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StGB I: Versuchte Nötigung eines Polizeibeamten, oder: „Konsequenzen von höherer Stelle“

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Heute gibt es hier StGB-Entscheidungen, also materielles Recht.

Ich beginne mit dem KG, Urt. v. 18.03.2021 – (3) 121 Ss 14/21 (10/21) – zur versuchten Nötigung eines Polizeibeamten. Dazu folgender Sachverhalt:

„Der Angeklagte parkte am 8. Mai 2018 gegen 22:50 Uhr seinen Pkw Daimler-Benz mit dem amtlichen Kennzeichen pp. mit eingeschaltetem Licht verkehrsordnungswidrig an der Straßenecke pp. in pp., wobei er seinen Pkw unerlaubt schräg in Richtung des Gehweges in einem schraffierten Bereich und zugleich auf dem markierten Fahrradweg abstellte. Als der Zeuge POK pp. gegen 22:51 Uhr damit befasst war, wegen dieser Verkehrsordnungswidrigkeit eine Anzeige aufzunehmen, erschien der Angeklagte von der anderen Straßenseite und äußerte: „Sie sind ja ein ganz schlauer Oberkommissar“. Während der Zeuge pp. die Personalien des Angeklagten notierte, äußerte der Angeklagte wahrheitswidrig, dass er den Leiter des zuständigen Abschnittes pp. pp. kenne und der Zeuge pp. von diesem hören werde. Er wollte damit den Zeugen pp. einschüchtern und erreichen, dass dieser aus Sorge vor persönlichen Nachteilen, die aus dieser Bekanntschaft resultieren könnten, die Anzeige gegen ihn unterließ. Sein Ziel weiterverfolgend rief der Angeklagte gegen 23:25 Uhr auf der Wache des Abschnitts pp. an und äußerte gegenüber PHK pp., der als Wachhabender den Anruf entgegennahm, sollte „der übereifrige POK pp.“ die Anzeige wegen der Verkehrsordnungswidrigkeit schreiben, hätte dies für POK pp. persönliche Konsequenzen von höherer Stelle. Er forderte POK (gemeint wohl PHK, Anm. d. Senats) pp. auf, entsprechend auf seinen Kollegen einzuwirken, was dieser strikt ablehnte. Er teilte jedoch POK pp. den Gesprächsinhalt mit. Um 23:35 Uhr schickte der Angeklagte dem Zeugen pp. schließlich eine SMS auf das Diensthandy (pp.) mit folgendem Inhalt: „Lieber pp. pp., es wäre sehr freundlich, wenn Sie der Verhältnismäßigkeit bei der Aufnahme von VK-Owis an Radwegen in der pp. eine Chance geben würden! Mit freundlichen Grüßen pp. pp.“. Hierbei benutzte der Angeklagte bewusst die persönliche Anrede und die Telefonnummer des Diensthandys, mithin Interna, um den Anschein zu verstärken, dass er tatsächlich den Dienststellenleiter kannte. Dies gelang ihm auch. Da der Zeuge pp. sein berufliches Fortkommen wegen der behaupteten Bekanntschaft des Angeklagten mit dem Dienststellenleiter nicht gefährden wollte, erstattete er die Anzeige erst, nachdem der Zeuge pp. ihm erklärt hatte, den Angeklagten nicht zu kennen.“

Der Angeklagte, ein ehemaliger Polizeibeamter, ist deswegen wegen versuchter Nötigung verurteilt worden. Dagegen hat er Revision eingelegt. Die hatte – entgegen dem Antrag der GStA – keinen Erfolg:.

„Zu Recht hat die Strafkammer das Verhalten des Angeklagten auch mit Blick auf die sukzessive Tatausführung als versuchte Nötigung im Sinne von §§ 240 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, 22, 23 StGB gewertet.

a) Der Angeklagte hatte nach den Feststellungen den insoweit erforderlichen Tatentschluss. Gemäß § 240 Abs. 1 und 2 StGB ist u.a. strafbar, wer einen Menschen rechtswidrig durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einem Unterlassen nötigt. Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.

(1) Bei einem „Übel“ handelt es sich um eine vom Betroffenen als nachteilig empfundene künftige Veränderung in der Außenwelt (vgl. Fischer a.a.O. § 240 Rn. 32; Toepel in Kindhäuser/Neumann/Paeffgen, StGB 5. Aufl., § 240 Rn. 103). Die Rechtsprechung bejaht ein „Übel“ grundsätzlich z.B. für eine Strafanzeige (vgl. BayObLGSt 2004, 108; BGH NJW 1957, 596), weil daraus zumindest ein Ermittlungsverfahren mit seinen vielfältigen nachteiligen Folgen erwachsen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 5. September 2013 – 1 StR 162/13 –, juris; weitere Nachweise bei Sinn in Münchner Kommentar, StGB 3. Aufl., § 240 Rn. 78), oder für eine Dienstaufsichtsbeschwerde (vgl. OLG Celle NJW 1957, 1847).

Nach den Feststellungen hat der Angeklagte bereits mit seiner Ankündigung, dass der Zeuge von dem Dienststellenleiter „hören werde“ (UA S. 3), wörtlich die Ankündigung verbunden, dass sich im Fall der Anzeigeerstattung der Dienststellenleiter, informiert durch den Angeklagten, persönlich an den Zeugen POK pp. wenden werde. Durch den Zeugen PHK pp. ließ der Angeklagte dem Zeugen POK pp. sodann etwa 35 Minuten später übermitteln, das „Schreiben der Anzeige“ werde für den Zeugen „persönliche Konsequenzen von höherer Stelle“ haben. Auch wenn die Kammer nicht festgestellt hat, welche konkreten Konsequenzen der Angeklagte über den Dienststellenleiter für den Zeugen veranlassen wollte, ist sie zu der ausdrücklich festgestellten Überzeugung gelangt, dass der Angeklagte bereits mit der ersten Äußerung (quasi „zwischen den Zeilen“) (vgl. Altvater in Laufhütte u.a., Leipziger Kommentar StGB 12. Aufl., § 240 Rn. 77; BayObLGSt 1960, 296) eine allgemeine Sorge vor persönlichen Nachteilen bei dem Zeugen hervorrufen wollte, die gerade daraus resultieren würden, dass (angeblich) eine persönliche Bekanntschaft zwischen dem Angeklagten und dem Zeugen pp., dem Dienststellenleiter, bestand und die deshalb für den Zeugen POK pp. nicht kalkulierbar sein würden. Hierin liegt ein Übel im Sinne der Definition.

(2) Der Täter droht mit einem Übel, wenn er (sei es zutreffend oder nicht) behauptet, er habe auf dessen Eintritt Einfluss (vgl. BGH, Urteil vom 29. November 2011 – 1 StR 287/11 –, juris; zusammenfassend Fischer a.a.O. § 240 Rn. 31 m.w.N.). Soll das Übel – wie hier – von einem Dritten verwirklicht werden, muss er also die Vorstellung erwecken wollen, er könne den Dritten in der angekündigten Richtung beeinflussen und wolle dies für den Fall der Verweigerung des verlangten Verhaltens auch tun (vgl. BGH NStZ 2009, 692; Altvater a.a.O. Rn. 78). Andernfalls läge lediglich eine nicht von § 240 StGB erfasste Warnung vor (vgl. BGH NStZ 2009 a.a.O.; NJW 1957 a.a.O.). Unerheblich ist, ob der Täter die Drohung bei Standhaftigkeit des Genötigten wirklich realisieren kann oder will (vgl. Valerius in BeckOK, StGB 48. Ed., § 240 Rn. 35).

In dem festgestellten Hinweis des Angeklagten, er werde sich im Fall der Anzeigeerstattung an den ihm (angeblich) persönlich bekannten Vorgesetzten wenden und dessen Einschreiten gegenüber dem Zeugen POK pp. veranlassen, hat das Landgericht zutreffend nicht nur eine Warnung, sondern eine Drohung gesehen.

(3) Empfindlich im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB ist ein angedrohtes Übel, wenn der in Aussicht gestellte Nachteil so erheblich ist, dass seine Ankündigung den Bedrohten im Sinne des Täterverlangens motivieren kann (vgl. BGH, Beschluss vom 5. September 2013 a.a.O.). Das Inaussichtstellen von bloßen Erschwernissen oder Unannehmlichkeiten unkonkreter Art genügt nicht (vgl. BGH NJW 1976, 760; Zimmermann in Leipold/Tsambikakis/Zöller, StGB 3. Aufl., § 240 Rn. 17; Toepel a.a.O.). Durch diese generalisierende Betrachtungsweise sollen Reaktionen eines Überängstlichen oder Überempfindlichen ausgeschieden werden. Jedoch sind auch die individuellen Verhältnisse zu berücksichtigen (vgl. Zimmermann a.a.O.). So können nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Besonderheiten des Einzelfalls dazu führen, dass die Empfindlichkeit des Übels trotz der Erheblichkeit des angedrohten Nachteils zu verneinen ist. Derartige Besonderheiten können insbesondere dann vorliegen, wenn und soweit gerade von dem Bedrohten in seiner (häufig: beruflichen) Lage erwartet werden kann, dass er der Drohung in besonnener Selbstbehauptung standhält (vgl. BGH NStZ 1992, 278; Schönke/Schröder/Eisele, StGB 30. Aufl., § 240 Rn. 9). Dies kann z.B. dann der Fall sein, wenn einem Polizeibeamten mit einer „gewöhnlichen“ Dienstaufsichtsbeschwerde (vgl. OLG Koblenz Polizei 1977, 93; OLG Celle a.a.O.; Zimmermann a.a.O. Rn. 18 m.w.N.) gedroht wird, die nur die Herbeiführung einer anderen Sachentscheidung bezweckt (vgl. Altvater a.a.O. § 240 Rn. 137 m.w.N.). Denn die Unannehmlichkeiten, die mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde verbunden sind, muss grundsätzlich jeder Beamte tragen. Ihre Ankündigung stellt im Allgemeinen keine Drohung mit einem empfindlichen Übel dar, weil sonst der Gebrauch eines zulässigen Rechtsbehelfs durch eine Strafdrohung behindert wäre (vgl. BGH NJW 1976 a.a.O.).

Vom Vorliegen eines solchen Sonderfalls ist das Landgericht hier jedoch ersichtlich nicht ausgegangen. Die von der Generalstaatsanwaltschaft und dem Revisionsführer vertretene Ansicht, das Verhalten des Angeklagten sei sachlich (nur) als Androhung einer Dienstaufsichtsbeschwerde bzw. „Reklamieren“ einer Diensthandlung zu bewerten, verkürzt die Urteilsfeststellungen. Denn das Landgericht hat gerade nicht festgestellt, dass der Angeklagte dem Zeugen POK pp. mit einer (Dienstaufsichts-)Beschwerde drohen wollte oder gedroht hat. Auch hat die Kammer nicht festgestellt, dass es dem Angeklagten (nur) darum ging, ggfs. nachträglich die Abänderung einer für ihn nachteiligen Sachentscheidung zu erreichen. Vielmehr hat das Tatgericht schon der Äußerung, der Zeuge POK pp. werde vom Dienststellenleiter hören, ein über die Ankündigung einer Beschwerde hinausgehendes Gewicht zugemessen, weil der Angeklagte den Zeugen POK pp. nach den Feststellungen hiermit „einschüchtern“ (UA S. 3) wollte und in diesem Zusammenhang auf seine persönliche Bekanntschaft mit dem Vorgesetzten hinwies. Gerade aber durch den Hinweis auf die persönliche Bekanntschaft wollte der Angeklagte bei dem Zeugen POK pp. gezielt den Eindruck entstehen lassen, für ihn dienstlich nachteilige Entscheidungen des Dienststellenleiters auch mit persönlichen Auswirkungen veranlassen zu können, die über jene hinausgehen würden, die ein von persönlicher Bekanntschaft unbeeinflusster Dienststellenleiter treffen würde. Zudem wollte er dem Zeugen POK pp. damit einhergehend die Vorstellung vermitteln, dass der Angeklagte den Dienststellenleiter als entsprechend beeinflussbar kenne.

Indem der Angeklagte die dienstliche Stellung seines angeblichen Bekannten dergestalt für sich vereinnahmte, kündigte er nicht nur eine gewöhnliche (Dienstaufsichts-)Beschwerde an. Dass das Landgericht hinsichtlich dieser Negativtatsache keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen hat, ist mit Blick auf dieses Ergebnis der Beweisaufnahme (dazu s.u. II.2.) nicht zu beanstanden.

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