StPO II: Besetzung der kleinen Strafkammer, oder: Kommissarische Besetzung mit „Hilfsrichter“

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Die zweite Entscheidung ist auch eine „Besetzungssache“, und zwar der KG, Beschl. v. 30.06.2023 – 3 ORs 37/23 – 161 Ss 76/23  – zur Frage der Zulässigkeit der kommissarischen Besetzung einer kleinen Strafkammer bei (sog. Ersatz-) Erprobung. Das KG hat die Revision des Angeklagten gegen seine Verurteilung wegen Betruges verworfen

Zu der Besetzungsfrage führt das KG aus:

„3. Einer vertieften Erläuterung bedarf lediglich die Verfahrensrüge.

Die Beanstandung, die Strafkammer sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 338 Nr. 1 StPO), ist jedenfalls unbegründet. Das dem Senat unterbreitete Verfahrensgeschehen offenbart namentlich keinen Verstoß gegen § 21f Abs. 1 i. V. m. § 76 Abs. 1 Satz 1 2. Var. GVG, wonach bei den kleinen Strafkammern ein Vorsitzender Richter (vgl. § 19a DRiG) den Vorsitz führt. Zwar hatte den Vorsitz hier kein Vorsitzender Richter am Landgericht inne, sondern eine Richterin am Amtsgericht als so genannte Hilfsrichterin. Dies erweist sich indes als nicht verfahrensfehlerhaft, weil es hierfür ein unabweisbares, rechtlich begründetes Bedürfnis gab (vgl. BVerfGE 14, 156; BGHZ 162, 333; KG NStZ 2018, 491). Ein solches ist z. B. gegeben, wenn für eine planmäßig endgültige Anstellung als Richter in Betracht kommende Assessoren auszubilden sind, wenn vorübergehend ausfallende planmäßige Richter, deren Arbeit von den im Geschäftsverteilungsplan bestimmten Vertretern neben den eigenen Aufgaben nicht bewältigt werden kann, vertreten werden müssen, wenn ein zeitweiliger außergewöhnlicher Arbeitsanfall aufzuarbeiten ist oder aber, wenn planmäßige Richter unterer Gerichte an obere Gerichte abgeordnet werden, um ihre Eignung zu erproben (vgl. BVerfGE 14, 156 [Rn. 17]). Nach den mitgeteilten Verfahrenstatsachen und namentlich aufgrund des den Revisionsführerinnen bekannten Vermerks des Präsidenten des Landgerichts Berlin war letzteres hier der Fall. Die Richterin war für die Dauer eines Jahres, beginnend am 1. Januar 2022, vom Amtsgericht an das Landgericht abgeordnet und hierfür mit der Leitung einer kleinen Strafkammer betraut worden. Da die Abordnung – durch eine dreimonatige Abordnung zum Verfassungsgerichtshof – unterbrochen worden war, wurde sie um diesen Zeitraum bis zum 31. März 2023 verlängert. Wie oben ausgeführt, können zur Eignungserprobung abgeordnete Richter als Ausnahme zu § 21f GVG den Vorsitz kleiner Strafkammern führen.

Es liegt auch kein Fall einer unangemessenen, übermäßigen oder gar missbräuchlichen Ausübung dieser Grundsätze vor. Solches ist in der durch die Revisionsführer vielfach zitierten Entscheidung des Kammergerichts vom 14. Dezember 2017 (NStZ 2018, 491) angenommen worden. Dort allerdings stand nicht nur eine außerordentlich lange, nämlich mehr als fünfjährige Vakanz des Vorsitzes in Rede, die den Vorsitz kommissarisch führende Person wurde auch gar nicht im Rahmen einer Erprobung, die sie im Zeitpunkt der Hauptverhandlung tatsächlich bereits erfolgreich abgeschlossen hatte, verwendet. Der entschiedene Fall unterscheidet sich damit substantiell von dem hier unterbreiteten und zu bewertenden Verfahrensgeschehen, in welchem die Strafkammer bis zum Ablauf des 31. Dezember 2021 in Übereinstimmung mit § 21f GVG besetzt war und nunmehr für die Dauer eines Jahres im Rahmen einer Eignungserprobung kommissarisch von einer Richterin am Amtsgericht geleitet werden sollte.

Zwar ist anerkannt, dass auch bei den an sich rechtlich gebilligten Ausnahmen vom gesetzlichen Grundsatz des § 21f Abs. 1 GVG die Verwendung von Hilfsrichtern dann nicht gerechtfertigt ist, wenn die Arbeitslast des Gerichts deshalb nicht bewältigt werden kann, weil es unzureichend mit Planstellen ausgestattet ist oder weil die Justizverwaltung es verabsäumt hat, offene Planstellen binnen angemessener Frist zu besetzen (vgl. BVerfG BVerfGE 14, 156). Dass dies hier der Fall war, wird durch die Revisionen nicht behauptet, und es liegt auch in tatsächlicher Hinsicht fern. Denn die kommissarische Besetzung beruhte gerade nicht auf einem strukturellen personellen Engpass, sondern war Ausfluss einer auch in der Justiz erforderlichen geordneten Personalplanung und -entwicklung. Dass die Abordnung unter dem Gesichtspunkt der Erprobung ungeeignet, dysfunktional oder gar rechtswidrig gewesen sein könnte, wird durch die Revisionen gleichfalls nicht behauptet. Zwar dürfte die obergerichtliche Erprobung, die hier zugleich in der Gerichtsverwaltung (Leitung der Pressestelle Moabit) und im Bereich der Rechtsprechung des Landgerichts erfolgte, eher Ausnahmecharakter gehabt haben. Sie steht aber als so genannte Ersatzerprobung in Übereinstimmung mit den Verwaltungsvorschriften der zuständigen Senatsverwaltung (lit. A Nr. 2 Satz 2 ErprobungsAV vom 5. Dezember 2007). Auch gegen die – in der Summe – einjährige Dauer der Abordnung und kommissarischen Übertragung des Vorsitzes ist nichts zu erinnern, zumal, wie die Revisionen unter Bezug auf den Geschäftsverteilungsplan zutreffend vortragen, das Rechtsprechungspensum der Richterin nur „0,4“ betrug.

Die Strafkammer war damit ordnungsgemäß besetzt, und auch die diesbezüglich in beiden Revisionen erhobene Verfahrensrüge bleibt ohne Erfolg.“

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