Pflichti II: Wahlanwalt wird Pflichtverteidiger?, oder: Muss der Wahlanwalt ausdrücklich niederlegen?

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Bei manchen Entscheidungen kann man nur den Kopfschütteln. Denn Sie behandeln Probleme, von denen man gedacht hatte, dass sie längst erledigt sind. Dazu gehört auch die Frage, ob der Wahlanwalt, der beantragt, zum Pflichtverteidiger bestellt zu werden, sein Wahlmandat ausdrücklich niederlegen muss oder ob in dem Beiordnungsantrag, die Ankündigung liegt, für den Fall der Bestellung nieder zu legen. M.E. gilt Letzteres und m.E. ist das auch zutreffende h.M. in der Rechtsprechung. Aber: Ganz unstreitig ist das nicht (mehr), weil nach der gesetzlichen Neuregelung der §§ 140 ff. StPO einige Gerichte diese Frage wieder thematisiert haben und das anders sehen.

So z.B. das LG Rostock im LG Rostock, Beschl. v. 16.09.2021 – 22 Qs 157/21  -, den mir der Kollege Penneke erst vor kurzem geschickt hat; das LG bestätigt den AG Rostock, Beschl. v. 26.08.2021 – 23 Ds 161/21. Begründung des LG:

„Nach dem Wortlaut des § 141 Abs. 2 Satz 1 StPO hat die Pflichtverteidigerbestellung jedoch nur dann zu erfolgen, wenn der Beschuldigte noch keinen Verteidiger hat. Mit Schriftsatz vom 11.05.2021 erklärte Rechtsanwalt pp., dass er Herrn pp. verteidige. Die Vollmacht wurde standesgemäß anwaltlich versichert. Die Bestellung von Rechtsanwalt Penneke als Pflichtverteidiger kam aufgrund des bestehenden Wahlmandats nicht in Betracht. Zwar kann auch der bisherige Wahlverteidiger zum Pflichtverteidiger bestellt werden. Voraussetzung ist hierbei jedoch, dass der Wahlverteidiger die Niederlegung seines Mandats für den Fall der beantragten Bestellung ankündigt (vgl. OLG Oldenburg NJW 2009, 3044. BT-Drs. 19/13829, 36, Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 141 Rn. 4/10; Krawczyk in: BeckOK StPO, 40. Edition, § 141 Rn. 2). Fehlerhaft ist es dagegen, den Wahlverteidiger ohne Ankündigung der Mandatsniederlegung als Pflichtverteidiger zu bestellen (vgl. Krawczyk in: BeckOK StPO, 40. Edition, § 141 Rn. 2; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 141 Rn. 4/10), da dies dem klaren Wortlaut von § 141 Abs. 1 S. 1 StPO und dem darin zum Ausdruck kommenden Vorrang der Wahlverteidigung vor der Pflichtverteidigung widersprechen würde (LG Würzburg, Beschluss vom 10.11.202, Az.: 6 Qs 197/20; Krawczyk in: BeckOK StPO, 40. Edition, § 141 Rn. 2). Die teilweise vertretene Ansicht, in dem Antrag auf Beiordnung sei in der Regel die Ankündigung der Niederlegung des Wahlmandates für den Fall der Beiordnung zu erblicken (Thomas/Kämpfer in: MüKo, StPO, § 141 Rn. 2; LG Freiburg, Beschluss vom 26.08.2020, Az.: 16 Qs 40/20), ist indessen mit dem Wortlaut von § 141 Abs. 2 StPO nicht zu vereinbaren.“

M.E. nicht zutreffend (so auch über LG Freiburg und andere hinaus u.a. LG Passau, Beschl. v. 26.01.2021 – 1 Qs 6/21). Ich verstehe auch nicht, warum man auf „alte“ OLG-Rechtsprechung zurückgreift und zudem eine Stelle bei Meyer-Goßner/Schmitt anführt, die zu der Frage nichts hergibt. Denn sie verhält sich nicht zur (konkludenten) Niederlegung. Und der Wortlaut der Regelung steht dem auch nicht entgegen. Das ist ein Totschlagargument, mehr nicht.

Anders und damit richtig macht es übrigens das LG Siegen im LG Siegen, Beschl. v. 16.03.2022 – 10 Qs 26/22 – unter Hinweis auf (ältere) BGH-Rechtsprechung. Aber: Auch das LG Siegen hat man zum Erfolg 🙂 tragen müssen. Denn: Das AG hatte im AG Siegen, Beschl. v. 22.02.2022 – 450 Gs 15/22 – mit einer herzerfrischend knappen Begründung die Bestellung abgelehnt. An der Auffassung hat das AG dann in seinem auf die sofortige Beschwerde ergangenen Nichtabhilfebeschluss, dem AG Siegen, Beschl. v. 04.03.2022 – 450 Gs 15/22 -, ausdrücklich festgehalten, wobei es ausdrücklich „vollinhaltlich auf den angefochtenen Beschluss Bezug “ nimmt – man fragt sich, welche Begründung gemeint ist – , dann aber Ausführungen macht, ohne sich allerdings mit den Einzelheiten zu befassen.  Und auch das LG hat es im LG Siegen, Beschl. v. 08.03.2022 – 10 Qs 26/22 – zunächst anders gesehen und die sofortige Beschwerde ohne weitergehende eigene Begründung zurückgewiesen. Erst auf die nochmalige Gegenvorstellung des Wahlanwalts ist  man dann eingeschwenkt und hat dann endlich richtig entschieden. Das hätte man auch schneller haben können.

 

 

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