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OWi I: Fahrverbot und Entziehung der Fahrerlaubnis, oder: Keine Doppelbestrafung

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Und dann geht es heute mit dem ersten regulären Arbeitstag in die letzte Woche des Jahres – Und da gibt es hier: OWi-Entscheidungen.

Zunächst stelle ich den OLG Düsseldorf, Beschl. v. 19.12.2022 – IV-2 RBs 179/22 – vor, der eine „Fahrverbotsproblematik“ behandelt, und zwar der Verhältnis Fahrverbot und Entziehung der Fahrerlaubnis. Das sieht der Betroffene sich dann „doppelt bestraft“, was nach Auffassung des OLG Düsseldorf aber nicht der Fall ist:

„Der Erörterung bedarf lediglich der im Rahmen der allein erhobenen Sachrüge geltend gemachte Einwand, dass von der Verhängung des Fahrverbots hätte abgesehen werden müssen, weil gegen den Betroffenen „aufgrund desselben Lebenssachverhalts bereits verwaltungsrechtlich die Entziehung der Fahrerlaubnis ausgesprochen wurde.“

Das Vorbringen zu einer Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Fahrerlaubnisbehörde ist urteilsfremd und schon deshalb für die sachlich-rechtliche Überprüfung nicht relevant. Das angefochtene Urteil enthält keine Angaben zu einer solchen Maßnahme. Soweit der Betroffene aus dem angeführten Umstand Günstiges für sich herleiten möchte, wäre eine Aufklärungsrüge zu erheben gewesen, an der es vorliegend fehlt. Der Begründungsschrift ist schon nicht zu entnehmen, zu welchem Zeitpunkt die Fahrerlaubnisbehörde die Entziehung der Fahrerlaubnis ausgesprochen hat und ggf. wann dieser Verwaltungsakt bestandskräftig geworden ist.

Abgesehen davon hätte das wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24a StVG verhängte Regelfahrverbot (§ 25 Abs. 1 Satz 2 StVG) auch dann Bestand, wenn man zugunsten des Betroffenen für den Zeitpunkt der Hauptverhandlung eine bestandskräftige Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Fahrerlaubnisbehörde (§ 3 Abs. 1 StVG, § 46 Abs. 1 FEV) unterstellt.

Es handelt sich nicht um eine „Doppelbestrafung“. Die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen der Nichteignung des Betroffenen ist eine präventive Maßnahme der Gefahrenabwehr und dient nicht der Sanktionierung eines Verhaltens (vgl.statt vieler: OVG Hamburg NZV 2008, 262, 263; OVG Magdeburg Blutalkohol 47, 43 = BeckRS 2009, 41257; BayVGH SVR 2022, 117, 118).

Auch steht die Erwägung, dass der Betroffene im Falle der bestandskräftigen Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Fahrerlaubnisbehörde ohnehin kein fahrerlaubnispflichtiges Kraftfahrzeug im Straßenverkehr mehr führen darf, der Verhängung eines Fahrverbots im Bußgeldverfahren nicht entgegen. So erfolgt die Anordnung eines Fahrverbots auch dann, wenn das Fahrverbot durch Anrechnung der Dauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis bzw. der Dauer der Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 25 Abs. 6 StVG) bereits erledigt ist (vgl. Senat DAR 2017, 92 = BeckRS 2016, 19216; OLG Frankfurt Blutalkohol 57, 367 = BeckRS 2020, 28167; zu § 51 Abs. 5 StGB: BGH NJW 1980, 130). Denn die Eintragung eines Fahrverbots im Fahreignungsregister wird im Wiederholungsfall bei künftigen Zumessungserwägungen oder auch für die Frage, ob dem Betroffenen eine viermonatige Schonfrist zu gewähren ist (§ 25 Abs. 2a StVG), regelmäßig von Bedeutung sein (vgl. Senat a.a.O., OLG Frankfurt a.a.O.; Krenberger NZV 2021, 26, 29).“

Der umgefallene Weihnachtsbaum vor dem Kö-Center, oder: Wer muss zahlen?

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In der zweiten Entscheidung mit „weihnachtlichem Einschlag“, dem OLG Düsseldorf, Urt. v. 18.11.2022 – 22 U 137/21, geht es um einen umgefallenen Weihnachtsbaum. Von dem Urteil gibt es bereits den Volltext, den ich verlinkt habe. Ich stelle hier dann aber auch (nur) die PM des OLG Düsseldorf ein, und zwar:

„Die Klägerin kann von der beklagten Stadt aus übergegangenem Recht Zahlung wegen eines fehlerhaft nicht standsicher aufgestellten Weihnachtsbaums verlangen. Dies entschied der 22. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf in seinem Urteil, das der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Stefan Behring am 18. November 2022 verkündete.

Die Klägerin ist die Haftpflichtversicherung der Wohnungseigentümergemeinschaft eines Einkaufscenters und nimmt die beklagte Stadt aus übergegangenem Recht der Wohnungseigentümergemeinschaft aufgrund eines Vorfalls vom 24. Dezember 2013 in Anspruch. An diesem Tag war ein vor dem Einkaufscenter aufgestellter Weihnachtsbaum bei starkem Wind ein zweites Mal umgestürzt und hatte eine Kurierfahrerin verletzt. Die Klägerin hat bereits an die Geschädigte Schadensersatz und Schmerzensgeld gezahlt und nimmt nun bei der Stadt Regress. Die Parteien streiten darüber, wer den Baum nach seinem ersten Umfallen am 5. Dezember 2013 wieder aufgestellt hat (vgl. Pressemitteilung Nr. 26/2022 vom 13.10.2022).

Laut dem Berufungsurteil sei die Stadt aus dem mit der Wohnungseigentümergemeinschaft geschlossenen Vertrag verpflichtet gewesen, den Weihnachtsbaum auch bei üblicherweise in einem Stadtgebiet zu erwartenden Winden standsicher zu errichten. Da der Baum am 24. Dezember 2013 bei einer Windstärke von 8 Beaufort umgestürzt und Vandalismus auszuschließen sei, habe die Stadt gegen diese Verpflichtung verstoßen und gleichzeitig auch eine Verkehrssicherungspflicht verletzt. Dass Mitarbeiter des Einkaufscenters selbst den Weihnachtsbaum am 5. Dezember 2013 wieder aufgestellt hätten, liege fern und sei auch durch die in erster Instanz vernommenen Zeugen in Abrede gestellt worden. Vielmehr sei davon auszugehen, dass eine von der Beklagten unterhaltene Baumkolonne diesen und weitere im Stadtgebiet umgefallene Weihnachtsbäume am Morgen des 6. Dezember 2013 nicht wieder standsicher errichtet habe…..“

Wegen der Einzelheiten bitte im verlinkten Volltext lesen….

Berechnung der Vergütung durch den Anwalt, oder: Reicht ein Schriftsatz per beA mit einfacher Signatur?

Bild von LEANDRO AGUILAR auf PixabaybUnd heute zum Wochenausklang wieder ein wenig RVG.

Ich beginne mit dem OLG Düsseldorf, Beschl. v. 27.10.2022 – 3 W 111/22, der sich zum „Zusammenspiel“ zwischen § 10 RVG – also Berechnung der Vergütung durch den Rechtsanwalt – und dem Zugang der Berechnung in Schriftform beim Mandanten allein über das beA/elektronisches Dokument. Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren nach § 11 RVG. Die Rechtspflegerin war davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für die Gebührenfestsetzung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 RVG nicht vorliegen. Sie hatte das Vorliegen einer vom beantragenden Rechtsanwalt unterzeichneten Berechnung verneint, weil sich seine Kostenaufstellung allein in einem aus dem beA des Rechtsanwalts mit einfacher Signatur versehenen, an das LG im (Kosten(Festsetzungsverfahren versendeten Schriftsatz befand.

Das hat das OLG ebenso gesehen:

„Hier mangelt es, wie die Rechtspflegerin zutreffend ausgeführt hat, an einer von ihm unterzeichneten Berechnung.

Normzweck des § 10 Abs. 1 Satz 1 RVG ist die Übernahme der Verantwortung für die Richtigkeit der Berechnung in strafrechtlicher (§ 352 StGB), zivilrechtlicher und berufsrechtlicher Hinsicht durch den Rechtsanwalt. Der Inhalt der Berechnung muss durch die Unterschrift des Rechtsanwalts gedeckt sein. Ein Faksimilestempel oder ein Handzeichen reichen als Unterschrift nicht aus (BeckOK RVG/v. Seltmann, 57. Ed. 1.9.2021, RVG § 10 Rn. 6 f.). Insoweit handelt es sich um dieselben Voraussetzungen des Schriftformerfordernisses des § 126 Abs. 1 1. Fall BGB, wonach eine Unterzeichnung durch eigenhändige Namensunterschrift des Ausstellers erforderlich ist (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 25. Aufl. 2021, § 10 Rn. 5, 11).

Vorliegend befindet sich die Kostenaufstellung allein in dem aus dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) des Antragstellers mit einfacher Signatur versehenen, an das Landgericht versendeten Schriftsatz vom 30. Dezember 2021 im Festsetzungsverfahren (Bl. 123 GA). Diese Übermittlung genügt zwar den prozessualen Anforderungen des § 130a ZPO an die elektronische Einreichung von Schriftsätzen: Gemäß § 130a Abs. 3 2. Alt. i.V.m Abs. 4 Nr. 2 ZPO kann anstatt der Übermittlung des elektronischen Dokuments mit einer qualifizierten elektronischen Signatur auch dessen (einfache) Signatur durch die verantwortende Person und die Übersendung auf einem sicheren Übermittlungsweg, wie dem beA erfolgen.

Diese auf die Abgabe prozessualer Erklärungen beschränkte Vorschrift berührt die förmlichen Voraussetzungen für die Abgabe von materiellrechtlichen Erklärungen allerdings nicht (BeckOK ZPO/von Selle, 46. Ed. 1.9.2022, § 130a Rn. 6 f.; Ehrmann/Streyl, NZM 2019, 873, 875 f. beck-online). So sieht § 126a Abs. 1 BGB ausdrücklich und unverändert vor, dass die gesetzlich vorgeschriebene schriftliche Form (s.o.) durch die elektronische Form nur dadurch ersetzt werden kann, dass das elektronische Dokument vom Aussteller mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen wird.

Der Festsetzungsantrag ist hier nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur, sondern nur mit einer einfachen Signatur versehen worden. Eine solche meint die einfache Wiedergabe des Namens am Ende des Textes. Dies kann – wie hier – der maschinenschriftliche Namenszug unter dem Schriftsatz oder eine eingescannte Unterschrift sein (vgl. BAG, Beschluss vom 14. September 2020 – 5 AZB 23/20, Rn. 15, juris; BeckOK ZPO/von Selle, a.a.O., § 130a Rn. 16). Dadurch ist dem Unterschriftserfordernis des § 10 Abs. 1 Satz 1 RVG weder nach § 126 Abs. 1 BGB noch nach § 126 Abs. 3, 126a Abs. 1 BGB genügt.

Etwas anderes folgt auch nicht aus der Rechtsprechung, die in diesem Zusammenhang zu in Papierform eingereichten Schriftsätzen ergangen ist: Danach kann die Berechnung auch in einem vom Rechtsanwalt unterzeichneten prozessualen Schriftsatz enthalten sein (BGH, Versäumnisurteil vom 4. Juli 2002 – IX ZR 153/01, Rn. 13, juris zu § 18 Abs. 1 Satz 1 BRAGO). Hierzu zählt auch ein Vergütungsfestsetzungsantrag nach § 11 RVG (OLG Düsseldorf, Urteil vom 8. Februar 2011 – I-24 U 112/09, Rn. 59, juris; Gerold/Schmidt/Burhoff, a.a.O., § 10 Rn. 6, 30 m.w.N.). Mit der Zustellung der Klage oder eines anderen Prozessschriftsatzes ist die Berechnung dem Auftraggeber mitgeteilt (BeckOK RVG/v. Seltmann, a.a.O., § 10 Rn. 8). Die Unterzeichnung soll (nur) sicherstellen, dass die Rechnungen von dem Rechtsanwalt (oder einem bevollmächtigten Vertreter) erstellt und überprüft worden sind (OLG Düsseldorf, Urteil vom 8. Februar 2011 – I-24 U 112/09, Rn. 61, juris).

Diese Rechtsprechung erfolgte auf der Prämisse, dass der eingereichte (Papier-) Schriftsatz eine der Form des § 10 Abs. 1 Satz 1 RVG entsprechende Berechnung enthält, diese also der – materiellrechtlich erforderlichen – Schriftform entspricht. Ferner legt sie zugrunde, dass die Zustellung des (Papier-)Schriftsatzes an den Mandanten in Form einer vom Rechtsanwalt beglaubigten Abschrift des Schriftsatzes zugeht, die entsprechend der Vorgabe in § 133 Abs. 1 Satz 1 ZPO in der Praxis üblicherweise dem Antrag beigefügt ist. Dies entspricht insoweit der Rechtsprechung zu empfangsbedürftigen formgebundenen Willenserklärungen, die gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB nur wirksam werden, wenn sie dem Empfänger in der vorgeschriebenen Form zugehen (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2005 – XI ZR 139/05, Rn. 13, juris zum Verbraucherkreditvertrag; MüKoBGB/Häublein, 8. Aufl. 2020, § 568 Rn. 5 zur Wohnraumkündigung; zweifelnd HK-RVG/Hans-Jochem Mayer, 8. Aufl. 2021, § 11 Rn. 81; BeckOK RVG/v. Seltmann, a.a.O., § 11 Rn. 35).

Übertragen auf den elektronischen Rechtsverkehr ist vorliegend beides nicht der Fall: Der bei Gericht eingegangene Schriftsatz entsprach mangels qualifizierter elektronischer Signatur nicht der – materiellrechtlich erforderlichen – Form des § 126a Abs. 1 BGB. Ferner gelangte er auch nicht in der entsprechenden Form an den Antragsgegner. §298 ZPO sieht vor, dass, wenn die Akten, wie vorliegend, in Papierform geführt werden, von einem elektronischen Dokument ein Ausdruck für die Akten zu fertigen ist. Wird dem Prozessgegner, wie hier, das elektronische Dokument in Papierform zugestellt, erhält er einen Ausdruck des elektronischen Dokuments mit einem Transfervermerk (vgl. BT-Drs. 15/4067, 32; Ehrmann/Streyl, NZM 2019, 873, 875 beck-online). Aus diesem ergibt sich vorliegend ohne weiteres die Nichteinhaltung der Form des §126a Abs. 1 BGB.

Demnach wird bei Einreichung eines mit gültiger (einfacher) Signatur des Absenders versehenen Schriftsatzes bei Gericht und Übermittlung dieses Schriftsatzes durch das Gericht an einen dritten Empfänger die elektronische Form im Verhältnis zwischen Absender und Empfänger nicht eingehalten. Denn die Legitimationswirkung der Absendersignatur (§ 130a Abs. 3 2. Fall, Abs. 4 ZPO) besteht nur gegenüber dem Gericht. Der hier vom Gericht per Postzustellung übersandte Ausdruck genügt weder der Schriftform noch der elektronischen Form (Bl. 129 GA, vgl. AG Hamburg, Urteil vom 25. Februar 2022 – 48 C 304/21, Rn. 40, juris zur Wohnraumkündigung).

Der Antragsteller hat von der Möglichkeit, die Abrechnung in schriftlicher Form im Beschwerdeverfahrens nachzureichen (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juli 1998 – IX ZR 63/97, Rn. 38, juris), keinen Gebrauch gemacht, obwohl die Rechtspflegerin in ihrem Nichtabhilfebeschluss vom 11. Juli 2022 Ausführungen zum Formmangel gemacht hat. Eines weiteren gerichtlichen Hinweises bedurfte es nicht.“

OWi II: Mal wieder Verwerfung des Einspruchs, oder: „Mit Corona infiziert, das reicht.“

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Die zweite Entscheidung des Tages, der OLG Düsseldorf, Beschl. v. 31.10.2022 – IV-3 RBs 198/22 – kommt aus dem schier unerschöpflichen Reservoir der OLG-Entscheidungen zu § 74 Abs. 2 OWiG, also unentschuldigtes Ausbleiben des Betroffenen im Hauptverhandlungstermin.

Hier hatte das AG auch verworfen. Das OLG hat (mal wieder) aufgehoben:

„Die im Sinne von § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. §. 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ordnungsgemäß ausgeführte Verfahrensrüge führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung.

Die Voraussetzungen für eine Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG lagen nicht vor. Denn der Betroffene ist dem Hauptverhandlungstermin vom 28. Juli-2022 nicht ohne genügende Entschuldigung ferngeblieben. Er war mit Corona infiziert und daher ausreichend entschuldigt. Auf die vom Gericht alleine thematisierte Frage, ob er rechtzeitig seine Rückreise aus der Türkei antreten konnte, kommt es daher nicht an. Ebenso wenig spielt es eine Rolle, dass der Beschuldigte es versäumt hat, den tatsächlich vorliegenden Entschuldigungsgrund rechtzeitig vor der Hauptverhandlung durch ein ärztliches Attest zu belegen. Entscheidend ist nicht, ob sich ein Betroffener entschuldigt hat, sondern ob er tatsächlich entschuldigt ist (vgl. Göhler, OWiG, 17. Aufl., Rn. 31 zu § 74 m.w.N.), zumal der Entschuldigungsgrund einer Erkrankung sowie die Ankündigung der Einreichung von Nachweisen/Attestierungen bereits vor der Hauptverhandlung vom Verteidiger vorgetragen worden war.“

StGB III: Tonaufnahme von einem Polizeieinsatz, oder: Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes?

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Und als dritte Entscheidung zum Tagesausklang dann noch das OLG Düsseldorf, Urt. v. 04.11.2022 – 3 RVs 28/22 –, das sich u.a. noch einmal mit der Vertraulichkeit des Wortes in Zusammenhang mit Tonaufnahmen von Polizeieinsätzen befasst. Folgender Sachverhalt:

Nach den Feststellungen des AG fand am 18.11.2020 in Wuppertal auf einem Platz ab ca. 18:00 Uhr eine Demonstration mit dem Motto „Demokratie, Grundgesetz, Verabschiedung neues Infektionsschutzgesetz“ statt. Jedenfalls gegen 18:40 Uhr hielt sich auch die Angeklagte auf dem Versammlungsgelände auf. Zu dieser Zeit wurde sie von Polizeibeamten auf einen möglichen Verstoß gegen das Vermummungsverbot angesprochen. Die Angeklagte hatte den damals verpflichtenden Mund-Nase-Schutz getragen und sich außerdem – unwiderleglich, weil sie insbesondere an den Ohren fror – die Kapuze ihrer Jacke über den Kopf gezogen.

Weil es auf der Versammlungsfläche sehr laut war, führten die Polizeibeamten die Angeklagte an einen ruhigeren Ort ca. zehn Meter entfernt. Dieser befand sich immer noch auf dem L., einem an ein Kneipenviertel und die Innenstadt angrenzenden K., der zu dieser Zeit von Versammlungsteilnehmern und Passanten frequentiert war. Nunmehr startete die Angeklagte mit ihrem Mobiltelefon eine Videoaufnahme, wobei sie die Kamera gegen den Boden richtete, so dass nur der Ton ihres Gesprächs mit den Polizeibeamten aufgezeichnet wurde. Der Aufforderung der Polizeibeamten, dies zu unterlassen, kam die Angeklagte zunächst nicht nach. Sie rief zwischenzeitlich um Hilfe, um andere Personen aufzufordern hinzuzutreten. Dieser Aufforderung wurde auch in nicht mehr feststellbarem Umfang Folge geleistet. Das AG konnte darüber hinaus nicht ausschließen, dass bereits während des Laufens der Tonaufnahme unbeteiligte Personen sich derart im Bereich der Angeklagten und der Beamten aufhielten, dass sie das von den Beamten gesprochene Wort hören konnten.

Das AG hat die Angeklagte vom Vorwurf des Verstoßes gegen das Vermummungsverbot (§ 27 VersammlG) und der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 StGB) freigesprochen. Hiergegen die Revision der Staatsanwaltschaft, deren Ausführungen im Rahmen der allein erhobenen Sachrüge sich ausschließlich mit dem Freispruch vom Vorwurf der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes befassen. Das OLG hat die Revision verworfen:

„Das freisprechende Urteil hält der sachlich-rechtlichen Nachprüfung stand.

1. Den Freispruch vom Vorwurf eines Verstoßes gegen das Vermummungsverbot (§ 27 Abs. 2 Nr. 2 VersammlG) hat das Amtsgericht rechtsfehlerfrei auf die Erwägung gestützt, dass nicht festgestellt werden konnte, dass die Angeklagte an der in Rede stehenden Versammlung in einer Aufmachung teilgenommen hat, die darauf gerichtet war, die Feststellung ihrer Identität zu verhindern. Gemäß der nicht zu widerlegenden Einlassung der Angeklagten musste das Amtsgericht davon ausgehen, dass die Angeklagte sich ihre Kapuze über den Kopf gezogen hatte, weil sie wegen der in den Abendstunden des 18. November 2020 herrschenden niedrigen Temperaturen fror.

Auch der Freispruch vom Vorwurf einer Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes (§ 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB) ist rechtlich nicht zu beanstanden. Dem von ihm festgestellten Sachverhalt hat das Amtsgericht zu Recht nicht entnommen, dass die Angeklagte ein „nichtöffentlich gesprochene(s) Wort“ der sie kontrollierenden Polizeibeamten mit ihrem Mobiltelefon aufgezeichnet hat.

Als „nichtöffentlich gesprochene(s) Wort“ im Sinne von § 201 StGB ist jede nicht an die Allgemeinheit gerichtete Äußerung aufzufassen, die nicht über einen durch persönliche oder sachliche Beziehungen abgegrenzten Personenkreis hinaus ohne Weiteres wahrnehmbar ist. Entscheidend sind die Abgeschlossenheit des Zuhörerkreises und die Kontrollmöglichkeit über die Reichweite der Äußerung. Für die Frage der Nichtöffentlichkeit ist daher vor allem – aber nicht allein – der Wille des Sprechers von Bedeutung. Daneben kommt es auch auf „Zweck und Eigenart“ der Unterredung an (vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl., § 201 Rn. 3 und 4 unter Hinweis auf BGHSt 31, 304). Vom Sprecher unbemerkte Zuhörer können zu einer „faktischen Öffentlichkeit“ führen, wenn die Äußerung unter Umständen erfolgt, nach denen mit einer Kenntnisnahme durch Dritte gerechnet werden muss (LG Kassel, Beschluss vom 23. September 2019, 2 Qs 111/19; LG Hamburg, Beschluss vom 21. Dezember 2021, 610 Qs 37/21; zuletzt OLG Zweibrücken, Beschluss vom 30. Juni 2022, 1 OLG 2 Ss 62/21). Diese Auslegung, die auch die objektiven Rahmenbedingungen des Gespräches mit einbezieht, korrespondiert mit dem Schutzzweck des § 201 StGB. Der Straftatbestand dient dem Schutz des Sprechers in Situationen, in denen er keinen Anlass zu sehen braucht, wegen der Anwesenheit verschiedener Personen Zurückhaltung in Form und Inhalt seiner Äußerungen zu wahren. Wenn der Sprecher damit rechnen muss, dass seine Worte zur Kenntnis der Öffentlichkeit gelangen – redet er etwa in einem vollbesetzten Gasthaus mit lauter, weithin vernehmbarer Stimme – , so macht er damit seine Worte zu „öffentlichen“, und zwar selbst dann, wenn er sich – im Beispielsfall – lediglich an seine Stammtischfreunde wendet (Schünemann in: StGB Leipziger Kommentar, 12. Aufl., § 201 Rn. 7; ebenso Graf in: Münchner Kommentar zum StGB, 4. Aufl., § 201 Rn. 17a, 18). Die mit der Revision vertretene Ansicht, es komme ausschließlich auf den Willen des Sprechers an, führt zu einer wesentliche Erweiterung der Strafbarkeit über den nach allgemeiner Meinung bestehenden Bereich hinaus. Sie lässt indes den dargestellten Schutzzweck der Vorschrift außer Betracht und findet in deren Wortlaut keine Stütze. Der Senat vermag sich dieser erweiternden Auslegung des Begriffs des „nicht öffentlich gesprochenen Wortes“ nicht anzuschließen.

Nach den offen zutage liegenden Umständen mussten die kontrollierenden Polizeibeamten mit einer Kenntnisnahme durch Dritte rechnen. Die Beamten führten die Kontrolle der Angeklagten auf einer frei zugänglichen öffentlichen Fläche durch, auf der beliebige Dritte ihre Diensthandlung beobachten und akustisch wahrnehmen konnten. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts war der L. – ein an ein Kneipenviertel und die Innenstadt angrenzender K. – am 18. November 2020 gegen 18:40 Uhr von Versammlungsteilnehmern und Passanten frequentiert. Auf die Aufforderung der Angeklagten waren andere Personen hinzugetreten. Nicht ausschließbar hielten sich bereits während des Laufens der Tonaufnahme unbeteiligte Personen derart im Bereich der Angeklagten und der Beamten auf, dass sie das von den Beamten gesprochene Wort hören konnten.

Unter diesen Umständen bezog sich die von der Angeklagten gefertigte Tonaufnahme von Beginn an auf Äußerungen der Polizeibeamten, die diese im Umfeld einer faktischen Öffentlichkeit – mithin außerhalb des Anwendungsbereichs von § 201 StGB – machten.“