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Pflichti I: Kein Pflichtverteidiger im EV durch die StA, oder: Rechtsmittel gibt es nicht

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Wer kennt es nicht? Das Problem der (verweigerten/unterlassenen) Pflichtverteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren, wenn also ein Antrag gestellt ist, die Staatsanwaltschaft – aus welchen Gründen auch immer – nichts tut, um einen Pflichtverteidiger zu bestellen. Und dann wird das Verfahren eingestellt. Dann hat bei vielen Gerichten der Antrag auf nachträgliche Bestellung keinen Erfolg und wird abgelehnt. Und dann die Frage: Welches Rechtsmittel steht dem Beschuldigten gegen diese Verfügung/diesen Beschluss zu. Das AG Kleve sagt im AG Kleve, Beschl. v. 18.09.2018 – 10 Gs 1358/18: Es gibt keins:

„Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung analog § 98 Abs. 2 StPO ist unzulässig, weil die Vorschrift nicht anwendbar ist. Die Voraussetzungen für eine Analogie sind nicht gegeben. Zum einen fehlt es schon an einer planwidrigen Regelungslücke, weil nach der Entscheidung des Gesetzgebers die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, im Ermittlungsverfahren keinen Beiordnungsantrag nach § 141 Abs. 3 StPO zu stellen, bis zur Willkürgrenze gerichtlich nicht überprüfbar ist (wird im Folgenden noch ausgeführt). Willkürliches Handeln kann vorliegend nicht festgestellt werden. Denn die Auffassung der Staatsanwaltschaft, eine Pflichtverteidigerbestellung sei nicht geboten, weil die abstrakte Erwägung, dass im Falle eines späteren gerichtlichen Verfahrens die Verteidigung notwendig sein wird, weder für einzelne Untersuchungshandlungen noch für das ganze Vorverfahren zur Beiordnung eines Verteidigers zwinge, ist nicht zu beanstanden. Zum anderen fehlt es an einer für die Analogie erforderlichen Vergleichbarkeit der Interessenlage. § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO räumt dem Beschuldigten die Möglichkeit ein, nachträglich eine gerichtliche Entscheidung zu einer ohne gerichtliche Anordnung erfolgten Beschlagnahme, mithin einer Eingriffsmaßnahme im Ermittlungsverfahren, die grundsätzlich nur auf richterliche Anordnung erfolgen kann, zu beantragen. Eine vergleichbare Situation ist vorliegend nicht gegeben (vgl. BGH, Beschluss vom 09.09.2015, 3 BGs 134/15, Rn. 24, zit. nach juris).

Der Antrag auf nachträgliche Pflichtverteidigerbeiordnung ist gleichfalls unzulässig, weil der Beschuldigte kein Antragsrecht auf Bestellung eines Pflichtverteidigers hat. Das Gericht schließt sich insoweit der nachfolgend zitierten Begründung des Bundesgerichtshofs in der Entscheidung vom 09.09.2015 (3 BGs 134/15, Rn. 7 ff.) an:

„Für die Verteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren bedarf es in den Fällen des § 141 Abs. 3 Satz 1 bis 3 StPO eines Antrags der Staatsanwaltschaft. Eine autonome Entscheidungsbefugnis des Gerichts besteht nicht.

(1)      Zwar ist der Wortlaut der Norm insoweit nicht eindeutig, jedoch ergibt sich das Antragserfordernis der Staatsanwaltschaft aus der Systematik des Gesetzes.

(2)      § 141 StPO ergänzt die Regelungen zur notwendigen Verteidigung aus § 140 StPO und bestimmt, dass dem Beschuldigten, der noch keinen Verteidiger hat, dieser durch das Gericht zu bestellen ist (Karlsruher Kommentar zur StPO/LaufhütteNVillnow, 7. Aufl., § 141 Rdn. 1).

Differenziert geregelt ist dabei, wann das Gericht von Amts oder auf Antrag tätig werden muss.

Von Amts wegen kann das Gericht nur dann tätig werden, wenn es bereits mit dem Sachverhalt befasst ist. Dies ist dann der Fall, wenn Anklage erhoben, § 141 Abs. 1, 2 StPO oder das Gericht über die Vollstreckung der Untersuchungshaft nach den §§ 112, 112a StPO oder einstweilige Unterbringung nach § 126a StPO oder § 275a Abs. 6 StPO zu entscheiden hat, § 141 Abs. 3 Satz 4 StPO. Das Gesetz regelt in § 141 Abs. 4 StPO die Zuständigkeit des Gerichts entsprechend.

Ist das Gericht noch nicht mit dem Sachverhalt befasst, so kann es nur auf Antrag tätig werden. § 141 Abs. 3 StPO bestimmt für diese Fälle zum einen, wann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft eine Pflichtverteidigung anordnen muss, mithin einen entsprechenden Antrag nicht ablehnen kann, § 141 Abs. 3 Satz 3 StPO (nach Abschluss der Ermittlungen) bzw. ein Antrag nach Prüfung durch das Gericht auch abgelehnt werden kann, § 141 Abs. 3 Satz 1 StPO (vor Abschluss der Ermittlungen).

Eine Befassung des Gerichts kann nach § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO nur durch die Staatsanwaltschaft, nicht durch einen Antrag des Beschuldigten erfolgen. § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO regelt dabei nicht nur, wann die Staatsanwaltschaft tätig werden muss (so aber LG Heilbronn, Beschluss vom 1. März 1979 3 Qs 148179, Die Justiz 1979, 444), sondern normiert ferner, dass es für ein Tätigwerden des Gerichts eines Antrags der Staatsanwaltschaft bedarf.

Bereits der Wortlaut des § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO, wonach die Staatsanwaltschaft den Antrag stellt, wenn „nach ihrer Auffassung“ die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig werden wird, spricht hierfür. Auch § 141 Abs. 3 Satz 3 StPO, wonach das Gericht nach Abschluss der Ermittlungen auf Antrag der Staatsanwaltschaft tätig werden muss, unterstreicht die Rolle der Staatsanwaltschaft als „Herrin des Verfahrens“. Diese differenzierte Regelung der Pflichtverteidigerbestellung des § 141 StPO steht in Einklang mit der grundsätzlichen Unterscheidung der Strafprozessordnung zwischen Ermittlungsverfahren und Verfahren ab Anklageerhebung. In dem Ermittlungsverfahren ist die Staatsanwaltschaft „Herrin des Verfahrens“. Das Gericht kann in diesem Verfahrensabschnitt keine Maßnahmen gegen den Willen bzw. ohne Antrag der Staatsanwaltschaft treffen (vgl. LG Cottbus, Beschluss vom 13. Mai 2005 22 Qs 15/05, juris Rdn. 19).

(3) Ein Antragsrecht des Beschuldigten ergibt sich auch nicht daraus, dass die Weigerung der Staatsanwaltschaft, im Ermittlungsverfahren die Bestellung eines Pflichtverteidigers zu beantragen, als Prozesshandlung grundsätzlich nicht der gerichtlichen Überprüfung gemäß § 23 EGGVG unterliegt (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22. Dezember 1997 2 VAs 41/97, NStZ 1998, 315f.; OLG Oldenburg, Beschluss vom 12. November 1992 1 VAs 4/92). Dass Prozesshandlungen der Staatsanwaltschaft grundsätzlich nicht der Anfechtung und Überprüfung nach § 23 EGGVG zugänglich sind, wurde durch das Bundesverfassungsgericht als unbedenklich eingestuft, es sei denn willkürliches Handeln der Ermittlungsbehörde sei schlüssig dargetan (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. Dezember 1983 2 BvR 1731/82, NStZ 1984, 228f.; Nichtannahmebeschluss vom 2. Oktober 2003 – 2 BvR 660/03, NStZ 2004, 447 f.). Der Beschuldigte ist damit nicht rechtsschutzlos einer etwaigen Willkür der Staatsanwaltschaft ausgeliefert. Aus einer nur eingeschränkten Rechtsschutzmöglichkeit ein gesetzlich nicht vorgesehenes Antragsrecht zu konstruieren, würde einen unzulässigen Zirkelschluss darstellen (vgl. aber Köster, StV 1993, 512, 513).

Der Gesetzgeber hat in § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO eine Antragspflicht der Staatsanwaltschaft statuiert, sobald die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig sein wird, und damit die Rolle der Verteidigung im Vorverfahren gestärkt (BGH, Urteil vom 25. Juli 2000 1 StR 169/00, BGHSt 46, 93 Rdn. 34/35). Die Staatsanwaltschaft ist nicht Partei im Strafprozess, sondern zur Objektivität verpflichtet. Das Bundesverfassungsgericht hat ihr deshalb eine Wächterrolle im Strafprozess zugesprochen (BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10, 2 BvR 2883/10, 2 BvR 2155/1, BVerfGE 133, 168 Rn. 59, 80, 93).

(4) Verkannt wird nicht die besondere Bedeutung des Ermittlungsverfahrens für den weiteren Verlauf des Strafverfahrens (vgl. dazu Neuhaus, JuS 2002, 18, 20 unter Verweis auf eine Untersuchung von Peters [Fehler im Straf-prozess II, 1972] zu Fehlerquellen im Strafprozess), das Recht des Beschuldigten aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK, Art. 20 Abs. 3, 2 Abs. 1 GG auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren und dessen Recht auf Verteidigung, ebenso wenig die tragende Rolle der Verteidigung schon im Ermittlungsverfahren (vgl. dazu Klemke, StV 2003, 413, 413). Mit der derzeitigen Gesetzessystematik ist jedoch ein Antragsrecht auf Pflichtverteidigerbestellung des Beschuldigten nicht vereinbar (vgl. dazu auch den Diskussionsentwurf für eine Reform des Strafverfahrens der Fraktionen der SPD/Bündnis90/Die Grünen des Deutschen Bundestages und des Bundesministeriums der Justiz vom Februar 2004, in dem u.a. eine gesetzliche Verankerung des Antragsrechts des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren vorgeschlagen und offenbar davon ausgegangen wird, de lege lata könne eine Pflichtverteidigerbestellung im Ermittlungsverfahren nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft erfolgen, StV 2004, 228, 232).“

An der Stelle wird man m.E. etwas ändern müssen. Es ist in meinen Augen ein Unding, dass die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren nach Gutdünken entscheiden kann, ob ein Antrag gestellt wird und die Entscheidung – bis auf die Fälle der Willkür – nicht überprüfbar sein soll. Das Argument der „objektiven Behörde“ zieht – bei mir zumindest – nicht. Darüber kann ich nur lächeln. Zum Glück gibt es aber inzwischen die PKH-Richtlinie der EU. Die sieht – und damit auch Referentenentwurf des BMJV zum “Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung“ – ein eigenes Antragsrecht des Beschuldigten vor. Damit muss über einen solchen Antrag entschieden werden und wird der auch justiziabel. Hoffentlich bald.