Archiv für den Monat: November 2017

Bewährung II, oder: Der „Eindruck“ des schweigenden Angeklagten in der Hauptverhandlung

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Die zweite vorzustellende Entscheidung des BGH, die sich mit Bewährungsfragen befasst, ist der BGH, Beschl. v. 26.10.2017 – 2 StR 334/17. Es geht um Beihilfe zum Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung u.a. Das LG hat zu einer bewährungsfähigen Freiheitsstrafe verurteilt, die es aber nicht zur Bewährung abgesehen hat. Der BGH sieht das anders:

„Das Landgericht hat ausgeführt, die Vollstreckung der Strafe könne nicht zur Bewährung ausgesetzt werden, weil bei einer Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Angeklagten keine besonderen Umstände im Sinne von § 56 Abs. 2 StGB vorlägen. Dafür genüge nicht, dass er nunmehr eine Anstellung im Sicherheitsgewerbe gefunden und nur Beihilfe zur Tat seines Bruders geleistet habe. Auch eine Gesamtschau aller Strafmilderungsgründe ergebe keine besonderen Umstände; denn der Angeklagte habe „in der Hauptverhandlung nicht ansatzweise den Eindruck erweckt, dass er das Unrecht seines strafbaren Verhaltens einsehe und dieses bereue oder dass er auch nur geringes Mitgefühl mit der Geschädigten Zeugin M. entwickelt“ habe.

Diese Begründung weist Rechtsfehler auf.

a) § 56 Abs. 1 und 2 StGB ermöglicht es dem Gericht, bei Vorliegen einer günstigen Legalprognose und besonderer, in der Tat oder der Persönlichkeit des Angeklagten liegender Umstände auch die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren zur Bewährung auszusetzen. Dabei sind die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 StGB vorrangig zu prüfen (vgl. Senat, Beschluss vom 9. April 2015 – 2 StR 424/14, BGHR StGB § 56 Abs. 2 Sozial-prognose 6). Daran fehlt es hier.

b) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet ferner die Bewertung des Eindrucks des Angeklagten in der Hauptverhandlung, obwohl dieser keine Angaben zur Sache gemacht hat. Es steht dem Angeklagten frei, sich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Macht er von seinem Schweigerecht Gebrauch, darf dies nicht zu seinem Nachteil gewertet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2015 – 3 StR 344/15, NStZ 2016, 220 f. mwN). Der unbefangene Gebrauch des Schweigerechts wäre nicht gewährleistet, wenn der Angeklagte die Prüfung der Gründe hierfür befürchten müsste. Deshalb dürfen aus der Aussageverweigerung keine nachteiligen Schlüsse gezogen werden. Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass das Landgericht dies verkannt hat.“

Selbstläufer nennt man so etwas.

Bewährung I, oder: Das, was nicht mehr da ist, kann nicht zur Bewährung ausgesetzt werden.

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Ich eröffne dann die neue Woche mit zwei Bewährungsentscheidungen des BGH. Zunächst weise ich auf den BGH, Beschl. v. 08.08.2017 – 3 StR 179/17 – hin. Das LG hatte den Angeklagten zu einer Bewährungsstrafe von 10 Monaten verurteilt. Der BGH hat die Strafaussetzung zur Bewährunng aufgehoben:

„Der Ausspruch über die Aussetzung der gegen den Angeklagten verhängten Freiheitsstrafe von zehn Monaten kann nicht bestehen bleiben. Die Strafe war bereits im Zeitpunkt des Urteils durch die mehr als eineinhalb Jahre andauernde Untersuchungshaft voll verbüßt (§ 51 Abs. 1 Satz 1 StGB). Von der Möglichkeit, gemäß § 51 Abs. 1 Satz 2 StPO von der Anrechnung abzusehen, hat das Landgericht keinen Gebrauch gemacht. Ist aber die Strafe infolge der Anrechnung bereits vollständig vollstreckt, entfällt die Strafaussetzung zur Bewährung (BGH, Beschlüsse vom 12. Februar 2014 – 1 StR 36/14; vom 8. Januar 2002 – 3 StR 453/01, NStZ 2002, 367). Mit dem Wegfall der Strafaussetzung zur Bewährung sind etwaige Bewährungsauflagen gegenstandslos.“

Leuchtet ein, oder? Das, was nicht mehr da ist, kann nicht zur Bewährung ausgesetzt werden.

Sonntagswitz: Ich bin in Dubai, daher heute zu Dubai und/oder Scheichs

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Wer gedacht hatte, dass es heute Sonntagswitze zu Kreuzfahrten gibt, der hat sich getäuscht. Der muss leider noch eine Woche warten. denn noch bin ich ja nicht auf dem Schiff, sondern noch in Dubai. Daher heute Witze zu (Öl)Scheichs, und zwar::

„Ach, ich liebe sportliche Frauen“, sagt der Scheich.
„Erst kürzlich habe ich eine Damenfußballmannschaft geheiratet.“


Ein Ölscheich in einer Galerie:
„Ich bewundere Picasso – niemand hat sein Öl so teuer verkauft wie er.“


Ein Ehepaar will seine Ferien in Dubai verbringen. Bedauerlicherweise ist der Flug bereits komplett ausgebucht, darum beschließt die Frau, erst einen Tag später anzureisen. Der Mann bezieht also sein Zimmer und schickt seiner Liebsten gleich eine E-Mail. Blöderweise vertippt er sich und anstatt seiner Angetrauten erhält eine Witwe die Mail.

Diese kommt gerade von der Beerdigung ihres Mannes und will nur schnell die Kondolenzschreiben ihrer Freunde beantworten.

Nachdem sie die erste Nachricht gelesen hat, fällt sie mit einem lauten Schrei in Ohnmacht.

Ihr Sohn kommt um zu sehen, warum seine Mutter das Bewusstsein verloren hat. Dabei fällt sein Blick auf den Computer:

„TO: Meiner lieben Frau

FROM: Deinem nun getrennten Ehemann

SUBJECT: Bin angekommen

Hallo Schatz,

ich bin eben angekommen und finde es wirklich spitze.
Für deine morgige Ankunft ist alles vorbereitet.
Zum Schluss wünsche ich dir noch, dass deine Reise genauso angenehm wird, wie meine es war.

P.S. Verdammt heiß hier unten!!!“

Ich weiß, kann man für jeden Ort machen 🙂


Mail des Sohns des Scheichs an seinen Papa:

„Lieber Papa, Berlin ist eine wundervolle Stadt, die Leute sind sehr nett und freundlich… ich fühle mich sehr wohl hier. Mir ist es nur etwas peinlich mit meinem Ferrari 599 GTB aus massivem Gold in die Uni zu fahren, wo fast alle Lehrer und Kollegen mit dem Zug kommen.
Dein Sohn Nasser“

Am nächsten Tag, erhält Nasser eine Antwort von seinem Vater:

„Mein Lieber Sohn, Ich habe 200 Millionen Dollar auf dein Konto überwiesen. Mach uns nicht lächerlich, du gehst sofort und kaufst dir auch einen Zug.
In Liebe, Papa“


 

Wochenspiegel für die 47. KW., das war „verarschter“ Anwalt, NSU-Prozess, richterliche Drogenkenntnis und Paypal

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So, auch wenn ich nicht da bin, gibt es heute (noch) einen „normalen“ Wochenspiegel. Diesen habe ich ja noch vorbereiten können. Für die drei nächsten Sonntage habe ich mir dann (wieder) etwas anderes einfallen lassen.

Hinzuweisen ist aus der vergangenen Woche auf:

  1. Schiedsmann verarscht Anwalt,

  2. AG Wildeshausen: Befangenheit wegen „überraschender“ Urteilsverkündung ohne Gelegenheit zu Plädoyer bzw. letztem Wort,

  3. SWR hält Tübinger Richter für befangen,
  4. Warum eine Minderheitsregierung niemand wollen kann,

  5. NSU-Prozess: Verteidigung greift Schlussplädoyer des Nebenklagevertreters an,
  6. Woher kennen Richter eigentlich die „Wirkung von Drogen“? – gute Frage 🙂 ,

  7. Hätte Jeanne d’Arc gerettet werden können? Überlegungen zu Verteidigungsstrategien ,

  8. PayPal-Käuferschutz ersetzt kein Gerichtsurteil,

  9. BAG zu Zeugnisverweigerungsrecht und prozessualer Wahrheitspflicht,

  10. Und dann war da noch: Reduzierter Kindesunterhalt mit der Düsseldorfer Tabelle ab 1. Januar 2018.

Übrigens: Wenn der Beitrag hier online gegangen ist, sollte ich (hoffentlich) auf der Fahrt von Dubai nach Abu Dhabi zum neuen Louvre sein 🙂 .

Parkplatzunfall, oder: Nach dem Pläuschchen unaufmerksam….

entnommen wikimedia.org Autor: Urheber Mediatus

Und noch ein Parkplatzunfall am Samstag, nämlich das schon etwas ältere OLG Saarbrücken, Urt. v. 02.02.2017 – 4 U 148/15.

Mal wieder ein Unfall auf dem Parkplatz eines Supermarktes. Der Kläger ist dort mit seinem Pkw mit einer Geschwindigkeit von max. 10 km/h auf der Fahrgasse gefahren. Die Beklagte hielt ein „Pläuschchen“ und hatte dafür ihren Pkw quer über zwei Parktaschen parallel zur Fahrgasse abgestellt, um sich so mit einer Bekannten unterhalten zu können. Als man durch war, ist sie schräg in die Fahrgasse eingefahren. Es kam zum Zusammenstoß. Das OLG sagt:  80 % sind bei der Beklagten und nur 20 % beim Kläger:

„Im Rahmen der hiernach gemäß § 17 Abs. 1 und 2, § 18 Abs. 3 StVG gebotenen Abwägung der beiderseitigen Mitverursachungs- und Verschuldensanteile ist das Landgericht ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass neben der beiderseitigen Betriebsgefahr zu Lasten der Beklagten zudem ein unfallursächliches Verschulden der Beklagten zu 2) nach § 1 Abs. 2 StVO in die Haftungsabwägung einzustellen ist, während ein unfallursächliches Verschulden des Klägers hingegen nicht nachgewiesen ist.

a) Gemäß 17 Abs. 1, 2, § 18 Abs. 3 StVG hängt im Verhältnis der beteiligten Fahrzeughalter und -führer zueinander die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Nach anerkannten Rechtsgrundsätzen sind bei der Abwägung der beiderseitigen Verursacherbeiträge nur solche Umstände einzubeziehen, die erwiesenermaßen ursächlich für den Schaden geworden sind (st. Rspr., BGH, Urteil vom 21.11.2006 – VI ZR 115/05, Rn. 15 bei Juris; Senat, Urteil vom 1.12.2016 – 4 U 109/15, bei Juris Rn. 30; Urteil vom 9.10.2014 – 4 U 46/14, NJW-RR 2015, 223 Rn. 31). Die für die Abwägung maßgebenden Umstände müssen nach Grund und Gewicht feststehen, d. h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen sein. Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung auf Grund geschaffener Gefährdungslage haben außer Betracht zu bleiben (Senat, Urteil vom 9.10.2014 – 4 U 46/14, aaO Rn. 31).

b) In Anwendung dieser Grundsätze ist das Landgericht in nicht zu beanstandender Weise und von der Berufung unangegriffen auf der Grundlage der durchgeführten Beweisaufnahme davon ausgegangen, dass den Beklagten außer der Betriebsgefahr des Pkw Seat Seat das unfallursächliche pflichtwidrige Verhalten der Beklagten zu 2 als Fahrerin zur Last fällt.

aa) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht angenommen, dass die Beklagte zu 2 vorliegend an der Unfallstelle zwar nicht gegen das Gefährdungsverbot aus 10 Satz 1 StVO verstoßen hat, ihr aber ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme aus § 1 Abs. 2 StVO zur Last fällt.

(1) Nach § 10 Satz 1 StVO hat u.a. derjenige, der von anderen Straßenteilen auf die Fahrbahn einfahren oder vom Fahrbahnrand anfahren will, sich so zu verhalten hat, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Nach wohl vorherrschender Auffassung kommt eine unmittelbare oder zumindest eine analoge Anwendung von § 10 Satz 1 StVO auf einem – wie hier – öffentlichen Parkplatz nur dort in Betracht, wo verschiedene Bereiche des Parkplatzes sich im Verhältnis zueinander nach dem objektiven Erscheinungsbild als über- und untergeordnete Verkehrsflächen darstellen; verleiht die bauliche Gestaltung oder Markierung einer bestimmten Teilfläche – etwa einem Zu- und Abfahrtsweg – einen eindeutigen Straßencharakter, dann sind die angrenzenden Teilflächen – etwa die einzelnen Parkgassen – als (insoweit untergeordnete) „andere Straßenteile“ einzustufen (OLG Nürnberg, Urteil vom 28.7.2014 – 14 U 2515/13, bei Juris Rn. 15; OLG Köln, MDR 1999, 675 – bei Juris Rn. 4; OLG Celle, DAR 2000, 216 – bei Juris Rn. 4 ff.; OLG Hamm, RuS 1994, 52 – bei Juris Rn. 6). Handelt es sich bei einem bzw. mehreren der Zufahrtswege um eine gegenüber den Durchfahrtsgassen zwischen den Parkplätzen nochmals baulich größer und breiter ausgestalteten Zufahrtsstraße, so kann § 10 StVO, ob unmittelbar oder analog zur Anwendung kommen (OLG Hamm, NJW 2015, 413 Rn. 14; OLG Düsseldorf, Urteil vom 23.3.2010 – 1 U 156/09, bei Juris Rn. 21; KG, Beschluss vom 12.10.2009 – 12 U 233/08, bei Juris Rn. 7 f.; OLG Sachsen-Anhalt, SVR 2007, 61 – bei Juris Rn. 32 ff.; vgl. auch: JurisPK-StrVerkR/Scholten, 1. Aufl., § 10 Rn. 36).

(2) Ausgehend hiervon ist das Landgericht mit Recht davon ausgegangen, dass der Kläger vorliegend im Verhältnis zu der Beklagten zu 2 nicht nach § 10 Satz 1 StVO bevorrechtigt war, weil es sich bei der hier interessierenden Fahrgasse, auf der sich der Unfall ereignet hat, ausweislich der Luftbildaufnahmen in dem gerichtlichen Sachverständigengutachten des Sachverständigen Dr. P. vom 7.7.2015 um eine Durchfahrtsgasse zwischen zwei Parkplatzreihen handelt, die ausgehend ihrer baulichen Anlage und von der fehlenden Mittelstreifenmarkierung keinen eindeutigen Straßencharakter aufweist, sondern nach dem objektiven Erscheinungsbild dem Parkplatzsucherverkehr und der Ermöglichung des Ein- und Ausparkens diente und nicht dem fließenden Verkehr.

bb) Die Beklagte zu 2 hat jedoch gegen 1 Abs. 2 StVO verstoßen.

(1) Das Gebot der allgemeinen Rücksichtnahme verlangt von einem Verkehrsteilnehmer, sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als unvermeidbar behindert oder belästigt wird. Wiewohl Parkplätze dem ruhenden Verkehr dienen und der Ein- und Ausparkende in der Regel nicht auf fließenden Verkehr, sondern auf Benutzer der Parkplatzfahrbahn trifft, weshalb im Grundsatz auf öffentlichen Parkplätzen die gegenseitigen Rücksichtspflichten einander angenähert sind (vgl. OLG Hamm, NJW 2015, 413 Rn. 16), können auch hier je nach Fallgestaltung die strengen Sorgfaltsmaßstäbe, die im fließenden Verkehr gelten, im Rahmen der Pflichtenkonkretisierung aus § 1 Abs. 2 StVO jedenfalls sinngemäß herangezogen werden, sofern sich in einem bestimmten Verkehrsverhalten die besondere Gefährlichkeit gegenüber den übrigen Verkehrsteilnehmern niederschlagen kann (vgl. BGH, Urteil vom 15.12.2015 – VI ZR 6/16, bei Juris Rn. 11; Senat, Urteil vom 9.10.2014 – 4 U 46/14, bei Juris Rn. 35 f.; LG Saarbrücken, NJW-RR 2012, 476 Rn. 11 jeweils zur Wertung aus § 9 Abs. 5 StVO; LG Saarbrücken, NJW-RR 2016, 354 Rn. 13 und NJW-RR 2009, 1250 Rn. 8 zur Wertung aus § 14 StVO).

(2) So liegt es auch hier. Die ohnehin von der Beklagten zu 2 zu fordernde erhöhte Aufmerksamkeit und Bereitschaft zur Rücksichtnahme auf Parkplätzen (vgl. nachfolgend unter c), bb), (1)) war unter den im Streitfall vorliegenden Umständen noch dadurch gesteigert, dass sie aus Sicht der auf der Fahrgasse herannahenden Verkehrsteilnehmer kein aus- oder einparkendes Fahrzeug darstellte, sondern ein quer auf zwei Parktaschen nicht verkehrsbedingt anhaltendes Fahrzeug, deren Insassin sich mit einer neben dem Fahrzeug stehenden Fußgängerin unterhielt. Der Gefährlichkeit des eigenen Anfahrens auf die Fahrgasse aus dieser Situation heraus für die auf der Fahrgasse herannahenden Verkehrsteilnehmer hätte die Beklagte zu 2 entsprechend der Wertung des § 10 Satz 1 StVO durch ihr eigenes Fahrverhalten Rechnung tragen und so vorsichtig fahren müssen, dass sie kein plötzliches Hindernis für andere Verkehrsteilnehmer bildet. Die Beklagte zu 2 hätte deshalb nicht quer vorwärts in die Fahrgasse einfahren dürfen, ohne sich vorher zu vergewissern, dass der sich von hinten annähernde Kläger, den die Beklagte zu 2 nach ihren eigenen Angaben in der informatorischen Anhörung noch vor Beginn ihres Anfahrvorgangs wahrgenommen hatte, sich auf das Fahrverhalten der Beklagten zu 2 einstellen und ihr den Vortritt auf der Fahrgasse lassen würde. Im Zweifel hätte die Beklagte zu 2 den eigenen Anfahrvorgang zurückstellen müssen.

(3) Nach den von der Berufung nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts (LGU 8/9) hat die Beklagte zu 2 den Unfall durch einen Verstoß gegen diese Sorgfaltsanforderungen verursacht.

c) Vergeblich wendet sich die Berufung gegen die Auffassung des Landgerichts, zu Lasten des Klägers sei lediglich die Betriebsgefahr des gefahrenen PkW Ford Focus zu berücksichtigen und ein darüber hinaus gehender unfallursächlicher Verstoß des Klägers gegen 1 Abs. 2 StVO lasse sich nicht nachweisen……………

bb) Entgegen der Auffassung der Berufung genügen weder eine Ausgangsgeschwindigkeit des Klägers von 10 km/h noch eine Kollisionsgeschwindigkeit in gleicher Höhe, um einen unfallursächlichen Verstoß des Klägers gegen 1 Abs. 2 StVO zu bejahen.

(1) Im rechtlichen Ansatz trifft es zwar zu, dass wegen der oft unübersichtlichen Verkehrsverhältnisse auf Parkplätzen im Allgemeinen von allen Parkplatzbenutzern eine erhöhte Aufmerksamkeit und gegenseitige Bereitschaft zur Rücksichtnahme zu fordern ist (vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 28.7.2014 – 14 U 2515/13, bei Juris Rn. 17; OLG Sachsen-Anhalt, SVR 2007, 61 – bei Juris Rn. 38; KG, NZV 2010, 461 – bei Juris Rn. 7; OLG Koblenz, VersR 2001, 349 – bei Juris Rn. 9; KG, NZV 2003, 381 – bei Juris Rn. 8; OLG Köln, MDR 1999, 675 – bei Juris Rn. 3), und ausgehend hiervon der die Fahrgasse zwischen den Parktaschen Befahrende mit Rücksicht auf Rangierende stets langsam bei ständiger Bremsbereitschaft fahren muss (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 44. Aufl. § 8 StVO Rn. 31a).

(2) Die dem Kläger nachweisbare Ausgangsgeschwindigkeit von 10 km/h war in der konkreten Situation und angesichts der örtlichen Gegebenheiten indes nicht zu schnell. Aufgrund des insoweit unstreitig gebliebenen Vorbringens des Klägers, § 138 Abs. 3 ZPO, ist davon auszugehen, dass der Bereich des Parkplatzes, in dem sich der Unfall ereignet hat, zum Unfallzeitpunkt weitgehend leer war, weshalb die Tatsache, dass der Kläger nur geringfügig über Schrittgeschwindigkeit (5-7 km/h, vgl.: Senat, Urteil vom 21.11.2014 – 4 U 21/14, bei Juris Rn. 91; Urteil vom 9.10.2014 – 4 U 46/14, bei Juris Rn. 52) gefahren ist, noch keinen Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO rechtfertigt.

(3) Auch eine unter § 1 Abs. 2 StVO zu fassende Reaktionsverzögerung ist dem Kläger nicht anzulasten. Die vage Aussage des Sachverständigen, im Hinblick darauf, dass beide Fahrzeuge zum Zeitpunkt der Kollision in Bewegung gewesen seien, sei aus technischer Sicht von einer Vermeidbarkeit für beide Beteiligte bei entsprechend angepasster Fahrgeschwindigkeit und entsprechender Aufmerksamkeit bzw. Beobachtung des jeweils gegnerischen Fahrzeugs auszugehen (Sachverständigengutachten Seiten 32 und 34, GA 150 und GA 152), genügt nicht, um den von den Beklagten zu führenden Nachweis einer schuldhaften Reaktionsverzögerung des Klägers als geführt anzusehen. Der Kläger selbst hat geltend gemacht, die Beklagte zu 2 sei unmittelbar in dem Moment, in dem er im Begriff gewesen sei anzuhalten, um nach links in eine dort gelegene Parktasche abzubiegen, für ihn völlig überraschend in die Fahrgasse eingefahren und mit seinem Fahrzeug kollidiert. In Ermangelung von tatsächlichen Anknüpfungspunkten dazu, wann eine Reaktionsaufforderung an den Kläger ergangen ist, ist offen, ob dieser die Anfahrabsicht der Beklagten zu 2 in die Fahrgasse so frühzeitig erkennen konnte, dass er sein eigenes Fahrzeug noch so rechtzeitig vor dem Beklagtenfahrzeug hätte abbremsen können, um hierdurch den Unfall zu vermeiden. Für einen – vom Landgericht gar nicht in Betracht gezogenen – Anscheinsbeweis ist kein Raum. Es gibt keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass derjenige, der beim Vorwärtsfahren auf der Fahrgasse eines Parkplatzes mit einem vorwärts seitlich auf die Fahrgasse auffahrenden Pkw kollidiert, mit zu hoher Geschwindigkeit oder unaufmerksam gefahren ist und verspätet reagiert hat (in Fortführung von Senat, Urteil vom 9.10.2014 – 4 U 46/14, bei Juris Rn. 49 und in Abgrenzung zu LG Saarbrücken, NJW-RR 2012, 476 Rn. 12)………“