U-Haft II: Unterbringung zur Beobachtung, oder: Verhältnismäßigkeit

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Die zweite Entscheidung kommt mit dem LG Flensburg, Beschl. v. 07.09.2020 – II Qs 33/20 -, den mir der Kollege Fülscher aus Kiel geschickt hat, auch aus dem Norden. Die Thematik ist nicht direkt U-Haft, aber die Entscheidung hat auch Freiheitsentziehung zum Gegenstand. Das LG nimmt nämlich zu Verhältnismäßigkeit einer Anordnung der Unterbringung zur Beobachtung des Angeklagten Stellung. Es hat die Verhältnismäßigkeit verneint und die vom AG angeordnete Unterbringung aufgehoben:

„Die sofortige Beschwerde des Angeklagten hat Erfolg. Der Beschluss war aufzuheben und der Antrag abzulehnen.

Die Voraussetzungen des § 81 Abs. 1 StPO liegen nicht vor.

Nach dieser Vorschrift kann das Gericht zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten nach Anhörung eines Sachverständigen und des Verteidigers anordnen, dass der Beschuldigte in ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus gebracht und dort beobachtet wird.

Die Rechtmäßigkeit einer Unterbringungsanordnung richtet sich, den verfassungsrechtlichen Vor-gaben (Verhältnismäßigkeit) folgend, danach, ob vor einer Anordnung nach § 81 StPO alle anderen Mittel ausgeschöpft sind, um zu einer Beurteilung von Persönlichkeitsstörungen des Beschuldigten zu kommen. Ferner bedarf es eines tauglichen Mittels zur Beurteilung, das grundsätzlich nur bei der Untersuchung durch einen Psychiater oder Neurologen als Sachverständigen gewähr-leistet ist. Das konkrete Untersuchungskonzept muss zudem zur Erlangung von Erkenntnissen über eine Persönlichkeitsstörung geeignet sein, und die Geeignetheit muss wiederum in Gutachten und Beschluss dargelegt werden (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 09. Oktober 2001 — 2 BvR 1523/01 —, Rn. 23, juris).

Danach ist die avisierte Unterbringung nicht verhältnismäßig.

Die Unterbringung soll dem Zweck der Abgrenzung zwischen einer drogeninduzierten Psychose und einer paranoiden halluzinatorischen Schizophrenie dienen. Eine hinreichend sichere Abgrenzung ist aber binnen der in § 81 Abs. 5 StPO normierten Höchstgrenze von sechs Wochen nicht möglich. Der Kammer ist aus einer Vielzahl von Straf- und insbesondere Unterbringungsverfahren bekannt, dass mit einem Rückgang der aus einer drogeninduzierten Psychose resultierenden Symptomatik erst nach ca. sechs Monaten gerechnet werden kann. Demnach könnte die mit der Unterbringung bezweckte Abgrenzung auch erst ab diesem Zeitpunkt vorgenommen werden.

Zwar ist es nicht auszuschließen, dass sich mit dem Absetzen des Cannabiskonsums ein zeit-naher Rückgang der Symptomatik ankündigt. Allerdings können sich auch Patienten, die an einer Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis leiden, durch das engmaschige, strukturgebende Setting einer forensischen Psychiatrie – einhergehend mit einer Reduktion der Symptomatik -zunächst stabilisieren.

Diese vage Aussicht kann im Hinblick auf die geringe Aussagekraft dieser unter Umständen kurzfristigen Reduzierung den erheblichen Grundrechtseingriff – freiheitsentziehende Maßnahmen über einen Zeitraum von sechs Wochen -, der mit der Unterbringung verbunden ist, nicht rechtfertigen. Vor allem auch deshalb nicht, weil sich der Angeklagte auf sein – ebenfalls verfassungsrechtlich verankertes – Schweigerecht beruft und die Mitwirkung an einer Exploration (zulässiger-weise) verweigert hat. Eine 24-stündige Beobachtung durch geschultes Personal käme vor diesem Hintergrund einer mittelbaren Umgehung seines Schweigerechtes gleich.“

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