BGH locuta, causa finita, oder: Das AG-Urteil beim Fahren ohne Fahrerlaubnis

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Urheber Bundesrepublik Deutschland, Bundesministerium des Innern

Die 27. KW. will ich mit zwei BGH-Entscheidungen eröffenen. Zunächst der BGH, Beschl. v. 27.04.2017 – 4 StR 547/16. Ergangen ist der Beschluss auf Vorlage des OLG Nürnberg (vgl. dazu im OLG Nürnberg, Beschl. v. 21.10.2016 – 1 OLG 8 Ss 173/16 und dazu: Das Urteil bei Fahren ohne Fahrerlaubnis, oder: Totgesagte BGH-Vorlagen leben länger). Der Beschluss beendet ein schon etwas länger andauerndes „Vorlageverfahren“, nun ja zumindest indirekt. Denn es hatte zu der vom BGH entschiedenen Problematik schon eine Vorlage gegeben (vgl. den OLG Nürnberg, Beschl. v. 21. 10. 2015 – 1 OLG 2 Ss 182/15 und dazu Das OLG Nürnberg traut sich: BGH-Vorlage zum Fahren ohne Fahrerlaubnis). Das Verfahren hatte sich aber durch Rücknahme der Revision beim OLG Nürnberg erledigt.

Im Verfahren geht es um die Wirksamkeit der Berufungsbeschränkung (§ 318 StPO) beim Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG). Das AG hat den umfassend geständigen Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Die Feststellungen zur Sache lauteten wie folgt: „Der Angeklagte fuhr am 19. August 2015 gegen 14.21 Uhr mit dem Pkw Opel mit dem amtlichen Kennzeichen auf der W. Straße in S., obwohl er die erforderliche Fahrerlaubnis nicht hatte. Dies wusste der Angeklagte.“ Gegen dieses Urteil haben sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte eine – letztlich – auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung eingelegt. Das LG hat beide Berufungen als unbegründet verworfen. Dabei ist es davon ausgegangen, dass die Beschränkungen auf den Rechtsfolgenausspruch wirksam und deshalb der Schuldspruch und die ihn tragenden Feststellungen einer Nachprüfung entzogen seien.

Das OLG Nürnberg möchte die Revision des Angeklagten wie beantragt verwerfen, sieht sich daran aber durch Entscheidungen der OLG Bamberg und München gehindert. Beide OLG meinen, dass nach einer amtsgerichtlichen Verurteilung wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis gem. § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG eine Berufung nicht wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt werden könne, wenn das AG zu der fraglichen Fahrt keine Feststellungen getroffen habe, die über Ort und Zeit der Fahrt, die Identität des Fahrzeugs, das Nichtvorhandensein der benötigten Fahrerlaubnis und ein hierauf bezogenes Wissen des Angeklagten hinausgingen. Der Tatrichter habe wegen der Bedeutung für die Rechtsfolgen grundsätzlich auch Feststellungen zu den Beweggründen der Fahrt und deren Gegebenheiten (Dauer und Länge, beabsichtigte Fahrstrecke, Verkehrsbedeutung der Straße, herbeigeführte Gefahren u.a.) zu treffen, wenn ihm dies – etwa bei einem geständigen Angeklagten – (ohne weiteres) möglich sei.

Da das OLG Nürnberg das anders und die Feststellungen des AG als ausreichend ansehen wollte, hat es die Frage dem BGH vorgelegt. Der hat sie wie folgt beantwortet:

„Im Fall einer Verurteilung wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG ist die Beschränkung einer Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch nicht deshalb unwirksam, weil sich die Feststellungen in dem angegriffenen Urteil darin erschöpfen, dass der Angeklagte an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit auf einer öffentlichen Straße ein näher bezeichnetes Kraftfahrzeug geführt hat, ohne die erforderliche Fahrerlaubnis zu besitzen und er insoweit wissentlich gehandelt hat.“

Die Entscheidung ist – über die entschiedene Frage hinaus – lesenswert. Denn der BGH stellt noch einmal sehr schön seine Rechtsprechung zur Rechtsmittelbeschränkung zusammen. Unwirksam ist die nur dann, wenn die dem Schuldspruch im angefochtenen Urteil zugrunde liegenden Feststellungen in tatsächlicher und rechtlicher Art unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig sind, dass sich Art und Umfang der Schuld nicht in dem zur Überprüfung des Strafausspruchs notwendigen Maße bestimmen lassen (vgl. zuletzt BGH StV 2017, 314, 315) oder unklar bleibt, ob sich der Angeklagte überhaupt strafbar gemacht hat (BGH NStZ 2014, 635). Daran gemessen kann eben bei einer Verurteilung wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG einer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung die Wirksamkeit nicht deshalb abgesprochen werden, weil das angegriffene Urteil lediglich Feststellungen zu Tatzeit und Tatort, zu dem verwendeten Kraftfahrzeug sowie zum Fehlen der erforderlichen Fahrerlaubnis und zu einem wissentlichen Handeln des Angeklagten enthält. Denn: Das Berufungsgericht ist unter keinem verfahrensrechtlichen Gesichtspunkt daran gehindert, – soweit erforderlich – eigene Feststellungen zu den Beweggründen der Fahrt und deren Gegebenheiten (Dauer und Länge, beabsichtigte Fahrstrecke, Verkehrsbedeutung der Straße, herbeigeführte Gefahren u.a.) zu treffen und dadurch den für die Rechtsfolgenentscheidung maßgebenden Schuldumfang näher zu bestimmen. Es muss dabei lediglich beachten, dass die von ihm getroffenen weiteren Feststellungen nicht in Widerspruch zu den Feststellungen stehen dürfen, die das Erstgericht zum Schuldspruch schon getroffen habe.

Also Fazit:

  • Die AG wird die Entscheidung freuen. Können sie doch im Hinblick auf die Wirksamkeit einer Berufungsbeschränkung grundsätzlich bei den knappen Feststellungen, die beim Fahren ohne Fahrerlaubnis häufig üblich sind, bleiben. Entscheidend ist allein, ob diese Feststellungen zum Schuldspruch nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG eine hinreichend tragfähige Grundlage für eine eigenständige Rechtsfolgenentscheidung des Berufungsgerichts bilden. Es müssen alle Merkmale des gesetzlichen Tatbestands mit Tatsachen unterlegt sein und es darf auch kein Zweifel daran bestehen, welcher geschichtliche Vorgang dem Schuldspruch zugrunde liegt.
  • Anders die LG. Die müssen – mit Blick auf eine potentielle Revision gegen ihr Berufungsurteil – prüfen, ob für die nähere Bestimmung des Schuldumfangs und den Rechtsfolgenausspruch ergänzende Feststellungen zu einzelnen Tatumständen erforderlich sind und nachgeholt werden müssen. Dabei müssen sie die Bindungswirkung der bereits getroffenen Feststellungen im Blick haben und bei ergänzenden Erhebungen das Widerspruchsverbot beachten. Aber das mussten Sie schon immer.
  • Nur zur Klarstellung: Die Entscheidung des BGH enthebt die AG nicht von der an sich auch sie treffenden Pflicht weitere/nähere Feststellungen zum Rechtsfolgenausspruch bzw. zu dessen Grundlage zu treffen. Sie stellt nur klar, welche Folgen für eine Berufung eintreten, wenn diese Feststellungen im amtsgerichtlichen Urteil fehlen. Und: Im Fall einer Sprungrevision müssen die Feststellungen zum Rechtsfolgenausspruch enthalten sein.

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