OWi III: Verurteilung aufgrund Messung mit Leivtec XV3, oder: Wiederaufnahme zugunsten des Betroffenen

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Und als dritte Entscheidung heute dann eine „Wiederaufnahmeentscheidung. Die sind ja im Bußgeldverfahren recht selten, hier liegt mit dem AG Güstrow; Beschl. v. 09.06.2021 – 971 OWi 458/21, den mir der Kollege Rakow aus Rostock geschickt hat, aber mal eine vor. Ergangen ist sie in einem Verfahren, in dem der Betroffene auf der Grundlage einer „Leivtec XV3-Messung“ verurteilt worden ist. Das AG hat jetzt, nachdem die Messungen derzeit als nicht verwertbar angesehen werden, die Wiederaufnahme angeordnet:

Der Wiederaufnahmeantrag ist gem. § 359 Nr, 5 StPO begründet. Die vom Tatgericht getroffenen Feststellungen werden durch neue Tatsachen erschüttert. Die neu beigebrachten Fakten sind im Sinne der §§ 366 Abs, 1, 368 Abs.1, 370 Abs. 1 StPO „geeignet‘, das Wiederaufnahmeziel zu erreichen.

Der Betroffene hat hierzu vorgetragen:

„Nachdem eine Gruppe von Sachverständigen in „zahlenmäßig relevanten“ Fällen unzutreffende Geschwindigkeitswerte bei Messungen mit diesem Gerät festgestellt hatte, hat die Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) ebenfalls Untersuchungen aufgenommen. Unter dem Datum vom 27.10,2020 hatte die PTB folgenden Zwischenstand im Zusammenhang mit mutmaßlichen Messwertabweichungen veröffentlicht: „Kürzlich wurde der (PTB) der Verdacht gemeldet, dass das Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Leivtec XV3 möglicherweise in sehr speziellen Konstellationen für manche aktuelle Fahrzeugtypen geeichte Geschwindigkeitsmesswerte mit unzulässigen Messwertabweichungen ausgeben könne…“

Die Sicherstellung der Messrichtigkeit und Messzuordnung von Geschwindigkeitsmessungen wird über die nach umfangreichen Felduntersuchungen erfolgte Zulassung der PTB gewährleistet. Mit dieser Zulassung erklärt die PTB im Wege eines Behördengutachtens (antizipiertes Sachverständigengutachten), dass das zugelassene Gerät ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren bietet, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse erwarten lassen (OLG Rostock, 15.05.19 — 21 Ss OWI 102/19 = AG Güstrow, 15.01,19 — 971 OWi 355/18). Sofern es , wie hier vorgetragen, möglicherweise zu unzulässigen Messwertabweichungen gekommen ist, hat die PTB als Bundesbehörde die Aufgabe, diesen Hinweisen nachzugehen.

Nunmehr hat die PTB am 09.06.2021 eine abschließende Stellungnahme veröffentlicht:

„Abschlussstand im Zusammenhang mit unzulässigen Messwertabweichungen beim Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Leivtec XV31

Beim Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Leivtec XV3 (Erstzulassung 18.11 / 09.04 vom 02.07.2009) fand eine Gruppe von Sachverständigen kürzlich für speziell präparierte Fahrzeuge beim Vergleich mit anderen, unabhängigen Messeinrichtungen unzulässige Messwertabweichungen (M. Kugele, T. Gut, L. Hähnle, Versuche zum Stufeneffekt beim Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Leivtec XV3, Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik, März 2021).

Der PTB ist es in langen Versuchsreihen gelungen, in Einzelfällen ebenfalls unzulässige Messwertabweichungen zu Gunsten eines Betroffenen zu dokumentieren, siehe den Bericht über den Zwischenstand der Untersuchungen (Zwischenstand im Zusammenhang mit mutmaßlichen Messwertabweichungen beim Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Leivtec XV3. Stand: 27. Mai 2021 / Physikalisch-Technische Bundesanstalt, Braunschweig und Berlin. D01: 10.7795/520.20210527). Im Zuge dieser Angelegenheit haben zahlreiche Kontakte mit den Sachverständigen, mit dem Hersteller und mit den Verwendungsüberwachungsbehörden stattgefunden. Die internen Abstimmungen sind mittlerweile abgeschlossen.

In Erfüllung ihrer Aufgaben nach § 6 Einheiten- und Zeitgesetz stellt die PTB hier einige messtechnische Beobachtungen dar, die sie auch an den Hersteller und an die Verwendungsüberwachungsbehörden kommuniziert hat:

a) In den vielen Tausend Fahrzeugdurchfahrten im Rahmen der Bauartprüfung wurde kein einziger Fall einer unzulässigen Messwertabweichung gefunden, Selbst mit speziell präparierten Fahrzeugen bedurfte es weit über tausend Durchfahrten, um eine Kombination aus Fahrzeugpräparation und darauf abgestimmten Aufstellbedingungen und Fahrgeschwindigkeit zu finden, bei der manchmal unzulässige Messwertabweichungen beobachtet werden konnten. Die stärksten in den PTB-Versuchen beobachteten Abweichungen betrugen -5,29 km/h bei XV3-Messwerten bis 100 km/h bzw. -4,19 % bei XV3-Messwerten oberhalb 100 km/h.

b) Alle Fälle unzulässiger Abweichungen, die zu Ungunsten des Betroffenen ausgefallen wären, traten bei einer Rechtsmessung auf, also wenn das Messgerät aus Fahrersicht am linken Fahrbahnrand platziert war.

c) Alle Fälle unzulässiger Abweichungen aus dem DEKRA-Artikel haben gemeinsam, dass im Messung-Start-Bild das Nummernschild des betroffenen Fahrzeuges nicht vollständig im Messfeldrahmen enthalten war.

d) Alle Fälle unzulässiger Abweichungen haben gemeinsam, dass die Länge der Messstrecke (abzulesen als Hilfsgröße „ „Auswertestrecke“ “ in der Bildschirmmaske „ „Zusatzdaten anzeigen“ “ des Referenz-Auswerteprogramms Speed Check) weniger als 12,2 m betrug“.

Mit dieser (abschließenden) Stellungnahme vom 09.06.2021 hat die PTB ihrer bisherige Stellungnahme vom 20.03,2018, „Das Geschwindigkeitsüberwachungsgerät LEIVTEC XV3 erfüllt alle EMV-Anforderungen. Stand: 20. März 2018″:

„Die PTB bestätigt hier daher noch einmal, dass das normkonforme Auslassen der Magnetfeldprüfung kein formales oder messtechnisches Hindernis für die Ausstellung der Bauartzulassung des Geschwindigkeitsüberwachungsgerätes XV3 der Firma LEIVTEC (Zulassungszeichen 18.11/09.04) war oder ist. Die Zulassung gilt nach wie vor, und ebenfalls nach wie vor sind bei Bedienung gemäß Gebrauchsanweisung unter gleichen Bedingungen gleiche Ergebnisse zu erwarten.“

zumindest in Teilen widerlegt. Die Voraussetzungen für ein standardisiertes Messverfahren liegen nicht mehr vor.

Bereits mit den vorgetragenen Beweismitteln, insbesondere der Herstellermitteilung vorn 12.03.2021, wonach gebeten wurde, von weiteren Messungen vorerst Abstand zu nehmen, aber insbesondere der Stellungnahme der PTB vom 09.06.2021 lagen neue Beweise im Sinne der § 359 Nr. 5 StPO vor.“

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