Verteidiger I: „Angeregter“ Pflichtverteidigerwechsel, oder: „faires rechtsstaatliches Verfahren….“

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Heute dann mal wieder drei Entscheidungen, die sich mit „Verteidigerfragen“ befassen, zwei zur Pflichtverteidigung und eine zur Wiedereinsetzung.

Zunächst stelle ich in dem Zusammenhang den BGH, Beschl. v. – 11.09.2019 – 2 StR 281/19 – zum „angeregten“ (Pflicht)Verteidigerwechsel vor.

Das LG hat den Angeklagten am 03.12.2018 u.a. wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Gegen das in seiner Anwesenheit verkündete Urteil hat der Angeklagte mit Schreiben vom 05.12.2018, eingegangen beim Landgericht am 06.12.2018, Revision eingelegt. Mit Schreiben vom 10.12.2018, eingegangen beim LG am 12.12.2018, bat der Angeklagte um Bestellung eines neuen Pflichtverteidigers und begründete dies damit, dass sein bisheriger Pflichtverteidiger ihn nicht mehr vertreten wolle, er aber Revision einlegen wolle. Auf dieses Schreiben, das der Vorsitzende dem Pflichtverteidiger zur Stellungnahme übersandt hatte, teilte letzterer am 14.12.2018 mit, dass er nach der Urteilsverkündung zwei Gespräche mit dem Angeklagten, ersteres mit Dolmetscher, am 04. und 06.12. geführt habe und sie einvernehmlich entschieden hätten, kein Rechtsmittel einzulegen. Eine Beauftragung, gegen das Urteil des LG vom 03. 12.2018 Revision einzulegen, liege nicht vor. Eine Revisionsbegründung erfolgte bis zum Ablauf der am 14.03-2019 endenden Revisionsbegründungsfrist weder durch Schriftsatz des Pflichtverteidigers noch zu Protokoll der Geschäftsstelle.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 20.03.2019 die Revision des Angeklagten gemäß § 346 Abs. 1 StPO mit der Begründung als unzulässig verworfen, das Rechtsmittel sei nicht innerhalb der in § 345 Abs. 1 StPO bestimmten Frist begründet worden. Den Antrag auf Bestellung eines neuen Pflichtverteidigers hatte es bis zu diesem Zeitpunkt nicht beschieden. Eine Ausfertigung des von allen Richtern unterzeichneten und mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehenen Verwerfungsbeschlusses wurde dem Pflichtverteidiger des Angeklagten aufgrund einer Verfügung des Vorsitzenden vom 02.04.2019 am 11.04.2019 zugestellt und dem Angeklagten formlos übersandt. Mit undatiertem Schreiben, eingegangen bei dem Landgericht Gießen am 10.12..2019, stellte der Angeklagte den Antrag auf „Fristverlängerung und Zuteilung eines neuen Pflichtverteidigers“; sein bisheriger Pflichtverteidiger habe die Revision als sinnlos erachtet und eine Zusammenarbeit verweigert, jeder Versuch, ihn zu kontaktieren, sei vergeblich gewesen.

Der BGH hat die Sache zur Entscheidung über den Antrag des Angeklagten vom 10.12.2018 auf Bestellung eines neuen Pflichtverteidigers an das LG zurückgegeben.

„Der Senat stellt die Entscheidung über das Gesuch des Angeklagten, das gemäß § 300 StPO als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Gießen vom 3. Dezember 2018 auszulegen ist, zurück.

1. Die Sache ist zur Entscheidung über den Antrag des Angeklagten auf Beiordnung eines anderen Pflichtverteidigers an das Landgericht zurückzugeben. Aus dem Recht des Angeklagten auf ein faires, rechtstaatliches Verfahren und seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (vgl. EGMR, Urteile vom 24. November 1993 ? Imbrioscia/Schweiz, ÖJZ 1993, 517, 518 Z. 38; vom 21. April 1998 ? Daud/Portugal, ÖJZ 1999, 198, 199 Z. 38; vom 10. Oktober 2002 ? Czekalla/Portugal, NJW 2003, 1229, 1230 Nr. 60) ergab sich hier die Pflicht des Landgerichts, über den unmittelbar nach Ende der Revisionseinlegungsfrist gestellten Antrag auf Wechsel des Pflichtverteidigers so rechtzeitig zu entscheiden, dass der Angeklagte noch innerhalb der Revisionsbegründungsfrist entweder seinen bisherigen Verteidiger hätte auffordern können, die von ihm selbst eingelegte Revision zu begründen, selber einen anderen Verteidiger hätte beauftragen oder die Revisionsbegründung zu Protokoll der Geschäftsstelle erklären können (vgl. BayObLG, Beschluss vom 29. Dezember 1994 – 1 St RR 177/94, NStZ 1995, 300, 301; OLG Hamm, Beschluss vom 19. Oktober 2010 – 3 RVs 87/10, NStZ-RR 2011, 86; OLG Koblenz, Beschluss vom 2. November 2006 – 1 Ss 225/06, NStZ-RR 2008, 80, 81; OLG Bamberg, Beschluss vom 25. Oktober 2017 – 2 Ss OWi 1399/17, OLGSt StPO § 44 Nr. 42; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. Juni 2018 – 2 Rv 9 Ss 396/18, juris Rn. 5; KK-StPO/Gericke, 8. Aufl., § 346 Rn. 10; LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 46 Rn. 4; Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 346 Rn. 4).

2. Da die Nachholung der versäumten Handlung – die Einreichung der Revisionsbegründungsschrift – bislang nicht erfolgt ist, kommt die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – derzeit – nicht in Betracht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. Januar 2018 – 4 StR 610/17, NStZ-RR 2018, 84; 5. Juni 2018 – 4 StR 138/18, juris Rn. 1).

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