Archiv der Kategorie: Strafrecht

VR II: Straßenverkehrsgefährdung bei „Polizeiflucht“, oder: Mischkonsum und Fahruntüchtigkeit

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Die zweite Entscheidung, die ich vorstelle, kommt dann auch vom BGH und dann ebenfalls vom „sonderzuständigen“ 4. Strafsenat. Es handelt sich um den BGH, Beschl. v. 04.12.2024 – 4 StR 453/24.

Das LG hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen Gefährdung des Straßenverkehrs in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis und wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort verurteilt. Dagegen die Revision des Angeklagten, die teilweise Erfolg hatte:

„a) Nach den Feststellungen befuhr der Angeklagte mit einem Pkw in der Nacht zum 3. Dezember 2022 öffentliche Straßen in M. Dabei war er nicht in Besitz einer Fahrerlaubnis und nach dem Mischkonsum von Alkohol und Kokain fahruntüchtig. Er stand zudem unter laufender Bewährung. Als ihn eine Polizeistreife einer allgemeinen Verkehrskontrolle unterziehen wollte, leistete der Angeklagte dem Anhaltesignal keine Folge, sondern flüchtete „mit hoher Geschwindigkeit“ vor dem ihn verfolgenden Streifenwagen durch mehrere Straßen. Schließlich touchierte er während einer Kurvendurchfahrt ein geparktes Fahrzeug, welches infolge des Anpralls gegen einen weiteren Pkw geschoben wurde, wodurch ein erheblicher Sachschaden entstand. Trotz des vom Angeklagten bemerkten Unfallgeschehens sprang er aus dem noch rollenden Pkw und flüchtete zu Fuß. Den nacheilenden Polizeibeamten gelang schließlich seine Ergreifung. Eine dem Angeklagten eineinhalb Stunden später entnommene Blutprobe wies eine Blutalkoholkonzentration von 0,96 mg/g auf und enthielt darüber hinaus 41 ng/ml Kokain und 882 ng/ml Benzoylecgonin (Kokain-Metabolit).

b) Diese Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c Abs. 1 Nr. 1a) StGB nicht, denn sie ergeben schon nicht, dass der Angeklagte fahruntüchtig im Sinne der vorgenannten Strafvorschrift war.

Im Ausgangspunkt zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass die Blutalkoholkonzentration des Angeklagten den Grenzwert, von dem an eine alkoholbedingte absolute Fahruntüchtigkeit eines Kraftfahrers unwiderleglich indiziert ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juni 1990 – 4 StR 297/90, BGHSt 37, 89, 99), nicht erreicht und daher – auch in dem hier vorliegenden Fall der Mischintoxikation (vgl. Patzak in Patzak/Fabricius, BtMG, 11. Aufl., vor § 29 Rn. 434 mwN; König in Hentschel/König/Dauer, 47. Aufl., StGB, § 316 Rn. 24 mwN) – der Nachweis der („relativen“; zum Begriff vgl. BGH, Urteil vom 22. April 1982 ? 4 StR 43/82, BGHSt 31, 42, 44) Fahruntüchtigkeit aufgrund des konkreten rauschmittelbedingten Leistungsbildes im Einzelfall zu führen ist. Hierzu bedarf es außer dem positiven Blut-Wirkstoffbefund regelmäßig weiterer aussagekräftiger Beweisanzeichen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. November 1998 – 4 StR 395/98, NJW 1999, 226 mwN).

Die Strafkammer hat ein solches „rauschbedingtes Fehlverhalten“ in der Reaktion des Angeklagten auf das Anhaltesignal gesehen. Diese Annahme ist widersprüchlich und lückenhaft. Zwar deuten die im Blutserum nachgewiesenen Konzentrationen von Alkohol und Kokain sowie dessen Abbauprodukt auf eine maßgebliche Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit des Angeklagten. Auch können ein unbesonnenes Benehmen bei Polizeikontrollen oder eine besonders leichtsinnige Fahrweise als rauschmittelbedingte Ausfallerscheinungen in Betracht kommen (vgl. BGH, Urteil vom 22. April 1982 ? 4 StR 43/82, BGHSt 31, 42, 45 mwN). Jedoch steht die in Rede stehende Erwägung der Strafkammer in einem unaufgelösten Spannungsverhältnis zu den Ausführungen, mit denen sie ihre Überzeugung von einer nicht erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten begründet hat. Denn das Landgericht hat die erhalten gebliebene Steuerungsfähigkeit unter anderem damit begründet, dass es dem Angeklagten auf seiner Flucht gelungen sei, zunächst mehrere Straßen mit hoher Geschwindigkeit zu passieren und wiederholt Abbiegevorgänge zu bewältigen, ohne die Kontrolle über das Fahrzeug zu verlieren. Auch dem Unfallgeschehen hat es die Eignung als Anzeichen für eine Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit abgesprochen, soweit der Angeklagte danach noch in der Lage gewesen sei, aus dem rollenden Fahrzeug zu springen und zu Fuß zu flüchten. Diese Ausführungen zur Steuerungsfähigkeit lassen sich nicht widerspruchsfrei mit der Erwägung der Strafkammer vereinbaren, wonach die Reaktion des Angeklagten auf das Anhaltesignal ein rauschbedingtes Fehlverhalten belege. In diesem Zusammenhang hat sich das Landgericht auch nicht mit dem naheliegenden Umstand befasst, dass die Polizeiflucht des Angeklagten ebenso Folge einer angestrebten Vereitelung der im Zuge der avisierten Verkehrskontrolle drohenden Entdeckung seines Vergehens des Fahrens ohne Fahrerlaubnis während laufender Bewährung sein konnte.

Der aufgezeigte Mangel zwingt zudem zur Aufhebung der für sich gesehen rechtlich nicht zu beanstandenden Verurteilung wegen des tateinheitlich begangenen Fahrens ohne Fahrerlaubnis (vgl. KK-StPO/Gericke, 9. Aufl., § 353 Rn. 12; BGH, Beschluss vom 27. April 2022 – 4 StR 408/21 Rn. 8 mwN). Die von dem Rechtsfehler nicht betroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende, hierzu nicht in Widerspruch tretende Feststellungen sind möglich.“

VR I: Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, oder: Beifahrer als Mittäter

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Und dann gibt es heute Verkehrsrecht (= VR). Hatte ich schon länger nicht mehr, aber nun habe ich mal wieder drei Entscheidungen.

Den Opener mache ich mit dem BGH Beschl. v. v. 4 StR 446/24 – mal wieder zum gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und noch einmal zu Frage der Täterschaft des Beifahrers.

Der BGH „merkt“ an:

„Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:

Das Landgericht hat das Geschehen auf dem Parkplatz des Einkaufsmarkts in beiden Sachverhaltsalternativen – entweder die Angeklagte O. oder die Angeklagte H.  steuerte das Fluchtfahrzeug – für die jeweils andere Angeklagte rechtsfehlerfrei als (schweren) gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in mittäterschaftlicher Begehungsweise gewürdigt (vgl. Rn. 8 mwN). Auch diejenige Angeklagte, die das Fahrzeug nicht eigenhändig lenkte, ist vorliegend als Mittäterin im Sinne des § 25 Abs. 2 StGB anzusehen mit der Folge der Zurechnung fremder Tatbeiträge. Denn nach den getroffenen und tragfähig belegten Feststellungen hatte die Mitfahrerin ein ebenso erhebliches Interesse an dem Gelingen der Flucht wie die Fahrzeugführerin selbst, namentlich um mit der Beute aus dem zuvor gemeinsam begangenen Ladendiebstahl zu entkommen und sich ihrer Identifizierung als Täterin zu entziehen. Ferner leistete die Mitfahrerin einen gewichtigen objektiven Tatbeitrag, indem sie ihre Komplizin aufforderte, die ihnen die Ausfahrt aus der Parkbucht versperrende Geschädigte umzufahren. Schließlich hatte sie trotz ihrer fehlenden physischen Einwirkung auf die Fahrweise Tatherrschaft oder wenigstens den Willen dazu, so dass die Durchführung und der Ausgang der Tat maßgeblich auch von ihrem Willen abhingen (vgl. Rn. 9; Beschluss vom 3 StR 441/20, BGHSt 66, 226 Rn. 50 mwN). Über ihre gewichtige Einflussnahme auf den tatsituativ gefassten gemeinsamen Tatentschluss hinaus ermöglichte sie durch ihr eiliges Einsteigen die geschlossene Abfahrt und damit einhergehend den beabsichtigten zweckwidrigen Einsatz des Kraftfahrzeugs als Waffe gegen die Geschädigte. Ohne diesen konnte das Ziel des unerkannten Entkommens mit der Diebesbeute nicht erreicht werden.“

Corona I: Abrechnungsbetrug bei Corona-Tests, oder: Unter falschem Namen betriebene Teststellen

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In die 8. KW./2025 geht es dann mit zwei „Corona-Entscheidungen“. Das sind dann mal wieder „Nachbereitungs-/Aufarbeitungsentscheidungen“ zur Corona-Pandemie. Beide Entscheidungen kommen vom BGH.

Ich stelle hier zunächst den BGH, Beschl. v. 04.12.2024 – 5 StR 498/23 – vor. Es geht um Abrechnungsbetrug in Zusammenhang mit der Durchführung von Corona-Tests. Das LG Berlin hatte den Angeklagten C. im März 2023 wegen Betrugs in 67 Fällen unter Einbeziehung einer Strafe aus einer rechtskräftigen Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monaten verurteilt. Gegen seine Schwester, die Angeklagte W., hatte es wegen Beihilfe zum Betrug in 17 Fällen eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verhängt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat,

Nach den Feststellungen des LG betrieb der Angeklagte C. in Berlin mehrere Spätkaufgeschäfte und Gaststätten. Er hatte sich dann durch die Senatsverwaltung für Gesundheit für 18 Teststellen mit der Durchführung von Corona-Tests beauftragen lassen, wobei er bis auf zwei alle Teststellen unter Fremd- und Falschpersonalien anmeldete. Zwischen Mai und Oktober 2021 rechnete er bei der KV Berlin für alle 18 Teststellen in einer Vielzahl von Fällen Testleistungen ab, die nicht durchgeführt worden waren. So fanden an elf Standorten in Wahrheit überhaupt keine Corona-Tests statt, an den übrigen sieben Teststellen stets deutlich weniger als in den Abrechnungen angegeben. Aufgrund der Abrechnungen überwies die KV Berlin insgesamt 9.733.981,04 EUR auf verschiedene Konten, darunter auch auf solche der Angeklagten W. Nach den Feststellungen unterstützte diese ihren Bruder durch die Bereitstellung der Konten, die Veranlassung von Bargeldauszahlungen und durch die Gestattung der Verwendung ihrer Personalien zum Betrieb von Teststellen.

Hinsichtlich der unter falschen Personalien betriebenen Teststellen hat das LG den gesamten Auszahlungsbetrag als Schaden angesetzt, auch wenn an diesen Stationen vereinzelt Tests durchgeführt wurden, da die Testleistungen in diesen Fällen nicht durch die beauftragte Person erbracht worden seien. Bei einer unter eigenem Namen betriebenen Teststelle hat das LG hingegen die Vergütung ermittelt, die auf die dort nach ihrer Schätzung tatsächlich erbrachten Testleistungen entfiel, und zwar 63.879,03 EUR, und diese von der Schadenssumme abgezogen, da dem Angeklagten C. insoweit ein Erstattungsanspruch zugestanden habe. In dieser Höhe hat sie von einer Einziehung des Wertes von Taterträgen gegenüber beiden Angeklagten abgesehen.

Der BGH hat nun auf die Revision der Staatsanwaltschaft, die lediglich eine Korrektur des Einziehungssauspruchs verfolgte, das Urteil hinsichtlich des Angeklagten C. in den betreffenden Fällen und im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben. Das LG habe sein Urteil insoweit auf lückenhafte und widersprüchliche Feststellungen gestützt. Es habe insbesondere Umstände außer Betracht gelassen, die eine dem angenommenen Erstattungsanspruch entgegenstehende Betrugsstrafbarkeit begründen könnten. Nicht in den Blick genommen habe das LG Hinweise darauf, dass der Angeklagte C. seine Dokumentationspflichten nicht erfüllt und in seinen Teststellen sowohl ungeschultes Personal eingesetzt habe als auch bei Abnahme der Tests die Wartezeit nicht eingehalten worden seien. Da somit im Raum stehe, dass er bei den Abrechnungen einheitlich auch über diese Umstände und nicht nur – wie das LG angenommen habe – über die Anzahl der durchgeführten Tests täuschte, hatte konnte der Schuldspruch des Angeklagten C. in den betroffenen Fällen keinen Bestand haben. Dies führt dann insoweit auch zum Wegfall des Rechtsfolgenausspruchs sowie zur Aufhebung der Verurteilung der Angeklagten W.

Es ist ein umfangreich begründeter Beschluss, daher hier nur die Zusammenfassung. Bei Interesse bitte im Volltext selbst lesen.

StGB III: Strafbarkeit des Filmens einer Polizeikontrolle, oder: Faktische Öffentlichkeit führt zur Straffreiheit

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Und als dritte Entscheidung dann noch eine amtsgerichtliche Entscheidung, nämlich das (rechtskräftige) AG München, Urt. v. 24.10.2024 – 814 Cs 274 Js 177094/23 – zum Filmen von Polizeibeamten bei einem Einsatz.

Nach den Feststellungen des AG befand sich die Angeklagte am Hauptbahnhof München . Dort wurden sie auf die „geschädigten“ Polizeibeamten PK pp. und POM pp. aufmerksam, die gerade die Zeugen pp und pp. kontrollierten. Grund der Kontrolle war die Mitteilung von zwei unbeteiligten Personen, dass die beiden Zeugen gerade versuchten, eine augenscheinlich stark betrunkene Frau, namentlich die Zeugin pp., gegen ihren Willen aus dem Bahnhof zu verbringen.

Die Angeklagte näherte sich den Beamten, richtete ihr Smartphone auf sie und begann zu filmen, sodass das Kontrollgespräch zwischen den Geschädigten und den Zeugen videografisch mit Tonspur aufgenommen wurde. Die somit aufgenommenen Worte der Geschädigten waren allein an die Zeugen gerichtet und ein Einverständnis hinsichtlich der Aufnahme lag nicht vor, was die Angeklagte zumindest billigend in Kauf nahm.

Strafantrag wegen Verstoßes gegen § 201 StGB wurde form- und fristgerecht gestellt. Das AG hat dann frei gesprochen:

„Aufgrund der durchgeführten Hauptverhandlung war die Angeklagte aus rechtlichen Gründen freizusprechen.

Zwar sind auch dienstliche Äußerungen von Beamten von dem Schutzzweck des § 201 StGB er-fasst (vgl. LG Kassel Beschl. v. 23.9.2019 – 2 Qs 111/19, BeckRS 2019, 38252), jedoch bestand vorliegend eine sog. faktische Öffentlichkeit, sodass die Aufnahme straffrei war.

Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. insoweit OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.11.2022) ist als nichtöffentlich gesprochenes Wort im Sinne von § 201 StGB jede nicht an die Allgemeinheit gerichtete Äußerung zu verstehen, die nicht über einen durch persönliche oder sachliche Bezie-hungen abgegrenzten Personenkreis hinaus ohne Weiteres wahrnehmbar ist.

Entscheidend sind die Abgeschlossenheit des Zuhörerkreises und die Kontrollmöglichkeit über die Reichweite der Äußerung. Für die Frage der Nichtöffentlichkeit ist daher vor allem – aber nicht allein – der Wille des Sprechers von Bedeutung. Daneben kommt es auch auf Zweck und Eigenart der Unterredung an. Vom Sprecher unbemerkte Zuhörer können zu einer sogenannten faktischen Öffentlichkeit führen, wenn die Äußerung unter Umständen erfolgt, nach denen mit einer Kenntnisnahme durch Dritte gerechnet werden muss. So liegt der Fall hier.

Sowohl nach der Einlassung der Angeklagten als auch nach den Angaben des Zeugen pp. war die Kontrollörtlichkeit durchaus frequentiert. Aus den in Augenschein genommenen Videosequenzen ergibt sich auch, dass Passanten immer wieder stehengeblieben sind, und die Situation beobachtet haben. Auch haben sowohl die Angeklagte als auch der Zeuge bestätigt, dass teilweise lauter gesprochen wurde, sodass vorliegend mit einer Kenntnisnahme durch Dritte gerechnet werden musste. Dies war für die Beamten auch erkennbar.

Es lag somit eine faktische Öffentlichkeit vor.“

StGB II: Drohung mit einem empfindlichen Übel, oder: Scheidung und Rückführung der Ehefrau nach Syrien

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Und als zweite Entscheidung dann der recht „frische“ OLG Hamm, Beschl. v. 28.01.2025 – III-3 Ws 442/24. Es handelt sich um eine „Nichteröffnungsentscheidung“ des OLG. Die Staatsanwaltschaft hat gegen den Angeklagten Anklage wegen zwei Fällen der Vergewaltigung (§ 177 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. Abs. 6 Nr. 1 StGB) sowie wegen zwei Fällen der (vorsätzlichen) Körperverletzung (§ 223 StGB) erhoben und die Eröffnung des Hauptverfahrens vor der großen Strafkammer beantragt.

Das konkrete Tatgeschehen ist in dem veröffentlichten Beschluss im Hinblick auf § 353d Nr. 3 StGB nicht enthalten.

Das LG hat die Eröffnung des Hauptverfahrens hinsichtlich der Vergewaltigungsvorwürfe „aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen“ abgelehnt und im Übrigen die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht – Schöffengericht – eröffnet. Dagegen die sofortige Beschwerde der StA, die teilweise Erfolg hatte. Das OLG hat die eine Vergewaltigung aus tatsächlichen Gründen verneint, die zweite hingegen bejaht. Ich stelle hier aber nur die Ausführungen des OLG zur rechtlichen Würdigung ein, die tatsächliche Würdigung mag bei Interesse selbst gelesen werden. Das OLG führt in soweit aus:

„aa) Unzutreffend ist zwar die Auffassung der Strafkammer, dass die Inaussichtstellung von Scheidung und Rückführung nach Syrien bei dem gebotenen individuell-objektiven Maßstab, wonach auf den Opferhorizont abzustellen ist und der Individualität des Bedrohten und der Frage, weshalb gerade von ihm in seiner konkreten Situation ein Standhalten gegenüber der Drohung erwartet werden kann, entscheidende Bedeutung zukommt (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 17.01.2019 – 2 Ws 341/18 – juris – m. Anm. Riedel jurisPR-StrafR 8/2019 Anm. 4; Altvater/Coen in: LK-StGB, 13. Auf., § 240 Rdn. 84, jew. m.w.N.), hier keine Drohung mit einem empfindlichen Übel darstellen könne. Es ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass die (damals 24-jährige) Zeugin die Ehe mit dem Angeklagten offenbar nur oder jedenfalls wesentlich auch deswegen eingegangen ist, um im Wege des Familiennachzugs nach Deutschland kommen zu können. Der Angeklagte befindet sich schon mehrere Jahre in Deutschland. Die Zeugin hat zum Kennenlernen zwischen ihr und dem Angeklagten angegeben, dass zwischen ihren Eltern und dem Angeklagten ein entfernter Verwandtschaftsgrad bestehe und man sich im Februar 2023 über einen Videochat kennen gelernt habe. Sie und der Angeklagte hätten dort alle zwei Tage miteinander gesprochen. Manchmal sei er in den Gesprächen nett gewesen, teilweise aber auch nicht. Er habe ihr versprochen, in Deutschland zur Schule gehen zu können und Deutsch zu lernen. Im Oktober 2023 habe man in Syrien standesamtlich geheiratet, wobei der Angeklagte per Videochat zugeschaltet gewesen sei. Der Umstand, dass die Zeugin, den Angeklagten, den sie nicht persönlich kannte, und der schon beim Kennenlernen im Videochat nur teilweise „nett“ zu ihr war, gleichwohl geheiratet hat, deutet im Zusammenhang mit dem in Aussicht gestellten Schulbesuch darauf hin, dass die Zeugin sich in ihrer Heimat derart unwohl oder diskriminiert fühlte, dass sie eine Ehe mit dem Angeklagten unter diesen Umständen vorzog, um nach Deutschland zu gelangen. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass die Rückkehr in ihr Heimatland grundsätzlich geeignet sein könnte, ein empfindliches Übel darzustellen. Insoweit wären im weiteren Verfahren freilich noch die konkreten Umstände, die sie bei einer Rückkehr erwarteten (etwa: Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines offenbar erwünschten Schulbesuchs, bzw. Studienwunsches – vgl. Bl. 5. d.A. etc.) zu ermitteln und aufzuklären. Dass der Zeugin bei Rückkehr nach Syrien derartige erhebliche Unzuträglichkeiten durchaus drohen ist aber naheliegend und wahrscheinlich in dem o.g. Sinne, angesichts des Umstands, dass die Zeugin die Umstände, wie Heirat eines nicht persönlich bekannten Mannes, Verlassen des Heimatlandes etc. auf sich nahm. Der Inaussichtstellung solcher diskriminieren Lebensverhältnisse einer jungen Frau, der wesentliche Lebens- und Bildungschancen genommen werden, müsste die Zeugin nach dem Dafürhalten des Senats auch nicht in „besonnener Selbstbehauptung“ (vgl. Fischer, StGB, 71. Aufl. § 240 Rdn. 32a) standhalten. Das Nachgeben des Tatopfers, stellt dann keine „ungewöhnliche (Extrem-)Reaktion von Überängstlichen“ dar, welche bei der gebotenen individuell-objektiven Betrachtungsweise auszuklammern wäre (vgl. Altvater/Coen in: LK-StGB, 13. Aufl., § 240 Rdn. 84).

Ist dem so, so handelt es sich durchaus um ein Übel, auf das der Angeklagte nach dem Vorstellungsbild der Geschädigten Einfluss hat, denn nach ihrer Auffassung hängt ihr Aufenthaltsrecht erkennbar mit dem stattgefundenen Familiennachzug, also der Ehe, zusammen, wie auch ihre mehrfache Frage (s. Eindrucksvermerk, Bl. 17 d.A.), ob sie im Falle der Scheidung wieder in ihre Heimat zurück müsse, zeigt. Unerheblich ist dabei, ob der Angeklagte Däne (so die Personalien in der Anklageschrift) oder Syrer (so die Konkretisierung der Anklageschrift) ist. Insofern käme es auf die Frage, ob der Zeugin im Falle einer Rückkehr nach Syrien Tod oder Diskriminierung gedroht hätten, nicht an.

Nur ergänzend und im Hinblick auf die Beschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft macht der Senat diesbezüglich darauf aufmerksam, dass die bisherigen knappen Ermittlungen nichts dafür ergeben haben, dass der Angeklagte der Zeugin auch in Aussicht gestellt hat, ihre durch ihn angeblich stattgefundene Vergewaltigung in ihrem Umfeld in Syrien publik zu machen. Woher man in Syrien also gewusst haben sollte, dass sie Opfer einer Sexualstraftat gewesen sein soll und nicht lediglich als geschiedene Ehefrau zurückkehrt, erschließt sich nicht aus den Akten. Auch dürfte für die Darlegung einer von der Staatsanwaltschaft angenommenen Verfolgungssituation in Syrien ein Redeausschnitt eines Mitglieds einer syrischen Frauenrechtsorganisation anstelle etwa offizieller Auskünfte des Auswärtigen Amtes o.ä., noch dazu ungeachtet der Betrachtung des konkreten Umfelds, in das die Zeugin, die nach ihren Angaben in Syrien kein Kopftuch trug (was für ein eher gemäßigtes Umfeld sprechen könnte), zurückkehren würde (städtisch/ländlich, islamistisch /liberal etc.), nur wenig aussagekräftig sein. Dies ist bisher völlig unausermittelt.

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