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Erstattungsfähigkeit von Reisekosten nach Freispruch, oder: Anreise von einem anderen Ort ohne Anzeige

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Am RVG-Tag heute zunächst eine Entscheidung zur Erstattungsfähigkeit von Reisekostendes Angeklagten.

Insoweit gilt der Grundsatz: Wird ein Angeklagter frei gesprochen, kann er Auslagenersatz verlangen. Dazu gehören auch seine Reisekosten. Nur ist manchmal fraglich, in welchem Umfang der Angeklagte Erstattung verlangen kann. Dazu hat sich der LG Karlsruhe, Beschl. v. 06.12.2023 – 16 Qs 57/23 – geäußert, den ich schon in anderem Zusammenhang vorgestellt habe (vgl. hier: Bemessung der Rahmengebühr als Mittelgebühr I, oder: Freispruchantrag der StA hat keine Auswirkungen).

Für den „zweiten Teil“ der Entscheidung folgender Sachverhalt: Der Angeklagte war in dem gegen ihn anhängigen Verfahren unter seiner Wohnanschrift/Meldeadresse in Pforzheim in der Bundesrepublik Deutschland schriftlich vorgeladen. Daraufhin legitimierte sich sein Verteidiger als Wahlverteidiger. Seinem Schreiben vom 20.07.2022 war beigefügt die auf ihn ausgestellte und unterschriebene Vollmacht des ehemaligen Angeklagten, auf der sich ebenfalls die Adressdaten der deutschen Meldeadresse befand.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft hat das AG gegen den ehemaligen Angeklagten einen Strafbefehl. Auf den Einspruch des Verteidigers fand am 01.03.2023 beim AG Pforzheim von 11:02 Uhr bis 11:16 Uhr die Hauptverhandlung statt. In dieser erwähnte der ehemalige Angeklagte erstmals, dass er aus geschäftlichen Gründen eine österreichische Anschrift habe. Die Hauptverhandlung wurde am 22.03.2023 von 14:52 Uhr bis 15:00 Uhr fortgesetzt.

Der Angeklagte wurde frei gesprochen. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten wurden der Staatskasse auferlegt. Das Urteil des Amtsgerichts Pforzheim ist echtskräftig.

Der ehemalige Angeklagte dann hat u.a. Reisekosten in Höhe von 985,- EUR geltend gemacht. Das hat er u.a. damit begründet, er sei tatsächlich in Oberparschenbrunn in Österreich wohnhaft. Hierzu legte er eine entsprechende Meldebestätigung vom 04.11.2021 vor. Nach Aktenlage hat der Angeklagte erstmals im Rahmen der Kostenfestsetzung erwähnt, dass er auch von Österreich aus und nicht von seiner Meldeadresse in Pforzheim zu den Hauptverhandlungsterminen habe anreisen müssen.

Die Bezirksrevision ist der Festsetzung der geltend gemachten Reisekosten entgegen getreten. Die Fahrtkosten aus Österreich seien nicht festzusetzen. Der Angeklagte sei offiziell in Pforzheim gemeldet und auch dort geladen worden. Ein ausdrücklicher Hinweis auf die beabsichtigte Fahrt aus dem Ausland sei vor Durchführung der Hauptverhandlung nicht ersichtlich. Ansonsten wäre es dem Gericht ggf. möglich gewesen, die Hauptverhandlung so zu legen, dass sich der Beschwerdeführer ohnehin an seiner Meldeadresse in Pforzheim aufgehalten hätte. Das AG ist dem gefolgt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des ehemaligen Angeklagten hatte Erfolg:

„3. Die dem Beschwerdeführer selbst entstandenen Fahrtkosten sind nach § 464a Abs. 2 Nr. 1 StPO i.V.m. § 5 JVEG erstattungsfähig.

Der Beschwerdeführer macht Fahrtkosten von seinem Wohnsitz in Österreich aus geltend, obwohl er jeweils an seiner Meldeadresse in Pforzheim geladen wurde.

Ausgangspunkt für die Beurteilung der Erstattungsfähigkeit ist § 5 Abs. 5 JVEG, der unmittelbar anwendbar ist. Durch den ausdrücklichen gesetzlichen Verweis bedarf es einer entsprechenden Anwendung von §§ 5, 6 JVEG nicht (in diesem Sinne aber offenbar Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl. 2023, § 464a Rn. 15 m.w.N.). Aus § 5 Abs. 5 JVEG folgt: Wird die Reise zum Ort des Termins „von einem anderen als dem“ in der Ladung oder Terminsmitteilung bezeichneten oder der zuständigen Stelle „unverzüglich angezeigten Ort“ angetreten oder wird zu einem anderen als zu diesem Ort zurückgefahren, werden Mehrkosten nach billigem Ermessen nur dann ersetzt, wenn der Berechtigte zu diesen Fahrten durch besondere Umstände gezwungen war.

Eine förmliche Anzeige des Reiseantritts des Beschwerdeführers aus Österreich ist nicht aktenkundig. Die jedenfalls vom Beschwerdeführer behauptete Erwähnung seiner Arbeitsstelle in Österreich im Rahmen der Hauptverhandlung erfüllt erkennbar nicht die Anforderung an eine ordnungsgemäße Anzeige.

Dem Wortlaut der Norm nach kommt die vom Beschwerdeführer begehrte Erstattung nach billigem Ermessen demnach nur noch in Betracht, wenn der Berechtigte zu diesen Fahrten durch besondere Umstände gezwungen war (vgl. LG Koblenz MDR 1998, 1183 zu § 9 ZESG; erwähnt bei JVEG/Schneider, 4. Aufl. 2021, JVEG, § 1 Rn. 158).

Für Angeklagte ist die Regelung nach ihrem Sinn und Zweck sowie dem systematischen Zusammenhang mit den Vorschriften der StPO jedoch einschränkend auszulegen: Die unverzügliche Anzeige soll dem Gericht nur die Prüfung ermöglichen, ob es den Zeugen, Sachverständigen oder sonstigen Beteiligten zunächst abbestellen will (vgl. OLG Dresden, JurBüro 1998, 269; Hartmann, KostenG, 39. Aufl., § 5 JVEG Rn 22). Hätte das Gericht die Ladung aber in jedem Fall aufrechterhalten, so sind dem Beteiligten die Mehrkosten der An- und/oder Rückreise von oder zu einem anderen als dem in der Ladung angegebenen Ort auch dann zu erstatten, wenn er die Anreise von dem anderen Ort verspätet oder überhaupt nicht angezeigt hat (vgl. OLG Celle NStZ-RR 2013, 62; OLG Dresden, JurBüro 1998, 269; OLG Schleswig, RPfl 1962, 367; Hartmann, § 5 JVEG Rn. 24; Meyer/Höver/Bach, JVEG, 25. Aufl., § 5 Rn 5.23). Das ist aber bei Angeklagten stets der Fall. Da gegen einen ausgebliebenen Angeklagten gem. § 230 Abs. 1 StPO eine Hauptverhandlung grundsätzlich nicht stattfinden kann, ist es ausgeschlossen, dass das Amtsgericht den Beschwerdeführer abgeladen hätte, wenn er seine Anreise aus Österreich rechtzeitig angezeigt hätte. Zwar wäre es dem Beschwerdeführer gem. § 411 Abs. 2 Satz 1 StPO grundsätzlich möglich gewesen, seinen Verteidiger für die Vertretung im Einspruchsverfahren gegen einen Strafbefehl gesondert zu bevollmächtigen. Insofern hätte ausnahmsweise entgegen § 230 Abs. 1 StPO eine Hauptverhandlung auch ohne den Beschwerdeführer stattfinden können. Eine solche Vorgehensweise liegt indes nicht in der Disposition des Gerichts. Die insoweit von der Bezirksrevision hypothetisch angedachte Möglichkeit einer kostenschonenden Terminierung von Hauptverhandlungen rund um die Verfügbarkeiten des Beschwerdeführers an seiner Meldeadresse in Pforzheim entspricht nicht den realen organisatorischen Gegebenheiten einer durch erheblichen Terminierungsdruck geprägten Strafjustiz.

Die fehlende Anzeige steht also der Erstattungspflicht hier nicht entgegen.

Die Anreise aus Österreich ist auch glaubhaft gemacht.“