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Beschlussverfahren II: Anforderungen an die Beschlussbegründung, oder: Wie ein Urteil

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In der zweiten Entscheidung zum Beschlussverfahren nimmt (wiederum) das KG Stellung, und zwar im KG, Beschl. v. 16.01.2019 – 3 Ws (B) 312/18 – zu den Anforderungen an die Beschlussbegründung. Dafür gilt:

„Für die Begründung eines verurteilenden Beschlusses gemäß § 72 OWiG gelten die gleichen Anforderungen, die an eine Urteilsbegründung zu stellen sind (vgl. § 72 Abs. 4 Satz 3 und 4 OWiG). Eine unterschiedliche Form der Begründung ist nicht vorgesehen, da der Beschluss nach § 72 OWiG grundsätzlich – abgesehen von den Fällen des § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, 5 und dem Ausschluss der Zulassungsbeschwerde gemäß § 79 Abs. 1 Satz 2 OWiG – mit dem gleichen Rechtsmittel anfechtbar ist wie das Urteil (Göhler-Seitz/Bauer, OWiG 17. Aufl., § 72 Rn. 63) und damit auch dem gleichen Prüfungsmaßstab unterliegt.

Das Gericht entscheidet nach § 72 Abs. 3 Satz 1 OWiG hierbei auf schriftlicher Grundlage, ob der Betroffene hinsichtlich des im Bußgeldbescheid enthaltenen Tatvorwurfs freigesprochen, gegen ihn eine Geldbuße festgesetzt, eine Nebenfolge angeordnet oder das Verfahren eingestellt wird und prüft auch im Beschlussverfahren den Bußgeldbescheid als vorangegangene Entscheidung nicht nach (vgl. Göhler, a.a.O., § 72 Rn. 49).

Die Gründe eines Urteils oder eines Beschlusses in Bußgeldsachen unterliegen hierbei zwar keinen hohen Anforderungen (vgl. BGHSt 39, 291; Senat, Beschluss vom 27. März 2017 – 3 Ws (B) 581/16BeckRS 2017, 119427; OLG Brandenburg, Beschluss vom 18. Februar 2008 – 1 Ss (OWi) 266 B/07 – BeckRS 2008, 4865; BayObLG NZV 2003, 247; OLG Rostock DAR 2001, 421), so dass es teilweise für ausreichend erachtet wird, den Begründungsaufwand auf das rechtsstaatlich unverzichtbare Maß zu beschränken (vgl. Cierniak NZV 1998, 293). Die Gründe müssen aber so beschaffen sein, dass diese zu den entscheidungserheblichen Vorgängen und Umständen Feststellungen sowie eine Beweiswürdigung enthalten, aus der sich die durchgeführten Beweiserhebungen, deren Ergebnis und deren Beurteilung durch das Tatgericht ergeben (OLG Jena, Beschluss vom 2. August 2006 – 1 Ss 144/06BeckRS 2007, 5390). Schließlich sind auch die tatrichterlichen Erwägungen für die Bemessung der Geldbuße, die nach § 17 OWiG vorzunehmen ist, und der Anwendung von Nebenfolgen darzulegen (OLG Bamberg, Beschluss vom 29. November 2018 – 2 Ss OWi 1359/18BeckRS 2018, 33056 m.w.N.).“

Beschlussverfahren I: Zustimmung unter einer Bedingung, oder: Widerruf/Beschränkung

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Das Beschlussverfahren nach § 72 OWiG ist in der Praxis ja gar nicht so selten, wie man ggf. zunächst meint. Daher heute mal drei Entscheidungen zu diesem Verfahren, die sich in der letzten Zeit bei mir angesammelt haben.

Ich beginne mit dem KG, Beschl. v. 29.10.2018 – 3 Ws (B) 270/18. Das KG nimmt zunächst zu den prozessualen Befugnissen eines in Untervollmacht auftretenden Terminvertreters Stellung, wenn die (Haupt-) Verteidigerin keine schriftliche Vollmacht zur Akte gereicht hat und der Betroffene von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war.

Und zum Verfahren nach § 72 OWiG stellt es fest:

1. Die Zustimmung zur Entscheidung nach § 72 Abs. 1 OWiG kann mit der Bedingung verbunden werden, dass das Amtsgericht vom Fahrverbot absieht.

2. Eine einmal erklärte Zustimmung zur Entscheidung nach § 72 OWiG kann grundsätzlich auch widerrufen und beschränkt werden kann.

Beschlussverfahren, oder: Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde in Bagatellsachen

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Die zweite Entscheidung des heutigen Tages kommt dann auch aus Berlin. Im KG, Beschl. v. 20.092.2018 – 3 Ws (B) 235/18 – geht es um die Zulässigkeit der Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss nach § 72 OWiG: Frage: Zulässig auch in Bagatellsachen – hier bei einer Geldbuße von 100 €? Das KG sagt: Ja, ist sie:

„Die Rechtsbeschwerde ist unabhängig von der Höhe der verhängten Geldbuße nach § 79 Abs. 1 Nr. 5 OWiG statthaft, wobei sich die Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts auf den geltend gemachten Verfahrensverstoß der Verletzung von § 72 Abs. 1 OWiG beschränkt (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. etwa Beschlüsse vom 23. Juni 2016 – 3 Ws (B) 339/16 –, 21. Januar 2013 – 3 Ws (B) 31/13 – und 20. August 2010 – 3 Ws (B) 418/10 – jeweils mwN).“

Die Verfahrensrüge ist auch in zulässiger Form erhoben, denn sie entspricht trotz ihrer knappen Ausführungen (noch) den Anforderungen der § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Dem Rechtsbeschwerdevorbringen ist zu entnehmen, dass das Amtsgericht überraschend im Beschlussverfahren gemäß § 72 OWiG entschieden habe, ohne dem Betroffenen zuvor einen Hinweis auf die Möglichkeit eines derartigen Vorgehens und/oder des Widerspruchs hiergegen erteilt zu haben. Der Darstellung ist weiter immanent, dass der Betroffene weder auf sein Widerspruchsrecht verzichtet noch sein Einverständnis mit der beabsichtigten Verfahrensweise erklärt hat (vgl. Senat, Beschluss vom 20. August 2010 – 3 Ws (B) 418/10 –). Stillschweigend bringt der Betroffene zudem zum Ausdruck, dass er, wenn er auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 72 OWiG hingewiesen worden wäre, einer Entscheidung im Beschlussverfahren widersprochen hätte.

3. In der Sache ist die Rechtsbeschwerde begründet. Das Amtsgericht hätte nicht durch Beschluss nach § 72 OWiG entscheiden dürfen, denn der Akteninhalt bestätigt, dass dem Betroffenen das ihm nach § 72 Abs. 1 OWiG zu gewährende rechtliche Gehör versagt wurde. Weder der Betroffene noch sein Verteidiger wurden – anders als die Staatsanwaltschaft – zu einer möglichen Entscheidung im Beschlussverfahren gehört. Auch ein Verzicht auf das Widerspruchsrecht wurde ihrerseits nicht erklärt.“

OWi III: Zulässigkeit des Beschlussverfahrens nach § 72 OWiG, oder: Schweigen des Betroffenen

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Und als dritte Entscheidung des Tages stelle ich den OLG Zweibrücken, Beschl. v. 24.07.2018 – 1 OWi 2 Ss Bs 54/18 – vor. OWi-Verfahren, und hier betreffend eine Problematik aus dem Bereich des § 72 OWiG, also „Beschlussverfahren“.

Der Betroffene hatte mit Einlegung des Einspruchs gegen den Bußgeldbescheid zugleich erklärt, einer Entscheidung im gerichtlichen Verfahren durch Beschluss gemäß § 72 OWiG zu widersprechen. Das AG hat dann später wegen einer Entscheidung im Beschlussverfahren beim Betroffenen nachgefragt, worauf der Betroffene geschwiegen hat. Das AG hat im Beschlussverfahren entschieden. Das OLG sagt: Geht so nicht:

„Die Generalstaatsanwaltschaft hat zur Begründetheit der Verfahrensrüge in ihrer Zuschrift vom 18. Juli 2018 ausgeführt:

„Die Entscheidung im Beschlusswege gemäß § 72 Abs. 1 OWiG war nicht zulässig, da der Betroffene bereits in der Einspruchsschrift seines Verteidigers vom 3. November 2017 gegen den Bußgeldbescheid einer solchen Vorgehensweise widersprochen hat. Mit dem Eingang der Akten bei dem Amtsgericht Speyer ist der Widerspruch wirksam abgegeben. In dem Schweigen des Betroffenen auf die gerichtliche Anfrage vom 11. April 2018 kann keine Rücknahme des Widerspruchs gesehen werden (Seitz/Bauer in Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, 17. Aufl., § 72 Rn. 11, 29 sowie z.B. OLG Köln, Beschl. vom 19.09.2016 – III-1 RBs 270/16, OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 13.03.2015, 2 Ss-OWi 240/15).“

Dem schließt sich der Senat an.“

Beschlussverfahren, oder: Dein Widerspruch sei klar und eindeutig….

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In der letzten Zeit hat es eine ganze Reihe von Entscheidungen der OLG zum Beschlussverfahren nach § 72 OWiG gegeben (s. z.B. OLG Brandenburg, Beschl. v. 01.04.2016 – 53 Ss-OWi 16/16 und dazu Kein Rücktritt vom „Widerspruchsverfahren“, aber: Keine Regel ohne Ausnahme, oder: OLG Bamberg, Beschl. v. 03.09. 2015 – 3 Ss OWi 1062/15 und dazu: Vorsicht mit einer „Anregung“ … „aus prozessökonomischen Gründen“) . Aus denen kann/muss man u.a. das Fazit ziehen, dass der Verteidiger sehr sorgfältig formulieren muss, wenn er sich mit dem Beschlussverfahren einverstanden erklärt, das Einverständnis aber an eine bestimmte Rechtsfolge knüpfen will. Diese Vorgehensweise hat den Vorteil, dass das AG dann an das „bedingte Einverständnis“ gebunden ist. Aber: Man muss eben klar und deutlich zum Ausdruck bringen, was man will. Und das hatte nach Auffassung des OLG Bamberg im OLG Bamberg, Beschl. v. 17.03.2016 – 3 Ss OWi 360/16 – die Verteidigerin nicht getan. In dem Beschluss heißt es zu der Erklärung der Verteidigein:

„Nach rechtzeitiger Einspruchseinlegung regte die Verteidigerin des Betr. mit Schriftsatz vom 29.12.2015 an, im Beschlusswege gemäß § 72 OWiG dahin zu entscheiden, dass von der Verhängung eines Fahrverbotes gegen eine angemessene Erhöhung der Geldbuße abgesehen werde; mit einer Entscheidung ohne Durchführung einer Hauptverhandlung bestehe Einverständnis. Schließlich wurde der Einspruch ausdrücklich auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.“

Dazu das OLG:

1. Die formelle Rüge, mit der beanstandet wird, dass das AG nicht im Beschlusswege nach § 72 OWiG habe entscheiden dürfen, weil kein unbedingtes Einverständnis des Betr. hierzu vorgelegen habe, ist unbegründet. Die Entscheidung im Beschlusswege nach § 72 OWiG ist nicht zu beanstanden, weil der Betr. sein unbedingtes Einverständnis hierzu erklärt hat. Die mit Schriftsatz der Verteidigung vom 29.12.2015 erklärte Zustimmung kann nur dahingehend interpretiert werden, dass sie nicht von einer Bedingung abhängig gemacht wurde.

a) In Fällen der vorliegenden Art ist im Einzelfall zu entscheiden, ob Erklärungen des Betr., die seinem Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren hinzugefügt werden, als wirkliche Bedingungen oder lediglich Anregungen anzusehen sind (Göhler/Seitz OWiG 16. Aufl. § 72 Rn. 22; vgl. auch OLG Bamberg, Beschl. v. 03.09.2015 – 3 Ss OWi 1062/15 = ZfS 2016, 170).

b) Indessen belegt bereits der klare Wortlaut der schriftsätzlichen Erklärung eindeutig ein unbedingtes Einverständnis des Betr. Eingangs des Schriftsatzes vom 29.12.2015 wird explizit „angeregt“, im Beschlusswege zu entscheiden, dass von der Verhängung eines Fahrverbotes gegen eine angemessene Erhöhung der Geldbuße abgesehen werde. Schon diese Ausdrucksweise spricht dafür, dass es sich bei dem angestrebten Wegfall des Fahrverbots um eine bloße Wunschvorstellung im Sinne einer Anregung, nicht aber um eine Bedingung für die Entscheidung im Beschlusswege handelte. Hinzu kommt, dass im folgenden Satz – ohne jede Einschränkung und ohne jede Bezugnahme auf die vorhergehende Anregung – das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne Durchführung einer Hauptverhandlung erklärt wird. Bei dieser Sachlage hätte es sich geradezu aufgedrängt, durch die sprachliche Darstellung zu erkennen zu geben, dass nur für den Fall der Verhängung der gewünschten Rechtsfolgen das Einverständnis erklärt werden soll, zumal die Erklärung von der rechtskundigen Verteidigerin und nicht vom Betr. selbst übermittelt wurde. Nachdem dies gerade nicht geschehen ist und stattdessen das Einverständnis in einem gesondert abgesetzten Satz erklärt wurde, kann der Inhalt des Schriftsatzes nur so verstanden werden, dass das Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gerade nicht unter einer Bedingung stand.

c) Ferner spricht zweifelsfrei gegen eine Bedingung, dass die gewünschte Rechtsfolge teilweise gar nicht konkret bezeichnet wird. Zwar wird die Zielvorstellung in Bezug auf das Fahrverbot hinreichend präzise benannt. Allerdings wird auch zu erkennen gegeben, dass (lediglich) eine „angemessene“ Erhöhung der Geldbuße angeregt werde. Nachdem die Höhe der zu verhängenden Geldbuße gerade nicht konkret beziffert wird, ergäbe die Auslegung der Erklärung als echte Bedingung gerade keinen Sinn, weil die Frage des Bedingungseintritts offenbliebe.

d) Schließlich ist auch nicht ersichtlich, weshalb aus der Sicht des Betr., der den für ihn relevanten Sachvortrag in Bezug auf das Fahrverbot und die zugehörigen Unterlagen dem Gericht schriftsätzlich übermittelt hat, die Durchführung einer Hauptverhandlung geeignet gewesen sein soll, die Entscheidung des Gerichts in seinem Sinne beeinflussen zu können.“

Nun ja, hätte man m.E. auch anders sehen können……