte Berufung eingelegt, die beim OLG ERfolg hatte:

„Die Berufung des Beklagten ist zulässig (§§ 517, 519, 520 ZPO). Sie hat in der Sache Erfolg.

Jedenfalls zum maßgeblichen Zeitpunkt, dem Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, haben die Berufungsbeklagten weder einen Verfügungsanspruch noch einen Verfügungsgrund hinreichend schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht.

1. Einen Anspruch der Kläger, von dem Beklagten zu verlangen, den beabsichtigten Aufhebungsvertrag mit der Geschäftsführerin B. nicht abzuschließen, haben die Kläger nicht schlüssig dargelegt.

a) Grundsätzlich obliegt der Abschluss des (Aufhebungs-)Vertrages dem Vorstand im Rahmen seiner Geschäftsführung (§ 27 Abs. 3 BGB) mit Vertretungsmacht für den Verein (§ 26 BGB). Grundsätzlich besteht Gleichlauf zwischen Vertretungsmacht und Geschäftsführungsbefugnis. Die Satzung kann aber die Geschäftsführungsbefugnis so ausgestalten, dass sie hinter der Vertretungsmacht zurückbleibt. Dann ist ein Vorstandsverhalten, das von der Geschäftsführungsbefugnis nicht gedeckt ist, zwar eine wirksame Vertretungshandlung, im Innenverhältnis jedoch eine pflichtwidrige Geschäftsführungsmaßnahme (BeckOK/Schöpflin BGB § 27 Rn. 19).

Die Geschäftsführung des Vorstands für den Verein richtet sich nach den Vorschriften des Auftrags (§§ 27 Abs. 3, 664 bis 670 BGB). Im Verhältnis zum Vorstand ist der Verein durch seine Mitgliederversammlung als Geschäftsherr anzusehen. Wie beim Auftrag kann der Geschäftsherr Weisungen an den Vorstand erteilen. Enthält nicht bereits die Satzung Weisungen an den Vorstand, erfolgen sie also aufgrund Beschlussfassung der Mitgliederversammlung. An solche Weisungen der Mitgliederversammlung ist der Vorstand gebunden (§ BGB § 665); das Weisungsrecht gegenüber einzelnen Vorstandsmitgliedern steht der Mitgliederversammlung als „Auftraggeber“ und nicht dem gesamten Vorstand zu (BGHZ 119 S. 379). Folglich können einzelne Vereinsmitglieder dem Vorstand nicht bestimmte Handlungen auferlegen, sondern allenfalls die Unterlassung und Beseitigung konkreter Satzungsverstöße verlangen sowie in der Mitgliederversammlung Missstände aufzeigen, die Entlastung verweigern oder bei einer Schädigung des Vereins Schadensersatz verlangen (BeckOK/Schöpflin BGB § 27 Rn. 20; MüKoBGB/Leuschner, 9. Aufl. 2021, BGB § 38 Rn. 25).

b) Hat demnach das einzelne Mitglied grundsätzlich gegenüber dem Vorstand keinen Anspruch darauf, dass dieser bestimmte Handlungen vornimmt, kommen Ansprüche allenfalls ausnahmsweise in der Form der action pro socio in Betracht (vgl. hierzu MüKoBGB a.a.O.). Die umstrittene Anwendung dieses Rechtsinstituts im Vereinsrecht kann damit begründet werden, dass ein Rechtsschutz durch die Einhaltung vereinsinterner Zuständigkeiten möglicherweise zu spät eingreift. Verfügt der Verein über kein Aufsichtsorgan, das in der Lage oder willens ist, die Ansprüche geltend zu machen, könnte eine actio pro socio in Betracht kommen (MüKoBGB/Leuschner a.a.O.).

c) Aufgrund dieser Besonderheiten wäre eine actio pro socio ausnahmsweise nur dann gegeben, wenn ein satzungs- oder gesetzwidriger Zustand durch die Mitgliederversammlung, insbesondere die Anfechtung rechtswidriger Beschlüsse der Versammlung, nicht mehr rechtzeitig repariert werden könnte. Sie führt nicht zu konkreten Handlungsansprüchen, sondern allenfalls zu Unterlassungs- oder Schadensersatzpflichten (OLG Köln Urteil vom 31. Januar 2020, Az. 6 U 187/19 = NZG 2020, 555 Rn. 15). Zudem kommt sie wegen des Ausnahmecharakters nicht bei jeder beabsichtigten Handlung des Vorstands in Betracht. Vielmehr ist entscheidend, ob Rechte der Vereinsmitglieder beeinträchtigt sind, weil durch die zu treffende Entscheidung der Vereinszweck aushöhlt wird. Hierzu gehört ein behaupteter drohender Verlust der steuerlich anerkannten Gemeinnützigkeit (§ 63 Abs. 1 AO) jedoch nicht. Insoweit ist zwischen Vereinszweck und der finanziellen Auswirkung eines konkreten Geschäfts zu unterscheiden. Die behauptete Gefahr des Verlustes der Gemeinnützigkeit ändert nichts daran, dass die Satzung selbst und der danach von dem Verein verfolgte Zweck nicht geändert werden. Gleiches gilt für die satzungsgemäßen Rechte der Mitglieder, die unverändert bestehen bleiben. Demgegenüber ist die Frage, ob das konkrete Handeln des Vorstandes dem Ziel der Gemeinnützigkeit entspricht, lediglich eine Frage der Steuerbegünstigung (OLG Celle Beschluss vom 12. Dezember 2017, Az. 20 W 20/17).

d) Ausgehend von diesen Grundsätzen haben die Kläger bereits nicht schlüssig dargelegt, dass die Voraussetzungen für eine actio pro socio vorliegen, so dass es auf die Frage der Anwendung dieses Rechtsinstituts auf das Vereinsrecht letztlich nicht ankommt.

aa) Die von den Klägern befürchtete finanzielle Auswirkung durch den Abschluss der Beendigungsvereinbarung mit Frau B. stellt von vornherein keinen den Vereinszweck des Beklagten aushöhlenden Satzungsverstoß dar, der in Umgehung der verbandsinternen Zuständigkeiten die Annahme einer actio pro socio rechtfertigen könnte. Es liegt demgemäß allein bei der Mitgliederversammlung, hier also der Landeskonferenz, die Vor- und Nachteile einer solchen Vereinbarung gegeneinander abzuwägen und gegebenenfalls den Vorstand anzuweisen (vgl. auch OLG Celle a.a.O.).

bb) Jedenfalls für den maßgeblichen Zeitpunkt, dem Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, ist nicht ersichtlich, dass die Kläger ausnahmsweise Rechte im Wege der actio pro socio geltend machen müssen, weil die Einhaltung vereinsinterner Zuständigkeiten zu spät greifen würde. Weder im erstinstanzlichen Verfahren noch auf den entsprechenden Berufungsangriff haben sie bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat zu dieser Voraussetzung vorgetragen.

Aus den eingereichten Unterlagen, insbesondere der Satzung des Beklagten, ergibt sich, dass die Einberufung einer außerordentlichen Mitgliederversammlung, die einzig zu entsprechenden Weisungen gegenüber dem Vorstand berufen wäre, durch ein Drittel der Vereinsmitglieder verlangt werden kann (§ 8 Abs. 2 der Satzung; vgl. § 37 BGB). Vortrag, ob sie dieses Quorum nicht erreichen und bereits deshalb der vereinsinterne Entscheidungsprozess verschlossen ist, fehlt. Auch im Hinblick auf die Einberufungsfrist von 4 Wochen (§ 8 Abs. 2 S. 1 der Satzung) ist nicht ersichtlich, dass sie jedenfalls bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat einer Entscheidung der Mitgliederversammlung entgegen gestanden hätte. Hierbei kann offen bleiben, ob die unzutreffende Verweisung in § 8 Abs. 2 S. 2 der Satzung ebenfalls zur Einhaltung der Vier-Wochen-Frist verpflichtet. War den Klägern jedenfalls bei ihrem Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung am 19. Dezember 2022 die Absicht des Vorstandes bekannt, den verfahrensgegenständlichen Beendigungsvertrag abzuschließen, wäre ihr Verlangen auf Einberufung einer Landeskonferenz zeitgleich möglich gewesen. Sie haben bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung am 27. April 2023 nicht vorgetragen, dass ihr Rechtsschutz durch ein solches Verlangen und die damit verbundene Einhaltung vereinsinterner Zuständigkeiten gleichwohl zu spät eingreifen würde. Letztlich gehen sie auch mit ihrem nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 3. Mai 2023 davon aus, dass die Einberufung einer Landeskonferenz (Mitgliederversammlung) zu Ende März 2023 hätte erfolgen können.

Ist folglich bereits aus dem Vortrag der Kläger nicht ersichtlich, dass sie ausnahmsweise zur Wahrung ihrer Rechte unter Umgehung der vereinsinternen Regelungen auf eine actio pro socio angewiesen sind, fehlt es an einem Anspruch, den Beklagten resp. dessen Vorstand zu einem Unterlassen zu verpflichten.“