Pflichti III: Bei U-Haft gibt es nicht immer einen Pflichtverteidiger, oder: Falsch

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Und als dritte Entscheidung zum Pflichtverteidiger der m.E. falsche LG Dresden, Beschl. v.23.05.2018. 14 Qs 16/18. Es geht mal wieder um die Auslegung von § 140 Abs. 1 Nr 4 StPO. Das LG sagt: Die Vorschrift ist nicht so weit auszulegen, dass dem Betroffenen, den den mehrere Verfahren anhängig sind, in jedem Verfahren ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist, wenn er sich nur in einem Verfahren tatsächlich in Untersuchungshaft befindet:

„Allerdings ist § 140 Abs. 1 Nr 4 StPO nicht so weit auszulegen, dass dem Betroffenen in jedem Verfahren ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist, wenn er sich nur in einem Verfahren tatsächlich in Untersuchungshaft befindet.

a) Diese Auslegung folgt nicht bereits aus dem Wortlaut des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO in der seit 01.01.2010 geltenden Fassung, der insofern nicht eindeutig ist (LG Osnabrück, Beschluss vom 06.06.2016 – 18 Qs 526 Js 9422/16, BeckRS 2016, 13008). Die Norm stellt zwar ausschließlich auf die Vollstreckung der Untersuchungshaft als Anknüpfungspunkt für die Erforderlichkeit der Pflichtverteidigung ab (OLG Frankfurt NStZ-RR 2011, 19). Sie enthält aber weder Zusatze einer etwaigen Beschränkung, wie „in der betreffenden Sache“ noch sieht sie eine ausdrückliche Erstreckung auf alle Verfahren vor, wie ebenfalls durch den Zusatz „in der betreffenden oder anderen Sache“ leicht möglich gewesen wäre (LG Osnabrück, Beschluss vom 06.06.2016 – 18 Qs 526 Js 9422/16, BeckRS 2016, 13008)

Umgekehrt hätte genauso der Wortlaut des § 140 Abs. 1 Nr. 5 StPO beschränkt werden können (LG Saarbrücken vom 16.06.2010 – 3 Qs 28/10 – zitiert nach juris), um klarzustellen, dass alle Falle die Untersuchungshaft (auch nur indirekt) betreffend, nunmehr von § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO erfasst werden sollen. Auch darauf hat der Gesetzgeber verzichtet.

b) Der Sinn und Zweck der Neuregelung spricht gegen eine weite Auslegung.

Zwar wurde die durch das Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts vom 29.07.2009 getroffene Neuregelung eingeführt, weil die bisherige Regelung in § 117 IV StPO a.F. und § 140 Abs 1 Nr 5 StPO, die eine Pflichtverteidigerbestellung erst nach dreimonatiger Haftdauer vorsahen, mit Blick auf das Gewicht der mit der Untersuchungshaft verbundenen Grundrechtsbeeinträchtigung für unzureichend erachtet wurde (OLG Frankfurt a.a.O.; BT-Dr. 16/13097, S 18)

Allerdings soll die Verteidigerbestellung dem Beschuldigten ermöglichen, die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung (selbst) überprüfen zu lassen. Dafür ist der Verteidiger frühzeitiger als im Regelfall des § 141 Abs. 1 StPO zu bestellen, nämlich gem. § 141 Abs. 3 § 4 StPO „unverzüglich“ nach Beginn der Vollstreckung und zwar gem. § 141 Abs. 4 a.E. StPO durch das nach § 126 StPO zuständige Gericht also im Regelfall das Gericht, das den Haftbefehl erlassen ha (LG Osnabrück, Beschluss vom 06.06.2016 – 18 Qs 526 Js 9422/16, BeckRS 2016, 13008)

In der Gesetzesbegründung heißt es insofern vor allem, dass dieses Gericht am besten mit der Sache“ vertraut sei (BT-Drucksache 16/13097, § 19). Es dürfte aber offensichtlich sein, dass dieses Gericht nicht mit allen (anderen), gegebenenfalls räumlich weit entfernten und sachlich nicht in Zusammenhang stehenden Verfahren vertraut sein kann. Relevant kann somit nur das Verfahren sein, in welchem die Untersuchungshaft vollstreckt wird.

c) Auch die Historie und die Systematik sprechen für eine enge Auslegung des § 140 Abs 1 Nr. 4 StPO…..“

Wie gesagt: M.E. falsch und mit dem Sinn und Zweck der 2009 geschaffenen Regelung nicht zu vereinbaren….

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