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Ausl I: Welche Haftbedingungen in Rumänien?, oder: OLG Schleswig macht seine Hausaufgaben nicht

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In die heute beginnende 36. KW. starte ich mit zwei Entscheidungen zu einem etwas abgelegeneren Gebiet, das aber immer mehr an Bedeutung zunimmt, nämlich Auslieferungsrecht.

An der Spitze der Berichterstattung steht der BVerfG, Beschl. v. 18.08.2021 – 2 BvR 908/21, den mir der Kollege Marquort aus Kiel geschickt hat.  Ergangen ist der Beschluss in einem Verfahren, in dem um die Auslieferung eines Verfolgten nach Rumänien gestritten wird. und zwar wegen der Haftbedingungen in Rumänien. Da hatte das BVerfG das OLG Schleswig schon einmal gerügt und ihm mitgeteilt, dass es sein „Hausaufgaben nicht gemacht hat. So dann jetzt auch in diesem Beschluss:

„Die angegriffene Entscheidung vom 15. April 2021 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 4 GRCh.

a) Aus Art. 4 GRCh folgt für ein mit einem Überstellungsersuchen befasstes Gericht die Pflicht, in zwei Prüfungsschritten von Amts wegen aufzuklären, ob die konkrete Gefahr besteht, dass die zu überstellende Person nach einer Übergabe einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein wird (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 1. Dezember 2020 – 2 BvR 1845/18, 2 BvR 2100/18-, Rn. 42 ff.).

b) Hat das Gericht im ersten Prüfungsschritt systemische oder allgemeine Mängel der Haftbedingungen im Ausstellungsmitgliedstaat festgestellt, so ist es im zweiten, auf die Situation des Betroffenen bezogenen Prüfungsschritt verpflichtet, genau zu prüfen, ob es unter den konkreten Umständen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme gibt, dass die gesuchte Person im Anschluss an ihre Übergabe an den Ausstellungsmitgliedstaat aufgrund der Bedingungen, unter denen sie inhaftiert sein wird, dort einer echten Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt ,sein wird. Dies erfordert eine aktuelle und eingehende Prüfung der Situation, wie sie sich zum Entscheidungszeitpunkt darstellt. Da das Verbot einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung absoluten Charakter hat, darf die vom Gericht vorzunehmende Prüfung der Haftbedingungen nicht auf offensichtliche Unzulänglichkeiten beschränkt werden, sondern muss auf einer Gesamtwürdigung der maßgeblichen materiellen Haftbedingungen beruhen (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 1. Dezember 2020 – 2 BvR 1845/18, 2 BvR 2100/18 -, Rn. 46 m.w.N.).

aa) Bei der von dem mitgliedstaatlichen Gericht vorzunehmenden Gesamtwürdigung der Haftbedingungen ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bei Gemeinschaftszellen hinsichtlich des einem Inhaftierten zur Verfügung stehenden Raums zu unterscheiden, ob dieser unter 3 m2, zwischen 3 m2 und 4 m2 oder über 4 m2 liegt. Bei der Berechnung der verfügbaren Fläche in einer Gemeinschaftszelle ist die Fläche der Sanitärvorrichtungen nicht einzuschließen, wohl aber die durch Möbel eingenommene Fläche, wobei es den Gefangenen möglich bleiben muss, sich in der Zelle normal zu bewegen (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 1. Dezember 2020 – 2 BvR 1845/18, 2 BvR 2100/18 -, Rn. 48 m.w.N.).

bb) In Anbetracht der Bedeutung des Raumfaktors bei der Gesamtbeurteilung der Haftbedingungen begründet nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte der Umstand, dass der einem Inhaftierten zur Verfügung stehende Raum in einer Gemeinschaftszelle unter 3 m2 liegt, eine starke Vermutung für einen Verstoß gegen Art. 4 GRCh beziehungsweise Art. 3 EMRK. Diese starke Vermutung kann normalerweise nur widerlegt werden, wenn es sich kumulativ erstens um eine kurze, gelegentliche und unerhebliche Reduzierung des persönlichen Raums gegenüber dem geforderten Minimum von 3 m2 handelt, diese Reduzierung zweitens mit genügend Bewegungsfreiheit und ausreichenden Aktivitäten außerhalb der Zelle einhergeht sowie drittens die Haftanstalt allgemein angemessene Haftbedingungen bietet und die betroffene Person keinen anderen Bedingungen ausgesetzt ist, die als die Haftbedingungen erschwerende Umstände anzusehen sind. Verfügt ein Gefangener in einer Gemeinschaftszelle über einen persönlichen Raum, der zwischen 3 m2 und 4 m2 beträgt, kann ein Verstoß gegen Art. 4 GRCh beziehungsweise Art. 3 EMRK vorliegen, wenn zu dem Raummangel weitere defizitäre Haftbedingungen hinzutreten, wie etwa fehlender Zugang zum Freistundenhof beziehungsweise zu Frischluft und Tageslicht, schlechte Belüftung, eine zu niedrige oder zu hohe Raumtemperatur, fehlende Intimsphäre in den Toiletten oder schlechte Sanitär- und Hygienebedingungen. Bei mehr als 4 m2 persönlichem Raum in einer Gemeinschaftszelle bleiben die weiteren Aspekte der Haftbedingungen für die erforderliche Gesamtbeurteilung relevant (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 1. Dezember 2020 – 2 BvR 1845/18, 2 BvR 2100/18 Rn. 49 ff. m.w.N.).

c) Mit dem zweistufigen Prüfprogramm sind Aufklärungspflichten des mit einem Überstellungsersuchen befassten Gerichts verbunden. Aus Art. 4 GRCh folgt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union die Pflicht, im Einzelfall zu prüfen und durch zusätzliche Informationen aufzuklären, ob das Grundrecht des zu Überstellenden aus Art. 4 GRCh gewahrt ist (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 1. Dezember 2020 – 2 BvR 1845/18, 2 BvR 2100/18-, Rn. 52).

aa) Zunächst muss sich das Gericht auf objektive, zuverlässige, genaue und gebührend aktualisierte Angaben über die Haftbedingungen in den Haftanstalten des Ausstellungsmitgliedstaats stützen, die das Vorliegen systemischer oder allgemeiner, bestimmte Personengruppen oder bestimmte Haftanstalten betreffende Mängel belegen können (vgl. EuGH, Urteile vom 25. Juli 2018, Generalstaatsanwaltschaft <Haftbedingungen in Ungarn>, C-220/18 PPU, EU:C:2018:589, Rn. 60; und vom 15. Oktober 2019, Dorobantu, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 52). Für die gründlich vorzunehmende Prüfung, ob es unter den konkreten Umständen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme gibt, dass die zu überstellende Person im Anschluss an ihre Übergabe aufgrund der Haftbedingungen einer echten Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt sein wird, muss das Gericht innerhalb der nach Art. 17 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl (im Folgenden: RbEuHb) zu beachtenden Fristen den Ausstellungsmitgliedstaat um die unverzügliche Übermittlung aller notwendigen zusätzlichen Informationen in Bezug auf die Bedingungen bitten, unter denen die betreffende Person in diesem Mitgliedstaat inhaftiert werden soll.‘ Der Ausstellungsmitgliedstaat ist verpflichtet, die ersuchten Informationen innerhalb der ihm vom ersuchten Mitgliedstaat gesetzten Frist zu übermitteln (vgl. EuGH, Urteil vom 25. Juli 2018, Generalstaatsanwaltschaft <Haftbedingungen in Ungarn>, C-220/18 PPU, EU:C:2018:589, Rn. 64; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 1. Dezember 2020 – 2 BvR 1845/18, 2 BvR 2100/18-, Rn. 53).

bb) Diese einzuholenden zusätzlichen Informationen sind Voraussetzung dafür, dass die Prüfung einer bestehenden Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung einer Person auf einer ausreichenden Tatsachengrundlage beruht. Das mit einem Übermittlungsersuchen befasste Gericht muss deshalb die Entscheidung über die Zulässigkeit der Übergabe so lange aufschieben, bis es die zusätzlichen Informationen erhalten hat, die es ihm gestatten, das Vorliegen einer solchen Gefahr auszuschließen. Kann das Vorliegen einer solchen Gefahr nicht, innerhalb einer angemessenen Frist ausgeschlossen werden, muss, das Gericht darüber entscheiden, ob das Übergabeverfahren zu beenden ist (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 1. Dezember 2020 – 2 BvR 1845/18, 2 BvR 2100/18-, Rn. 54 m.w.N.).

cc) Art. 15 Abs. 2 RbEuHb verpflichtet das mit einem Überstellungsersuchen befasste Gericht zur Einholung zusätzlicher, für die Übergabeentscheidung notwendiger Informationen. Als Ausnahmebestimmung kann diese Regelung nicht dazu herangezogen werden, die Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats systematisch um allgemeine Auskünfte zu den Haftbedingungen in den dortigen Haftanstalten zu ersuchen. Die gerichtliche Aufklärungspflicht bezieht sich nicht auf die allgemeinen Haftbedingungen in sämtlichen Haftanstalten. Unter Berücksichtigung des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens und der für den europäischen Rechtshilfeverkehr vorgesehenen Fristen beschränkt sich diese vielmehr auf die Prüfung derjenigen Haftanstalten, in denen die gesuchte Person nach den vorliegenden Informationen wahrscheinlich, sei es auch pur vorübergehend oder zu Übergangszwecken, konkret inhaftiert werden soll (vgl. EuGH, Urteile vom 25. Juli 2018, Generalstaatsanwaltschaft <Haftbedingungen in Ungarn> C-220/18 PPU, EU:C:2018:589, Rn. 84 bis 87 und Rn. 117; und vom 15. Oktober 2019, Dorobantu, C-128/18, EU:C:2019:857, Rn. 64 bis 66; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 1. Dezember 2020 – 2 BvR 1845/18, 2 BvR 2100/18 -, Rn. 55).

d) Hat der Ausstellungsmitgliedstaat eine Zusicherung abgegeben, dass die betroffene Person unabhängig von der Haftanstalt, in der sie im Ausstellungsmitgliedstaat inhaftiert wird, keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung erfahren werde, muss sich das mit einem Überstellungsersuchen befasste Gericht auf eine solche konkrete Zusicherung zumindest dann verlassen, wenn keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Haftbedingungen in einer bestimmten Haftanstalt gegen Art. 4 GRCh verstoßen. Auch eine Zusicherung des Ausstellungsmitgliedstaats entbindet das mit einem Überstellungsersuchen befasste Gericht aber nicht von der Pflicht, zunächst eine eigene Gefahrenprognose anzustellen, um so die Belastbarkeit einer Zusicherung einschätzen zu können. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände darf das Gericht auf der Grundlage konkreter Anhaltspunkte feststellen, dass für die betroffene Person trotz der Zusicherung eine echte Gefahr besteht, aufgrund der Bedingungen ihrer Inhaftierung im Ausstellungsmitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh unterworfen zu werden (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 1. Dezember 2020 – 2 BvR 1845/18, 2 BvR 2100/18-, Rn. 56 m.w.N.).

2. Nach diesen Maßstäben hält die angegriffene Entscheidung einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht stand. Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht ist seiner Verpflichtung nach Art. 4 GRCh, auf der zweiten Prüfungsstufe im konkreten Fall zu prüfen und durch zusätzliche Informationen aufzuklären, ob der Beschwerdeführer nach seiner Überstellung in einer rumänischen Haftanstalt einer Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ausgesetzt sein wird, nicht hinreichend nachgekommen.

a) Die rumänischen Behörden haben mit Schreiben vom 1. Februar und vom 11. März 2021 neue Informationen zu den Haftbedingungen erteilt, die den Beschwerdeführer im Falle seiner Auslieferung erwarten sollen. Mit Schreiben vom 1. Februar 2021 wurde ihm erstmals unabhängig von einer konkreten Haftanstalt ein persönlicher Raum von mindestens 3 m2 zugesichert. Diese Zusicherung unterscheidet sich von den zuvor abgegebenen Zusicherungen der rumänischen Behörden, die sich noch auf konkret benannte Haftanstalten bezogen und die ihm insbesondere im halboffenen Vollzug lediglich eine Mindestfläche von 2 m2 gewährleisteten. Das Oberlandesgericht hat in der angegriffenen Entscheidung nicht berücksichtigt, dass dem Gericht eigenständige Prüfungspflichten auch hinsichtlich der neu erteilten Zusicherung oblägen. So kann ein Verstoß gegen Art. 4 GRCh auch dann vorliegen, wenn ein Gefangener in einer Gemeinschaftszelle zwar über einen persönlichen Raum, der zwischen 3 m2 und 4 m2 liegt, verfügt, zu diesem Raum aber weitere defizitäre Haftbedingungen hinzutreten (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 1. Dezember 2020 -2 BvR 1845/18, 2 BvR 2100/18 -, Rn. 50/m.w.N.). Dem Schreiben vom 1. Februar 2021 lässt sich für den halboffenen Strafvollzug indes keine weitere Beschreibung der Haftbedingungen entnehmen, die unabhängig von der Haftanstalt gelten sollen, in der der Beschwerdeführer untergebracht werden soll. Ferner bleibt unklar, wie die rumänischen Behörden den persönlichen Mindestraum berechnen, insbesondere, ob die Berechnung die Fläche für den Sanitärbereich einbezieht.

b) Das Oberlandesgericht ist auch nicht darauf eingegangen, dass unklar bleibt, ob die Unterbringung des Beschwerdeführers in der Quarantänezeit in einer Einzel- oder einer Gemeinschaftszelle erfolgen soll. Im Schreiben vom 11. März 2021 sprechen die rumänischen Behörden ohne weitere Konkretisierung von einer „getrennten Unterbringung der Gefangenen“. Dieser Umstand kann bei einer mitgeteilten Mindestfläche von lediglich 3 m2 nicht offenbleiben, da es ansonsten an einer hinreichenden Tatsachengrundlage für die vom Gericht vorzunehmende Gesamtwürdigung der Haftbedingungen fehlt.

c) Schließlich hat es das Oberlandesgericht versäumt, die von den rumänischen Behörden abgegebenen neuen Zusicherungen hinsichtlich ihrer Belastbarkeit zu überprüfen. Eine eigene Gefahrenprognose des Gerichts, um so die Belastbarkeit einer Zusicherung einschätzen zu können (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 1. Dezember 2020 – 2 BvR 1845/18, 2 BvR 2100/18 -, Rn. 56), lässt sich dem angegriffenen Beschluss nicht entnehmen.“

Wird man beim OLG Schleswig nicht so gerne lesen. Aber muss man durch. Und nach der „Anleitung“ wird es jetzt ja wohl klappen.

Auslieferung I: Nach Litauen soll es gehen, oder: Die Haftbedingungen stehen nicht entgegen

entnommen wikimedia.orgBy Central Intellegence Agency – The World Factbook: Lithuania,

Heute dann mal ein Tag mit Auslieferungsentscheidungen. Die Thematik kommt hier immer ein wenig kurz. Jetzt ist es aber mal wieder so weit.

Im schon etwas älteren KG, Beschl. v. 22.08.2017 –  (4) 151 AuslA 78/17 (95/17) – geht es um eine Auslieferung nach Litauen. Das KG sagt: Die Haftbedingungen in Litauen stehen einer Auslieferung nicht entgegen:

Auch aus den Haftbedingungen in der Republik Litauen erwächst kein Auslieferungshindernis. Die vom Senat im Anschluss an den Beschluss des OLG Saarbrücken vom 5. Oktober 2016 – OLG Ausl 9/16 (47/16) – und den Bericht des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) vom 4. Juni 2014 – CPT/Inf (2014) 18 – geäußerten Bedenken hält er im Hinblick auf die im hiesigen Verfahren abgegebenen Erklärungen des Justizministeriums der Republik Litauen nicht mehr aufrecht. Die in seinem Beschluss vom 3. Juli 2017 erforderten konkreteren Beschreibungen der Haftbedingungen, die bisher nicht vorliegen, erachtet der Senat nicht mehr für erforderlich.

Insoweit war zu beachten, dass der RbEuHb darauf gerichtet ist, durch die Einführung eines neuen vereinfachten und wirksameren Systems der Übergabe von Personen, die wegen einer Straftat verurteilt wurden oder einer Straftat verdächtigt werden, die justizielle Zusammenarbeit zu erleichtern und zu beschleunigen, um zur Verwirklichung des der Union gesteckten Ziels beizutragen, zu einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu werden, und dass er ein hohes Maß an Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten voraussetzt. Denn der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, auf den sich das System des Europäischen Haftbefehls stützt, beruht seinerseits auf dem gegenseitigen Vertrauen der Mitgliedstaaten darauf, dass ihre jeweiligen nationalen Rechtsordnungen in der Lage sind, einen gleichwertigen und wirksamen Schutz der auf Unionsebene und insbesondere in der Charta anerkannten Grundrechte zu bieten.

Sowohl der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten als auch der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung haben im Unionsrecht fundamentale Bedeutung, da sie die Schaffung und Aufrechterhaltung eines Raums ohne Binnengrenzen ermöglichen. Konkret verlangt der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, namentlich in Bezug auf den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, von jedem Mitgliedstaat, dass er, abgesehen von außergewöhnlichen Umständen, davon ausgeht, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten (vgl. zum vorstehenden insgesamt EuGH NJW 2016, 1709, 1711 mwN).

Angesichts der vom Justizministerium der Republik Litauen geschilderten Weiterentwicklung des litauischen Justizvollzugs seit dem dem Bericht des CPT vom 4. Juni 2014 zugrundeliegenden Besuch im November/Dezember 2012 sowie der einer Gesamtschau der übermittelten Schreiben zu entnehmenden ausdrücklichen Versicherung des Justizministeriums, dass die Haftbedingungen in litauischen Gefängnissen internationalen Standards entsprechen und Art. 3 EMRK nicht verletzen, sieht der Senat unter Berücksichtigung des der Republik Litauen entgegenzubringenden hohen Vertrauens keinen weiteren Ausklärungsbedarf mehr. Der mit seiner vereinfachten Auslieferung einverstandene Verfolgte hat Bedenken in Bezug auf die Haftbedingungen in Litauen nicht geäußert. Die Angaben des Justizministeriums der Republik Litauen finden zudem Bestätigung von dritter Seite (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 25. April 2017 – III – 2 Ausl. 45/17 – unter Hinweis auf den Länderreport 2016 des US Department of State zur Menschenrechtslage in Litauen).

Reichen 4 m2 Grundfläche für einen Strafgefangenen aus?, oder: Menschenunwürdig?

© ogressie Fotolia.cm

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Damit nicht der Eindruck entsteht, „hier bei uns“ sei mit den Haftbedingungen „alles Gold“, schiebe ich dem OLG Jena, Beschl. v. 14.07.20167 – Ausl AR 36/16 betreffend die Haftbedingungen in Rumänien (vgl. Auslieferung nach Rumänien, oder: Da sind die Zellen zu klein) den BVerfG, Beschl. v. 20.05.2016 – 1 BvR 3350/16 – hinterher. Es geht darin um die Versagung von PKH für die Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen wegen menschenunwürdiger Bedingungen der Gemeinschaftshaft gegen den Freistaat Bayern. Der Beschwerdeführer hatte sich zusammen mit drei weiteren Mitgefangenen über einen Zeitraum von ca. sechs Monaten in Strafhaft befunden. Er hat behauptet, in zwei identisch beschaffenen Hafträumen untergebracht gewesen zu sein, die jeweils eine Gesamtgrundfläche von (nur) 16 m² und eine vom übrigen Haftraum baulich abgetrennte Toilette aufgewiesen hätten. Unter Berufung auf menschenunwürdige Haftbedingungen hate er PKH für eine Amtshaftungsklage beantragt. Das LG hat mit der Begründung abgelehnt, der Beschwerdeführer sei nicht menschenunwürdig untergebracht gewesen; das OLG München wies die sofortige Beschwerde zurück (vgl. OLG München, Beschl. v. 10.11.2014 – 1 W 1314/14), 4 m2 seien genug.

Dagegen die Verfassungsbeschwerde, und: Das BVerfG hebt auf und rügt, dass bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen nicht im PKH-Verfahren entschieden werden dürfen, einer prozessualen Klärung zugeführt werden können müssten. Und in dem Zusammenhang dann:

Auslieferung nach Rumänien, oder: Da sind die Zellen zu klein

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Die zweite auslieferungsrechtliche Entscheidung, die heute den Weg in das Blog findet, ist der OLG Jena, Beschl. v. 14.07.20167 – Ausl AR 36/16. Er betrifft „auslieferungsrechtliches Kerngeschäft“, nämlich die Frage der Zulässigkeit der Auslieferung im Hinblick auf die im ersuchenden Staat zu erwartenden Haftbedingungen. Nicht ausreichend bzw. einer Auslieferung entgegen steht nicht schon (allein) die Feststellung des Vorliegens einer echten Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung aufgrund der allgemeinen Haftbedingungen, vielmehr muss hat die vollstreckende Justizbehörde – also die GStA – prüfen, ob ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme einer entsprechenden konkreten  Gefahr gerade für die vom Auslieferungshaftbefehl betroffene Person bestehen, indem sie vom Ausstellungsmitgliedstaat unter Fristsetzung Informationen über die dieser Person konkret bevorstehende Inhaftierung einholt.

Das hat die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hier bei den rumänischen Behörden getan, hatte aber eine verbindliche Zusage konventionsgerechter Haftbedingungen in Bezug auf den Verurteilten nicht erhalten. Und das führte dann zur Aufhebung des Auslieferungshaftbefehls:

Der gegen den Verfolgten ergangene Auslieferungshaftbefehl vom 24.06,2016 ist aufzuheben, weil die Auslieferung des Verurteilten en die Republik Rumänien zum Zwecke der Strafvollstreckung derzeit gem. § 73 Satz 2 IRG unzulässig ist.

Es ist unter Berücksichtigung aller Umstände nicht auszuschließen, dass der Verfolgte nach seiner Auslieferung in einer Justizvollzugsanstalt inhaftiert werden wird, die europäischen Mindeststandards nicht genügt, bzw. in der er einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wäre, so dass seine Übergabe an die Republik Rumänien zu den in Art. 6 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) I. V. m. Art. 3 EIVIRK enthaltenen Grundsätzen in Widerspruch stünde.

Dringende Anhaltspunkte für derartige, gegen die allgemeinen Rechtsgrundsätze des Art. 6 EUV verstoßende Haftbedingungen ergeben sich aus der wiederholten Verurteilung der Republik Rumänien durch den EGMR wegen der Unterbringung von Strafgefangenen in zu kleinen, überbelegten und verdreckten Haftzeilen ohne ausreichende Beheizung und Warmwasserversorgung (vgl. Nachweise im Urteil d. EuGH v. 05.04,2016, Az. C 404115 und C 659/15 PPU) und dem – auf Inspektionsbesuchen von Mai bis Juni 2014 beruhenden – Bericht des Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung und Strafe des Europarates vom 24.09.2015.

Dass die durch diese allgemeinen Haftbedingungen begründete echte Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung eine auch den Verfolgten im Falle seiner Auslieferung konkret bedrohende Gefährdung darstellt, konnte im Ergebnis der wiederholt an die rumänischen Behörden gerichteten Ersuchen um Zusicherung einer den europäischen Mindeststandards genügenden und konsularischer Überprüfung zugänglichen Ausgestaltung gerade der dem Verurteilten bevorstehenden Inhaftierung nicht ausgeschlossen werden.

Die auf diese Ersuchen übermittelten Informationen des rumänischen Justizministeriums beschränken sich im Wesentlichen auf eine Darstellung der allgemein für die Auswahl der Haftanstalt maßgeblichen gesetzlichen Regelungen und enthalten schon keine Festlegung hinsichtlich der Anstaltskategorie und der Gelegenheit einer für den Verurteilten konkret vorgesehenen Haftanstalt. Die in dem Schreiben vom 27.06.2016 mitgeteilten Angaben zur aktuellen Überbelegung der Haftanstalten in Rumänien mit 150,39 % bestätigen (im Gegenteil) den Fortbestand der durch die vorgenannten Quellen beschriebenen Haftbedingungen. Aus den jetzt übermittelten Belegungszahlen errechnet sich ein jedem Inhaftierten zustehender Lebensraum von 3,23 m2, der schon für sich genommen deutlich hinter den notwendigen Mindeststandards zurückbleibt. Zu den sonstigen, in den Urteilen des EGMR massiv beanstandeten Haftumständen verhält sich das ministerielle Schreiben nicht, so dass von einer auch insoweit unverändert schlechten Ausgestaltung auszugehen ist.

Damit besteht die durch die allgemeinen Haftbedingungen in Rumänien begründete ernsthafte Gefahr einer menschenunwürdigen und erniedrigenden Inhaftierung im Falle seiner Auslieferung gerade auch für den Verurteilten, so dass sich seine Auslieferung zum Zwecke der Strafvollstreckung derzeit als unzulässig darstellt.“

Viel Vertrauen hat das OLG in die Rumänen, die weitere Angaben angekündigt hatten, nicht. Die wartet das OLG gar nicht erst ab.

Causa Middelhoff, oder: Guantanamo ist vielleicht gar nicht so weit weg

HaftraumIm Moment spielt das Thema „Schlafkontrolle“ bei Th. Middelhoff in den Blogs eine große Rolle; von „Schlafentzug“ zu sprechen, geht mir etwas weit. Der Kollege Hoenig hat in zwei Beiträgen dazu berichtet (vgl. einmal hier „Der rote Punkt an der Zellentür“ und „Es geht noch dunkelroter“), Udo Vetter hat im LawBlog einen Beitrag gepostet (vgl. hier: Faktische Folter) und auch der Beck-Blog hat sich gemeldet mit: Suizidprophylaxe oder Folter? Zum Fall Middelhoff. Wenn man das so liest, ist man schon mehr als irritiert, dass es so etwas gibt – aber siehe unten – und dass es keine anderen Kontrollmöglichkeiten gibt/geben soll.

Irritiert bin ich allerdings auch ein wenig über die Verteidigung von Th. Middelhoff. Mir leuchtet nämlich nicht ein, warum man gegen diese Art und Dauer der Überwachung nicht zur Zeit der Anordnung/Durchführung im November/Dezember 2014 gerichtliche Hilfe in Anspruch genommen hat; mir ist jedenfalls dazu nichts bekannt. Aber vielleicht hatte Th. Middelhoff ja bereits zu dem Zeitpunkt sein Vertrauen – wenn er es denn jemals hatte – in LG Essen und OLG Hamm verloren, nachdem man dort seine Haftprüfungsanträge immer wieder zurückgewiesen hat (vgl. dazu jüngst Middelhoff bleibt drin – auch 900.000 € Kaution reichen nicht). Warum also jetzt? Vielleicht wirklich ein wenig Begleitmusik zu einem neuen Haftprüfungsantrag, über den u.a. LTO berichtet (vgl. dazu hier)?

Aber unabhängig davoN. Ich bin gespannt, wie es weitergeht, nachdem sich nun ja auch die Politik schon eingeschaltet hat (vgl. dazu aus der Berliner Zeitung). Allerdings: „Das NRW-Justizministerium reagiert gelassen„, so der Tagesspiegel, an einer Befragung im Rechtsausschuss des Landtages NRW wird der nordrhein-westfälische Justizminister aber dann doch wahrscheinlich nicht vorbei kommen.

Wer allerdings glaubt, dass die Schlafkontrolle von Th. Middelhoff ein Einzelfall ist, der hat sich geirrt. Ich zitiere dazu aus eine Mail, die mich heute erreicht hat. Da heißt es u.a.:

 „…..aktuell steht bekanntlich die mittels Licht durchgeführte Überwachung von Herrn Middelhoff massiv in der Kritik (http://www.faz.net/aktuell/wissen/schlafentzug-von-gefangenen-ein-anschlag-auf-die-gesundheit-13525436.html).

Dies ist indessen nichts neues bzw. in der – auch und vor allem baden-württembergischen – Vollzugspraxis völlig üblich, ja sogar noch schlimmer. Beispielsweise werden in den Justizvollzugsanstalten des Landes Baden-Württemberg Gefangene, mit denen die Justizvollzugsanstalten zeitweise überfordert sind, im Rahmen sog. „besonderer Sicherungsmaßnahmen“ in einer „Beruhigungszelle“ untergebracht – in nacktem Zustand. Dabei wird dieser spezielle Haftraum permanent (also 24h) mit grellem Licht beleuchtet und zugleich per Kamera überwacht. Obwohl an diese – rein präventive – Maßnahme angesichts der Eingriffsintensität von Gesetzes wegen strenge Anforderungen gelten, wird sie viel zu leichtfertig verhängt.

Eine – mir vorliegende und im Anhang beigefügte – Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart belegt dies. In jenem Fall war der in der JVA Ravensburg inhaftierte Gefangene wegen eines „Wortwechsels“ mit einem Bediensteten in einem solchen Haftraum untergebracht worden. Das Oberlandesgericht ging davon aus, dass die Maßnahme „unter keinem Gesichtspunkt gerechtfertigt“ (also willkürlich) gewesen sei. Ferner warf es die Frage auf, wieso die JVA dem Gefangenen zur Wahrung seiner Menschenwürde – statt ihn nackt zu unterbringen – „nicht eine Ersatzkleidung (zur Not aus Papier)“ zur Verfügung gestellt habe. Da der Gefangene infolge der permanenten Beleuchtung des Haftraums mit grellem nicht habe schlafen können, wies das Oberlandesgericht darauf hin, dass das Licht prinzipiell „so weit abgedunkelt“ werden müsse, dass der Gefangene „Schlaf finden“ könne. Schließlich kritisierte das Gericht auch die Dauer der Maßnahme. Es sei „unklar, wieso die besondere Sicherungsmaßnahme über zwei Tage hinweg aufrechterhalten“ worden sei. Bezüglich letzterem ist zu erwähnen, dass die Unterbringung in einem derartigen Haftraum (Beruhigungszelle) ab dem dritten Tag der Genehmigung des Justizministeriums bedarf, weswegen die Justizvollzugsanstalten die Maßnahme ganz bewusst vor dieser Grenze beenden, um das Ministerium nicht informieren zu müssen. Denn eine Verpflichtung der Justizvollzugsanstalten zu einer abschließenden Meldung jeder einzelnen Unterbringung existiert nicht.

Erst jüngst hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die nackte Unterbringung eines Gefangenen in einer Beruhigungszelle als Verstoß gegen das Folter-Verbot gerügt und die Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung von 10.000 € Entschädigung verurteilt (http://www.lto.de/recht/hintergruende/h/egmr-ruegt-haftbedingungen-eine-woche-nackt-in-der-beruhigungszelle/).

Angeblich ist die baden-württembergische Justiz inzwischen (teilweise) dazu übergegangen, die Beruhigungszellen dergestalt umzufunktionieren, dass das Licht gedimmt werden kann. Aber auch hierfür gibt es keine Rechtsgrundlage. Das Bundesverfassungsgericht hat dies bereits im Jahr 2008 klargestellt (http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rk20080124_2bvr166106.html – Randnummer 43: „unzulässige […] unabgeschirmte Beleuchtung des Haftraums“). Dabei hat das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen, dass anstelle einer Beleuchtung oder Kameraüberwachung der Einsatz von Infrarot- bzw. Wärmebildtechnik oder nur eine „lediglich akustische“ Überwachung geprüft und erörtert werden müsse.

Schlafentzug wird auch in der baden-württembergischen JVA Heimsheim praktiziert, und zwar in der Weise, dass die Beleuchtung der (normalen) Hafträume in der Transportabteilung um 5:00 Uhr (von außen zentral) eingeschaltet wird. Dies soll offenbar dazu dienen, den Schlaf der Gefangenen (zwangsweise) zu beenden, damit nicht jeder Gefangene, der später per Transport in eine andere JVA verlegt werden soll, einzeln geweckt werden muss. Die Maßnahme dient mithin der „Entlastung“ der Bediensteten. Auch für diese Maßnahme gibt es freilich keine Rechtsgrundlage.

Ich lasse das mal unkommentiert stehen. Der Absender der Mail ist übrigens nach eigenen Angaben „im Vollzug tätig“. Und den oben angesprochenen OLG Stuttgart, Beschl. v. 15.11.2010 – 4 Ws 208/10 (V) – hat man gleich mitgeschickt. Wenn man das alles so liest, dann hat man schon den Eindruck: Guantanamo ist vielleicht gar nicht so weit weg.