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StGB II: Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch, oder: Begriff des „Anbietens“

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Auch das zweite Posting betrifft ein Delikt, mit man es als Verteidiger alltäglich zu tun hat. Es geht nämlich um die Strafbarkeit der Werbung für einen Schwangerschaftsabbruch (§ 219a StGB). Dazu hat das OLG Frankfurt im OLG Frankfurt, Beschl. v. 22.12.2020 – 1 Ss 96/20 – Stellung genommen.

Das AG hatte die Angeklagte schon im November 2017 (NStZ 2018, 416) wegen Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft (§ 219a Abs. 1 StGB a. F.) zu einer Geldstrafe verurteilt. Die dagegen eingelegte Berufung der Angeklagten hat das LGt Gießen mit Urteil vom 12.10.2018 (RDG 2019, 86) verworfen. Auf die Revision der Angeklagten hat das OLG Frankkfurt dann mit  Beschl. v. 26.06.2019 (1 Ss 15/19, StV 2019, 687) das Urteil des LG unter Berücksichtigung einer nach Erlass des Urteils eingetretenen Gesetzesänderung aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des LG zurückverwiesen. Das LG Gießen hat dann mit Urteil vom 12.12.2019 (medstra 2020, 315 = GesR 2020, 397) das Urteil des AG vom 24.11.2017 im Rechtsfolgenausspruch abgeändert. Im Übrigen hat das LG Berufung verworfen. Dagegen dann jetzt noch die Revision – wegen der Feststellungen des LG verweise ich auf den verlinkten Volltext.

Zur Begründetheit führt das OLG aus:

„1. Eines näheren Eingehens auf die Voraussetzungen einer von der Revisionsführerin angeregten Aussetzung des Verfahrens zur Einholung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 Var. 2 GG bedarf es nicht. Dies gilt in gleicher Weise für die Anregung eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH gem. Art. 267 Abs. 1 lit. a i. V. m. Abs. 3 AEUV. Eine – erneute – inhaltliche Prüfung der Verfassungsmäßigkeit am Maßstab des Grundgesetzes und der Vereinbarkeit der Regelung in § 219a StGB i. d. F. v. 22. März 2019 (BGBl. I., S. 350) mit Unionsgrundrechten (vgl. Wegener, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 267 Rn. 9) ist nach dem Senatsbeschluss vom 26. Juni 2019 nicht mehr angezeigt. Beide Fragen sind unter dem Gesichtspunkt der Eigenbindung nicht mehr Gegenstand des jetzigen Revisionsverfahrens, § 358 Abs. 1 StPO. Handelt es sich, wie vorliegend, um ein sachlich-rechtliches Aufhebungsurteil, stellen die Beurteilung der Verfassungs- und Europarechtskonformität der angewandten Strafnormen zwingende, vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfende Vorfragen dar (vgl. BVerfGE 4, 1, 5; Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, BGHZ 60, 392, 396 ff.; BGHSt 51, 202, 204 Tz. 11 f.; OLG Bamberg, NJOZ 2017, 1292, 1293 Tz. 4; KG, NStZ-RR 2010, 346, 347 f.; OLG Nürnberg, StV 2000, 573, 574; Franke, in: LR-StPO, 26. Aufl. 2013, § 358 Rn. 7 u. 16 f.; Knauer/Kudlich, in: MüKo-StPO, 2019, § 358 Rn. 7, 10).

2. Die allein erhobene Sachrüge deckt keine Rechtsfehler des angefochtenen Urteils auf.

a) Die Angeklagte hat den Tatbestand der Strafnorm des § 219a StGB n. F. in objektiver und subjektiver Hinsicht erfüllt.

Soweit das Landgericht den objektiven Tatbestand des § 219a Abs. 1 Nr. 1 StGB in der Tathandlungsvariante des Anbietens als erfüllt ansieht, ist dies von Rechts wegen nicht zu beanstanden.

Anbieten meint nach bislang vorherrschendem Verständnis (vgl. Eschelbach, in: BeckOK StGB, 48. Ed., Stand: 1.11.2020, § 219a Rn. 8; R. Merkel, in:NK-StGB, 5. Aufl. 2017, § 219a Rn. 11 f.) die einseitige Erklärung der Bereitschaft zur Leistung der Dienste oder Überlassung von Gegenständen oder Verfahren, die zum Schwangerschaftsabbruch geeignet sind. Die so verstandene Tathandlung hat die Angeklagte erfüllt, indem sie auf ihrer Homepage über eine eigene Schaltfläche offeriert hat, in ihrer Praxis Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen und die hierfür verwendeten Methoden sowie den konkreten Ablauf erläutert hat.

Zum Teil wurde mit Blick auf die Systematik des Gesetzes – amtliche Überschrift „Werbung“ – und den Gesetzeszweck – Verhinderung der Verharmlosung und Eröffnung eines Betätigungsfeldes ausbeuterischer Aktivitäten im Rahmen des Gesamtkonzepts der §§ 218a ff. StGB – ein besonders restriktives Verständnis etwa in der Weise gefordert, dass Anbieten erst dann bejaht werden könne, wenn bestimmte Informationen mehr als nur öffentlich zugänglich gemacht werden und der Inhalt nicht nur lediglich neutral gefasst ist (vgl. Wörner, NStZ 2018, 416; Frommel, JR 2018, 239; dies, in: Festschrift für Fischer, 2018, S. 1049, 1058 f.). Ob dieser restriktiven Auslegung der Vorzug zu geben ist, muss der Senat nicht entscheiden. Mit Einfügung des § 219a Abs. 4 StGB ist dieser Auslegung der Boden entzogen. Der Gesetzgeber normiert nunmehr in § 219a Abs. 4 Nr. 1 StGB die Straffreiheit von Ärzten, die sachlich auf die Tatsache hinweisen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche unter den Voraussetzungen des § 218a Abs. 1 bis 3 StGB durchführen. Nur das, was grundsätzlich nach § 219a Abs. 1 StGB strafbar ist, kann sinnvollerweise ausnahmsweise (§ 219a Abs. 4 StGB: „Absatz 1 gilt nicht, wenn …“) straffrei gestellt werden. Dabei kommt es auf die straftatsystematische Einordnung des Absatzes 4, die dem Gesetzgeber ersichtlich nicht vor Augen stand (vgl. BT-Drs. 19/7693, S. 1 und 11: „[weiterer] Ausnahmetatbestand“; „neue Ausnahmevorschrift“; „Handlungen fallen zukünftig nicht mehr unter § 219a Abs. 1 StGB“), nicht an. Mit der Ergänzung des § 219a Abs. 4 StGB hat der Gesetzgeber jedenfalls im praktischen Ergebnis auch die bloß sachliche Information über das „Ob“ und das „Wie“ des Schwangerschaftsabbruchs gemäß § 219a Abs. 1 StGB unter Strafe gestellt (vgl. Wörner, in: Abschiedskolloquium für Gropp, 2020, S. 353, 378).

Auf dieser Grundlage hat das Landgericht zutreffend angenommen, dass die Tathandlung der Angeklagten trotz grundsätzlicher Anwendbarkeit des § 219a Abs. 4 StGB tatbestandsmäßig im Sinne von § 219a Abs. 1 Nr. 1 StGB ist, soweit die Angeklagte nicht nur darüber informiert hat, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführt („Ob“), sondern auch ausführliche Informationen und Beschreibungen über das „Wie“ zu den angewandten Methoden und dem gesamten Ablauf der konkreten Maßnahmen vom Aufnahmegespräch bis zur Abschlussuntersuchung gibt (vgl. auch KG, StraFo 2020, 300, 302 zur Angabe der Behandlungsmethode und dem Zusatz „in geschützter Atmosphäre“ sowie Dorneck, medstra 2020, 137, 1450; Lorenz/Turhan, JR 2020, 465, 472 ff.; Berghäuser, KriPoZ 2019, 82, 85; Rogall, in: Festschrift für R. Merkel, 2020, S. 1181, 1200; Safferling, in: Matt/Renzikowski, StGB, 2. Aufl. 2020, § 219a Rn. 1, 6).“