Pflichti: Wann gibt es in der Strafvollstreckung einen Pflichtverteidiger?

© G.G. Lattek - Fotolia.com

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Ich will die Woche mit einem erfreulichen Beschluss beginnen, nämlich dem OLG Stuttgart, Beschl. v.  05.10.2015 – 4 Ws 328/15. Ist zwar schon etwas älter, aber ich bin jetzt erst auf ihn gestoßen. Der Beschluss ist aber einen Hinweis wert. Denn es geht um die Frage, wann einem Verurteilten im Strafvollstreckungsverfahren ein Pflichtverteidiger zu bestellen ist. Das ist ja eine Frage, bei der sich die OLG mit der Beantwortung immer noch schwer tun und doch recht – in meinen Augen: zu – restriktiv verfahren. Der Beschluss der OLG Stuttgart zeigt nun sehr schön, worauf es ankommt und kommt zu einem m.E. richtigen Ergebnis:

4. Allerdings erscheint dem Senat vorliegend die Bestellung einer Verteidigerin aufgrund der Schwierigkeit der Sachlage geboten.

a) Erwägt die Strafvollstreckungskammer aufgrund des Ergebnisses eines Sachverständigengutachtens abweichend von der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt zu entscheiden, indiziert dies, dass die Sachlage bei der Beurteilung der Voraussetzungen der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung gemäß § 57 StGB nicht einfach gelagert ist (OLG Hamm, StRR 2009,403).

Zwar hat die Strafvollstreckungskammer aufgrund des Ergebnisses des Gutachtens vom 4. September 2015 nicht erwogen, entgegen der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt R. vom 30. Juli 2015, die auf der Grundlage des Diagnostikberichts vom 11. Juni 2015 erging, zu entscheiden. Das Gutachten vom 4. September 2015 bestätigte vielmehr die Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt und den dieser Stellung nähme zugrundeliegenden Diagnostikbericht. Es liegt jedoch eine vergleichbare Verfahrenslage vor.

Zum Zeitpunkt der mündlichen Anhörung des Verurteilten am 31. Juli 2015 lagen der Strafvollstreckungskammer neben der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt der Diagnostikbericht vom 11. Juni 2015 vor. Obwohl dieser das allgemeine, aber auch einschlägige Rückfallrisiko im Hinblick auf Gewalt- und auch Sexualstraftaten beim Verurteilten als relativ hoch einschätzte, weitere, ähnlich gelagerte Straftaten, insbesondere im Beziehungsbereich wegen stark vorherrschender deliktfördernder und kulturell traditionell geprägter Einstellungen als wahrscheinlich ansah und aufgrund der Chronizität der Delinquenz des Verurteilten eine mehrjährige, intensive, multimodale Therapie mit Gruppenangeboten und Wohngruppenvollzug einschließlich hochfrequenter einzeltherapeutischer Gespräche, wie sie in der Sozialtherapeutischen Anstalt Baden-Württemberg (STA) angeboten wird, als – das ausschließliche Mittel der Wahl – indiziert ansah, sah sich die Strafvollstreckungskammer gleichwohl nach Durchführung der mündlichen Anhörung veranlasst, ein Gutachten einzuholen.

Sie hat hierzu in der mündlichen Anhörung am 31. Juli 2015 ausgeführt: „Die Kammer erläutert, dass nach dem Ergebnis der heutigen Anhörung ein psychiatrisches oder psychologisches Sachverständigengutachten eingeholt werden wird. Die Kammer beabsichtigt nicht, ohne ein Sachverständigengutachten die Entlassung abzulehnen.“ Im Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 13. August 2015 heißt es unter Ziff. 1: „Da die Kammer erwägt, die Vollstreckung des letzten Drittels der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 13. Februar 2013 zur Bewährung auszusetzen, wird gemäß § 454 Abs. 2 StPO ein kriminalprognostisches Sachverständigengutachten eingeholt“.

Wenn aber die Strafvollstreckungskammer trotz des Vorliegens des – für den Senat deutlichen – Diagnostikberichtes zu verstehen gibt, dass sie in der vorliegenden Diagnostik und der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt noch keine ausreichende Entscheidungsgrundlage sieht, vielmehr die Einholung eines Gutachtens zur Gewinnung einer weiteren Entscheidungsgrundlage für erforderlich hält, ist von einer Schwierigkeit der Sachlage auszugeben.

b) In der vorliegenden Situation erscheint die beantragte Bestellung der Verteidigerin geboten. Die dem einzuholenden Sachverständigengutachten von der Strafvollstreckungskammer unter Umständen zugedachte Bedeutung gegenüber dem vorliegenden Diagnostikbericht und die möglicherweise erforderliche Auseinandersetzung mit gegensätzlichen Bewertungen führt zu einer schwierigen Sachlage und gebietet den rechtsanwaltlichen Beistand des Verurteilten.

5. Die Bestellung erstreckt sich auf das Verfahren über die Entscheidung zur Reststrafenaussetzung zur Bewährung (OLG Düsseldorf, StraFo 2011,371; OLG München, StraFo 2009,527; OLG Zweibrücken, NStZ 2010, 470; OLG Frankfurt, NStZRR 2003, 252). Die Ansicht des OLG Stuttgart in NJW 2000, 3367 steht nicht entgegen, da es sich im vorliegenden Verfahren der Entscheidung über eine Reststrafaussetzung zur Bewährung gem. § 57 StGB im Gegensatz zum dort entschiedenen Fall der erfolgten Bestellung eines Verteidigers „für das gesamte Vollstreckungsverfahren“ in einer Unterbringungssache um einen klar abgrenzbaren Verfahrensabschnitt handelt, der eine auf diesen Abschnitt beschränkte Entscheidung ermöglicht.“

Ob man nicht ggf. auch aus anderen Gründen hätte beiordnen können, kann man m.E. diskutieren.

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