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StGB I: Filmen von Polizeibeamten, oder: „Nichtöffentliches Wort“ und beschlagnahmtes Smartphone

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Am heutigen Mittwoch stelle ich dann drei StGB-Entscheidungen vor.

Den Opener macht der LG Kassel, Beschl. v. 23.09.2019 – 2 Qs 111/19 – zu einem – wie ich finde – ganz interessanten Sachverhalt. Es geht um die polizeiliche Beschlagnahme eines iPhone, nachdem die – der Beschlagnahme ausdrücklich widersprechende – Beschwerdeführerin mit diesem ihr gehörenden iPhone anlässlich einer polizeilichen Personenkontrolle ihres Freundes im Bereich des Nordausgangs des Kassler Hauptbahnhofs im Vorfeld einer Großdemonstration eine Videoaufnahme unbekannten Inhalts und Umfangs von dieser Kontrolle gefertigt hatte. Die Fertigung dieser Aufnahme ist eingeräumt worden. Die Beschwerdeführerin habe sich nicht anders zu helfen gewusst, da die Polizeibeamten sehr ruppig gewesen seien und sie auch nicht zu ihrem Freund gelassen hätten. Sie sei sodann ca. 45 Minuten lang festgehalten worden und man habe einem Anwalt, der zu ihr gewollt habe, den Weg versperrt und ihn zum Gehen aufgefordert. Man habe ihr gesagt, mit einer Rückgabe des iPhones könne sie in drei bis vier Monaten rechnen; ihr Demokratieverständnis sei tief erschüttert.

Das LG hat die Beschlagnahme bestätigt und diese auf einen Anfangsverdacht nach § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB gestützt. Das LG hat aufgehoben:

„Die nach § 304 StPO statthafte (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 98 Rn. 31) und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Nach dem derzeitigem Sachstand, der wegen des nahezu vollständigen Fehlens sonstiger Ermittlungsergebnisse wesentlich durch die plausiblen – und dem Amtsgericht bei Beschlussfassung nur teilweise bekannten – Schilderungen der Beschuldigten geprägt ist, besteht kein Anfangsverdacht für die Begehung einer Straftat nach § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB (1.). Den Verdacht einer Straftat nach § 33 KunstUrhG hatte das Amtsgericht selbst bereits zutreffend verneint. Überdies spräche auch bei Vorliegen eines entsprechenden Verdachts hier vieles für eine Einwilligung der in der konkreten Situation hauptsächlich geschützten Person (2.) und zudem wäre die Fortdauer der Beschlagnahme inzwischen nicht mehr verhältnismäßig (3.).

1. Zwar geht das Amtsgericht zutreffend davon aus, dass die bei einer Unterredung im Rahmen einer polizeilichen Personenkontrolle gesprochenen Worte grundsätzlich nicht an die Allgemeinheit gerichtet sind, also nicht für einen über einen durch persönliche und sachliche Beziehungen abgegrenzten Personenkreis hinausgehenden Hörerkreis bestimmt sind, was der gängigen Definition des nichtöffentlich gesprochenen Wortes im Sinne des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB entspricht (vgl. Fischer, StGB, 65. Aufl., § 201 Rn. 3). Grundsätzlich unterfallen polizeiliche Personenkontrollen also durchaus dem Schutzbereich des § 201 StGB.

Allerdings kann das Vorhandensein einer Sogenannten „faktischen Öffentlichkeit“ der Nichtöffentlichkeit des gesprochenen Wortes entgegenstehen; dies ist namentlich dann der Fall, wenn die Äußerung unter Umständen erfolgt, nach denen mit einer Kenntnisnahme durch Dritte gerechnet werden müsse (vgl. Fischer aaO Rn. 4, Graf in: MüKo-StGB, 3. Aufl., § 201 Rn. 18). Denn entscheidend ist, worauf die Beschwerdeführerin, zu Recht hinweist, die Abgeschlossenheit des Zuhörerkreises und die Kontrollmöglichkeit über die Reichweite der Äußerung (vgl. Fischer aaO Rn. 4).

Eine „faktische Öffentlichkeit“ wird zwar nicht schon, wie die Beschwerdeführerin argumentiert, deswegen angenommen werden können, weil es technisch gelungen ist, eine Tonaufzeichnung von dem Gespräch zu fertigen; eine so weitgehende Auslegung würde den Straftatbestand des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB im Ergebnis gegenstandslos machen. Abzustellen ist vielmehr auf solche Umstände, die für diejenigen Personen, deren Kommunikation betroffen ist, auch offen zu erkennen sind (vgl. Schünemann in: LK-StGB, 12. Aufl., § 201 Rn. 7, der das lautstark in einer voll besetzten Gaststätte gesprochene Wort als Beispiel nennt, und Graf aaO, der das laute Telefonat in einem stark gefüllten Zugabteil, aber auch laut gesprochene Worte auf Straßen und Plätzen als Beispiele anführt). Doch auch unter Würdigung der ohne weiteres erkennbaren äußeren Umstände des zur Zeit der Aufzeichnung gegebenen Szenarios deutet hier vieles auf das Vorliegen einer solchen faktischen Öffentlichkeit in der Situation der fraglichen Personenkontrolle hin.

Hierzu trägt die Beschwerdeführerin über ihren Bevollmächtigen Folgendes vor:

In unmittelbarer Reichweite waren mindestens zwei weitere von Maßnahmen betroffene Personen sowie ein halbes Dutzend weiterer „Nichtpolizeibeamter“, welche das gesprochene Wort hören konnten: Der Betroffene äußerte seinen Teil der Unterhaltung derart lautstark, dass er auch vom Unterzeichner, welcher sich mit rund 50 Personen im Bahnhofsgebäude aufhielt, vernommen werden konnte. Sie ist zudem auf einem Video, welches eine Person in deutlichem Abstand zur Maßnahme fertigte, klar zu vernehmen.“ (Bl. 73 d. A.)

Dieses Vorbringen der Beschwerdeführerin ist der hier vorzunehmenden Beurteilung aus drei Gründen zugrunde zu legen: Es existieren keine sonstigen Ermittlungsergebnisse, die dieser Darstellung entgegenstünden, die Darstellung ist mit der Situation einer Personenkontrolle am Eingang eines Hauptbahnhofs im Vorfeld einer Massendemonstration ohne Weiteres plausibel in Einklang zu bringen und sie wird, soweit man der von der Beschwerdeführerin vorgelegten Videoaufzeichnung einer dritten Person Erkenntnisse entnehmen kann, durch diese gestützt.

2. Ist somit die – in welchem Umfang auch immer – aufgezeichnete Personenkontrolle nicht als nichtöffentlich gesprochenes Wort im Sinne des § 201 Abs. 1 Nr. 1 StGB anzusehen, so spricht darüber hinaus vieles dafür, dass bei abweichender Beurteilung die Tat durch eine Einwilligung der kontrollierten Person als gerechtfertigt anzusehen wäre. Die Einwilligung ist im Rahmen des § 201 StGB ein bedeutsamer Rechtfertigungsgrund (vgl. Fischer aaO Rn. 10). Dä es hier um den Mitschnitt einer Personenkontrolle geht, dürfte insoweit wesentlich auf das Einverständnis der kontrollierten Person abzustellen sein, denn die Kontrolle diente allein der Feststellung seiner Personalien; nur er dürfte im Rahmen der Kontrolle Informationen über sich preisgegeben haben. Die hierauf gerichteten Fragen der Polizeibeamten haben hingegen nur einen hinführenden Charakter ohne eigenen nennenswerten Erklärungsgehalt; was damit gemeint ist, dass die Polizei Personalien erhebt, ist ohnehin jedermann geläufig.

Anders wäre es zu beurteilen, wenn die Beamten den Kontrollierten mit Fragen zu Sachverhalten oder gar mit Beschuldigungen konfrontieren würden oder wenn ein

Gespräch zwischen mehreren Beamten untereinander aufgezeichnet würde; solches lässt sich hier, aber den polizeilichen Vermerken nicht entnehmen, wie überhaupt jeglicher Anhaltspunkt dazu, welche. Inhalte in welchem Umfang mitgeschnitten worden sein könnten, in der Akte fehlt. Selbst wenn die Beamten naturgemäß nicht werden ausführen können, was exakt mitgeschnitten wurde, weil sie dies selbst oftmals nicht wissen können, so wäre eine etwas genauere Beschreibung der mutmaßlich aufgezeichneten Inhalte als die bloße Mitteilung, der Mitschnitt habe anlässlich einer Personenkontrolle stattgefunden, sicher durchaus möglich und zur Beurteilung der Situation auch wünschenswert gewesen.

So aber muss die Kammer vom Standardfall einer Personenkontrolle ausgehen, so dass durch einen Tonmitschnitt im Wesentlichen die Rechte und Interessen des Kontrollierten verletzt würden. Da es sich in diesem Fall um den Freund der Beschuldigten händelt, spricht wiederum viel dafür, dass er eine solche Einwilligung erteilen würde. Ob er dies tatsächlich erklären würde, bedarf hier keiner weiteren Ermittlung, weil die Kammer schon den Tatbestand des § 201 Abs. 1 StGB als nicht erfüllt ansieht. Es verwundert aber im Hinblick auf die Identität des Kontrollierten dann doch, dass im polizeilichen Vermerk von der „Personenkontrolle einer hier nicht namentlich bekannten Person“ (Bl. 3 d. A.) gesprochen wird.

3. Überdies wäre die Beschlagnahme, insbesondere soweit sie unter dem Gesichtspunkt der Beweissicherung durchgeführt wird, inzwischen – bei unterstelltem Verdacht nach § 201 StGB – auch als unverhältnismäßig zu erachten. Das iPhone und vergleichbare Gegenstände anderer Hersteller, also das Smartphone generell, gehört heute für eine große Mehrzahl von Menschen zu deren zentralen Besitzgegenständen, die im Alltagsleben von überaus großer Bedeutung sind. Über dieses Gerät wickeln viele Menschen, zu denen nach ihrem eigenen Vorbringen auch die Beschuldigte gehört, große Teile ihrer Kommunikation und vielfältige Alltagsgeschäfte im weiteren Sinne ab. Überdies ist es ein – sei es als Ergebnis gezielter Sammelbemühungen, etwa von Fotos, oder als rein faktischer Zustand – zentraler Sammelpunkt einer Unmenge von nicht selten durchaus privaten Daten und Informationen über den Inhaber des Geräts und – selten bedacht – auch über sein gesamtes soziales Umfeld. Unabhängig von der Bewertung dieses in vielerlei Hinsicht durchaus problematischen Phänomens dürfte sich heutzutage jedenfalls unstreitig feststellen lassen, dass es in ausgeprägter Weise existiert. Diese extrem hohe Bedeutung des Smartphones im täglichen Leben ist bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachten.

Zwar spricht für die Verhältnismäßigkeit der Beschlagnahme die zweifelsohne sehr hohe Beweisbedeutung, die das beschlagnahmte iPhone für die Gewinnung weiterer Erkenntnisse über die polizeilich beanstandete Videoaufnahme innehat. Andererseits ist zu beachten, dass es sich bei der Straftat nach § 201 Abs. 1 StGB, deren Begehung bei der Beschlagnahme im Verdachtsgrade angenommen wurde und die weiter aufzuklären wäre, um eine Tat aus dem eher unteren Kriminalitätsspektrum handelt; die gesetzliche Strafandrohung liegt etwa unterhalb derjenigen, die für nicht qualifizierte Diebstahls- und Betrugstaten vorgesehen ist.

Was die Beschlagnahme hier aber vor allem unverhältnismäßig erscheinen lässt, ist der Umstand, dass ein Gegenstand Von großer praktischer Bedeutung für die Beschuldigte .seit nunmehr fast genau zwei Monaten beschlagnahmt ist, ohne dass für die weitere Aufklärung der Verdachtstat irgendetwas geschehen wäre. Es gibt – jedenfalls ausweislich des Akteninhalts – keinerlei sonstigen Ermittlungen; mögliche Tatzeugen sind weder vernommen noch teilweise überhaupt ermittelt, worden und auch die Auswertung des iPhones ist, obwohl schon das Amtsgericht in dem angefochtenen Beschluss zu recht eine eilige Bearbeitung angemahnt hatte, bis heute nicht erfolgt. Auf eine Anfrage der Staatsanwaltschaft vom 15.08.2019 an das Polizeipräsidium Nordhessen, die weiteren Ermittlungsergebnisse mitzuteilen, erfolgte abgesehen von einem Aktenvermerk „noch nicht ausgeführt“, überhaupt keine aktenkundige weitere Reaktion und auch in der Folgezeit sind keinerlei Ergebnisse zur Akte gereicht worden.

Vor diesem Hintergrund ließe sich eine Fortdauer der Beschlagnahme unter dem Gesichtspunkt der Beweissicherung auch dann nicht rechtfertigen, wenn man – abweichend von der Auffassung der Kammer – einen Anfangsverdacht nach § 201 Abs. 1 StGB bejahen wollte. Dies gälte im Übrigen auch für die – im vorliegenden Verfahren nur am Rande erwähnten – mögliche Beschlagnahme nach § 111 b StGB unter dem Gesichtspunkt, dass eine spätere Einziehung des iPhones als Tatmittel in Betracht komme. Denn eine solche Beschlagnahme liegt nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Norm im freien Ermessen der Strafverfolgungsbehörden und unterliegt mithin der vollständigen Kontrolle der Verhältnismäßigkeit, die aus den genannten Gründen vorliegend zu verneinen wäre.