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Und noch mal Akteneinsicht, oder: Verjährung bei der elektronischen Akte

© kostsov - Fotolia.com

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Und dann noch eine Entscheidung zur Akteneinsicht außerhalb des Mainstreams Messdaten usw. (vgl. dazu auch schon den AG Bad Saulgau, Beschl. v. 20.12.2016 – 1 OWi 273/16 und Mal was anderes zur Akteneinsicht, oder: Einsicht in die Bußgeldakte des Unfallgegners). Hier handelt es sich um den AG Bremen, Beschl. v. 01.11.2ß16 – 74 OWi 640 Js 16526/16 (179/16). Es geht um die Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung, weil dem AG nur ein nicht ordnungsgemäßer Ausdruck einer elektronischen Akte übersandt worden ist und auch nicht rechtzeitig nachgebessert wurde. Dazu das AG:

„Es besteht ein Verfahrenshindernis nach § 206a StPO, da eine ordnungsgemäße Akte nicht vorliegt und auch nicht vorgelegt werden kann. Übersandt wurde der Ausdruck einer bei der Verwaltungsbehörde elektronisch geführten Akte, die nicht die von § 110b Abs. 2 OWiG vorgeschriebenen Vermerke aufweist, obwohl die Akte offensichtlich eingescannte Dokumente enthält. § 110b Abs. 3 OWiG regelt, dass ein elektronisches Dokument, das unter Beachtung von § 110b Abs. 2 OWiG erstellt wurde, grundsätzlich die Papierakte ersetzt und für das Verfahren zugrunde zu legen ist. Ein Ausdruck dieses elektronischen Dokuments kann dann auch nach §§ 110b Abs. 3, 110d Abs. 3 OWiG für das gesamte weitere Verfahren, also auch das Gerichtsverfahren, die Akte darstellen. Wenn aber die elektronische Akte nicht ordnungsgemäß erstellt wird, dann ist der Ausdruck der elektronischen Akte im Umkehrschluss zu §§ 110b Abs. 3, 110d Abs. 3 OWiG nicht dem Verfahren zugrunde zu legen.

Entgegen § 110b Abs. 2 S.3 OWiG konnten trotz Anforderung binnen zwei Monaten weder die Originalunterlagen noch ein dem § 110b Abs. 2 OWiG entsprechender Ausdruck von der Verwaltungsbehörde vorgelegt werden, weshalb davon ausgegangen werden muss, dass eine ordnungsgemäße Akte vor Verjährungseintritt auch nicht mehr hergestellt werden kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 StPO, wobei zu berücksichtigen war, dass bei Übersendung der Unterlagen im Original oder mit Vermerken nach § 110b Abs. 2 OWiG aufgrund der vorliegenden Ausdrucke davon auszugehen ist, dass eine Verurteilung des Betroffenen wegen der ihm vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten war.“

Hätten Sie es gewusst?

Bremer Kuriosum: „wird der Rechtsanwalt … entschlagen“ oder doch „erschlagen“? :-)

© Alex White - Fotolia.com

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Für die Rubrik „Kurioses“ hat mir der Kollege Scheffler aus Bad Kreuznach (ja, das ist der mit dem Rheingold – vgl. „Rheingold! Reines Gold“, oder: Andere schreiben Anderes, vielleicht Bessers) den AG Bremen, Beschl. v. 01.04.2016 – 92a Gs 2601/16 (510 Js 41946115) – übersandt. Hintergrund der Entscheidung: Es handelt sich um einen BtM-Fall, es geht um 20 kg Heroin. Der Beschuldigte wird in der Nähe des Sitzes des Kollegen verhaftet. Der Kollege aus Bad Kreuznach wird beigeordnet. Die Ermittlungen werden aber von Bremen aus geführt, daher wird der Beschuldigte in der in JVA Bremen inhaftiert. Dort engagiert die Familie des Beschuldigten einen weiteren Verteidiger.

Auf die Distanz Bas Kreuznach/Bremen kann bzw. will der Kollege Scheffler nicht tätig werden und beantragt in Übereinstimmung mit dem neuen Kollegen seine Entpflichtung, was – so die Forumierung des Kollegen, „das AG Bremen mit bewundernswerter Einfachheit bewilligt hat.“ Und dazu heißt es dann im Beschluss:

„… wird Rechtsanwalt RA_1 entschlagen und dem Beschuldigten pp. stattdessen Rechtsanwalt RA_2 als Verteidiger beigeordnet.“

Ob der Formulierung „entschlagen“ bin ich nun irritiert. Habe ich in dem Zusammenhang noch nie gehört/gelesen.  Ob das „Entschlagen“ nun ein Schreibfehler ist oder eine typische Formulierung in Norddeutschland, weiß ich nicht, der Kollege Scheffler übrigens auch nicht. Wir hoffen, dass die Pflichtverteidiger in Bremen sonst nicht „erschlagen“ werden. Kurios ist es aber allemal. Aber vielleicht hat es ja auch mit dem Beschlussdatum zu tun: 1. April 2016 🙂 .

Lesenswert!! Welcher Maßstab bei der Erforderlichkeit von Kopien?

Hinweisen möchte ich heute auf eine m.E. sehr schöne Entscheidung des AG Bremen (Beschl. v. 06.01.2011 – 82 Ls 230 Js 8347/10 (8/10), die lesenswert für jeden Verteidiger ist. Sie setzt sich grundsätzlich mit der Frage auseinander, welcher Maßstab bei der (nachträglichen) Beurteilung der Erforderlichkeit von vom Verteidiger gefertigter Kopien anzulegen ist – in manchen AG-Bezirken ein „Dauerkampfplatz“.

Darüber hinaus setzt sich der Amtrichter mit dem Umstand auseinander, dass der Verteidiger die gesamte Akte kopiert hatte, was vom AG nicht beanstandet wird, und er gibt auch hinsichtlich einzelner Punkte, die in der Praxis immer wieder eine Rolle spielen, Argumentationshilfen. Das sind vor allem die Fragen der Notwendigkeit von Kopien des Aktendeckels, von Verfügungen des Gerichts, der Staatsanwaltschaft und der Polizei, von Kopien von Zustellungsurkunden, Schreiben des Verteidigers, bereits übersandter Schriftstücke und von Kopien von Auszügen aus dem BZR.

Wie schon geschrieben: Lesenswert.