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BVerfG I: Verletzung des rechtlichen Gehörs beim AG, auf ein Verschulden kommt es nicht an.

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Heute ist Samstag und das ist „Kessel-Buntes-Tag“. Und in dem befinden sich an diesem Samstag zwei Entscheidungen des BVerfG, also mal wieder etwas von ganz oben.

Zunächst etwas zum Zivilrecht, und zwar den BVerfG, Beschl. v. 08.06.2018 – 1 BvR 896/17, den allerdings zu einem AG-Verfahren.

Ergangen ist er nach/in einem Verfahren, in dem von der Klägerin beim AG gegenüber einem Kfz-Haftpflichtversicherer Schadensersatzforderungen aus abgetretenem Recht in Höhe von 336,58 € geltend gemacht wurden. Der Prozessbevollmächtige der Klägering erhielt vom AG die Abschrift einer richterlichen Verfügung mit Hinweis auf die Durchführung des vereinfachten Verfahrens nach § 495a ZPO übersandt. Es war eine Stellungnahmefrist bis zum 22.02.2017 gesetzt worden. Die war aber in der übersandten Abschrift  nicht enthalten war. Die Beklagte rügte die fehlende Aktivlegitimation der Klägerin in einem Schriftsatz vom 06.02.2017. Danach legte die Klägering mehrere Abtretungserklärungen vor und benannte eine Zeugin. Zu diesem Zeitpunkt hatte das AG aber die Klage bereits mit Urteil vom 23.02.2017 abgewiesen, da die Klägering wegen fehlender Vorlage von Abtretungserklärungen beweisfällig geblieben sei. Eine Anhörungsrüge wurde AG zurückgewiesen. Das BVerfG hat das Urteil aufgehoben und die Sache an das AG zurückverwiesen.

„Wenn – wie es § 495a ZPO ermöglicht – im schriftlichen Verfahren entschieden werden soll, folgt aus Art. 103 Abs. 1 GG eine Pflicht des Gerichts, die Parteien darauf hinzuweisen, bis zu welchem Zeitpunkt sie vortragen können (vgl. BVerfGE 64, 203 <207>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. August 1993 – 1 BvR 279/93 -, juris, Rn. 9; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 18. November 2008 – 2 BvR 290/08 -, juris, Rn. 10; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 2. März 2017 – 2 BvR 977/16 -, juris, Rn. 8).

Hieran gemessen hat das Amtsgericht das Recht der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Denn entgegen den Ausführungen im Beschluss über die Zurückweisung der Anhörungsrüge vom 23. März 2017 war eine Fristsetzung auf den 22. Februar 2017 in der den Bevollmächtigten der Parteien des Ausgangsverfahrens übersandten beglaubigten Abschrift der richterlichen Verfügung vom 4. Januar 2017 nicht enthalten. Vielmehr zeigt ein Vergleich der in der Akte des Ausgangsverfahrens enthaltenen richterlichen Verfügung mit der der Beschwerdeführerin übersandten beglaubigten Abschrift, dass die in Ziffer 7 der richterlichen Verfügung vorgesehene Frist aus unbekannten Gründen nicht in die Abschrift aufgenommen worden war. In der mithin ohne Fristsetzung erfolgten Entscheidung ohne mündliche Verhandlung liegt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, ohne dass es auf ein etwaiges Verschulden des Gerichts bei dem Gehörsverstoß ankommt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 12. April 1996 – 1 BvR 70/94 -, juris, Rn. 14; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 23. Juni 2009 – 1 BvR 2355/08 -, juris, Rn. 18).

Das angegriffene Urteil beruht auf dem Gehörsverstoß. Da das Amtsgericht seine Entscheidung – auch ausweislich der Ausführungen im Beschluss über die Zurückweisung der Anhörungsrüge – tragend auf den fehlenden Nachweis der Aktivlegitimation der Beschwerdeführerin gestützt hat, ist jedenfalls nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht bei einer Prüfung der mit Schriftsatz vom 28. Februar 2017 vorgelegten Abtretungserklärungen beziehungsweise nach Anhörung der angebotenen Zeugin in der von der Beschwerdeführerin beantragten mündlichen Verhandlung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.“