Schlagwort-Archive: Schätzung

OWi I: Unternehmerverstöße gegen das FahrpersonalG, oder: Wer ist Unternehmer und ist die Geldbuße ok?

Bild von Sabine auf Pixabay

Und dann ein OWi-Tag.

Den eröffne ich mit zwei Entscheidungen des OLG Hamm zum FahrpersonalG, und zwar zu Verstöße eines Unternehmers gegen das FahrpersonalG. In beiden Entscheidungen geht es darum, dass dem betroffenen Unternehmer Verstöße gegen § 8a Abs. 1 Nr. 2 FPersG zur Last gelegt worden waren. Diese Vorschrift verlangt vom Unternehmer, dass er dafür sorgt, dass die vorgeschriebenen Lenkzeiten und Fahrtunterbrechung oder die erforderlichen Ruhezeiten vom Fahrer eingehalten werden.

Zur konkreten Vorstellung nehme ich dann mal den OLG Hamm, Beschl. v. 19.03.2024 – III-4 ORbs 31/24. Das OLG das amtsgerichtliche Urteil, mit dem der Betroffene zu einer Geldbuße von 25.000 EUR verurteilt worden ist, wegen nicht ausreichender Feststellungen aufgehoben. Begründung, in der das OLG zunächst die Stellungnahme der GsTA „eingerückt“ hat:

„Die gemäß § 79 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist rechtzeitig eingelegt sowie form- und fristgerecht begründet worden und hat auch in der Sache – jedenfalls vorläufig – Erfolg.

Das Urteil unterliegt bereits auf die Sachrüge der Aufhebung, da es keine ausreichenden Feststellungen zu den Tatvorwürfen enthält.

a) Die Vorschrift des § 8a Abs. 1 Nr. 2 FPersG, auf welche das Amtsgericht die Verurteilung u. a. gestützt hat, nimmt Bezug auf die Verordnung (EG) Nr. 561/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006. Gemäß Art. 2 Abs. 1 a) der vorgenannten Verordnung gilt diese nur für Güterbeförderungen im Straßenverkehr, deren zulässige Höchstmasse einschließlich Anhänger oder Sattelanhänger 3,5 t übersteigt.

Gemäß ihres Art. 2 Abs. 2 gilt sie in räumlicher Hinsicht zudem ausschließlich für Beförderungen im Straßenverkehr innerhalb der Gemeinschaft oder zwischen der Gemeinschaft, der Schweiz und den Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist in dem angefochtenen Urteil indes nicht festgestellt. Insbesondere enthält die mit dem Urteil verbundene Verstoßliste keine entsprechenden Fahrzeug- bzw. Streckeninformationen. Es ist daher unklar, ob der Anwendungsbereich der angewandten Bußgeldnorm überhaupt eröffnet ist.

Gleiches gilt, soweit Verstöße – jedenfalls ausweislich der diesbezüglichen Liste – zum Teil auf § 8 Abs. 1 Nr. 1 b) FPersG.i. V. m. Art. 32 Abs. 1 der VO (EU) Nr. 165/2014 gestützt werden, da diese Verordnung gemäß ihres Art. 3 Abs. 1 nur für Fahrzeug gilt, die dem Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 unterfallen, was vorliegend nicht ausreichend festgestellt ist.

b) Auch die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs führt zur Aufdeckung von Rechtsfehlern zum Nachteil des Betroffenen. Insbesondere ist zu bemängeln, dass das Amtsgericht keinerlei Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen getroffen hat (§ 17 Abs. 3 S. 2 OWiG). Die Feststellung, es lägen keine Anhaltspunkte dafür vor, die verhängte Geldbuße könne den Betroffenen in finanzielle Nöte stürzen, zumal dessen Verteidiger auf entsprechende Nachfrage keine Angaben gemacht habe, reichen insoweit nicht aus. Weitergehende Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen sind nur bei geringfügigen Geldbußen entbehrlich. Hiervon kann bei einer Summe von 25.000,- € indes nicht die Rede sein.

2. Auf die von dem Betroffenen erhobenen Verfahrensrügen kommt es nicht mehr an.

Die Sache bedarf insgesamt erneuter Verhandlung und Entscheidung.“

Diesen zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft schließt sich der Senat nach eigener Sachprüfung an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung.“

Und dann gibt es aber noch reichlich Eigenes 🙂 :

„Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Ordnungswidrig sind nur Verstöße, die von einem Unternehmer (§ 8 Abs. 1 und § 8a Abs. 1 FPersG) begangen worden. sind. Bei der hier vorliegenden Internationalen Speditions-GmbH & Co. KG erfüllt der Betroffene nur dann das besondere persönliche Merkmal eines „Unternehmers“, wenn und soweit er als vertretungsberechtigtes Organ (Geschäftsführer) der Komplementär-GmbH (§ 9 Abs. 1 Ziff. 1 OWiG) gehandelt hat bzw. wenn und soweit er – ohne selbst Geschäftsführer zu sein – von dem Geschäftsführer der Komplementär-GmbH oder einem sonst dazu Befugten beauftragt ist, den Betrieb ganz oder zum Teil zu leiten oder ausdrücklich beauftragt ist, in eigener Verantwortung Aufgaben wahrzunehmen, die dem Inhaber des Betriebs obliegen und aufgrund dieses Auftrags gehandelt hat (§ 9 Abs. 2 Ziff. 1 bzw. Ziff. 2 OWiG) (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Dezember 2006 – IV-2 Ss (OWi) 124/06 – (OWi) 67/06 III – juris Rn. 6).

Im Übrigen kann zur Bestimmung des Unternehmerbegriffs ergänzend auch auf die entsprechende Regelung in § 3 PBefG Bezug genommen werden. Danach gilt als Unternehmer, wer den Verkehr im eigenen Namen unter eigener Verantwortung und für eigene Rechnung betreibt. Im eigenen Namen betreibt ein Unternehmen, wer nach außen hin als Inhaber des Unternehmens auftritt. Unter eigener Verantwortung bedeutet, dass der Handelnde der Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde gegenüber die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung des Betriebs trägt. Für eigene Rechnung handelt derjenige, dem Lasten und Nutzen des Betriebes, wenn auch nicht ganz, so doch mindestens zu einem erheblichen Teil zufallen. Folglich gilt als Unternehmer, wer u.a. die Fahrzeuge einsetzt, Verträge abschließt, Arbeitskräfte bestellt, Fahrzeuge zur Reparatur gibt, Art und Inhalt der Buchführung bestimmt und jederzeit die Kontrollmöglichkeit hat. Für diese rechtliche Beurteilung der Unternehmereigenschaft ist dabei vor allem die Eintragung im Handelsregister, die Gewerbeanmeldung sowie die Erteilung der CEMT-Genehmigung für den Verkehr zwischen Staaten der EU und anderen Staaten ein wichtiges Indiz und bedarf entsprechender konkreter Feststellungen durch das Tatgericht (OLG Bamberg, Beschluss vom 4. Dezember 2007 – 2 Ss OWi 1265/07 -juris Rn. 23).

Die bloße tatsächliche Wahrnehmung der dem Inhaber des Betriebes aus dem Fahrpersonalgesetz erwachsenen Pflichten durch den Betroffenen würde für eine Verantwortlichkeit im Sinne des § 9 Abs. 2 Nr. 2 OWiG nicht ausreichen. Erforderlich wäre vielmehr ein Auftrag, der ausdrücklich und unter Hinweis auf die Verantwortlichkeit für die Pflichten, die dem Betriebsinhaber bei der Überwachung des Fahrpersonals obliegen, erteilt worden wäre. Dabei hätte der Betroffene damit beauftragt werden müssen, diese Pflichten in eigener Verantwortung zu erfüllen, d.h. mit entsprechenden Selbständigkeit und Entscheidungsfreiheit (vgl. OLG Hamm a.a.O., OLG Schleswig VRS 58, 384, 386). Der Betroffene hätte in der Lage sein müssen, von sich aus ohne Weisung des Betriebsinhabers die Maßnahmen zu ergreifen, die zur Erfüllung der Pflichten aus dem Fahrpersonalgesetz notwendig waren (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Dezember 2006, a.a.O., Rn. 7, juris).

Entsprechende Feststellungen lässt die angefochtene Entscheidung vermissen. Dort ist ausgeführt, der Betroffene sei bis zum 15. Juli 2019 Geschäftsführer (gemeint ist wohl Geschäftsführer der Komplementär-GmbH) gewesen und ab dem 16. Juli 2019 habe pp. die Geschäftsführung und zugleich die Aufgabe des Verkehrsleiters übernommen, es sei jedoch originäre Aufgabe des Betroffenen als bis dahin Verantwortlicher und Geschäftsführer, dafür Sorge zu tragen, dass ein neuer Geschäftsführer und Verkehrsleiter seinen Aufgaben unter Einhaltung der Rechtsvorschriften nachkomme. Aus diesen Erwägungen allein kann eine Verantwortlichkeit des Betroffenen für die Zeit ab dem 15. Juli 2019 jedoch nicht begründet werden. Eine solche würde nur dann bestehen, wenn – was im Einzelnen festzustellen wäre – der Betroffene von dem Geschäftsführer gemäß den vorstehenden Ausführungen konkret mit der Überwachung des Fahrpersonals in eigener Verantwortung beauftragt worden wäre, was ggf. auch durch die Vernehmung einzelner Mitarbeiter aufgeklärt werden kann. Zudem werden die einschlägigen Handelsregisterauszüge (auch betreffend die Komplementär-GmbH) beizuziehen und durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzubeziehen sein.

2. Die bußgeldbewehrte Pflichtwidrigkeit besteht darin, dass der Unternehmer nicht dafür sorgt, dass die Sozialvorschriften eingehalten werden, also in einem Unterlassen. Das Amtsgericht muss folglich Feststellungen dazu treffen, welche Verpflichtungen den Betroffenen treffen, ob und inwieweit der Betroffene gegen diese Verpflichtungen verstoßen hat und ‚ob die Pflichtverletzung kausal zu Verstößen gegen Sozialvorschriften geführt hat. Solche Feststellungen fehlen bislang gänzlich und müssten zunächst noch getroffen werden.

Dabei wird das Amtsgericht davon auszugehen haben, dass der Unternehmer verpflichtet ist, das Fahrpersonal in regelmäßigen zeitlichen Abständen auf die maßgeblichen Lenk- und Ruhezeiten hinzuweisen, wöchentlich die Schaublätter der EG-Kontrollgeräte zu überprüfen und im Übrigen die Fahrten so zu disponieren, dass den Fahrern unter Berücksichtigung des Bestimmungsortes, der Streckenführung und der Zeiten für An- und Abfahrt sowie für Be- und Entladung die Einhaltung der Lenk- und Ruhezeiten möglich ist. Bei Vernachlässigung dieser Pflichten wird ferner zu prüfen sein, ob festgestellten Verstöße gegen Sozialvorschriften ursächlich auf die fehlende oder unzulängliche Belehrung und Überwachung zurückzuführen sind (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12. Dezember 2006 – IV-2 Ss (OWi) 124/06 – (0Wi) 67/06 III – juris Rn. 14; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21. Dezember 2007 – IV-2 Ss (OWi) 83/07 – (OWi) 64/07 III – juris Rn. 18 ff.; OLG Koblenz, Beschluss vom 23. April 2001 – 1 Ss 29/01 – juris Rn. 20 f.; vgl. zu den Verpflichtungen Häberle in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, Werkstand 249. EL September 2023, Verordnung (EU) 561/2006 Art. 10 Rn. 4 ff.).

Entsprechende Feststellungen im Hinblick auf den Pflichtenkreis des Unternehmers werden sich wohl erst nach Auswertung von Geschäftsunterlagen bzw. der diesbezüglichen Vernehmung des Zeugen H. und erforderlichenfalls auch der zeugenschaftlichen Vernehmung von einzelnen Fahrern treffen lassen.

Soweit es um die Frage geht, ob Verstöße des Unternehmers gegen die ihm obliegenden Pflichten sich kausal durch Verstöße gegen Sozialvorschriften ausgewirkt haben, kommt es nicht darauf an, ob die einzelnen Verstöße den Fahrern jeweils subjektiv vorwerfbar sind. Denn Sanktionsgrund gegenüber dem Unternehmer ist die Verletzung seiner einheitlichen umfassenden Aufsichts- und Überwachungspflicht, während der Fahrer – worauf es hier nicht ankommt – mit jedem einzelnen Verstoß gegen die Bestimmungen der EU-Verordnungen ordnungswidrig handelt (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 15. Juli 2010 – 2 Ss-OWi 276/10 – juris Rn. 19). Daher ist es in diesem Zusammenhang ausreichend, wenn das Vorliegen von – kausal verursachten – Verstößen gegen Sozialvorschriften objektiv festgestellt werden kann. Nicht auch wird es einer zeugenschaftlichen Vernehmung von Fahrern zu der Frage bedürfen, inwieweit der Verstoß jeweils dem Fahrer individuell vorwerfbar ist.

3. Die Verordnung (EG) Nr. 561/2006 gilt nur für Beförderungen im Straßenverkehr ausschließlich innerhalb der Europäischen Gemeinschaft oder zwischen der Gemeinschaft, der Schweiz und den Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (Art. 2 Abs. 2 der Verordnung).

Aus den Feststellungen des Urteils muss sich daher ergeben, dass es sich bei den Fahrten, bei denen es infolge des Pflichtverstoßes des Betroffenen zu Verstößen gegen die zulässige Lenk- bzw. Ruhezeit gekommen. ist, um Beförderungen innerhalb des vorgenannten räumlichen Gebiets gehandelt hat (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 23. April 2001 – 1 Ss 29/01 -juris Rn. 17; OLG Bamberg, Beschluss vom 30. Januar 2014 – 3 Ss OWi 284/13 juris Rn. 5).

4. Die Feststellungen in der angefochtenen Entscheidung vermögen eine vorsätzliche Pflichtverletzung nicht. zu tragen. Ein vorsätzlicher Verstoß kann nur dann bejaht werden, wenn der Betroffene positiv gewusst hat, dass er seinen Organisations-, Anweisungs- bzw. Überprüfungspflichten nicht gerecht wird oder dies jedenfalls billigend in Kauf genommen hat.

Es ist aber zulässig, aus dem Vorhandensein einer Vielzahl festgestellter Verstöße . Rückschlüsse auf das subjektive Element zu ziehen.

5. Der Vorwurf, nicht für die Einhaltung der Lenkzeiten, Fahrtunterbrechungen oder Ruhezeiten von (mehreren) Fahrern oder die richtige Verwendung von EG-Kontrollgeräten Sorge getragen zu haben, knüpft an ein (echtes) Unterlassen an, weshalb regelmäßig von nur einem einheitlichen Verstoß auszugehen und nur eine einzige Geldbuße festzusetzen ist (OLG Bamberg, Beschluss vom 30. Januar 2014 – 3 Ss OWi 284/13 – juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 23. April 2001 – 1 Ss 29/01 – juris; OLG Bamberg, Beschluss vom 30.01.2014 – 3 Ss OWi 284/13 – juris)

6. Die Urteilsgründe müssen stets eine in sich geschlossene, aus sich heraus verständliche Darstellung der Feststellungen und der sie tragenden Beweiserwägungen enthalten (vgl. Schmitt in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Auflage 2023, § 267 Rn. 2). Zwar kann bei einer Vielzahl von sich wiederholenden gleichartigen Sachverhalten wegen der Einzelheiten auf eine in dem Urteil enthaltene tabellarische Aufstellung Bezug genommen werden. Jedoch entbinden tabellarische Darstellungen nicht davon, den zugrunde liegenden Sachverhalt, insbesondere das zugrunde liegende tatsächliche Geschehen zunächst einleitend in verständlicher Weise in Worten zu beschreiben.

Entscheidend ist, dass der Verstoß jeweils – differenziert nach Art des Verstoßes (also Lenkzeitverstoß, Ruhezeitverstoß pp.) – in verständlicher Weise beschrieben wird und nur wegen der Gesamtzahl der Verstöße auf Daten Bezug genommen wird, die sich in der in die Darstellung einbezogenen tabellarischen Aufstellung befinden.

Diesen Anforderungen wird die vom Amtsgericht bisher gewählte Art der Darstellung nicht gerecht.

7. Wenn – wie hier – unter nahezu vollständiger Ausschöpfung des Bußgeldrahmens ein Bußgeld in erheblicher Höhe‘ festgesetzt wird, so muss das Urteil in hinreichendem Umfang Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen enthalten.

Einen entsprechenden Hinweis hatte •der Senat dem Amtsgericht in der vorliegenden Sache bereits in seinem Beschluss vom 20. Dezember 2022 erteilt, durch den das vorangegangene Urteil des Amtsgerichts aufgehoben worden war.

Insoweit weist der Senat ergänzend darauf hin, dass die Einkünfte auch durch Schätzung ermittelt werden können. Eine Schätzung ist dann angezeigt, wenn ein Betroffener keine, unzureichende oder gar unzutreffende Angaben macht und eine Ausschöpfung der Beweismittel das Verfahren unangemessen verzögem würde oder der Ermittlungsaufwand zu der konkreten Geldbuße in einem unangemessenen Verhältnis stünde. Als Kriterium einer Schätzgrundlage kommen regelmäßig der – ausgeübte – Beruf eines Betroffenen aber auch sonstige Anzeichen seines sozialen Status in Betracht (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 30. September 2021 – 1 OWi 2 SsBs 62/20 – juris Rn. 27; OLG Hamm, Beschluss vom 10. Juli 2019 – 111-3 RBs 82/19 -, juris Rn. 19; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom • 11. Februar 2020 – 201 ObOW12771/20 juris Rn. 11). Sollte der Betroffene vorliegend weiterhin keine Angaben zu seinen Einkünften machen, wird das Amtsgericht im Wege einer Schätzung das durchschnittliche Gehalt des Geschäftsführers eines Speditionsunternehmens der Größenordnung des hier in Rede stehenden Unternehmens zugrunde legen dürfen. Bewertungskriterien dürften hierbei insbesondere der Jahresumsatz, die Anzahl der Mitarbeiter und die Größe des Fuhrparks sein.

8. Das Amtsgericht hat bei der Bemessung der Geldbuße zu Lasten des Betroffenen gewürdigt, dieser sei aufgrund vergangener Bußgeldverfahren bereits sensibilisiert, obwohl sich aus den Feststellungen ’nicht ergibt, dass es gegen den Betroffenen in der Vergangenheit überhaupt weitere Bußgeldverfahren gegeben hat, welcher Vorwurf Gegenstand dieser Verfahren war und ob es zu der Festsetzung von Bußgeldern gekommen ist.“

Auf derselben Linie liegt dann die zweite Entscheidung, der OLG Hamm, Beschl. v. 19.03.2024 – III-4 ORbs 334/23, den ich daher nicht mehr vollständig einstelle.

Haushaltsführungsschaden im „Bagatellbereich“, oder: Erstattungsfähigkeit

Bild von Steve Buissinne auf Pixabay

Und dann am Samstagnachmittag das OLG Saarbrücken, Urt. v. 20.04.2023 – 3 U 7/23 – zur Erstattungsfähigkeit eines Haushaltsführungsschaden im „Bagatellbereich“

Gestritten worden ist in dem Verfahren u.a. über den Umfang und die Erstattungsfähigkeit eines Haushaltsführungsschadens der Klägerin nach einem Verkehrsunfall mit einer grundsätzlichen Eintrittspflicht der Beklagtene. Bei dem Unfallereignis hatte die Klägerin eine Wirbelsäulenverletzung erlitten, bei der der vom Gericht eingeschaltete Sachverständige eine dauerhafte haushaltsspezifische MdE von 15% bejaht hat. Dabei hat der Sachverständige auch berücksichtigt, dass bei der Geschädigten unfallunabhängige Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule bestanden haben, die nach seiner Auffassung stärker als die Unfallfolgen die Fähigkeit beeinträchtigen, sich nach vorne zu beugen – dessen ungeachtet sind auch weitere Einschränkungen alleine dem Unfallereignis zugeordnet worden. Die verbleibenden Funktionseinschränkungen haben sich dabei aus einem komplexen Zusammenwirken verschiedener Unfallfolgen im Bereich der Wirbelsäule ergeben, wobei es im Wesentlichen um unfallbedingt bewegungsabhängige Schmerzen im Bereich der oberen Lendenwirbelsäule geht und Beeinträchtigungen beim Strecken, beim längeren Bücken und bei Drehbewegungen, wenn auch in einem überschaubaren Umfang als Dauerschaden bestehen.

Das OLG Saarbrücken ist von einem erstattungsfähigen Haushaltsführungsschaden als Dauerschaden ausgegangen. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf das umfangreich begründete Urteil. Hier „gibt“ es nur die Leitsätze, und zwar:

    1. Bei der Berechnung eines Haushaltsführungsschadens ist nicht auf die allgemeine Minderung der Erwerbsfähigkeit, sondern eine haushaltsspezifische Einschränkung der Erwerbsfähigkeit abzustellen.
    2. Liegt diese Minderung der Haushaltsführungsfähigkeit zwischen 10% und 20%, kann die Verpflichtung des Geschädigten zu einer möglichen Zurückstellung und Umorganisation im Einzelfall zur Versagung des Haushaltsführungsschadens unter Beachtung einer Geringfügigkeitsgrenze führen.
    3. Dies ist allerdings nicht der Fall, wenn eine haushaltsspezifische MDE von 15% verbleibt, die verletzte Person im Wesentlichen den Haushalt unter den Ehegatten alleine geführt hat und ein Tausch mit dem bisher vom Ehepartner durchgeführten „schwereren Haushaltsarbeiten“ nicht in Frage kommt.
    4. Ein Nettostundenlohn für eine Ersatzkraft in Höhe von 10,00 EUR ist im Rahmen des § 287 ZPO für eine Ersatzkraft im Haushalt anzusetzen.
    5. Bei einem solchen Dauerschaden ist der Anspruch auf Ersatz eines Haushaltsführungsschadens bis zum 75. Lebensjahr zu befristen.

 

Strafzumessung III: Falsche Einkommensschätzung, oder: Zulässigkeit von Finanzermittlungen

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Und dann zum Schluss des Tages noch einmal der OLG Celle, Beschl. v. 31.03.2023 – 3 Ss 3/23. „Noch einmal“, weil ich über den hier schon einmal berichtet habe (vgl. hier: StPO II: Wirksamkeit des Eröffnungsbeschlusses, oder: Name des Angeklagten und Aktenzeichen fehlen).

Ich komme jetzt auf den Beschluss noch einmal wegen der Ausführungen des OLG zur Tagessatzhöe zurück:

„2. Die Festsetzung der Höhe der Tagessätze auf 200 EUR hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung indes nicht stand.

Gemäß § 40 Abs. 2 StGB bestimmt das Gericht die Höhe eines Tagessatzes unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters, wobei in der Regel von dem Nettoeinkommen auszugehen ist, das der Täter durchschnittlich an einem Tag hat oder haben könnte. Wenn der Angeklagte – der zu Auskünften nicht verpflichtet ist – keine, unzureichende oder gar unzutreffende Angaben zu seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen macht, sind diese grundsätzlich durch Finanzermittlungen aufzuklären (vgl. Nr. 14 RiStBV). Eine Schätzung des Einkommens ist immer dann angezeigt, wenn eine Ausschöpfung der Beweismittel das Verfahren unangemessen verzögern würde oder der Ermittlungsaufwand zu der zu erwartenden Geldstrafe in einem unangemessenen Verhältnis stünde (BeckOK StGB/Heintschel-Heinegg, 45. Ed. 1.2.2020, StGB § 40 Rn. 18). Eine volle Ausschöpfung der zur Verfügung stehenden Beweismittel ist dabei nicht geboten. Jedoch darf nicht „ins Blaue hinein“ geschätzt werden; vielmehr setzt eine Schätzung die konkrete Feststellung der Schätzungsgrundlagen voraus; bloße Mutmaßungen genügen nicht. Die Grundlagen, auf welche sich die Schätzung stützt, müssen festgestellt und erwiesen sein sowie im Urteil überprüfbar mitgeteilt werden (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 1. Juni 2015 – 2 BvR 67/15 –, juris).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht in jeder Hinsicht gerecht.

Das Landgericht hat das Einkommen des Angeklagten auf 6.000 € netto nach Abzug seiner Unterhaltsverpflichtungen geschätzt, wobei es berücksichtigt hat, dass der Angeklagte nicht nur Geschäftsführer, sondern auch Gesellschafter eines „größeren“ Handwerksbetriebes mit einer „gewissen“ Anzahl von Angestellten sei. Zudem sei der Betrieb des Angeklagten auch Ausbildungsbetrieb und die Betriebsräumlichkeiten seien großzügig und gut ausgestattet.

Die getroffenen Feststellungen zu dem von dem Angeklagten betriebenen Handwerksbetrieb tragen nicht die Schlussfolgerung, dass der Angeklagte in dem relevanten Betrachtungszeitraum ein monatliches Nettoeinkommen von 6.000 Euro netto nach Abzug seiner Unterhaltsverpflichtungen erzielt hat.

Insoweit bleibt bereits im Ausgangspunkt die vom Landgericht in Ansatz gebrachte Höhe der abgezogenen Unterhaltsverpflichtungen unklar, denn das angefochtene Urteil erschöpft sich in der Mitteilung, ein Sohn des Angeklagten sei noch in der Ausbildung und werde von dem Angeklagten unterhalten. Das Urteil lässt jedoch Informationen dazu vermissen, ob die Ehefrau des Angeklagten ein eigenes Einkommen erzielt oder ob auch Unterhaltszahlungen des Angeklagten an seine Ehefrau in Abzug zu bringen waren.

Im Übrigen stellen sich die dargestellten Erwägungen des Landgerichts zur Höhe des Einkommens als bloße Mutmaßungen dar, denn das Urteil lässt konkrete Feststellungen zur Größe des Betriebes, zur Anzahl der Angestellten und Auszubildenden vermissen.

3. Da die Festsetzung der Tagessatzhöhe in aller Regel losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt selbständig überprüft werden kann (vgl. BGHSt 27, 70, 72; 34, 90, 92) und hier keine Anhaltspunkte für eine andere Beurteilung bestehen, führt der festgestellte Mangel lediglich zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang und zu einer entsprechenden Zurückverweisung an das Berufungsgericht zur erneuten Festsetzung der Tagessatzhöhe.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Zur Aufklärung der wirtschaftlichen Verhältnisse eines Angeklagten, der hierzu keine Angaben macht, können in zwei Schritten Finanzermittlungen durchgeführt werden. Zunächst kann die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) um Auskunft über die Kontostammdaten des Angeklagten ersucht werden (§ 24c Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 KWG). Ein solches Auskunftsersuchen ist nicht an eine bestimmte Schwere der zu verfolgenden Straftat gebunden und auch in Fällen nur leichter Kriminalität zulässig (vgl. OLG Stuttgart, Beschl. v. 13.2.2015 ? 4 Ws 19/15, NStZ 2016, 48). Nach Erhalt der Auskunft zu den Kontostammdaten können die betreffenden Kreditinstitute um Auskunft zu den dort geführten Konten des Angeklagten ersucht werden (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. April 2021 – III-2 RVs 11/21 –, juris). Alternativ kommt hinsichtlich der aufzuklärenden Einkommensverhältnisse auch die Anordnung einer Durchsuchung in Betracht, wobei allerdings die Möglichkeit der Finanzermittlungen sowie die Schätzungsbefugnis gem. § 40 Abs. 3 StGB in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzubeziehen sind (BeckOK StGB/Heintschel-Heinegg, 45. Ed. 1.2.2020, StGB § 40 Rn. 16).“

VW-Abgasskandal, oder: Zum merkantilen Minderwert, Sittenwidrigkeit, Applikationsrichtlinie

entnommen wikimedia.org
Urheber User: High Contrast

Und heute dann „Kessel Buntes“. Zunächst stelle ich einige Entscheidungen zum VW-Abgasskandal vor, und zwar zu ggf. gegebenen Schadensersatzansprüchen, nämlich:

Zur Schätzung der Höhe eines merkantilen Minderwertes im Rahmen des sog. „Abgasskandals“

Aus der Applikationsrichtlinie vom 18.11.2015 ergeben sich betreffend den Motor vom Typ EA288 keine einen Anspruch gemäß § 826 BGB begründenden Umstände.

Das Inverkehrbringen eines Fahrzeugs mit einem Dieselmotor stellt nicht allein deshalb ein sittenwidriges Handeln i.S.d. § 826 BGB dar, wenn dieser Motor mit einer Software versehen ist, die ab dem Zeitpunkt, zu dem die Restmenge im AdBlue-Tank des SCR-Katalysators nur noch für eine Restreichweite von 2.400 km ausreicht, unter besonders dynamischen Fahrbedingungen die Eindüsungsrate geringfügig reduziert.

Nochmals VW-Abgasskandal, oder: Zulässigkeit der Schätzung der Gesamtlaufleistung eines Fahrzeugs

© Gina Sanders – Fotolia.com

Und dann der „Kessel Buntes“ am Samstag. In dem steckte als erste Entscheidung das BGH, Urt. v. 23.03.2021 – VI ZR 3/20. Eine Entscheidung/ein Verfahren, das noch mit dem VW-Abgasskandal zu tun hat. Der BGH nimmt in dem Urteil zur Zulässigkeit der Schätzung der Gesamtlaufleistung eines Fahrzeugs im Zusammenhang mit der Berechnung der gezogenen Nutzungsvorteile Stellung.

Die Klägerin hat VW auf Schadensersatz wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch genommen. Die Klägerin hatte am 19.06.2015 von einem Autohaus einen gebrauchten, von VW hegestellten PKW VW Sharan zu einem Preis von brutto 23.500 €, netto 19.747,90 € erworben. Das Fahrzeug war mit einer unzulässigen Abgasabschalteinrichtung ausgestattet.

Die Klägerin hat die Zahlung von 23.500 € (Bruttokaufpreis) nebst Rechtshängigkeitszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, Feststellung des Annahmeverzugs sowie Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangt. Das LG hat zur Zahlung von 15.396,56 € nebst Rechtshängigkeitszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie zur Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosen verurteilt und festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs im Annahmeverzug befinde. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin, mit der diese weitere 8.103,44 € sowie Deliktszinsen verlangt hat, hat das OLG zurückgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat es unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels den Hauptausspruch des landgerichtlichen Urteils dahingehend abgeändert, dass es die Beklagte zur Zahlung von 14.803,28 € nebst Rechtshängigkeitszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs verurteilt hat. Die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg:

„Nach Auffassung des Berufungsgerichts haftet die Beklagte der Klägerin auf Schadensersatz aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung. Die vorsteuerabzugsberechtigte Klägerin könne die Rückzahlung des Nettokaufpreises verlangen, müsse sich aber nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung den Wert der von ihr gezogenen Nutzungen anrechnen lassen. Auf der Grundlage einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km errechne sich unter Berücksichtigung der zum Zeitpunkt der Übergabe absolvierten Laufleistung des Fahrzeugs (77.149 km) und der aktuellen Laufleistung (132.948 km) ein Nutzungsvorteil in Höhe von 4.944,62 €, woraus sich der zugesprochene Betrag von 14.803,28 € ergebe. Der Feststellung des Annahmeverzugs stehe nicht entgegen, dass die Klägerin zu viel gefordert habe, indem sie sich Nutzungsvorteile nicht habe anrechnen lassen. Das in dem Klageantrag liegende wörtliche Angebot sei so zu verstehen, dass die Klägerin ihre Leistung erbringe, wenn der Gegner die tatsächlich geschuldete Gegenleistung anbiete. Der in der klägerischen Berufung geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von Zinsen aus § 849 BGB bestehe dagegen nicht, weil die Klägerin für das als Kaufpreis aufgewandte Geld die Nutzungsmöglichkeit über das Fahrzeug erhalten habe.

Die Revision der Klägerin ist unbegründet.

1. Der der Klägerin aus § 826 BGB zustehende Schadensersatzanspruch (vgl. Senatsurteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 13 ff.) beläuft sich vorliegend auf den von der vorsteuerabzugsberechtigten Klägerin aufgewendeten Nettokaufpreis abzüglich der von ihr gezogenen Nutzungsvorteile (Senatsurteile vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 64 ff.; vom 30. Juli 2020 – VI ZR 354/19, NJW 2020, 2796 Rn. 11). Der Einwand der Klägerin, die gezogenen Vorteile beliefen sich auf einen geringeren Betrag, weil nicht von einer Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 300.000 km, sondern von einer solchen von 350.000 km auszugehen sei, so dass ihr in der Hauptsache weitere 906,10 € zustünden, bleibt ohne Erfolg.

a) Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Sie ist revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob der Tatrichter erhebliches Vorbringen der Parteien unberücksichtigt gelassen, Rechtsgrundsätze der Schadensbemessung verkannt, wesentliche Bemessungsfaktoren außer Betracht gelassen oder seiner Schätzung unrichtige Maßstäbe zugrunde gelegt hat. Es ist insbesondere nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, dem Tatrichter eine bestimmte Berechnungsmethode vorzuschreiben (st. Rspr., vgl. nur Senatsurteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, ZIP 2020, 1179 Rn. 79 mwN).

b) Solche Fehler zeigt die Revision nicht auf und sind auch nicht ersichtlich.

Bei der gemäß § 287 ZPO vorzunehmenden Bemessung der anzurechnenden Vorteile ist das Berufungsgericht von folgender Berechnungsformel ausgegangen:

Nutzungsvorteil = Nettokaufpreis x gefahrene Strecke (seit Erwerb)—————————————————————–erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt

Diese Berechnungsmethode ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden (Senatsurteil vom 30. Juli 2020 – VI ZR 354/19, NJW 2020, 2796 Rn. 12 f.), ebenso wenig der Umstand, dass das Berufungsgericht dabei die Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs auf 300.000 km geschätzt hat. Denn bei der Schadensschätzung steht ihm gemäß § 287 ZPO ein Ermessen zu, wobei in Kauf genommen wird, dass das Ergebnis unter Umständen mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt (Senatsurteil vom 17. September 2019 – VI ZR 396/18, NJW 2020, 236 Rn. 13). Insbesondere ist die auf einer Prognose beruhende Schätzung der Gesamtfahrleistung durch das Berufungsgericht, die um rund 14 Prozent von der Schätzung der Klägerin abweicht, entgegen der Ansicht der Revision nicht unzulässig, weil sie mangels greifbarer Anhaltspunkte völlig in der Luft hinge (vgl. hierzu BGH, Urteile vom 22. Mai 1984 – III ZR 18/83, BGHZ 91, 243, 257, juris Rn. 55; vom 26. November 1986 – VIII ZR 260/85, NJW 1987, 909, 910, juris Rn. 10; Beschluss vom 13. November 2013 – IV ZR 224/13, VersR 2014, 104 Rn. 5). Unzutreffend ist in diesem Zusammenhang auch die Behauptung der Revision, das Berufungsgericht habe „keinerlei Begründung“ für die von ihm angenommene Gesamtlaufleistung gegeben. Denn es hat auf die Entscheidung des OLG Koblenz in BeckRS 2019, 11148 Rn. 88 verwiesen, das für den hier betroffenen Fahrzeugtyp VW Sharan im Hinblick auf Qualität, Haltbarkeit und Nutzungsbestimmung als Großraum-Van ebenfalls die Gesamtlaufleistung auf 300.000 km geschätzt hat. Die Klägerin selbst hat ihre Schätzung in der von der Revision in Bezug genommenen Berufungsbegründung lediglich darauf gestützt, dass das Fahrzeug „sehr robust“ sei. Einer ausführlicheren Begründung des Berufungsgerichts für seine Schätzung bedurfte es bei dieser Sachlage nicht. Der Umstand, dass andere Oberlandesgerichte bei Ausübung ihres tatrichterlichen Ermessens in den von der Revisionsbegründung zitierten Entscheidungen, die allerdings andere Fahrzeugtypen betrafen, von einer höheren Gesamtlaufleistung ausgegangen sind, ist nicht geeignet, die Schätzung des Berufungsgerichts revisionsrechtlich in Frage zu stellen. Das Berufungsgericht war nach alledem, anders als die Revision meint, nicht gehalten, auf eine Schätzung zu verzichten und zur Frage der zu prognostizierenden Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs ein Sachverständigengutachten einzuholen.“