Und dann am Freitag Entscheidungen zum Geld, also RVG und was damit zu tun hat.
Ich beginne mit einem Beschluss des SG Berlin. Der hängt schon länger in meinem Blogordner. Heute kommt er dann endlich. Es geht in dem SG Berlin, Beschl. v. 11.04.2025 – S 133 SF 273/19 E – um die Rückzahlung einer überzahlten (PKH-)Vergütung.
Hier war dem Rechtsanwalt, der seiner Mandantin nach Gewährung von PKH beigeordnet worden war, am 05.06.2015 ein Betrag in Höhe von 704,48 EUR ausgezahlt worden. Diese Auszahlung erfolgte, obwohl die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des SG mit Beschluss vom 04.062015 die Vergütung auf lediglich 511,70 EUR festgesetzt hatte. Gegen diesen Beschluss die Erinnerung des Rechtsanwalts. Das SG hat dann entschieden, dass ihm ein Betrag in Höhe von 589,05 EUR zustünde. Auf Beschwerde des Rechtsanwalts hat das LSG dann die Vergütung auf 603,33 EUR festgesetzt. Mit dem angegriffenem Bescheid vom 01.04.2019 fordert der die Landeskasse die Überzahlung in Höhe von 101,15 EUR (704,48 EUR – 603,33 EUR) von dem Rechtsanwalt zurück.
Der ist der Auffassung, von ihm könne nichts zurückverlangt werden. Es sei in Kenntnis der Nichtschuld gezahlt worde, weshalb eine Rückforderung nach § 814 BGB ausscheide. Zudem wendet er Verjährung ein. Ein Rückzahlungsanspruch der Staatskasse für den am 05.06.2015 ausgezahlten Betrag sei nach § 195 BGB mit Ablauf des 31.12.2018 verjährt. Ohnr Erfolg:
„…. Zu Recht wird von dem Erinnerungsführer der überzahlte Betrag in Höhe von 101,15 € zurückgefordert.
Der Bescheid entspricht den formellen Voraussetzungen.
Ansprüche der Staatskasse gegen Rechtsanwälte auf Grund im gerichtlichen Verfahren zu viel gezahlter Beträge – hier: Vergütung aus der Staatskasse nach §§ 45, 55 Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (RVG)- sind nach §§ 1 Abs. 1 Nr. 8; 2; 8 Justizbeitreibungsgesetz (JBeitrG) i.V.m. §§ 1 Abs. 3; 33 Abs. 3ff.; 56 Abs. 1, Abs. 2 RVG durch die Gerichte (Gerichtskasse) – wie hier geschehen- geltend zu machen und beizutreiben.
Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig.
Rechtsgrundlage für die Forderung selbst ist der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch, der aus verwaltungsrechtlichen Grundsätzen, insbesondere dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, abgeleitet wird. Dieser stellt ein eigenständiges Rechtsinstitut des öffentlichen Rechts dar, dessen Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen denen des zivilrechtlichen Bereicherungsanspruchs entsprechen (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30. Juni 2016, Az. 5 C 1/15; Beschluss vom 22. Februar 2018, Az. 9 B 6/17; Landessozialgericht Niedersachen-Bremen, Beschluss vom 25. Juni 2020, Az. L 7 AS 7/20 B). Er kommt zur Anwendung als feststehender Grundsatz des allgemeinen Verwaltungsrechts, dass Leistungen, die zu Unrecht bewirkt worden sind, erstattet werden müssen (vgl. Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 28. Juni 1957, Az. IV C 235.56), wenn – wie hier – eine spezialgesetzliche Rechtsgrundlage fehlt und das geltende Recht der Übertragbarkeit der §§ 812 ff. BGB in das öffentliche Recht –ebenfalls wie hier- nicht entgegen steht (Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 22. Februar 2018, Az. 9 B 6/17). Funktion des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs ist es, eine dem materiellen Recht nicht entsprechende Vermögensverschiebung zu korrigieren (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30. Juni 2016, Az. 5 C 1/15).
Die Voraussetzungen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs liegen hier vor.
Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch setzt insbesondere voraus, dass der Erstattungsberechtigte im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht hat (Bundessozialgericht, Urteil vom 19. November 2019, Az. B 1 KR 6/19 R). Dies ist hier der Fall. Ausgezahlt wurde für die Vergütung aus der Staatskasse nach §§ 45, 55 RVG ein Betrag von 704,48 €. Nach rechtskräftigem Beschluss des 39. Senats des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg stehen dem Erinnerungsführer lediglich 603,33 € zu. Damit ist es zu einer letztlich rechtsgrundlosen Leistung der Staatskasse im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverhältnisses an den Erinnerungsführer in Höhe der hier zurückverlangten 101,15 € gekommen, was auch unstreitig ist. Mit der rechtskräftig abändernden Vergütungsfestsetzung vom 17. Januar 2019 steht die Rechtsgrundlosigkeit der höheren Vergütung fest. Mit hier angefochtenem Bescheid vom 1. April 2019 ist anschließend die konkrete Rückzahlungspflicht des Erinnerungsführers begründet worden.
Die Voraussetzungen der rechtshindernden Einwendung des § 814 BGB, hier in entsprechender Anwendung, liegen nicht vor. Die Regelung erfordert positive Kenntnis der Leistung trotz Nichtschuld. Unkenntnis i.S.e. Kennenmüssens, selbst grob fahrlässige Unkenntnis in diesem Sinne, ist nicht ausreichend. Für das Vorliegen der positiven Kenntnis der Urkundsbeamtin bei Auszahlung des Betrages in Höhe von 704,48 € hat der hierfür darlegungs- und beweisbelastete Erinnerungsführer nichts vorgetragen. Für die Kammer ist eine solche positive Kenntnis auch nicht ersichtlich. Vielmehr handelte es sich um ein bloßes Versehen.
Der Anspruch ist auch durchsetzbar. Der Rückzahlungsanspruch ist nicht verjährt.
Forderungen wie hier verjähren nach § 195 BGB regelmäßig nach Ablauf von drei Jahren. Nach § 199 Abs. 1 BGB beginnt die Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen.
Ausgehend vom zutreffenden Sachvortrag des Erinnerungsführers hat bereits ein – allerdings durch die endgültige Vergütungsfestsetzung sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach bedingter, dazu sogleich – Rückzahlungsanspruch des Erinnerungsgegners für die zu viel ausgezahlte Vergütung mit der Auszahlung am 5. Juni 2015 bestanden. Es kann hier offen bleiben, ob der Lauf der Verjährungsfrist demnach mit Ablauf des 31. Dezember 2015 überhaupt begonnen hat. Verjährung konnte jedoch nicht mit Ablauf des 31. Dezember 2018 eingetreten, weil – den Verjährungsbeginn unterstellt – die Verjährung zumindest durch die zwischenzeitliche Rechtsverfolgung des Erinnerungsführers gehemmt war.
Nach § 204 Nr. 1 BGB wird der Lauf der Verjährung gehemmt, durch gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs. Wenngleich der Gesetzeswortlaut nur von der Klageerhebung spricht, ist die Regelung auch auf die gerichtliche Geltendmachung im Wege des vereinfachten Vergütungsfestsetzungsverfahrens inkl. der Erinnerung und Beschwerde anzuwenden (vgl. Jauernig/Mansel, 19. Aufl. 2023, BGB § 204 Rn. 2; Stein/Jonas/Muthorst, 23. Aufl. 2016, ZPO vor § 91 Rn. 11; jeweils m.w.N.). Die Hemmung endet nach § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung. Nach § 209 BGB wird der Zeitraum, während dessen die Verjährung gehemmt ist, in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet. Das bedeutet vorliegend, dass der Zeitraum zwischen dem unterstellten Verjährungsbeginn mit Ablauf des 31. Dezember 2015 bis sechs Monate nach dem 17. Januar 2019 nicht in die Berechnung einbezogen wird. Zum Zeitpunkt der Geltendmachung am 1. April 2019 war die Forderung damit noch nicht verjährt.
Der Rückforderungsanspruch kann nicht isoliert von der endgültigen Vergütungsfestsetzung betrachtet werden. Das Bestehen und die Höhe eines Rückforderungsanspruchs hängt letztlich von dem rechtskräftig festgestellten Vergütungsanspruch unmittelbar ab. Daher ist auf diesen Anspruch im Ganzen, d.h. die Festsetzung der Vergütung – und daraus abgeleitet eine evtl. Rückforderung- abzustellen. Der Rückforderungsanspruch des Erinnerungsgegners war bis zur Entscheidung am 17. Januar 2019 nicht abschließend geklärt, so dass er bis zu diesem Zeitpunkt an der Geltendmachung eines (grundsätzlich zu beziffernden) Rückzahlungsanspruchs gehindert war. Ob dies nicht bereits den Lauf der Verjährung nach § 199 Abs. 1 BGB gar nicht erst hat beginnen lassen, weil die anspruchsbegründenden Tatsachen vollständig erst mit der Entscheidung vom 17. Januar 2019 feststanden – was nicht fernliegend ist, denn der Gläubiger muss erst dann etwas zurückfordern, wenn feststeht, dass und in welcher Höhe er Forderungen stellen kann, denn ansonsten wäre er der Einrede „dolo agit qui petit quod statim redditurus est“ ausgesetzt-, mag angesichts des gleichlautenden Ergebnisses dahinstehen. Folgte man der Auffassung des Erinnerungsführers, träte in der Konsequenz die Verjährung des Rückforderungsanspruchs (hier: 31. Dezember 2018) ein, bevor rechtskräftig über die Höhe der Vergütung (hier: 17. Januar 2019) – und damit auch eines evtl. Rückforderungsanspruchs- entschieden wäre.“


