Corona I: Hemmung der Unterbrechungsfristen, oder: So geht der BGH mit § 10 EGStPO um

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In die 52. KW/2020 starte ich dann wieder mit Corona-Entscheidungen. Wer hätte Anfang des Jahres gedacht, dass uns die damit zusammenhängenden Fragen auch am Ende des Jahres noch so im Griff haben – und auch weiterhin haben werde.

Als erste Entscheidung habe ich hier den BGH, Beschl. v. 19.11.2020 – 4 StR 431/20. Den habe ich bei Juris geklaut, bis gestern stand er noch nicht auf der Homepage des BGH. An sich ungewöhnlich.

Die Entscheidung verhält sich zu der im Hinblick auf die Corona-Pandemie eingeführten Regelung in § 19 Abs. 1 Satz 1 EGStPO, also Hemmung der Unterbrechungsfrist des § 229 StPO. Der BGH führt dazu aus:

„Ergänzend bemerkt der Senat:

Die Rüge des Verstoßes gegen § 229 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 10 EGStPO ist zulässig, aber unbegründet.

1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde: Am Ende des Hauptverhandlungstages vom 13. März 2020 bestimmte der Vorsitzende als Fortsetzungstermin den 31. März 2020. Tatsächlich wurde die Hauptverhandlung jedoch erst am 30. April 2020 fortgesetzt. An diesem Tag verkündete das Landgericht nach Anhörung der Prozessbeteiligten einen Beschluss, in dem festgestellt wurde, dass der Lauf der Unterbrechungsfrist vom 28. März 2020 bis zum 29. April 2020 gehemmt war. Zur Begründung berief sich das Landgericht auf § 10 EGStPO und führte aus, dass der Vorsitzende am 28. März 2020 von der Schöffin erfahren habe, dass sich ihr Ehemann am 14. April 2020 einem unaufschiebbaren operativen Eingriff am Herzen unterziehen müsse. Aus ärztlicher Sicht sei eine Ansteckung mit dem Coronavirus sowohl vor als auch nach der Operation bis zur Mitte der 18. Kalenderwoche unbedingt zu vermeiden, weshalb die Schöffin und ihr Ehemann fast jeglichen Außenkontakt innerhalb des fraglichen Zeitraums gemieden hätten.

Die Revision sieht einen Rechtsfehler zum einen darin, dass die Hemmung der Frist nicht innerhalb der Dreiwochenfrist des § 229 Abs. 1 StPO beschlossen wurde. Zum anderen hätten die Voraussetzungen des § 10 EGStPO nicht vorgelegen, da nicht die Schöffin selbst, sondern ein Angehöriger betroffen sei und zudem durch Schutzmaßnahmen während der Hauptverhandlung jegliche Gefahr der Ansteckung hätte vermieden werden können.

2. Die Verfahrensrüge greift nicht durch.

a) Dass das Gericht den Beginn der Hemmung nicht innerhalb der dreiwöchigen Unterbrechungsfrist des § 229 Abs. 1 StPO festgestellt hat, stellt keinen Rechtsverstoß dar. Die Hemmung des § 10 Abs. 1 Satz 1 EGStPO tritt kraft Gesetzes ein. Der Feststellungsbeschluss hat nur insofern konstitutive Bedeutung, als er den Beginn und das Ende der Hemmung unanfechtbar feststellt (vgl. zu § 229 Abs. 3 StPO: BGH, Urteil vom 12. August 1992 – 5 StR 234/92, NStZ 1992, 550; Beschluss vom 18. Februar 2016 – 1 StR 590/15, NStZ-RR 2016, 178).

b) Es begegnet auch keinen rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht einen Hemmungsgrund gemäß § 10 Abs. 1 EGStPO angenommen hat. Nach dieser Vorschrift ist der Lauf der in § 229 Abs. 1 und 2 StPO genannten Unterbrechungsfristen gehemmt, solange die Hauptverhandlung aufgrund von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus (COVID-19-Pandemie) nicht durchgeführt werden kann, längstens jedoch für zwei Monate. Nach § 10 Abs. 1 Satz 2 EGStPO stellt das Gericht Beginn und Ende der Hemmung durch unanfechtbaren Beschluss fest.

Aufgrund dieser Unanfechtbarkeit kommt mit Blick auf § 336 Satz 2 Alt. 1 StPO eine Richtigkeitsprüfung über den Willkürmaßstab hinaus nicht in Betracht; sie ist auch verfassungsrechtlich nicht geboten (vgl. zur Parallelvorschrift des § 229 Abs. 3 Satz 2 StPO: BGH, Beschluss vom 20. April 2016 – 5 StR 71/16). Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Satz 1 EGStPO für eine Hemmung überhaupt nicht vorgelegen haben, sind nicht ersichtlich.

aa) Die weitgehende Kontaktvermeidung des Ehemannes der Schöffin aufgrund einer ärztlichen Empfehlung stellte eine Schutzmaßnahme zur Verhinderung der Verbreitung von Infektionen mit dem SARS-CoV-2-Virus dar. Die Schutzmaßnahme musste nicht gerichtlich oder gesundheitsbehördlich angeordnet oder empfohlen worden sein. § 10 EGStPO enthält insoweit keine Einschränkung. Es genügt, wenn sie nachvollziehbar der Verhinderung der Verbreitung von Infektionen mit dem Coronavirus dienen soll. Dies ist aufgrund der ärztlichen Empfehlung der Fall. Maßnahmen, die eine weitere Durchführung der Hauptverhandlung verhindern, sind auch solche, die dem Schutz von Personen dienen, die zur Risikogruppe gehören, wie beispielsweise ältere Personen, Personen mit Grunderkrankung oder einem unterdrückten Immunsystem (vgl. BT-Drucks. 19/18110, S. 32 f.).

bb) Dass die Schöffin nur mittelbar durch die Schutzmaßnahme betroffen war, ist unerheblich. Ein Hindernis für die Durchführung der Hauptverhandlung liegt auch vor, wenn es nur mittelbar auf Schutzmaßnahmen beruht (vgl. BT-Drucks. 19/18110, S. 33).

cc) Es ist aus Rechtsgründen auch nicht zu beanstanden, dass das Landgericht keine anderen Maßnahmen als die Unterbrechung der Hauptverhandlung zum Schutz des Ehemannes der Schöffin getroffen hat. Die Annahme des Landgerichts, dass die Hauptverhandlung nicht durchgeführt werden konnte, ist jedenfalls nicht willkürlich.“

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