StPO I: Verbreitung pornographischer Schriften, oder: Beweisantrag auf Anhörung eines Sachverständigen

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Heute stelle ich dann nochmals StPO-Entscheidungen vor, und zwar 3 x OLG.

Hier kommt zunächst der OLG Stuttgart, Beschl. v. 27.01.2023 – 1 Rv 24 Ss 991/22 – mit folgendem Sachverhalt:

Der Angeklagte ist vom LG im Berufungsverfahren u.a. wegen Verbreitung pornographischer Schriften verurteilt worden. Der Verteidiger hatte in der Hauptverhandlung in Bezug auf die Abbildungen, die Gegenstand des Verfahrens waren, beantragt, „zum Beweis der Tatsache, dass bei durchschnittlichen Betrachtern (…) andere als sexuelle Empfindungen entstehen“ sowie „zu der Tatsache, dass der durchschnittliche Betrachter bei den Bildern (…) den weiblichen Anus erst auf den zweiten Blick wahrnimmt“ ein Sachverständigengutachten einzuholen. In der Begründung des Antrags wurde ausgeführt, dass die Bilder „unsittlich, anstößig oder ekelerregend für die einen, lustig für die anderen sein mögen“ und dass in erster Linie zunächst das in der Abbildung zu sehende Wort bzw. Emoji wahrgenommen werde, die jeweils in die Abbildung hineinmontiert seien, sodass der Anus als Teil des Wortes oder des Emojis erscheine. Das LG hat diesen Antrag mit der Begründung abgelehnt, dass mit dem Beweisantrag Rechtsanwendung begehrt werde. Der Begriff der Pornographie sei ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Klassifizierung dem Tatrichter überlassen bleibe. Das angebotene Beweismittel sei daher ungeeignet im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 3 Nr. 4 StPO.

Das OLG hat die Revision des Angeklagten verworfen:

„b.) Das Landgericht hat hierdurch nicht gegen § 244 Abs. 3 Satz 3 StPO verstoßen. Denn es liegt bereits kein Beweisantrag im Sinne von § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO vor. Danach hat der Antragsteller eine bestimmte Tatsache konkret zu behaupten und ein bestimmtes Beweismittel zu bezeichnen, wobei dem Antrag zu entnehmen sein muss, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Beweistatsache belegen können soll. Hier fehlt es teilweise schon an der konkreten Bezeichnung eines bestimmten Beweismittels (aa.). Im Übrigen ist die Konnexität zwischen der behaupteten Tatsache und dem Beweismittel nicht dargetan (bb.).

aa.) Der Wortlaut des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO, wonach ein Beweisantrag voraussetzt, dass der Antragsteller eine bestimmte Tatsache konkret behaupten muss, belegt, dass der Gesetzgeber der präzisen Formulierung der Beweistatsache besonders hohes Gewicht beimisst. Die Tatsache muss generell geeignet sein, in ihrem im Beweisantrag enthaltenen Wortlaut zur Urteilsgrundlage zu werden, also als Teil der Feststellungen in den Urteilssachverhalt einzugehen oder zumindest als Indiztatsache Grundlage einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung zu werden (Hamm/Pauly, Beweisantragsrecht, 3. Aufl. (2019), Rn. 167).

Der Gesetzgeber normiert damit hinsichtlich der Konkretisierung der Beweisbehauptung ein Optimierungsgebot. Es hält im Fall des Sachverständigenbeweises den um den Nachweis wissenschaftlicher Erfahrungssätze bemühten Antragsteller dazu an, möglichst genau zu beschreiben, welche Umstände in Kombination mit bestimmten Erfahrungssätzen darauf fußende Schlussfolgerungen nahelegen oder ausschließen. Die Mahnung, dass gerade bei Anträgen auf Anhörung eines Sachverständigen keine überspannten Anforderungen an die Formulierung einer Beweisbehauptung gestellt dürfen, da der Antragsteller vielfach nicht in der Lage sei, die seinem Beweisziel zugrundeliegenden Vorgänge und Zustände exakt zu bezeichnen (BGH, Urteil vom 9. Juli 2015 – 3 StR 516/14 –, NStZ 2016, 116 sowie Beschluss vom 10. April 2019 – 4 StR 25/19 –, NStZ 2019, 628), befreit den Antragsteller nicht davon, Aufwand für Recherche und Überlegung zu betreiben. Sie ist kein „Freibrief für liederliche Antragsabfassung“ (Ventzke in NStZ 2019, 629 (630)).

Danach gilt vorliegend Folgendes: In der Antragsbegründung wird präzisiert, welche Wahrnehmung ein durchschnittlicher Betrachter dieser Bilder auf den ersten Blick machen soll. Damit kann dem Antrag im Wege der Auslegung die Behauptung einer konkreten Tatsache, in diesem Fall innerpsychische Vorgänge oder Gegebenheiten (vgl. Krehl in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. (2023), § 244 Rn. 69) mit potentieller Bedeutung für die Schuldfrage, entnommen werden. Denn ein pornographischer Inhalt zeichnet sich wesentlich dadurch aus, in seiner Gesamttendenz ausschließlich oder überwiegend auf sexuelle Stimulation angelegt zu sein (Eisele in: Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. (2019), § 184 Rn. 8 m. w. N.).

Hingegen fehlt es dem Antrag, soweit er auf den Nachweis „anderer als sexueller Empfindungen“ gerichtet ist, an der bestimmten Behauptung einer konkreten Tatsache. Denn diese Wendung umschreibt – auch unter Berücksichtigung der Antragsbegründung – nur das mit der Beweiserhebung verfolgte Ziel. Welche Empfindungen hier genau entstehen, ist nicht bestimmt mitgeteilt. Stattdessen werden nur Mutmaßungen in verschiedenste Richtungen („unsittlich, anstößig, Ekel erregend, lustig“) angestellt, die ihrerseits zumindest in Teilen Wertungscharakter tragen.

bb.) Die Angabe eines bestimmten Beweismittels verlangt beim Antrag auf Anhörung eines Sachverständigen schon mit Blick auf die Auswahlbefugnis des Gerichts gemäß § 73 Abs. 1 StPO nicht die Angabe eines ganz bestimmten Sachverständigen (allgemeine Ansicht, vgl. Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. (2022), § 244 Rn. 21). Grundsätzlich ist auch die ausdrückliche Angabe des Fachgebietes nicht erforderlich, da sich dieses ohne weiteres aus der Angabe der Beweistatsache oder des Beweisziels ergibt (KK/Krehl, a.a.O, Rn. 80; abweichend Hamm/Pauly, Rn. 153). Hieran schließt das Konnexitätserfordernis in § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO an. Dieses verlangt, dass dem Antrag nachvollziehbar zu entnehmen sein muss, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Einer ausdrücklichen Darlegung hierzu bedarf es indes nicht, wenn sich – wie dies bei Anträgen auf Anhörung eines Sachverständigen häufig der Fall ist – der erforderliche Zusammenhang von selbst versteht (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2014 – 1 StR 379/13 –, NStZ 2014, 282 (283); KK/Krehl, a.a.O., Rn. 83; Schmitt, a.a.O., Rn. 21b).

Die hier zu entscheidende Konstellation liegt jedoch anders. Denn die vom Antragsteller behaupteten Empfindungen und Wahrnehmungen können die Expertise ganz unterschiedlicher Fachgebiete betreffen. Dies zeigt schon der Stand von Rechtsprechung und Literatur zur Auslegung des Pornographiebegriffs. So wurden in dem dem „Opus Pistorum“-Urteil des BGH vom 21. Juni 1990 (1 StR 477/89BGHSt 37, 55) zugrundeliegenden Fall gleich mehrere Literatursachverständige angehört. Frommel bezieht sich auf die Erkenntnisse von Lernforschern sowie Medien- und Kommunikationswissenschaftlern (NK-StGB, 5. Aufl. (2017), § 184e Rn. 8). Laue (in: Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 5. Aufl. (2022), § 184 StGB Rn. 5) sieht ein Erfordernis, den schädigenden Einfluss auf Kinder und Jugendliche zu klären, was einer gutachtlichen Prüfung bedürfe. Unschwer ist somit denkbar, dass hier fachspezifische Kenntnisse aus dem Bereich der Psychologie, anderer Kulturwissenschaften (vgl. etwa LK/Laufhütte/Roggenbuck, 12. Aufl. (2009), § 184 Rn. 11: „Künstlerisch vorgebildete Menschen“; ebenso Hörnle in: Münchner Kommentar zum StGB, 4. Aufl. (2021), § 184 Rn. 26) oder medizinischer Disziplinen (Sexualmedizin, Neurologie, Psychiatrie) von Belang sein können.

Spricht also die dem Beweisantrag zugrundeliegende Thematik somit eine Fülle unterschiedlicher Fachgebiete an, von denen nicht eines von vorne herein klar im Vordergrund steht, so gebietet es das Konnexitätserfordernis, im Beweisantrag Darlegungen zum Fachgebiet des Sachverständigen anzubringen, dessen Anhörung der Antragsteller wünscht. Denn anderenfalls ist dem Gericht die sinnvolle Prüfung des Ablehnungsgrundes der völligen Ungeeignetheit des Beweismittels nicht möglich (BGH, Urteil vom 10. Juni 2008 – 5 StR 38/08BGHSt 52, 284 (288); Schmitt, a.a.O., Rn. 21; Bachler in: BeckOK-StPO, 46. Edition (Stand 1. Januar 2023), § 244 Rn. 25). An solchen Ausführungen fehlt es in dem Antrag.

c.) Daher war das Begehren als Beweisermittlungsantrag zu behandeln. Dessen Ablehnung ist vom Revisionsgericht unter dem Gesichtspunkt der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) zu prüfen. Hiernach erweist sich die Rüge als unzulässig, da die Revisionsbegründung weder vorträgt, welche konkreten Ergebnisse das Gutachten des Sachverständigen erbracht hätte, noch, aufgrund welcher Umstände und Vorgänge sich die Strafkammer zu dieser Beweiserhebung gedrängt sehen musste (BGH, Urteil vom 15. September 1998 – 5 StR 145/98 –, NStZ 1999, 45 (46); vgl. KK/Krehl, a.a.O., Rn. 216 m. w. N.). Dies gilt umso mehr, als die in der Revisionsbegründung angeführte Kommentierung (Hörnle, a.a.O.) zur Anhörung eines Sachverständigen in derartigen Fällen ausdrücklich hervorhebt: „Notwendig ist dies jedoch regelmäßig nicht.“

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