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Leistet die PTB einer systematischen Beweismittelvernichtung Vorschub?

© fotoknips - Fotolia.com

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Leistet die PTB einer systematischen Beweismittelvernichtung Vorschub? So ist der  letzte VUT-Newsletter überschrieben, über den ich hier mit Genehmigung/Erlaubnis der VUT berichten darf. Der ein oder andere Leser wird den Newsletter beziehen und daher den Inhalt des letzten Newsletters kennen. Für die anderen dann hier sein Inhalt als Zitat:

„Leistet die PTB einer systematischen Beweismittelvernichtung Vorschub?

Die gelöschten Rohmessdaten des Messgeräts TraffiStar S350 machen wieder von sich Reden. Nachdem hier die Zeitangabe zu den Messpunkten gelöscht wurde und somit eine Plausibilitätsprüfung nicht mehr möglich ist, hat das AG Kassel den Betroffenen freigesprochen (AZ: 386 Owi 9643 Js 822/16, wir berichteten VUT Newsletter 10/2016).

Zur Frage der Notwendigkeit von Zusatzdaten wie etwa der Zeitangabe in den Messdateien hat sich auch die PTB geäußert und erklärt unter anderem Folgendes:

„Zusammenfassend ist festzuhalten, dass beim Messgerät TraffiStar S350 die Möglichkeit einer nachträglichen Richtigkeitskontrolle – ‚Plausibilitätskontrolle‘ – besteht. Diese beruht jedoch auf dem vom Gesetzgeber hierfür vorgesehenen Konzept einer Befundprüfung – unter ausdrücklicher Berücksichtigung der konkreten Verwendungssituation im Einzelfall und nicht auf der Verwendung von Zusatzdaten, die im eichrechtlichen Sinne lediglich metrologisch unbewertet ‚Hilfsgrößen‘ darstellen“.

Aber genau die ausdrückliche Berücksichtigung der konkreten Verwendungssituation stellt ein Problem (von vielen) der dort angeregten Befundprüfung nach §39 (1) MessEG dar:

Erstens hat das Messgerät TraffiStar S350 einen Scanwinkel (horizontaler Winkelbereich, in welchem Messsignale erfasst werden) von 50°. Die SmartCamera IV, die im TraffiStar S350 verbaut ist, hat bei der Verwendung einer Objektivs mit 25 mm Brennweite einen maximalen horizontalen Öffnungswinkel von rund 28°. Bei den weiteren zugelassenen Objektiven mit 35 mm und 50 mm Brennweite ist dieser Winkel noch kleiner!

Das heißt, dass nicht alle Objekte im Messbereich des Sensors auch auf dem Beweisfoto zu sehen sind und somit nicht alle Objekte bekannt sind.

Zweitens sind bei den abgebildeten Objekten außer dem gemessenen Fahrzeug keinerlei Bewegungsinformationen wie Positionen zu einzelnen Zeitpunkten oder die Geschwindigkeit bekannt. Die Bewegung dieser Fahrzeuge kann nicht rekonstruiert werden.

Drittens ist beim gemessenen Fahrzeug nur die angezeigte Geschwindigkeit bekannt. Dieser Wert soll aber überprüft werden und steht somit in Frage. Auch hier ist keine Rekonstruktion möglich.

Insgesamt ist also eine Berücksichtigung der konkreten Verwendungssituation im Rahmen einer Befundprüfung unmöglich. All dies muss bei sachgerechter Prüfung auch für die PTB trivial erkennbar sein.

Die Verwendungssituation könnte erst dann bestmöglich berücksichtigt werden, wenn die Rohmessdaten von der zu betrachtenden Messung vorliegen.

Mit ihrer Haltung und neuerlichen Stellungnahme handelt die PTB entgegen der Resolutionen zur Abspeicherung von Rohmessdaten, die während der Diskussionen des 51. und 54. Verkehrsgerichtstages getroffen wurden. Dort hatten sich die Vertreter der PTB an keiner Stelle gegen die Speicherung der Rohmessdaten ausgesprochen. Insofern ist der aktuelle Versuch, solche Daten zu entwerten, nicht nachvollziehbar.

Zudem würde es sich bei einem Antrag auf Befundprüfung nach § 39 (1) MessEG wie von der PTB vorgeschlagen um einen „Antrag ins Blaue hinein“ handeln, da ohne Auswertung von Rohmessdaten schwerlich ein „begründetes Interesse an der Messrichtigkeit“ dargelegt werden kann. Mit der von der PTB vorgeschlagenen Verfahrensweise untergräbt die PTB jede Möglichkeit in einem Verfahren das Messergebnis auf einen konkreten Beweisantrag hin auf Richtigkeit prüfen zu lassen.“

Ach so: Wer mehr von der VUT lesen will: Die Techniker sind an der „Blitzerbibel“ Burhoff/Grün (Hrsg.) Messungen im Straßneverkehr, beteiligt.  Davon liegt seit einigen Tagen die 4. Aufl. druckfrisch vor. Wer will, kann das Werk hier bestellen.

Hier wird es technisch, oder. ESO ES 3.0, das AG Meißen, die PTB und eine sachverständige Gegendarstellung

entnommen wikimedia.org Urheber Jepessen

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Ich komme dann noch einmal auf das AG Meißen, Urt. v. 29.05.2015 – 13 OWi 703 Js 21114/14 – zurück (vgl. dazu Ein Schwergewicht/Hammer aus Sachsen: 112 Seiten zu ESO ES 3.0).  Nun, wie nicht anders zu erwarten, gibt es dazu (natürlich) inzwischen eine Stellungnahme der PTB, die mich inzwischen auch erreicht hat.

Ich stelle Sie hier dann mal ein unter „Stellungnahme der PTB zu AG Meißen„, wobei ich einräumen muss: Für mich wird es nun allmählich unverständlich bzw. ich kann es nicht mehr nachvollziehen. Aber „meine“ Sachverständigen von der VUT die können es – meine ich. Und die haben dann auch eine Stellungnahme zu der Stellungnahme der PTB verfasst, die ich hier unter „Stellungnahme VUT_26_01_2016 Gegendarstellung PTB_AG Meissen“ einstelle (hier geht es zur VUT, die heute auch mit einem Newsletter auf ihre Stellungnahme hinweisen).

Die Verkehrsrechtler wird es sicher interessieren….. 🙂

OLG Bamberg: Mit „Klauen und Zähnen“ für Riegl FG21-P, oder: Die PTB als „antizipierter Sachverständiger“.

entnommen wikimedia.org Original uploader was VisualBeo at de.wikipedia

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Nun hat sich auch das OLG Bamberg zum standardisierten Messverfahren und zur Beweisbedürftigkeit der Ergebnisse standardisierter Messverfahren zu Wort gemeldet. Es ging allerdings um „Riegl FG21-P“, also um nichts Neumodisches, wie die modernen und umstrittenen Geräte PoliScan Speed und/0der ESO ES 3.0, sondern ein Klassiker. Das OLG hat dem OLG Bamberg, Beschl. v. 22. 10. 2015 – 2 Ss OWi 641/15 – (voluminöse) Leitsätze vorangestellt, die im Grunde schon alles sagen, so dass ich mich hier auf sie beschränken will:

  1. Die Geschwindigkeitsmessung mit dem Lasermessgerät ‚Riegl FG21-P‘ erfüllt die Anforderungen an ein sog. standardisiertes Messverfahren im Sinne der Rspr. des Bundesgerichtshofs (BGHSt 39, 291; 43, 277), d.h. eines durch Normen vereinheitlichten (technischen) Verfahrens, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf derart festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (st.Rspr.; Anschluss u.a. an OLG Koblenz, Beschluss vom 12.01.2010 – 1 SsBs 127/09 und KG VRS 116, 446).
  1. Der in Kenntnis aller maßgeblichen – auch patent- und urheberrechtlich geschützten – Herstellerinformationen erfolgten Bauartzulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) kommt die Funktion eines antizipierten Sachverständigengutachtens zu, mit dem die generelle Zuverlässigkeit und Geeignetheit des Messgeräts verbindlich festgestellt ist und weitere Informationen zu seiner Funktionsweise entbehrlich sind. Bei Vorliegen eines geeichten Geräts, welches durch geschultes Personal entsprechend den Vorgaben der Bedienungsanleitung des Herstellers eingesetzt wurde, ist damit die Richtigkeit des gemessenen Geschwindigkeitswerts indiziert mit der Folge, dass für die Annahme einer rechtlichen Unverwertbarkeit der Messergebnisse auch dann kein Raum verbleibt, wenn ein beauftragter Sachverständiger, etwa mangels Zugangs zu den patent- und urheberrechtlich geschützten Herstellerinformationen, die genaue Funktionsweise nicht im Einzelnen nachvollziehen kann (u.a. Anschluss an OLG Frankfurt DAR 2015, 149; OLG Köln NZV 2013, 459 = DAR 2013, 530 = VerkMitt 2013, Nr. 62 = VRS 125 Nr. 13; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 17.07.2015 – 2(7) SsBs 212/15 und VRS 127 Nr. 60 = NZV 2015, 150; OLG Bamberg, Beschl. v. 26.04.2013 – 2 Ss OWi 349/13 = DAR 2014, 38; OLG Zweibrücken DAR 2013, 38 = zfs 2013, 51; OLG Schleswig, Beschl. v. 31.10.2013 – 1 Ss OWi 141/13, SchlHA 2013, 450; KG VRS 118 Nr. 99; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.07.2014 – 1 Rbs 50/14).
  2. Eine nähere (tatrichterliche) Überprüfung des Messwertes ist nur geboten, wenn sich im Einzelfall bestimmte Anhaltspunkte ergeben, die geeignet sind, konkrete Zweifel an der Funktionstüchtigkeit oder sachgerechten Handhabung des eingesetzten standardisierten Messgeräts und deshalb an der Richtigkeit des Messergebnisses zu begründen. Sollen die behaupteten Fehlerquellen dagegen nicht in dem konkret durchgeführten Messvorgang selbst, sondern allgemein oder strukturell in der Messtechnik, der Messsoftware oder der Auswertesoftware des Messgerätes angelegt sein, müssen bei dem Tatrichter Zweifel an der Richtigkeit der Messung erst dann aufkommen, wenn sich Umstände ergeben, die es im konkreten Einzelfall als plausibel erscheinen lassen, dass die Messung trotz der Zulassung des Messgeräts durch die PTB fehlerbehaftet sein könnte (u.a. Anschluss an OLG Frankfurt DAR 2015, 149.

Na ja. Also: Auch du mein Sohn Brutus, verteidigst das standardisierte Messverfahren bzw. seinen Auswirkungen mit Klauen und Zähnen gegen alle Einwände. Ich verstehe allerdings den BGH und auch Cierniak in zfs 2012, 664 anders. Zwar gibt es bei den standardisierten Messverfahren ein Regel-Ausnahme-Verhältnis. Das bedeutet aber doch nicht, dass damit dem Betroffenen die Möglichkeit abgeschnitten wird, diese Verfahren zu überprüfen. Vielmehr muss ihm doch gerade die Überprüfungsmöglichkeit bleiben, wenn die Regeln über das standardisierte Messverfahren im gerichtlichen Verfahren Anwendung finden sollen. Und er muss die ihm dazu vom BGH auferlegte Darlegungslast zum Vorbringen von konkreten Einwänden gegen die Messung und das Messverfahren auch tatsächlich ausüben zu können. Das wird ihm aber gerade unmöglich gemacht, wenn man die Zulassung durch die PTB als „antizipiertes Sachverständigengutachten“ (ähnl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 04.12.2014 – 2 Ss-OW i 1041 /14; aber Achtung ist OLG Frankfurt 🙂 ; OLG Frankfurt kämpft für Poliscan Speed – wie die Römer gegen Asterix?) mit der Folge ansieht, dass ein vom Gericht oder vom Betroffenen beauftragter Sachverständiger die genaue Funktionsweise des Geräts nicht nachvollziehen können muss (Black Box), ohne dass dies zur Unverwertbarkeit des Messergebnisses führt.

Im Übrigen: Nur das Messverfahren ist standardisiert und begründet das für den Betroffenen nachteilige Regel-Ausnahme-Verhältnis, nicht aber die Zulassung durch die PTB. Die Ansicht der OLG führt dazu, dass Einwände, die sich nicht gegen die Art und Weise der Durchführung des konkreten Messvorgangs, sondern das Messverfahren allgemein richten, auch unter Hinzuziehung eines Sachverständigen kaum hinreichend konkretisiert werden können und damit faktisch abgeschnitten werden. Und damit bricht das Regel-Ausnahme-Verhältnis zusammen. M.E. im Übrigen auch ein Zirkelschluss, wenn ich die Einwände gegen die Zulassung durch die PTB mit einem antizipierten Sachverständigengutachten, eben der Zulassung, erledigen will.

Aber vielleicht bin ich ja auch inzwischen (zu) blöd.

PoliscanSpeed – jetzt erst recht nicht standardisiert?

Poliscan Speed - RadarDer Streit in der Frage, ob PoliscanSpeed ein standardisietes Messverfahren ist, oder nicht, wird seit einiger zeit recht heftig geführt: Auf der einen Seite die OLG, die das Messverfahren mit Zähnen und Klauen verteidigen, wie hier den zuletzt bekannt gewordenen OLG Bamberg, Beschl. v. 26.04. 2013 – 2 Ss OWi 349/13 – (s. dazu: “Auch du mein Sohn Brutus” – OLG Bamberg zu PoliscanSpeed, oder: Das haben wir immer schon so gemacht).  Die OLG setzen sich m.E. mit den Einwänden gegen das Messverfahren, die von einigen AG, die ihnen die Gefolgschaft verweigern, nicht auseinander (vgl. hier als eines der ersten AG das AG Aachen, Urt. v. 10.12.2012 – 444 OWi-606 Js 31/12-93/12 – und dazu Na bitte, geht doch: Poliscan Speed ist nicht standardisiert…). Dass es allerdings auch andere gibt, will ich nicht verschweigen, wir sind ja ausgewogen (vgl. also hier das  AG Pinneberg, Urt. v. 29.10.2013 – 31 OWi 82/13).

Jetzt hat sich in dem Streit in einer umfassenden Stellungnahme auch die PTB zu Wort gemeldet und zur Entscheidung des AG Aachen Stellung genommen (vgl. http://www.ptb.de/cms/fachabteilungen/abt1/fb-13/stellungnahme.html).

Mich überzeugt das nicht – wobei ich allerdings einräume, dass ich kein Techniker bin.

Zunächst: Lassen wir das Verfahren der PTB mal außen vor, obwohl man sich schon fragt, ob es Aufgabe der PTB ist, sich zu einem gerichtlichen Entscheidung in der Weise zu äußern. Auch der Ton ist m.E. „gewöhnungsbedürftig“.

Im Übrigen: Die umfangreiche Stellungnahme der PTB und die wortreichen Erläuterungen und Erklärungen zeigen m.E. mehr als deutlich, dass PoliScanSpeed entgegen der von den OLG vertretenen Auffassung eben nicht nicht als standardisiertes Verfahren angesehen werden kann. Konkret haben sich die OLG mit den „Einwänden“ und Argumenten der AG bislang ja auch nicht auseinander gesetzt, sondern sich auf das Argument zurückgezogen: Zulassung der PTB = Standardisiert.

Übersehen wird von der PTB auch, dass es letztlich eine Frage der richterlichen Überzeugungsbildung ist, ob der Amtsrichter eine Messung mit PoliScanSpeed einer Verurteilung zugrunde legt oder ob er dieses wegen der gegen das Verfahren vorgetragenen Mängel als nicht ausreichend ansieht, um Grundlage einer Verurteilung sein zu können. Eine zwingende Beweisregel hat die Etikettierung eines Messverfahrens als „standardisiertes Verfahren“ nicht zur Folge.

Für den Verteidiger gilt: Er muss sich mit den „Einwänden“ der PTB gegen das Urteil des AG Aachen auseinandersetzen und ggf. dazu einen Sachverständigen befragen. Im Verfahren ist dann konkret zu Poliscan Speed und zu Messfehlern vorzutragen. Ich bin jedenfalls gespannt, wie es weitergeht, und zu welchen Ergebnissen die Sachverständigen, die jetzt sicherlich in den Verfahren das Wort bekommen werden, kommen.

Und: Ceterum censeo: Hier geht es zur Abstimmung Beste Jurablogs Strafrecht 2014 – wir sind dabei, die Abstimmung läuft

Technische Probleme bei Providamessfahrzeugen?- Nachfrage kann sich lohnen

Ein Kollege weist mich heute darauf hin, dass ihm ein Schreiben der Verkehrsdirektion Koblenz v. 17.02.2010 an „Alle Bußgeldstellen im Bereich Polizeipräsidium Koblenz“ vorliegt, in dem es heißt:

…auf Grund festgestellter technischer Problem mussten einige Providafahrzeuge vorübergehend stillgelegt werden, weil die PTB-Zulassung erloschen ist. … Bis zur endgültigen Klärung durch die PTB regen wir an, laufende Bußgeldverfahren, welche auf Messungen mit den genannten Fahrzeugen basieren, auszusetzen...“.

Um was für „technische Probleme“ es handelt, ergibt sich aus dem Schreiben nicht; es ist auch mir nicht bekannt. Aber: Was im Bereich der Verkehrsdirektion Koblenz der Fall zu sein scheint, kann doch auch in anderen Fällen auftreten bzw. aufgetreten sein (hat die PTB inzwischen etwas unternommen; wenn ja, was?). Vielleicht fragt man als Verteidiger in entsprechenden Verfahren ja mal nach. Kann sich ja ggf. lohnen.