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Nochmals Dolmetscher – (Immer) Übersetzung der schriftlichen Urteilsbegründung?

FragezeichenNach dem Posting zum Dolmetscher für den zweiten Verteidiger (vgl. hier: Ausländer als Mandant – Dolmetscher? Ja, ohne Wenn und Aber) hier dann in der Nachfolgen der Hinweis auf einen (einschränkenden) Beschluss des OLG Hamm, nämlich den OLG Hamm, Beschl. v. 11.03.2014 – 2 Ws 40/14. Da ging es um die Frage der schriftlichen Übersetzung des vollständigen Urteils. Das OLG verneint eine entsprechende Verpflichtung des Gerichts:

Vorliegend sind die strafprozessualen Rechte des Angeklagten und sein Anspruch auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 3 e EMRK) hinreichend dadurch gewahrt, dass dem verteidigten Angeklagten die mündliche Urteilsbegründung (§ 268 Abs. 2 StPO) durch einen Dolmetscher übersetzt wurde und er die Möglichkeit hat, das abgesetzte schriftliche Urteil zusammen mit seinem Verteidiger unter Hinzuziehung eines Dolmetschers zu besprechen und sich insoweit auch das Urteil übersetzen zu lassen. Damit sind die Voraussetzungen des § 187 Abs. 2 S. 4 u. 5 GVG, der Ausnahmen von dem in § 187 Abs. 2 S. 1 GVG geregelten Grundsatz, dass nicht rechtskräftige Urteile in der Regel zu übersetzen sind, vorsieht, erfüllt (so auch OLG Stuttgart, Beschluss vom 9.1.2014, 6-2 StE 2/12 – bei […]).

Die Ausnahmeregelung des § 187 Abs. 2 S. 4 u. 5 GVG entspricht insoweit auch den Vorgaben der in Art. 3 Abs. 7 der Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren aufgeführten Ausnahme von der in Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie statuierten Regel der grundsätzlichen schriftlichen Übersetzung aller wesentlichen Unterlagen und steht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 64, 135 [BVerfG 17.05.1983 – 2 BvR 731/80]), auf welche auch die Gesetzesbegründung (Drucksache 17/12578) Bezug nimmt.

Wohlgemerkt: Beim verteidigten Angeklagten….

Rechtsstaat heißt auch: „Ausländer dürfen nicht dumm sterben“

© GaToR-GFX - Fotolia.com

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Manche Dinge sind für mich so einfach, dass ich mich frage, warum es eigentlich zur Klärung der Frage der Rechtsprechung eines OLG gebraucht, das dann auch noch Art. 6 MRK bemühen/heranziehen muss. So wird sicherlich auch – hoffentlich – manch anderer denken, der den OLG München, Beschl. v. 18. 11.2013, 4St RR 120/13 – liest. Da war/ist vom LG eine Revision eines Polen gegen ein nach § 329 Abs. 1 StPO ergangenes Verwerfungsurteil  gemäß § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen worden, weil der Angeklagte die Revision nicht rechtzeitig innerhalb der Wochenfrist des § 341 Abs. 1 StPO eingelegt habe. Das LG hatte „angemerkt, dass die nicht vorgenommene Übersetzung des Berufungsurteils vom 11.11.2011 und der dazugehörigen Rechtsmittelbelehrung die Wirksamkeit der Zustellung gemäß § 341 Abs. 2 StPO nicht berührt habe.“

Der Antrag des Angeklagten auf Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 346 Abs. 2 StPO) hat dann aber Erfolg. Hier Auszüge aus der Entscheidung des OLG:

„…Dieses vermeintliche Fristversäumnis des Angeklagten ist jedoch unschädlich, da die Übersetzung des Berufungsurteils und der Rechtsmittelbelehrung in die polnische Sprache für eine wirksame Zustellung des Berufungsurteils und Ingangsetzung der für die Einlegung der Revision maßgeblichen Wochenfrist des § 341 Abs. 1 StPO erforderlich ist…..

Der Angeklagte hat als Ausländer vor einem deutschen Gericht die gleichen prozessualen Grundrechte und den gleichen Anspruch auf ein rechtsstaatliches Verfahren wie ein deutscher Staatsbürger. Mangelnde Sprachkenntnisse dürfen nicht zu einer Verkürzung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantien führen (BVerfG, Beschluss vom 7.4.1976, NJW 1976, 1021). Dies gebietet bereits der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG und das Verbot der Benachteiligung von Personen aufgrund ihrer Sprache gemäß Art. 3 Abs. 3 GG (BVerfGE 40, 95).

Unter Beachtung dieser den Angeklagten schützenden Rechte hätten das Berufungsurteil des Landgerichts München I vom 11.11.2011 und die dazugehörige Rechtsmittelbelehrung ihm mit Übersetzung in die polnische Sprache zugestellt werden müssen, um den Lauf der Revisionseinlegungsfrist in Gang zu setzen.

1) Nach deutschem Recht gilt gemäß § 184 S. 1 GVG, dass alle schriftlichen Äußerungen des Gerichts in deutscher Sprache abzufassen sind (vgl. Meyer-Goßner StPO 56. Aufl. § 184 GVG Rdn. 3).

 2) Der mit Wirkung vom 6.7.2013 durch Gesetz vom 2.7.2013 (BGBl. I S. 1938) neu gefasste § 187 Abs. 2 GVG, der der Umsetzung der europäischen Richt-linie 2010/64/EU über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzun-gen im Strafverfahren und der Richtlinie 2012/13/EU über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung im Strafverfahren dient, verpflichtet in Satz 1 zur Übersetzung des Berufungsurteils und der Rechtsmittelbelehrung in die polnische Sprache…..

a) Vorliegend waren dem Angeklagten sowohl der Strafbefehl mit Rechtsmittelbelehrung als auch das amtsgerichtliche Urteil mit Rechtsmittelbeleh-rung in polnischer Sprache zugestellt worden, sodass er über die gegen ihn erhobenen Tatvorwürfe und das Verfahren ordnungsgemäß in Kennt-nis gesetzt worden ist.

b) Dies reichte jedoch nicht aus, um den Anspruch des der deutschen Spra-che nicht mächtigen Angeklagten auf eine effektive Verteidigung im gebo-tenen Maß zu erfüllen. Vielmehr ergibt sich gemäß Artikel 3 Abs. 2 der EU-Richtlinie 2010/64/EU eine Verpflichtung zur Übersetzung des landgericht-lichen Urteils, die ihre Grundlage ihrerseits in Art. 6 Abs. 1 MRK findet. Die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten als völkerrechtlicher Vertrag wirkt als einfaches Recht unmittelbar in die Rechtsordnung und hat darüber hinaus insoweit verfassungsrechtliche Bedeutung, als sie die Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes beeinflussen kann (Meyer-Goßner StPO 56. Aufl. Anh. 4 MRK Vorbem Rdn. 3).

 4) Zur Wahrung der verfassungsrechtlichen Rechtsschutzgarantien gemäß Art. 103 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG ist in Beachtung der allgemeinen Garantie eines fairen Verfahrens gemäß Art. 6 Abs. 1 MRK und der in Art. 6 Abs. 3 MRK garantierten Mindestrechte des Angeklagten eine Übersetzung des Berufungsurteils und der Rechtsmittelbelehrung zwingend geboten:…..

b) Zwar lässt sich aus Art. 6 Abs. 3 e) MRK kein Anspruch auf schriftliche Übersetzung jeder Beweisurkunde oder jedes Aktenstücks ableiten (EGMR-E 4, 472 aaO; Frowein/Peukert aaO Rdnr. 316, 317), doch beinhaltet der Anspruch auf ein faires Verfahren und effektiven Rechtsschutz jedenfalls die Bekanntmachung einer in Abwesenheit des Angeklagten ergangenen nicht rechtskräftigen Gerichtsentscheidung mit Übersetzung in eine ihm verständlich Sprache (Meyer-Goßner StPO 56. Aufl. Anh. 4 MRK Art. 6 Rdn. 27), da ihm nur so die Ausschöpfung aller ihm zustehenden Rechtsmittel möglich ist. Dies gilt als Selbstverständlichkeit in gleicher Weise für die entsprechende Rechtsmittelbelehrung.“

Dem kann und muss man m.E. nichts hinzufügen, außer: Gleiches Recht für alle heißt auch: Man muss auch wissen, welche Rechte man hat und wie und wann man sie geltend macht. Auch das ist Rechtsstaat… Oder flapsig:“ Ich darf Ausländer nicht dumm sterben lassen“.

Hat der Angeklagte einen Anspruch auf Übersetzung des Urteils?

Mit der Frage setzt sich das OLG Köln im OLG Köln, Beschl. v. 30.09.2011 – 2 Ws 589/11 – auseinander. Das OLG Köln verneint einen Anspruch auf Übersetzung des Urteils. Nach der MRK bestehe ein Anspruch auf Übersetzung nur hinsichtlich der Anklageschrift. Ansonsten habe der Angeklagte unter den Voraussetzungen des MRK Anspruch auf Hinzuziehung eines Dolmetschers. Weder die Europäische Menschenrechtskonvention noch der Anspruch auf rechtliches Gehör oder das Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes geböten eine grundsätzliche Ausweitung der Übersetzungsverpflichtung auf Urteile und Revisionsbegründungen. Auch (neue) die EU-Richtlinie Nr. 2010/64 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen gewähre kein über die Gewährleistungen der MRK hinausgehendes, von den Umständen des Einzelfalles unabhängiges allgemeines Recht auf Übersetzung von Urteilen (hier: in die rumänische Sprache).

Interessant im Hinblick auf die Ausführungen des OLG zur EU-Richtlinie. Insgesamt bleibt es bei einer Einzelfallprüfung. Dazu muss dann aber vorgetragen werden, warum der Angeklagte z.B. für die Revisionsbegründung das Urteil kennen muss. Kann man sicherlich auch anders sehen.

 

Man könnte auch sagen: Akte nicht gelesen.

Interessant der Beschluss des OLG Dresden v. 19.04.2011 – 2 Ws 96/11. Nicht nur wegen der Rechtsfrage, nämlich der Frage, inwieweit der Angeklagte bzw. sein Pflichtverteidiger einen Anspruch auf Übersetzung der Akte oder von Aktenteilen hat. Da sagt das OLG in Übereinstimmung mit der h.M.: Der Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren beinhaltet nicht den Anspruch auf Übersetzung der gesamten Verfahrensakte, sondern nur der Unterlagen, deren Kenntnis zur ordnungsgemäßen Verteidigung erforderlich ist. Für die Frage der Erforderlichkeit einer Übersetzung ist aber maßgeblich auf die ex-ante-Sicht im Zeitpunkt der Auftragserteilung der Übersetzung durch den Pflichtverteidiger abzustellen.

Nicht nur das hatte die Rechtspflegerin anders gesehen, sondern auch im tatsächlichen den Anspruch abgelehnt. Dazu führt das OLG aus:

Die Ablehnungbegründung hält sowohl in sachlicher als auch in rechtlicher Hinsicht einer beschwerderechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. a) Soweit die Rechtspflegerin darauf abstellen möchte, dass sowohl die Vernehmungen der Zeugen vom 17. April 2010 als auch vom 02. August 2010 in Gegenwart des Beschwerdeführers erfolgt sei, weshalb er über den Stand des Verfahrens informiert gewesen sei, wird dies durch den Akteninhalt nicht bestätigt. Der Beschwerdeführer wurde am 17. April 2010 vorläufig festgenommen; die zu seiner Festnahme führende poli­zeiliche Vernehmung des Zeugen (Quellenvernehmung) erfolgte in seiner Abwesenheit. Gleiches gilt für die in Nürnberg durchgeführte Zeugenvernehmung des Zollfahndungsamts München vom 02. August 2010.

b) Unrichtig ist auch die Annahme, die Haftfortdauerentscheidung der Strafkammer vom 21. Mai 2010 sei in seiner Anwesenheit erfolgt. Die Entscheidung erging vielmehr – nach Nichtabhilfe durch den Ermittlungs­richters – im schriftlichen Beschwerdeverfahren ohne erneute Anhörung des Beschuldigten.

c) Soweit schließlich die Erstattung der Übersetzungskosten für das Urteil des Landgerichts Wroclaw mit der Begründung verweigert wird, auch das erkennende Gericht habe dieses Urteil beigezogen und übersetzt, weshalb die Übersetzung durch den Verteidiger über­flüssig gewesen sei, verkennt die Rechtspflegerin den zeitlichen Ablauf des Verfahrens.

Zwar hatte die Staatsanwaltschaft Görlitz bereits am 11. Mai 2010 – drei Wochen nach Verhaftung des Beschuldigten – die polnischen Justizorgane im Wege der Internationalen Rechtshilfe in Strafsachen um die Übersendung von zehn in Polen ergangener Strafurteile – darunter auch das vorliegend streitbefangene – er­sucht. Dem Ersuchen wurde mit Note vom 28. Juni 2010 entsprochen; die sodann in Deutschland veranlasste Übersetzung durch ein berliner Übersetzungsbüro ging allerdings über die Staatsanwaltschaft erst am 26. August 2010 bei der zuständigen Strafkammer ein. Die in dieser Sache erhobene Anklage war jedoch be­reits seit dem 23. Juni 2010 anhängig.

Wie angesichts dieser zeitlichen Abfolge im Verfahrensverlauf angenommen werden kann, der Beschuldigte habe das streitgegenständliche Urteil seinem Vertei­diger zunächst verschwiegen, erschließt sich nicht. Dieser hatte vielmehr die Übersetzung bereits in Auf­trag gegeben, als er von der Beiziehung des Urteils durch die Staatsanwaltschaft noch gar nichts wusste.“

Peinlich, aber da scheint wirklich jemand nicht die Akte gelesen zu haben.

Blauäugig?

Na, ist das nicht – zumindest ein wenig – blauäugig, was das LG Tübingen in seinem Beschl. v. v. 04.08.2010 – 3 Qs 30/10 – schreibt/denkt. Der jugendliche Angeklagte kann kein Wort deutsch. Ihm wird die Anklageschrift unübersetzt zugestellt. Der Angeklagte beantragt dann die Beiordnung eines Pflichtverteidigers. Das LG sagt: Nein: Der Umstand, dass eine Anklageschrift einem Angeklagten, der der deutschen Sprache überhaupt nicht mächtig ist, ohne Übersetzung zugestellt wird, rechtfertige als solches nicht eine Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage im Sinne einer notwendigen Pflichtverteidigerbestellung. Aus der unterbliebenen Übersetzung resultiert in analoger Anwendung der Vorschriften über die Ladungsfristen zwar ein Aussetzungsanspruch; dieser mache aber die Rechtslage nicht schwierig, da über den Aussetzungsanspruch als solchen zwingend zu belehren ist und er noch in der Hauptverhandlung geltend gemacht werden kann. Dies stelle keine (bei im Übrigen sehr leichten Tatvorwürfen) derartige Verkomplizierung der Rechtslage dar, dass ein Pflichtverteidiger zu bestellen wäre.

Das LG meint also wohl, dass der Jugendrichter den Angeklagten in der Hauptverhandlung entsprechend belehren wird. Nun ja, hoffentlich ist ein Dolmetscher geladen. Und: Muss man nicht die Schwierigkeit der Sache für den Angeklagten in einer Gesamtschau auch darin sehen oder zumindest auch damit begründen, dass der Amtsrichter ja einen Verfahrensfehler – Nichtübersetzung der Anklage – schon gemacht hat und daher ggf. weitere zu befürchten sind. Mir ist bei der Entscheidung „unwohl“.