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„Diese Kanzlei kann ich „NICHT“ weiterempfehlen, oder: Vermengung von Tatsachen und Meinungen

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Im „Kessel Buntes“ heute dann zwei „zivilrechtliche“ Entscheidungen, aber: Beide haben nichts mit Verkehrsrecht zu tun, sondern behandeln andere Fragen.

Als erste Entscheidung stelle ich den OLG Bamberg, Beschl. v. 14.06.2024 – 6 U 17/24 e – vor. Es geht um die negative Bewertung im Internet. Der Kläger, Inhaber einer Rechtsanwaltskanzlei, macht gegen den Beklagten einen Unterlassungs-, Widerrufs-, Löschungs- und Schadensersatzanspruch wegen der negativen Bewertung (s)einer Rechtsanwaltskanzlei im Internet geltend. Der Beklagte war im Jahr 2022 Mandant der Rechtsanwaltskanzlei und wurde vom Klägervertreter in einer Verkehrsunfallsache beraten und außergerichtlich vertreten. Ein weitergehendes Mandat kam nicht zustande, weil der Beklagte den vom Klägervertreter für ein gerichtliches Vorgehen geforderten Vorschuss nicht zahlte. Im November 2022 veröffentlichte der Beklagte „bei Google“ eine Bewertung, mit der er die Kanzlei des Klägers mit einem von fünf möglichen Sternen bewertete und die den folgenden Text enthielt:

Diese Rechtsanwaltskanzlei kann ich ‚NICHT‘ weiterempfehlen. Dies liegt allein an dem meiner Meinung nach nicht besonders fähigen RA X.“

Der Kläger hat den Beklagten erfolglos aufgefordert, die Bewertung zu unterlassen, zu widerrufen und zu löschen. Er hat dann Klage erhoben und vorgetragen, die Bewertung des Beklagten sei „ein nicht durch die Meinungsfreiheit abgedecktes Werturteil“, das „den Tatbestand der Beleidigung/üble Nachrede“ erfülle. Die Bewertung des Beklagten enthalte eine Erklärung, warum er die Kanzlei des Klägers nicht empfehlen könne, „die letztlich ein subjektives Werturteil des Beklagten“ enthalte und „keine Tatsachenbehauptung“. Es handele sich um herabwürdigende, beleidigende Äußerungen, die so nicht stehen bleiben dürften.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Es hat die Bewertung als Meinungsäußerung eingeordnet. Zwar beinhalte die Bewertung auch einen Tatsachenkern, schwerpunktmäßig liege jedoch eine Meinungsäußerung vor, da sie von wertenden Bestandteilen geprägt sei. Im Ergebnis überwiege, da keine Schmähkritik vorliege, die Meinungsfreiheit des Beklagten die Interessen des Klägers.

Dagegen die Berufung der Beklagten, zu deren Aussichten das OLG im Beschluss Stellung genommen hat. Es sieht die Berufung als offensichtlich unbegründet an:

„Nach der einstimmigen Auffassung des Senats ist die Berufung des Klägers offensichtlich unbegründet, so dass das Rechtsmittel keine hinreichende Erfolgsaussicht im Sinn des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO bietet. Das Urteil des Landgerichts entspricht der Sach- und Rechtslage. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann daher zunächst auf die Gründe der angegriffenen Entscheidung Bezug genommen werden. Das Berufungsvorbringen veranlasst lediglich die nachfolgenden ergänzenden Anmerkungen:

1. Zutreffend hat das Landgericht angenommen, die vom Beklagten veröffentlichte Bewertung der Rechtsanwaltskanzlei des Klägers sei eine Meinungsäußerung. Auch nach Ansicht des Senats stellt die vom Beklagten verfasste Bewertung beginnend mit der symbolischen Sternebewertung bis zum Anschluss des Textteils eine einheitliche, grundsätzlich nicht in Einzelteile aufspaltbare Meinungsäußerung dar (vgl. BGH, Urteil vom 1. März 2016 – VI ZR 34/15, NJW 2016, 2106 Rn. 34; OLG Saarbrücken, Urteil vom 9. September 2022 – 5 U 117/21, GRUR 2023, 91 Rn. 47; OLG Stuttgart, Urteil vom 31. August 2022 – 4 U 17/22, MDR 2022, 1546 Rn. 37; Wagner, in: MüKo-BGB, 9. Aufl. 2024, § 823 Rn. 991).

2. Richtigerweise hat das Landgericht seiner Entscheidung auch zugrunde gelegt, dass Äußerungen, in denen Tatsachen und Meinungen sich vermengen und die durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, insgesamt als Meinung von dem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt werden. Das gilt insbesondere dann, wenn eine Trennung der wertenden und der tatsächlichen Gehalte den Sinn der Äußerung aufhöbe oder verfälschte (BGH, Urteil vom 1. März 2016 – VI ZR 34/15, NJW 2016, 2106 Rn. 33). Kern der vom Beklagten verfassten Bewertung ist die Ein-Stern-Bewertung, die mit eindeutig subjektiven Eindrücken unterlegt wird. Die Bewertung ist somit geprägt von Elementen der Stellungnahme, des Dafürhaltens und Meinens.

Erweisen sich die in der angegriffenen Bewertung aufgestellten Tatsachenbehauptungen als unwahr, überwiegt das von Art. 2 Abs. 1 GG (auch in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 GG) und Art. 8 Abs. 1 EMRK gewährleistete Interesse des Klägers die von Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 10 EMRK geschützten Interessen des Bewertenden an der Äußerung und die Meinungsäußerung ist insgesamt zu unterlassen. Denn bei Äußerungen, in denen sich – wie im vorliegenden Fall – wertende und tatsächliche Elemente in der Weise vermengen, dass die Äußerung insgesamt als Werturteil anzusehen ist, fällt bei der Abwägung zwischen den widerstreitenden Interessen der Wahrheitsgehalt der tatsächlichen Bestandteile besonders ins Gewicht (BGH, Urteil vom 1. März 2016 – VI ZR 34/15, NJW 2016, 2106 Rn. 36). Der Bewertung des Beklagten lässt sich jedenfalls konkludent die Tatsachenbehauptung entnehmen, er habe die Kanzlei des Klägers mandatiert. Dass ein Mandatsverhältnis zwischen der vom Kläger betriebenen „Scheinsozietät“ und dem Beklagten bestanden hat, ist jedoch zwischen den Parteien unstreitig. Die entsprechende Tatsachenbehauptung ist folglich wahr. Weitere Tatsachenbehauptungen enthält die Bewertung nicht. Im Übrigen handelt es sich eindeutig um wertende Äußerungen, etwa die einer „Empfehlung“ oder einer subjektiven Einschätzung („meiner Meinung nach“) der Kompetenz des Klägervertreters. Dies alles hat das Landgericht richtig erkannt, sodass die vom Kläger behaupteten Abwägungsfehler ersichtlich nicht vorliegen.

3. Frei von Rechtsfehlern ist schließlich die Auffassung des Landgerichts, die Bewertung sei keine „Schmähkritik“. Die Grenze zur unzulässigen Schmähkritik ist erst überschritten, wenn das abwertende Urteil zur bloßen Verächtlichmachung des Gegners herabsinkt, die jeden sachlichen Bezug zu dem Standpunkt vermissen lässt, den der Kritiker vertritt, und damit kein adäquates Mittel des Meinungskampfes mehr ist (Steffen/Lauber-Rönsberg, in: Löffler, Presserecht, 7. Aufl. 2023, § 6 LPG Rn. 439; Weberling, in: Ricker/Weberling, Handbuch des Presserechts, 7. Aufl. 2021, 42. Kap. Rn. 32; Burkhardt/Peifer, in: Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl. 2018, 5. Kap. Rn. 98, jeweils m.w.N.). Der Kläger hat selbst zunächst die Ansicht vertreten, es handele „sich gewiss nicht um eine Schmähkritik“, „keineswegs“ falle „die Äußerung in die Kategorie“ (Seite 4 des Schriftsatzes vom 14.08.2023). Zwischenzeitlich vertritt der Kläger die gegenteilige Auffassung. Das ist allerdings unzutreffend, denn dass die Bewertung des Beklagten den Kläger oder den Klägervertreter verächtlich mache oder grundlos herabwürdige, ist bei der gebotenen objektiven Betrachtung der Äußerung fernliegend. Aus dem gleichen Grund sieht der Senat davon ab, die Frage zu erörtern, ob in der Bewertung des Klägers eine „Formalbeleidigung“ oder ein „Angriff auf die Menschenwürde“ zu sehen ist.

4. Nach alledem hat das Landgericht den Unterlassungsanspruch (Klageantrag zu 1) zu Recht und mit in jeder Hinsicht zutreffender Begründung zurückgewiesen. Aus dem Gesagten folgt zugleich, dass der Widerrufs- und der Löschungsanspruch (Klageantrag zu 2) ebenfalls erfolglos bleiben müssen.

a) Ein Widerrufsanspruch – als Unterfall des Berichtigungsanspruchs – kann von vornherein nur auf den Widerruf unwahrer Tatsachen, nicht jedoch auf den Widerruf von Meinungsäußerungen gerichtet sein (BGH, Urteil vom 22. April 2008 – VI ZR 83/07, NJW 2008, 2262 Rn. 11; Weberling, a.a.O., Kap. 44 Rn. 17 f.; Gamer/Peifer, in: Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 6. Aufl. 2018, Kap. 13 Rn. 98). Die Bewertung des Beklagten als Meinungsäußerung kann daher nicht Gegenstand eines Widerrufs sein.

b) Entsprechendes gilt für den vom Kläger geltend gemachten Löschungsanspruch (Söder, in: BeckOK Informations- und Medienrecht, 43. Ed. Stand: 01.02.2024, § 823 BGB Rn. 295; Kamps, in: Götting/Schertz/Seitz, Handbuch Persönlichkeitsrecht, 2. Aufl. 2019, § 44 Rn. 6; Dörre, GRUR-Prax 2015, 437; Fricke, AfP 2015, 518, 519; Haug/Virreira Winter, K& R 2017, 310, 315). Keiner Entscheidung bedarf in diesem Zusammenhang, ob ausnahmsweise die Löschung von Schmähkritik verlangt werden kann, denn eine solche liegt – wie dargelegt – offensichtlich nicht vor.“

Misslungene Zustellung, oder: Manche Verwaltungsbehörden lernen es eben nie

© Alex White - Fotolia-com

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Über den IWW-Verlag ist mir der OLG Zweibrücken, Beschl. v. 06.01.2016 – 1 Ss 1 OWi Bs 9/15 – zugegangen. Nach der Lektüre habe ich angesichts der misslungenen Zustellung des Bußgeldbescheides und des darauf beruhenden Eintritts der Verfolgungsverjährung nur gedacht: Manche Verwaltungsbehörden lernen es eben (nie). Und das hat hier gar nichts mit „Vollmachtstricks“ – was immer das ist/sein soll – oder der (berüchtigten) Verjährungsfalle zu tun. Sondern es ist/war ein alter Hut, was das OLG da entschieden hat, nämlich:

Im Bußgeldverfahren wird die Vollmacht Rechtsanwalt S. erteilt, der Mitglied der Rechtanwaltskanzlei „Rechtsanwälte R. S. E.“ ist. Zugestellt wird der Bußgeldbescheid dann an die „Rechtsanwälte R. S. E.“. Und das war es dann. Die Zustellung ist unwirksam und damit die Verjährung nicht nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG unterbrochen worden. Denn, wenn nur ein bestimmter Rechtsanwalt aus einer Kanzlei als Verteidiger mandatiert ist, ist die ausdrücklich an die Kanzlei als solche gerichtete und ohne jeden namentlichen Hinweis auf den bevollmächtigten Verteidiger versehene Zustellung unwirksam. Dies gilt nach Auffassung des OLG auch dann, wenn der Name des bevollmächtigten Verteidigers in der Bezeichnung der Kanzlei vorkommt. Und das ist nichts Neues, sondern das hat vor einiger das OLG Celle im OLG Celle, Beschl. v. 30.08.2011 – 311 SsRs 126/11 – ebenso gesehen (Mit der Vollmacht kann man verteidigen).

Das OLG hat sich dann noch redlich bemüht, ggf. über §§ 51 Abs. 1 Satz 1 OWiG, Abs. 1 LVwZG, 8 VwZG eine Heilung der misslungenen Zustellung zu erreichen. Aber auch das hat nichts geklappt. Dazu das OLG: Für eine Heilung einer fehlerhaften Zustellung durch tatsächlichen Zugang reicht einerseits nicht aus, dass der Verteidiger erfahren hat, dass gegen seinen Mandanten ein Bußgeldbescheid erlassen wurde; denn er muss von dem Inhalt des Bußgeldbescheids Kenntnis nehmen können. Andererseits muss ihm der Bußgeldbescheid nicht vorgelegt worden sein. Ihm muss vielmehr bekannt sein, dass sich der Bußgeldbescheid in seiner Kanzlei befindet und er deshalb Zugriff auf das Dokument hat.

Tja, mit der Vollmacht kann man eben verteidigen, bzw.: Das Recht ist für die Hellen 🙂 .

Achtung/Vorsicht bei der Durchsuchung der Rechtsanwaltskanzlei

© MASP - Fotolia.com

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Das BVerfG hat schon länger nichts mehr zur Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei „gemacht – hatte ich gedacht, aber den BVerfG, Beschl. v. 29.01.2015 – 2 BvR 497/12 – übersehen, auf den ich dann jetzt in anderem Zusammenhang, nämlich durch den Newsletter des Kollegen Strate zu HRRS, gestoßen bin. Ergangen ist der Beschluss des BVerfG aufgrund von/gegen Durchsuchungsentscheidungen des AG und LG Stuttgart, erlassen in einem Verfahren gegen einen Rechtsanwalt mit dem Vorwurf der Unterhaltspflichtverletzung. Die entsprechende Strafanzeige war von der geschiedenen Ehefrau des Rechtsanwalts erstattet worden. Durchsucht wurden dann die Kanzleiräume der Rechtsanwaltskanzlei, die der Beschuldigte zusammen mit seiner neuen Ehefrau betrieb. Beschlagnahmt worden sind Aktenordner und ein Terminkalender.

Das BVerfG hat da so seine Bedenken und äußert die im Beschl. v. 29.01.2015 auch recht deutlich:

Der besondere Schutz von Berufsgeheimnisträgern (§ 53 StPO) gebietet bei der Anordnung der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei zudem die besonders sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGK 17, 550 <556>). Die Strafverfolgungsbehörden haben dabei auch das Ausmaß der – mittelbaren – Beeinträchtigung der beruflichen Tätigkeit der Betroffenen zu berücksichtigen. Richtet sich eine strafrechtliche Ermittlungsmaßnahme gegen einen Berufsgeheimnisträger in der räumlichen Sphäre seiner Berufsausübung, so bringt dies regelmäßig die Gefahr mit sich, dass unter dem Schutz des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG stehende Daten von Nichtbeschuldigten, etwa den Mandanten eines Rechtsanwalts, zur Kenntnis der Ermittlungsbehörden gelangen, die die Betroffenen in der Sphäre des Berufsgeheimnisträgers gerade sicher wähnen durften. Dadurch werden die Grundrechte der Mandanten berührt. Der Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandant liegt darüber hinaus auch im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und geordneten Rechtspflege. Diese Belange verlangen eine besondere Beachtung bei der Prüfung der Angemessenheit der Zwangsmaßnahme (vgl. BVerfGE 113, 29 <47 ff.>).

Im Einzelfall können die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat, eine geringe Beweisbedeutung der zu beschlagnahmenden Gegenstände sowie die Vagheit des Auffindeverdachts der Durchsuchung entgegenstehen (vgl. BVerfGE 115, 166 <198>): Für die Geringfügigkeit der zu ermittelnden Straftat spricht, wenn sie nicht von erheblicher Bedeutung ist. Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, können nicht mehr ohne Weiteres dem Bereich der Straftaten von erheblicher Bedeutung zugerechnet werden (vgl. BVerfGE 124, 43 <64>).

b) Diesen Maßstäben werden die vorliegenden Entscheidungen nicht gerecht…..“

Und: Das BVerfG hatte auch Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen, mit der sich AG und LG nur unzureichend auseinander gesetzt hatten. Insoweit: Bitte Selbststudium der Entscheidung.