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Aufklärung II: Vernehmung der früheren Berufsrichter, oder: Was haben die Zeugen früher gesagt?

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Bei der zweiten Entscheidung betreffend Aufklärung(spflicht) handelt es sich um das BGH, Urt. v. 30.03.2023 – 4 StR 318/22.

Folgender Sachverhalt: Das LG hatte im ersten Rechtsgang die Angeklagten mit Urteil v. 09.01.2019 vom Vorwurf der schweren Misshandlung von Schutzbefohlenen freigesprochen. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft hat der BGH mit Urteil vom 30. 07.2020 das LG-Urteil mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des LG zurückverwiesen.

Im zweiten Rechtsgang hat das LG die Angeklagten dann erneut aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Dagegen die Revision der StA, die hinsichtlich der Angeklagten T. H. mit der Verfahrensrüge Erfolg hatte. Die Revision betreffend den Angeklagten M. H. war unbegründet.

Der Verfahrensrüge ders StA liegt folgendes Geschehen zugrunde: Im ersten Rechtsgang hatten sich beide Angeklagte zur Sache eingelassen. Die Eltern der beiden Angeklagten und die Ehefrau des Bruders des Angeklagten M. H. hatten als Zeugen Angaben gemacht. Im zweiten Rechtsgang haben beide Angeklagte weitgehend von ihrem Schweigerecht Gebrauch gebracht. Lediglich die Angeklagte T. H. hat sich über eine Verteidigererklärung dahin eingelassen, dass sie die Hebamme bzw. die Kinderärztin auf die Schwellung an L. s Brustkorb aufmerksam gemacht habe und nicht umgekehrt. Die mit den Angeklagten verwandten Zeugen haben sich im zweiten Rechtsgang auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen.

Der BGH moniert, dass die Berufsrichter aus dem ersten Rechtsgang nicht als Zeugen vernommen worden sind:

„2. Die Aufklärungsrüge die Angeklagte T.H. betreffend ist zulässig erhoben. Die Rüge genügt der durch § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO vorgeschriebenen Form. Insbesondere hat die Beschwerdeführerin die Beweismittel, deren Verwertung sie vermisst, und die zu erwartenden Beweisergebnisse jeweils konkret bezeichnet (vgl. BGH, Urteil vom 24. Februar 2021 – 6 StR 214/20 Rn. 3), indem sie mit dem Ziel, eine Aktivtäterschaft der Angeklagten T.H. zu beweisen, im Einzelnen vorgetragen hat, welche Bekundungen der namentlich benannten Berufsrichter über die Einlassungen der beiden Angeklagten und über die Angaben der Zeugen (Eltern der beiden Angeklagten, Ehefrau des Bruders des Angeklagten) in der Hauptverhandlung im ersten Rechtsgang zu erwarten waren.

3. Die Aufklärungsrüge ist begründet, denn das Landgericht hätte sich zu der Vernehmung der Berufsrichter des ersten Rechtsgangs gedrängt sehen müssen (§ 244 Abs. 2 StPO).

a) § 244 Abs. 2 StPO gebietet es, von Amts wegen Beweis zu erheben, wenn aus den Akten oder aus dem Stoff der Verhandlung Umstände und Möglichkeiten bekannt oder erkennbar sind, die bei verständiger Würdigung der Sachlage begründete Zweifel an der Richtigkeit der – auf Grund der bisherigen Beweisaufnahme erlangten – Überzeugung wecken müssen bzw. geeignet sind, noch vorhandene Zweifel, die einer Überzeugungsbildung entgegenstehen, auszuräumen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Oktober 2014 – 4 StR 208/14 Rn. 7 mwN). Ergibt die Beweisaufnahme weder den Nachweis noch die Widerlegung eines entscheidungserheblichen Umstands, so muss das Gericht, bevor es zu dem fraglichen Punkt zugunsten des Angeklagten entscheidet, von Amts wegen nach eventuellen weiteren Aufklärungsmöglichkeiten forschen und anordnen, dass bekannte oder erkennbare weitere, bisher nicht genutzte Beweismittel, die eine Aufklärung erwarten lassen, herbeigeschafft und gebraucht werden (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 1959 – 1 StR 488/59, BGHSt 13, 326 Rn. 5 f.; Becker in Löwe-Rosenberg, 27. Aufl., § 244 Rn. 61).

b) Hieran gemessen war die Strafkammer gehalten, die aus dem Urteil im ersten Rechtsgang ersichtlichen Einlassungen der Angeklagten und Angaben der Zeugen durch Vernehmung der Berufsrichter zum Gegenstand der Hauptverhandlung zu machen. Die Vernehmung der Berufsrichter drängte sich auf, da für das Gericht im zweiten Rechtsgang das abweichende Einlassungs- bzw. Aussageverhalten der Angeklagten und Zeugen aus dem Urteil im ersten Rechtsgang erkennbar war und die unterbliebene Beweiserhebung zu einer anderen Sachverhaltsfeststellung hätte führen können. Denn die in das Wissen der benannten Zeugen gestellten früheren Äußerungen der Angeklagten und Zeugen können Feststellungen ermöglichen, die im Rahmen der Gesamtwürdigung der Beweisergebnisse wesentliche indizielle Bedeutung für eine (Aktiv-)Täterschaft der Angeklagten T. H. haben……..“

Der BGH hat dann an ein anderes LG zurückverwiesen. Ist vielleicht auch besser.