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StPO II: Nichterscheinen in der Hauptverhandlung, oder: Vertrauen auf (falsche) Auskunft des Verteidigers

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, hat auch etwas mit „Abwesenheit“ zu tun, allerdings nichts mit Corona. Im LG Braunschweig, Urt. v. 12.02.2020 – 5 Ns 301/19 – geht es um die Zulässigkeit der Verwerfung des Einspruchs gegen einen Strafbefehl. Das AG hatte den verworfen, als der Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht erschienen war (§ 412 i. V. m. § 329 StPO). Das LG sagt: So nicht:

„…. Nachdem der Angeklagte durch seinen beigeordneten Verteidiger Rechtsanwalt mit Schriftsatz vom 10.04.2019 form- und fristgerecht Einspruch gegen den Strafbefehl eingelegt hatte, beraumte die Strafrichterin mit Verfügung vom 23.05.2019 Termin zur Hauptverhandlung auf Mittwoch, den 25.09.2019 um 12:00 Uhr an. Dabei ordnete sie ausweislich der Ladungsverfügung auch das persönliche Erscheinen des Angeklagten an. Die in Ausführung dieser Verfügung erstellte Ladung des Angeklagten wurde nicht als Leseabschrift zur Akte genommen. Der Inhalt der Ladung konnte auch nicht rekonstruiert werden. Die Ermittlungen der Kammer beim Amtsgericht Salzgitter haben ergeben, dass die Ladung dort nicht mehr im Programm Eureka-Text gespeichert ist. Der Angeklagte hat angegeben, nicht mehr im Besitz der Ladung zu sein. Die Ladung zur Hauptverhandlung ist dem Angeklagten ausweislich der verlesenen Zustellungsurkunde am 27.05.2019 zugestellt worden. Darin heißt es „Ldg. z. 25.09.2019, 12.00 Uhr, Saal 116″.

Mit Schreiben vom 29.05.2019 beantragte der Verteidiger mit der Begründung, dass er an dem Terminstag bereits um 9:00 Uhr einen anderweitigen Hauptverhandlungstermin vor dem Amtsgericht Salzgitter wahrnehmen müsse, den Termin zu verlegen.

Mit Schreiben vom 04.06.2019 teilte die zuständige Strafrichterin dem Verteidiger mit, dass eine Verlegung des Termins nicht erfolge, weil die Verhandlung um 9:00 Uhr auch von ihr geleitet werde, so dass keine Terminskollision vorläge.

Die Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht begann am 25.09.2019 um 12:00 Uhr. Es wurde ausweislich des Protokolls festgestellt, dass der Angeklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung (Zustellungsurkunde vom 27.05.2019, BI. 86 d. A.) dem Termin ohne ausreichende Entschuldigung ferngeblieben war. Der Pflichtverteidiger war ebenfalls nicht erschienen.
Mit Urteil vom 25.09.2019 wurde der Einspruch des Angeklagten gegen den Strafbefehl des Amtsgerichts Salzgitter vom 04.04.2019 verworfen. Nach den schriftlichen Urteilsgründen hat an der Verhandlung am 25.09.2019 auch Rechtsanwalt teilgenommen, hierbei handelt es sich um ein offensichtliches Schreibversehen. Ausweislich der Zustellungsurkunde BI. 109 d. A. ist dem Angeklagten das Verwerfungsurteil „Urt. v. 25.09.2019 mit RMB“ am 01.10.2019 zugestellt worden. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 01.10.2019 hat der Angeklagte form- und fristgerecht Berufung gegen das Verwerfungsurteil eingelegt. Ein Antrag auf Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand wurde nicht gestellt.

Die zulässige Berufung des Angeklagten hat auch in der Sache Erfolg. Das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Salzgitter vom 25.09.2019 war in entsprechender Anwendung des § 328 Abs. 2 StPO aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen (vgl. BGH Beschluss vom 14.03.1989, 4 StR 558/88).

Auf die Berufung gegen ein Verwerfungsurteil nach § 412 Satz 1 i. V. m. § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO ist von der Berufungskammer nur zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Verwerfung des Einspruchs im Zeitpunkt der amtsgerichtlichen Entscheidung vorgelegen haben. Neues Tatsachenvorbringen des Berufungsführers muss berücksichtigt werden, hierfür gilt das Strengbeweisverfahren (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Auflage 2019, § 412, Rn. 10).
Ob die Voraussetzungen für die Einspruchsverwerfung am 25.09.2019 vorgelegen haben, konnte die Berufungskammer nicht sicher feststellen. Voraussetzung der Einspruchsverwerfung ist neben dem Vorliegen eines wirksamen Strafbefehls und eines zulässigen Einspruchs – beides ist gegeben – die ordnungsgemäße Ladung des Angeklagten mit einer Belehrung über die Rechtsfolge des § 412 StPO (Meyer¬Goßner Schmitt, StPO, 62. Auflage 2019, § 412. Rn. 2 m.w.N.). Die Ladung muss den Hinweis auf die Folgen des Ausbleibens enthalten. Sein Fehlen steht der Anwendung des § 329 Abs. 1 StPO und damit auch der Einspruchsverwerfung gemäß § 412 i. V. m. § 329 Abs. 1 StPO entgegen (Meyer-Goßner/Schmitt, § 329, Rn. 10 m.w.N.).

Ob die dem Angeklagten zugestellte Ladung auch die Belehrung darüber enthielt, dass sein Einspruch gemäß § 412 i. V. m. § 329 Abs. 1 Strafprozessordnung verworfen wird, wenn bei Beginn der Hauptverhandlung weder er noch ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht erschienen ist und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist, konnte die Kammer nicht feststellen. Die Ladung wurde nicht als Leseabschrift der Akte beigefügt. Sie ist auch nicht mehr beim Amtsgericht im Eureka-Programm gespeichert, wie die weiteren Ermittlungen der Kammer ergeben haben. Darüber hinaus ist gerichtsbekannt, dass in dem Eureka-Programm bei Erstellung der Ladung der Hinweis auf die Verwerfung des Einspruchs „angeklickt“ werden muss. Dann erscheint dieser Hinweis auch in der Ladung.
Ob dieser Hinweis auf die Folgen des Ausbleibens in der Ladung des Angeklagten zum Hauptverhandlungstermin am 25.09.2019 enthalten war, konnte die Kammer nicht feststellen. Dies musste sich zugunsten des Angeklagten auswirken. Als Indiz, dass die Belehrung über die Folgen des Ausbleibens evt. in der Ladung nicht enthalten war, ist der Umstand, dass auf der Zustellungsurkunde bzgl. der Ladung weder das persönliche Erscheinen, noch die Hinweise vermerkt wurden, wohingegen bei der Zustellung des Verwerfungsurteils die Rechtsmittelbelehrung „RMB“ ausdrücklich erwähnt ist.

Darüber hinaus konnte die Kammer auch unabhängig von diesem formalen Gesichtspunkt nicht feststellen, dass das Ausbleiben des Angeklagten in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht nicht genügend entschuldig gewesen ist. Weitere Voraussetzung für eine Einspruchsverwerfung ist, dass das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist, § 412 i. V. m. § 329 StPO. Insoweit gelten die gleichen Grundsätze wie bei § 329 Abs. 1 StPO. Bei der Verschuldensfrage ist eine weitere Auslegung zugunsten des Angeklagten geboten. Maßgebend ist, ob dem Angeklagten nach den Umständen des Falles wegen seines Ausbleibens billigerweise ein Vorwurf zu machen ist (Meyer-Goßner/Schmitt, § 329, Rn. 23). Entschuldigen kann auch das Vertrauen auf Auskünfte des Verteidigers, z.B., wenn dieser wahrheitswidrig erklärt, der Termin sei vom Gericht abgesetzt worden.

Nach dem Ergebnis der Berufungshauptverhandlung ist der Angeklagte unverschuldet nicht zur Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht erschienen.

Der Angeklagte hat ausgesagt, er habe am Montag vor der Verhandlung seinen Verteidiger Rechtsanwalt pp.2 den er schon lange kenne und vertraue, auf dem Mobiltelefon angerufen, weil er mit ihm das weitere Vorgehen in der anstehenden Verhandlung bzw. ein Treffen zur Vorbesprechung vereinbaren wollte. Bei diesem Telefonat habe ihm sein Verteidiger mitgeteilt, dass der Termin aufgehoben worden sei. Darauf habe er vertraut, auch wenn er keine Abladung vom Gericht erhalten habe.

Zu diesen Umständen wurde Rechtsanwalt als Zeuge vernommen. Diese legte
eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Woche vom 23.09 bis 27.09.2019 – ausgestellt am 23.09.2019 vor — und erklärte, bereits am Sonntag krank gewesen zu sein. Am Montag habe er in seiner Kanzlei angerufen, sich krankgemeldet und sich erkundigt, ob in der Woche noch Gerichtstermine anstünden. Dabei sei ihm von seiner sonst immer zuverlässigen Sekretärin mitgeteilt worden, dass der Termin im vorliegenden Verfahren beim Amtsgericht Salzgitter aufgehoben worden sei. Wie es zu dieser Fehlauskunft gekommen sei. könne er sich nicht erklären. Tatsächlich sei die 12:00 Uhr- Sache auch in seinem Kalender handschriftlich gestrichen gewesen. Bei der 9-Uhr-Sache, wegen der er ursprünglich die Verlegung beantragt hatte, habe es sich um einen Fortsetzungstermin gehandelt und dieser sei bereits vorher aufgehoben worden. Er habe dann dem Angeklagten tatsächlich in dem besagten Telefonat am Montag die Auskunft erteilt, dass der Termin am Mittwoch aufgehoben worden sei. An dem Nichterscheinen des Angeklagte treffe diesen keine Schuld….“