Bewährung III: Wenn der Angeklagte gelogen hat, oder: Grund für ungünstige „Sozialprognose“?

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Und zum Schluss dann noch etwas vom BGH, und zwar der BGH, Beschl. v. 16.08.2022 – 4 StR 186/22.

Das LG hat den Angeklagten wegen Betrugs in zwölf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Dagegen die Revision, die Erfolg hatte:

„Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine ungünstige Sozialprognose (§ 56 Abs. 1 StGB) begründet hat, halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Insoweit ist in den Urteilsgründen unter Bezugnahme auf als unzutreffend gewertete Angaben des Angeklagten zu seinen persönlichen Verhältnissen Folgendes ausgeführt:

„Darüber hinaus hat sich im Verlauf der Hauptverhandlung gezeigt, dass es dem Angeklagten immer noch nicht gelingt, aufrichtig zu sein und Sachverhalte so darzustellen wie sie sind. […] Unzutreffende Angaben hat der Angeklagte auch über seine derzeitige Arbeitgeberin getätigt […]“.

Diese Erwägungen sind ‒ worauf der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend hingewiesen hat ‒ rechtlich durchgreifend bedenklich. Sie lassen besorgen, dass das Landgericht nicht hinreichend bedacht hat, dass der Angeklagte im Strafprozess nicht zu wahrheitsgemäßen Angaben verpflichtet ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. August 2018 ‒ 5 StR 295/18 Rn. 4) und zulässiges Verteidigungsverhalten nicht zum Nachteil des Angeklagten berücksichtigt werden darf (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2021 ‒ 3 StR 411/21, StraFo 2022, 116; Beschluss vom 19. Januar 2016 ‒ 4 StR 521/15 Rn. 4; Beschluss vom 22. Mai 2013 ‒ 4 StR 151/13, StraFo 2013, 340). Wahrheitswidrige oder beschönigende Angaben des Angeklagten dürfen deshalb regelmäßig weder strafschärfend berücksichtigt noch zur Ablehnung einer günstigen Sozialprognose im Rahmen des § 56 StGB herangezogen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Juni 2021 ‒ 6 StR 224/21, StV 2022, 158; Beschluss vom 20. April 1999 ‒ 4 StR 111/99, StV 1999, 602; Beschluss vom 20. Februar 1998 ‒ 2 StR 14/98, StV 1998, 482). Dies gilt nicht nur dann, wenn der Angeklagte dem Tatvorwurf mit wahrheitswidrigem Vorbringen entgegentritt, sondern auch in Fällen, in denen er in dem Bestreben, einen günstigeren Rechtsfolgenausspruch zu erreichen, falsche Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen macht (vgl. BGH, Beschluss vom 28. August 2018 ‒ 5 StR 295/18 Rn. 4). Die Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens sind regelmäßig erst überschritten, wenn das Vorbringen eine selbstständige Rechtsgutsverletzung enthält oder hierdurch eine neue Straftat begangen wird (vgl. BGH, Urteil vom 8. April 2004 ‒ 4 StR 576/03, NStZ 2004, 616, 617). Feststellungen, die diese Annahme tragen könnten, sind den Urteilsgründen auch unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs nicht zu entnehmen.“

2 Gedanken zu „Bewährung III: Wenn der Angeklagte gelogen hat, oder: Grund für ungünstige „Sozialprognose“?

  1. Verwundert

    Ich frage mich warum man denn so einen Käse in die Begründung schreibt. Das muss ja nach hinten losgehen.

    Der Praktiker wird wissen, dass es – auch wenn es nicht sein darf – jedenfalls bei der Strafzumessung regelmäßig (jedenfalls unbewusst, von manchen rechtswidrig auch bewusst) schon einen gewaltigen Unterschied macht, wenn man versucht den Richter „für dumm zu verkaufen“.

    Jeder gute Verteidiger wird einem daher raten auf alle Fälle entweder die Schnauze zu halten oder jedenfalls nicht den Eindruck zu erwecken, man halte sich für schlauer als der Richter weil man denkt der checkt es eh nicht, dem kann ich die Story von der roten Sau erzählen.

    Hinsichtlich der Sozialprognose wäre das kein Kunststück gewesen (bei 1,5 Jahren zeitig) das auch so zu begründen, dass das hält.

    Jedes Mal 1 EUR in die Sparsau wenn man liest:

    „ Wie die Strafzumessung im Allgemeinen, ist auch die Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung grundsätzlich Sache des Tatrichters. Ihm steht bei der Beantwortung der Frage, ob die verhängte Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen ist, weil zu erwarten ist, dass der Angeklagte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird, ein weiter Bewertungsspielraum zu.

    Im Rahmen dieses Spielraums hat das Revisionsgericht jede rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung hinzunehmen. Das Revisionsgericht kann die Entscheidung deshalb grundsätzlich nur auf Ermessensfehler und Rechtsirrtümer – wie einen unzutreffenden Maßstab – überprüfen.

    Die Entscheidung des Tatrichters ist vom Revisionsgericht, sofern keine Rechtsfehler vorliegen, „bis zur Grenze des Vertretbaren“ hinzunehmen, weil allein der Tatrichter sich auf Grund des persönlichen Eindrucks in der Hauptverhandlung und der Würdigung von Tat und Persönlichkeit des Angeklagten eine Überzeugung davon verschaffen kann, ob zu erwarten ist, dass der Angeklagte sich in Zukunft auch ohne Strafverbüßung straffrei führen wird.“

    Kochrezept:

    Anlässlich der Eindrücke bzw. des Gesamteindrucks, den der Angeklagte während der Hauptverhandlung beim Gericht hinterlassen hat kommt eine Aussetzung zur Bewährung nicht in Betracht.

    Das soziale Umfeld des Angeklagten ist (mies) / gut, aber dem Angeklagten gelingt es offenkundig nicht, diese Stütze anzunehmen. Er „kapselt sich ab“.

    In beruflicher Hinsicht …(mies) / hat das Gericht den Eindruck gewonnen… dass der Angeklagte extrem belastet ist und … schwer sich im Erwerbsleben zu finden.

    Aus der Tat spricht ein gewisses Maß an Selbstüberschätzung / rechtsfeindlicher Gesinnung / Gleichgültigkeit ggü. den Tatfolgen für die Opfer.

    In der HV ist der Angeklagte den Opfern mit … Gleichgültigkeit/ Überheblichkeit … entgegengetreten. So hat er … Gesten / Mimik/ Aussagen…

    Insgesamt können die erheblichen Bedenken des Gerichts nicht überwunden werden, dass der Angeklagte sich eine Bewährung insoweit als Warnung genügen lassen und er von weiteren Straftaten Abstand nehmen würde. Es bedarf somit der Einwirkung des Strafvollzugs um den Angeklagten in Zukunft zu einem straffreien Leben anzuhalten.

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