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Nicht so hurtig mit der Ablehnung von Beweisanträgen, oder: Versagung des rechtlichen Gehörs

 © hati - Fotolia.com

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Nach dem „schönen“ OLG Jena, Beschl. v. 01.03.2016 – 2 OLG 101 Ss Rs 131/15 zur Beiziehung von Unterlagen betreffend ein Messgerät (vgl. dazu Akteneinsicht a la OLG Jena, oder: Burhoff und sein „Teufelskreis“) weise ich auf zwei Entscheidungen des OLG Hamm hin, und zwar einmal den OLG Hamm, Beschl. v. 13.01.2016 – 2 RBs 181/15  und dann den OLG Hamm, Beschl. v. 15.12.2015 – 3 RBs 352/15). Beide Beschlüsse behandeln die Frage der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG) durch Ablehnung eines Beweisantrages.

Dazu muss man einfach wissen und in seine Überlegung einstellen, dass nicht jede (falsche) Ablehnung eines Beweisantrages im Bußgeldverfahren zur Zulassung der Rechtsbeschwerde über § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs führt. Das ist (nur) dann der Fall, „wenn die Zurückweisung eines Beweisantrages des Betroffenen rechtsfehlerhaft erfolgt ist und dazu geführt hat, dass ein verfahrensrelevanter Beweisantrag und das diesem zugrunde liegende Vorbringen des Betroffenen unberücksichtigt geblieben ist.“ Darauf weist das OLG in beiden Beschlüssen hin und sieht in beiden Beschlüssen das rechtliche Gehör verletzt. Nehmen wir die Begründung aus 2 RBs 181/15:

„Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen eines Betroffenen zur Kenntnis zu nehmen und in seine Überlegungen einzubeziehen (zu vgl. KK-Senge, OWiG, 4. Aufl., § 80, Rn. 41). Die wesentlichen der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen müssen dabei in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann festgestellt werden, wenn sich aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles deutlich ergibt, dass das Gericht das tatsächliche Vorbringen eines Betroffenen entweder nicht zur-Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (zu vgl. OLG Köln, Beschluss vom 17.07.1998 Ss 351/98 – zitiert nach juris; OLG Köln, Urteil vom 12.04.2002 Ss 141/02 -zitiert nach juris).

Das Amtsgericht hat den von dem Betroffenen im Hauptverhandlungstermin gestellten Beweisantrag auf Vernehmung und ggf. sachverständige Begutachtung des ebenfalls als Fahrer in Betracht kommenden Bruders (BI. 79 R, 201 d.A.) pauschal zusammen mit weiteren Beweisanträgen gern. § 77 Abs. 2 S. 1 OWiG zurückgewiesen (BI. 89, 172 (i.A.) und sich dabei auf die gern. § 77 Abs. 3 OWiG zulässige Kurzbegründung beschränkt. In der Urteilsbegründung geht das Amtsgericht auf den gestellten Beweisantrag und die Gründe für dessen Ablehnung mit keinem Wort ein (BI. 182 d.A.), Vielmehr ist in den Urteilsgründen ausgeführt, dass Umstände, die gegen die Fahreridentität des Betroffenen sprechen würden, dem Gericht nicht bekannt geworden seien (BI. 182 d.A.). Zur Identifizierung des Betroffenen stützt sich das Amtsgericht dabei im Wesentlichen auf ein anthropologisches Sachverständigengutachten des Sachverständige pp., erwähnt aber nicht, dass das Gutachten unter dem Vorbehalt erstattet worden ist, dass kein naher Blutsverwandter als alternativer Fahrer in Frage kommt (BI. 82 d.A.), obwohl dem Gutachter Lichtbilder des Bruders des Betroffenen bei der Gutachtenerstattung vorgelegen haben. Der Gutachter sah sich damit offenbar nicht in der Lage, den‘ Bruder des Betroffenen ohne dessen persönliche Inaugenscheinnahme als möglichen Fahrer auszuschließen. Bei dieser Sachlage hätte es sich für das Amtsgericht Schwelm aufdrängen müssen, den Bruder des Betroffenen als Zeugen zu laden. Die pauschale Ablehnung des Beweisantrages und die Tatsache, dass der entsprechende Vortrag des Betroffenen in den Urteilsgründen keinen Niederschlag gefunden hat, lassen den Schluss zu, dass dieses – nachvollziehbare – Verteidigungsvorbringen des Betroffenen von dem erstinstanzlichen Gericht entweder gar nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidungsfindung zumindest nicht in Erwägung gezogen worden ist. Dies verletzt den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör.“

Erfolg hat die zu erhebende Verfahrensrüge aber nur dann, wenn die Voraussetzungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPOOWiG beachtet worden sind. Also: Darauf achten….

„Messdatei bei PoliscanSpeed nicht bekommen“ – Verletzung des rechtlichen Gehörs

Poliscan Speed - RadarEin wenig Leben in die festgefahrene Diskussion um die Akteneinsicht im Bußgeldverfahren, vor allem um die Frage, welche Unterlagen dem Betroffenen/seinem Verteidiger zur Verfügung zu stellen sind, dürfte der OLG Oldenburg, Beschl. v. 06.05.2015 – 2 Ss (OWi) 65/15 – bringen. Auf den bin ich vor einiger Zeit von einem Kollegen hingewiesen worden, der den Beschluss allerdings auch nicht im Volltext vorliegen hatte. Ich habe ihn dann beim OLG Oldenburg angefordert, was sich leider – AG München lässt grüßen 🙂  – schwieriger zu gestalten schien. Die erste Mail war im Nirwana verschwunden, auf die zweite Anfrage habe ich zwar eine Email-Adresse erhalten, an die ich mich wenden sollte, dann aber nichts länger  gehört und auf Nachfrage dann erfahren, dass der Vorsitzende prüfe, ob man die Entscheidung zur Veröffentlichung frei gebe. Nun, das hat mir zu lange gedauert und ich habe dann den Kollegen, der die Entscheidungen erstritten hat, gefragt und innerhalb von 24 Stunden war der Beschluss da. Danke. Die Justiz muss dann aber doch noch viel lernen.

Zur Sache: Der Kollege hatte in einem Verfahren wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung – Messung mit Poliscan Speed – die Herausgabe der Messdatei beantragt, was verweigert worden ist. In der Hauptverhandlung hatte der Kollege dann folgenden Beweisantrag gestellt:

„Zum Beweis dafür, dass die hier stattgefundene Geschwindigkeitsmessung mit dem Messsystem PoliScan Speed im konkreten Fall technisch fehlerhaft war, die gesamte Messung daher unverwertbar ist, weil das Messgerät als solches bereits fehlerhaft war, nicht ordnungsgemäß installiert worden ist, deshalb zu einer verzerrten Fotodarstellung geführt hat, was den Schluss dazu zulässt, dass der gesamte Messvorgang unverwertbar ist, im Übrigen hier ohnehin die Auswertung der stattgefundenen Messung mit einer nicht geeichten Auswertesoftware der Bußgeldstelle durchgeführt worden ist, weshalb auch die Auswertung – woraufhin schon das unscharfe und verzerrte Foto hinweist – fehlerhaft durchgeführt wurde, berufe ich mich auf das Gutachten des … Sachverständigen ….“.

Der wird als zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich zurückgewiesen worden. Weiter heißt es beim AG, der Betroffene sei auch nicht in seinem Recht auf rechtliches Gehör verletzt worden, indem dem von ihm beauftragten Sachverständigen nicht die Falldatei inkl. Passwort und Token übersandt worden sei. Der Verteidiger habe in der Hauptverhandlung erklärt, dass alle Aufzeichnungen aus dem gemessenen Gesamtabschnitt benötigt würden. Grundsätzlich umfasse das Akteneinsichtsrecht jedoch nur Teile der Aufzeichnungen, die den Verkehrsverstoß selbst dokumentieren. Das Akteneinsichtsrecht erstrecke sich jedoch nicht auf Aufzeichnungen, die Verkehrsvorgänge anderer Verkehrsteilnehmer betreffen. Somit seien die von dem Betroffenen begehrten Dateien nicht zu übersenden gewesen.

Der Verteidiger rügt die Verletzung rechtlichen Gehörs (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG). Und: Das OLG – die Einzelrichterin – lässt die Rechtsbeschwerde zu und hebt auf:

„Nach diesen Grundsätzen hat das Amtsgericht das rechtliche Gehör des Betroffenen verletzt. Das beantragte Sachverständigengutachten konnte nicht ohne Verstoß gegen § 77 OWiG abgelehnt werden. Nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG kann das Gericht einen Beweisantrag ablehnen, wenn nach seinem pflichtgemäßen Ermessen die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Hier lagen zwar mit dem Messprotokoll, Eichschein und Messfoto diejenigen Unterlagen vor, die bei einem standardisierten Messverfahren grundsätzlich zum Nachweis des Geschwindigkeitsverstoßes genügen. Ein Beweisantrag wie der vom Betroffenen gestellte ist deshalb üblicherweise zu pauschal, so dass das Gericht ihn gem. § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG ablehnen kann.

Hier liegen jedoch besondere Umstände vor. Der Betroffene hatte vorprozessual mehrfach beantragt, ihm die Messdatei zugänglich zu machen. Wie in der Rechtsbeschwerdebegründung ausgeführt wird, war diese ihm von der Verwaltungsbehörde trotz zweifacher Aufforderung durch das Amtsgericht nicht übersandt und zuletzt mit der Begründung verweigert worden, man dürfe diese nicht übersenden. Das Amtsgericht führte dennoch den Termin durch, ohne dem Betroffenen in diesem oder zuvor die Messdatei zugänglich zu machen, und ging im Urteil nur wie oben wiedergeben auf die Frage ein.

Dabei war bereits rechtsfehlerhaft, dass dem Betroffenen nicht die Messdatei übersandt wurde. Da sie Grundlage und originäres, unveränderliches Beweismittel der Geschwindigkeitsmessung ist, ist sie – rechtzeitig vor dem Prozess – einem Betroffenen auf dessen Wunsch hin zugänglich zu machen (Cierniak, ZfSch 2012, 664 ff m.w.Nw., AG Stuttgart, Beschluss vom 29.12.11 — 16 OWi 3433/11 — juris; AG Senftenberg, DAR 11, 422; AG Cottbus, StraFo 2012, 409; AG Duderstadt, Beschluss vom 25.11.13, – 3 Owi 300/13 – juris; AG Fritzlar, ZfSch 15, 52; Geißler, DAR 14, 718). Es kann weiter dahinstehen, ob der Betroffene tatsächlich im Termin die Herausgabe auch weiterer Messdateien begehrt hat. Jedenfalls hat er weiterhin, wovon offenbar auch das Amtsgericht ausging, jedenfalls die Übersendung der Messdatei, die den ihm vorgeworfenen Geschwindigkeitsverstoß belegen soll, begehrt. Dazu, warum auch diese allein verweigert wird, äußert sich das Amtsgericht gar nicht. Vor diesem Hintergrund blieb dem Verteidiger keine Möglichkeit, einen präziseren Beweisantrag zu stellen, so dass dieser trotz seiner pauschalen Fassung nicht als ,,ins Blaue hinein gestellt“ unbeachtlich bleiben konnte. Die Ablehnung des Antrags ohne jede Begründung, warum der Verteidigung die Messdatei betreffend den konkreten Vorgang nicht zugänglich gemacht wurde, ist schlechthin nicht nachvollziehbar. Sie ist deshalb im vorliegenden Fall – sicher einer Ausnahmekonstellation – als willkürlich einzustufen. Damit ist durch die Ablehnung des Beweisantrags das rechtliche Gehör verletzt. Es lässt sich auch nicht ausschließen, dass durch Einholung des Sachverständigengutachtens der Nachweis der Geschwindigkeitsüberschreitung erschüttert worden wäre, so dass das Urteil auch auf dem Verstoß gegen das rechtliche Gehör beruht.“

Tja, wie gesagt: Vielleicht dann doch ein wenig Bewegung und vielleicht hat sich das OLG mit der Übersendung deshalb so schwer getan? Vielleicht soll es ja nicht zu viel Bewegung geben.