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Ungleichartige Wahlfeststellung, oder: Wenn zwei sich streiten

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Was ist immer noch „nachreichen“ muss, ist die „Abschlussentscheidung“ des 2. Strafsenats zur ungleichartiegn Wahlfeststellung. Ja, das war doch was, was dann schließlich im Beschluss des Großen Senats für Strafsachen in der Frage geführt hat. Den Abschluss hat dann das BGH, Urt. v. 25.10.2017 – 2 StR 495/12 – gemacht, und zwar:

„Der Senat hat durch Beschluss vom 28. Januar 2014 (StV 2014, 580 ff. mit Anm. Bauer, wistra 2014, 475 ff.; Freund/Rostalski, JZ 2015, 164 ff.; Frister, StV 2014, 584 ff.; Kotsoglou, ZStW 127 [2015], 334 ff.; Kröpil, JR 2015, 116 ff.; Schuhr, NStZ 2014, 437 ff.; Stuckenberg, ZIS 2014, 461 ff. und JZ 2015, 714 ff.) gemäß § 132 Abs. 3 GVG bei den anderen Strafsenaten angefragt, ob diese an der Rechtsprechung zur Zulässigkeit einer gesetzesalternativen Verurteilung festhalten. Die anderen Strafsenate haben dies bejaht (BGH, Beschluss vom 24. Juni 2014 – 1 ARs 14/14, NStZ-RR 2014, 308 f.; Beschluss vom 30. September 2014 – 3 ARs 13/14, NStZ-RR 2015, 39 f.; Beschluss vom 11. September 2014 – 4 ARs 12/14, NStZ-RR 2015, 40 f.; Beschluss vom 16. Juli 2014 – 5 ARs 39/14, NStZ-RR 2014, 307 f.; zum Ablauf SK-StGB/Wolter, 9. Aufl., Anh. zu § 55 Rn. 5 ff.).

Mit Beschluss vom 11. März 2015 (StV 2016, 212 ff. mit Anm. Haas, HRRS 2016, 190 ff. und Pohlreich, ZStW 128 [2016], 676 ff.) hat der Senat erstmals dem Großen Senat für Strafsachen die Frage vorgelegt, ob die Rechtsfigur der gesetzesalternativen Verurteilung mit Art. 103 Abs. 2 GG ver-einbar ist. Der Senat hat diese Vorlage am 9. August 2016 zur Klärung der ergänzenden Frage des Verhältnisses zwischen Geldwäsche und einer Wahlfeststellung von Katalogtaten zurückgenommen. Nachdem der 5. Strafsenat durch Urteil vom 16. August 2016 – 5 StR 182/16 (BGHSt 61, 245 ff.) diese Frage dahin entschieden hat, dass die gesetzesalternative Verurteilung wegen ge-werbsmäßig begangenen Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei bei gleich-zeitiger Verwirklichung des Tatbestands der Geldwäsche einen Schuldspruch wegen Geldwäsche ausschließe, hat der Senat durch Beschluss vom 2. November 2016 gemäß § 132 Abs. 4 GVG dem Großen Senat für Strafsa-chen die Fragen vorgelegt, ob die gesetzesalternative Verurteilung wegen gewerbsmäßigen Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei verfassungsgemäß ist, bejahendenfalls, ob sie bei gleichzeitiger Erfüllung des Tatbestands der Geldwäsche ausgeschlossen ist.

Der Große Senat für Strafsachen hat durch Beschluss vom 8. Mai 2017 – GSSt 1/17 (NJW 2017, 2842 ff. mit Anm. Jahn, für BGHSt bestimmt) entschieden: „Eine gesetzesalternative Verurteilung wegen (gewerbsmäßig begangenen) Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei ist entsprechend den zum Rechtsinstitut der Wahlfeststellung durch den Bundesgerichtshof entwi-ckelten Grundsätzen weiterhin zulässig; sie schließt bei gleichzeitiger Verwirkli-chung eines Tatbestands der Geldwäsche einen Schuldspruch wegen Geldwä-sche aus.“

III.

Die Revisionen der Angeklagten sind auf der Grundlage der vom Großen Senat für Strafsachen mit bindender Wirkung bestätigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch richten…….“

Der 2. Strafsenat macht sich dann aber an die lange Verfahrensdauer, und zwar wie folgt:

Die zu einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung führende Verletzung des Beschleunigungsgebotes gebietet eine Kompensation nach dem Vollstreckungsmodell der Rechtsprechung (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 135 ff.). Eine Urteilsaufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht scheidet aus, weil weder das landgerichtliche Verfahren noch dessen Urteil an einem Rechtsfehler leidet.

1. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK fordert eine Erledigung des Strafverfahrens in angemessener Zeit; wird das hieraus folgende Beschleunigungsgebot ver-letzt, ist eine Kompensation angezeigt.

Nicht jede im Strafprozess vorkommende Verzögerung führt zu einer derartigen Verletzung des Beschleunigungsgebots. Dies gilt auch für besondere Verfahrensvorgänge, die das Gesetz vorsieht, wie das Verfahren zum Diver-genzausgleich gemäß § 132 GVG (vgl. BGH, Beschluss vom 15. März 2011 – 1 StR 429/09, StV 2011, 407 f.). Demnach sind hier die Zeiträume für das An-frageverfahren und die Vorlageverfahren für sich genommen kein Grund für eine Kompensation. Etwas anderes gilt bei einer überlangen Verfahrensdauer, die das Maß des Angemessenen überschreitet. Ob ein solcher Fall vorliegt, ist durch eine auf die Verhältnisse des konkreten Einzelfalles bezogene Gesamt-würdigung zu prüfen. Dabei sind vor allem die durch Verhalten der Justizorgane eingetretenen Verzögerungen, aber auch die Gesamtdauer des Verfahrens, die Schwere des Tatvorwurfs, der Umfang und die Schwierigkeit des Prozessstoffs sowie das Ausmaß der mit dem Andauern des Verfahrens für den Betroffenen verbundenen Belastungen zu berücksichtigen (BGH aaO, BGHSt 52, 124, 147).

2. Nach diesem Maßstab war das Revisionsverfahren überlang.

a) Das angefochtene Urteil ist am 30. Mai 2012 ergangen. Zugleich wur-de der Haftbefehl gegen die Angeklagten aufgehoben, so dass sie sich wäh-rend des Revisionsverfahrens in Freiheit befanden. Die Sache ist am 7. November 2012 mit dem Antrag des Generalbundesanwalts beim Bundesge-richtshof eingegangen. Hiernach haben die Beschwerdeführer am 28. November und am 7. Dezember 2012 weitere Ausführungen zur Begrün-dung der Sachrüge eingereicht. Die Zuteilung der Sache an den Berichterstatter ist am 20. Januar 2013 erfolgt. Nach einer ersten Beratung wurde die Sache zur Revisionshauptverhandlung am 4. Dezember 2013 terminiert. An diesem Tag wurde eine Fortsetzung der Revisionshauptverhandlung auf den 11. Dezember 2013 bestimmt, die später auf den 22. Januar 2014 verlegt wurde. Sodann erging der Anfragebeschluss des Senats vom 28. Januar 2014, der nach Fas-sungsberatungen am 4. Juni 2014 an die Verfahrensbeteiligten abgesandt wur-de. Die Antworten der anderen Senate gingen am 24. Juni, 16. Juli, 11. und am 30. September 2014 beim Senat ein. Darauf erging am 11. März 2015 der erste Vorlagebeschluss des Senats, der nach Fassungsberatungen am 17. Dezem-ber 2015 an die Verfahrensbeteiligten versandt wurde. Die Beratung des Großen Senats für Strafsachen wurde am 17. Februar 2016 auf den 13. Juni 2016 verfügt. Am 1. April 2016 ging die Stellungnahme des Generalbundesanwalts beim Großen Senat für Strafsachen ein. Nach der ersten Beratung des Großen Senats für Strafsachen nahm der Senat seine Vorlage mit Beschluss vom 9. August 2016 zur Prüfung einer ergänzenden Frage zurück. Am 18. Oktober 2016 wurde die Fortsetzung der Revisionshauptverhandlung auf den 2. November 2016 bestimmt. Dort wurde erneut eine Vorlage der Sache an den Großen Senat für Strafsachen mit erweiterter Fragestellung beschlossen. Am 27. Februar 2017 ging die Stellungnahme des Generalbundesanwalts hier-zu ein. Die Beratung des Großen Senats für Strafsachen wurde am 1. Februar 2017 auf den 8. Mai 2017 verfügt. Der sodann ergangene Beschluss wurde am 1. August 2017 an die Verfahrensbeteiligten versandt. Die neue Revisionshauptverhandlung des Senats wurde hiernach auf den 25. Oktober 2017 bestimmt.

b) Bei diesen Abläufen war zunächst der Zeitraum von einem Jahr zwischen dem Eingang der Sache beim Bundesgerichtshof und der Durchfüh-rung der ersten Revisionshauptverhandlung überdurchschnittlich lang; insoweit ist von einer Verzögerung des Verfahrens von vier Monaten auszugehen. Ferner ist die Zeitspanne von rund neun Monaten zwischen Beschlussfassung und Absendung des ersten Vorlagebeschlusses unbeschadet zwischenzeitlich erfolgter Besetzungsänderungen im Senat als überlang zu bezeichnen; insoweit ist die Verzögerung auf sechs Monate zu veranschlagen. Darüber hinaus ist bei der Prüfung einer qualifizierten Überlänge auch die Gesamtdauer des Revisionsverfahrens von rund fünf Jahren und vier Monaten in den Blick zu nehmen, selbst wenn im Übrigen einzelne Verfahrensschritte jeweils für sich genommen nicht zu beanstanden sind. Daraus ergibt sich im Ganzen eine überlange Dauer des Revisionsverfahrens.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Umfang der zur Kompensation erforderlichen Vollstreckungsanrechnung nicht mit dem Umfang der Verfahrensverzögerung gleichzusetzen, sondern sie hat nach den Umständen des Einzelfalles grundsätzlich einen eher geringen Bruchteil der verhängten (Gesamt-) Strafe zu betragen (vgl. BGH, aaO, BGHSt 52, 124, 147). Um jede Benachteiligung auszuschließen erklärt der Senat unter Berücksichtigung aller Umstände jeweils sechs Monate der gegen die Angeklagten verhängten Gesamtfreiheitsstrafen als bereits vollstreckt.“

Nun ja, immerhin sechs Monate hat das Hin und Her für die Angeklagten gebracht. Wenn zwei sich streiten……

Strafzumessung II: Verfahrensverzögerung im Jugendrecht, oder: So geht es

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Drei Punkte kombiniert der BGH, Beschl. v. 09.05.2017 – 4 StR 73/17, nämlich: Strafzu-/bemessung, Jugendstrafrecht und Verfahrensverzögerung. Letztere wird nach der Rechtsprechung des BGH grundsätzlich über die sog. Vollstreckungslösung des BGH berücksichtigt. Im Jugendrecht ist das aber wegen des Erziehungsgedankens nicht so ganz einfach. Da muss man dann ggf. einen anderen Weg gehen, und zwar:

„Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht die eingetretene rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung bei der Bestimmung des Maßes des Erziehungsbedarfs berücksichtigt. Bei den hier angeordneten Auflagen (§ 15 Abs. 1 Nr. 4 JGG) und Weisungen (§ 10 Abs. 1 Nr. 4 JGG) ist die Anwendung der Vollstreckungslösung (BGH – GS –, Beschluss vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124) nicht geeignet, die mit Erziehungsmaßregeln und Zuchtmitteln verfolgten erzieherischen Zwecke zu erreichen und damit dem Erziehungsgedanken Rechnung zu tragen (so auch OLG Hamm, Beschluss vom 8. Dezember 2011 – III-3 RVs 102/11, StRR 2012, 110, zum Jugendarrest; vgl. hingegen zur Jugendstrafe BGH, Beschlüsse vom 27. November 2008 – 5 StR 495/08, NStZ 2010, 94, und vom 28. September 2010 – 5 StR 330/10, NStZ 2011, 524, 525).“

Geht also anders als im Erwachsenenstrafrecht. Und: Ich liebe diese „knackigen“ BGH-Entscheidungen 🙂 .

Verfahrensverzögerung II, oder: „Siedlungspolitik“ bei der Kompensation

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Die zweite Entscheidung, die ich heute vorstellen möchte (zur ersten: Verfahrensverzögerung I, oder: Vielleicht geht in 2017 beim 2. Strafsenat ja schneller…..), ist das BGH, Urt. v. 06.09.2016 – 1 StR 104/15 -, ergangen in dem beim LG München I anhängigen Verfahren gegen ein früheres Mitglied des Zentralvorstandes der Siemens AG wegen der Zahlung von Schmiergeldern in Südamerika. Das LG München I hatte mit Urteil v. 30.05.2016 frei gesprochen. Der BGH hat die Freisprüche teilweise aufgehoben. Geltend geamcht war im Verfahren ein

Der Aufhebung des Freispruchs und der Zurückverweisung der Sache insoweit steht ein zur Verfahrenseinstellung führendes Verfahrenshindernis nicht entgegen.

Entgegen der Auffassung der Verteidigung liegt kein durch einen Ver-stoß gegen den Grundsatz der Aktenvollständigkeit in Kombination mit einer Verletzung des Akteneinsichtsrechts und einer rechtsstaatswidrigen Verzöge-rung des Verfahrens begründetes Verfahrenshindernis vor.

„Ein Verfahrenshindernis wird nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs durch solche Umstände begründet, die es ausschließen, dass über einen Prozessgegenstand mit dem Ziel einer Sachentscheidung verhandelt werden darf. Die Umstände müssen dabei so schwer wiegen, dass von ihrem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein die Zulässigkeit des gesamten Verfahrens abhängig gemacht werden muss (vgl. BGH, Urteile vom 9. Dezember 1987 – 3 StR 104/87, BGHSt 35, 137, 140; vom 25. Oktober 2000 – 2 StR 232/00, BGHSt 46, 159, 168 f. mit zahlr. w.N. und vom 11. August 2016 – 1 StR 196/16 Rn. 6; siehe auch Kudlich in Münchener Kommentar zur StPO, 1. Aufl., Einl. Rn. 353 und Kühne in Löwe/Rosenberg, StPO, 27. Aufl., Einl. K. Rn. 37 mwN). Bei bloßen Verfahrensfehlern wird dies in der Regel nicht der Fall sein. Der Gesetzgeber sieht selbst bei einem Verstoß gegen § 136a Abs. 1 StPO keinen Anlass, ein Verfahrenshindernis anzunehmen, sondern legt in § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO nur ein (nicht disponibles) Verwertungsverbot fest (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober 2000 – 2 StR 232/00, BGHSt 46, 159). Für den Fall der rechtsstaatswidrigen Tatprovokation hat der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs zuletzt unter sehr hohen Anforderungen und unter Berufung darauf, dass dies bei der „schonenden Einpassung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in das nationale Rechtssystem“ erforderlich sei, ein Verfahrenshindernis bejaht (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 2015 – 2 StR 97/14, BGHSt 60, 276; vgl. aber auch Senat, Beschluss vom 19. Mai 2015 – 1 StR 128/15, BGHSt 60, 238). Diese Entscheidung kann jedoch nicht ohne Weiteres auf andere Verfahrensfehler übertragen werden. Ein durch rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung bewirkter Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur in außergewöhnlichen Einzelfällen, in denen eine angemessene Berücksichtigung des Verstoßes im Rahmen der Sachentscheidung bei umfassender Gesamtwürdigung nicht mehr in Betracht kommt, zu einem Verfah-renshindernis führen (BGH, Urteil vom 25. Oktober 2000 – 2 StR 232/00, BGHSt 46, 159, 171; vgl. auch Meyer-Goßner, Prozessvoraussetzungen und Prozesshindernisse, 2011, S. 5 ff.).

Ein solcher Ausnahmefall liegt hier offensichtlich nicht vor. Selbst die Kombination einer Verfahrensverzögerung mit einer fehlerhaften Aktenführung seitens der Staatsanwaltschaft wiegt nicht derart schwer, dass sich eine Entscheidung in der Sache verbietet. Der Senat kann offen lassen, ob das Hinzutreten von Fehlern in der Aktenführung bei gravierenden Verfahrensverzöge-rungen ein Verfahrenshindernis entstehen lassen könnte. Bei der hier gegebenen Sachlage lässt sich die Verzögerung des Verfahrens, die nicht einmal in der Nähe eines Verfahrenshindernisses angesiedelt werden kann, unter Beachtung der Regelungen der §§ 199, 198 GVG (vgl. hierzu Graf in BeckOK-StPO, Ed. 26, § 199 GVG Rn. 8 ff.) ausreichend kompensieren. Die unzureichende Aktenführung kann ein Gesichtspunkt sein, der im Rahmen der Beweiswürdigung Belang gewinnen kann.“

Na ja, immerhin. Auf der Grundlage der „Siedlungspolitik“ des BGH wird man m.E. sicherlich eine „Kompensation“ diskutieren können/müssen. Denn das Verfahren läuft schon seit 2008, Anklage dann in 2011, Urteil in 2014, Revisionsentscheidung in 2016……Ende offen.

Verfahrensverzögerung I, oder: Vielleicht geht es in 2017 beim 2. Strafsenat ja schneller…..

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Das ist dann jetzt also das erste „richtige“ Posting des neuen Jahres 2017 – die beiden Rückblicke vom gestrigen Neujahrstag zählen nicht 🙂 . Heute starten wir dann wieder in eine ganz normale Arbeitswoche. Und da stellte sich dann die Frage: Womit eröffnet man das neue Jahr? Ich habe länger überlegt und mich dann für zwei BGH-Entscheidungen entschieden, die sich mit der Frage der Verfahrensverzögerung befassen.

Das ist zunächst das BGH, Urt. v. 28.09.2016 – 2 StR 401/14. Ja, richtig gelesen, ein 2014-er-Aktenzeichen. Das ist schon mal bemerkenswert – finde ich. Das Urteil an sich ist für mich nicht so bemerkenswert, aber einen Knackpunkt hat es, denn: Entschieden wird über ein Urteil des LG Kassel v. 13.05.2014 (!). Und da das dem 2. Strafsenat dann doch (auch) wohl ein wenig (?) lang vorkam, hat er sich dazu durchgerungen, wegen der „Verfahrenverzögerung“ zu kompensieren:

„III.
Angesichts der im Revisionsverfahren ohne Verschulden der Angeklagten erfolgten Verfahrensverzögerung war festzustellen, dass jeweils ein weiterer Monat der verhängten Freiheitsstrafen als vollstreckt gilt.“

Aus dem Urteil ergibt sich allerdings nicht, warum und wieso es im Revisionsverfahren zu einer solchen Verfahrensverzögerung gekommen ist. War die Akte außer Kontrolle geraten? War der Senat überlastet? Wäre schön, wenn sich das BGH-Urteil dazu verhielte und den Grund nichtg schamhaft (?) verschweigen würde.

Man fragt sich also schon, warum geht/ging es nicht schneller, zumal ja auch schon die 1. Instanz „verfahrensverzögert“ gelaufen ist? Und zwar so, dass das einen „Abschlag“/eine Vollstreckung von immerhin sechs Monaten gebracht hat. Nun ist die Belastung der Angeklagten durch das Verfahren bei Gesamtfreiheitsstrafen zwischen einem Jahr und einem Monat und einem Jahr und vier Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt worden sind, sicherlich nicht hoch, aber: Irgendwann will man doch als Angeklagter nun endlich mal wissen, womit man endgültig zur rechnen hat, wenn es bei der Verurteilung bleibt. Und: Irgendwann soll ja nun auch mal der Lauf der Bewährungszeit beginnen.

Alles in allem: Bisschen mehr Tempo wäre manchmal nicht schlecht. Auch beim BGH 🙂 . Aber vielleicht hat der 2. Strafsenat da für 2017 ja einen guten Vorsatz gefasst 🙂 .

Drei Jahre Verfahrensverzögerung, oder: Kein Verfahrenshindernis

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Ich hatte gestern ja bereits über den BGH, Beschl. v. 11.08.2016 – 1 StR 196/16 – berichtet (vgl. dazu Die Organisationsentscheidung der Staatsanwaltschaft muss man hinnehmen). Den Beschluus greife ich heute noch einmal auf, und zwar wegen der Ausführungen des BGH zur Verfahrensverzögerung. In dem Verfahren war es nämlich zu einer Verzögerung von drei Jahren gekommen. Dafür hatte das LG im Rahmen der Vollstreckungslösung vier Monate Abzug von der Strafe gegeben. Dem Angeklagten hat das nicht gereicht, er hat wegen der Verzögerung ein Verfahrenshindernis geltend gemacht. Das hat der BGH anders gesehen:

a) Die rechtsstaatswidrige Verzögerung des Verfahrens im Umfang von insgesamt drei Jahren begründet kein Verfahrenshindernis.

aa) Ein durch eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung bewirkter Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK ist in der Regel durch seine Feststellung und – gegebenenfalls – den Ausspruch, dass ein Teil der Strafe als vollstreckt anzusehen ist, zu kompensieren (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 146). Dagegen führt die Verletzung des Beschleunigungsgebots nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich nicht zu einem Verfahrenshindernis (vgl. nur BGH, Urteil vom 25. Oktober 2000 – 2 StR 232/00, BGHSt 46, 159, 169 mwN). Dies hat seinen Grund darin, dass die Tatsache und das Gewicht des Versto-ßes nur in einer Gesamtabwägung und mit Blick auf die dem Verfahren zugrunde liegende Beschuldigung und das Maß des Verschuldens bestimmt werden können; diese Feststellung entzieht sich einer allein formellen Betrachtung (BGH aaO, BGHSt 46, 159, 169). Lediglich in ganz außergewöhnlichen Sonderfällen, wenn eine angemessene Berücksichtigung des Verstoßes im Rahmen einer Sachentscheidung bei umfassender Gesamtwürdigung nicht mehr in Betracht kommt, kann eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung zu einem Verfahrenshindernis führen (BGH aaO, BGHSt 46, 159, 171).

bb) Ein solcher außergewöhnlicher Sonderfall liegt hier nicht vor, zumal trotz einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung von drei Jahren in einem Zeitraum von etwas mehr als fünf Jahren nach Verfahrenseinleitung ein erstinstanzliches Urteil ergangen ist.

Die Verfahrenseinleitung wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung wurde dem Angeklagten am 10. Juni 2010 mitgeteilt. Unter dem Datum des 16. September 2013 schloss die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ab und erhob Anklage zum Landgericht Wuppertal. Am 31. März 2015 wurde das Hauptverfahren eröffnet und Termin zur Hauptverhandlung auf den 7. Juli 2015 mit Folgeterminen bestimmt. Wegen Verhinderung des Angeklagten erfolgte die Verlegung des Termins auf den 21. Oktober 2015 mit Folgeterminen (UA S. 14). Am 18. November 2015 wurde das erstinstanzliche Urteil gegen den Angeklagten verkündet. Wie auch das Landgericht in den Urteilsgründen (UA S. 20) festgestellt hat, wurde das Verfahren um insgesamt drei Jahre rechtsstaatswidrig verzögert. Zum einen hätten die Ermittlungen bereits Mitte des Jahres 2011 abgeschlossen und damit die Anklage zwei Jahre früher erhoben werden können. Zum anderen wurde auch der Beginn der Hauptverhandlung rechtsstaatswidrig um ein Jahr verzögert.

Ein Verfahrenshindernis ergibt sich hieraus – trotz der sich für den An-geklagten aus dem schwebenden Verfahren ergebenden Belastungen – nicht, zumal sich der Angeklagte wegen der diesbezüglichen Tatvorwürfe nicht in Untersuchungshaft befand und trotz der Verfahrensverzögerung in etwas mehr als fünf Jahren nach Bekanntgabe der Verfahrenseinleitung ein Urteil erging. Vielmehr hatte das Landgericht eine Kompensationsentscheidung zu treffen, in der das Gewicht des Verstoßes in einer Gesamtabwägung und mit Blick auf die dem Verfahren zugrunde liegende Beschuldigung und das Maß des Verschuldens zu bestimmen waren (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2008 – GSSt 1/07, BGHSt 52, 124, 146).“