Archiv für den Monat: Februar 2020

Die nicht erfüllte Rückrufaktion des Pkw-Herstellers, oder: Sofortige Betriebsuntersagung folgt

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In der zweiten Entscheidung, dem VG Cottbus, Beschl. v. 08.10.2019 – 1 L 502/19 – geht es um die Erfüllung einer Rückrufaktion des Herstellers eines Pkws durch den Halter. Nein: Nicht VW und Abgasskandal, sondern Mitsubishi. Zurückgerufemn wurde wohl wegen eines Prtoblems an den Scheibenwischern. Der Halter eines davon betroffenen Pkws wollte dem Rückruf nicht Folge leisten, was zu einer Betriebsuntersagung geführt hat, und zwar mit Anordnung der sofortigen Vollziehung. Der dagegen gerichtete Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hatte keinen Erfolg:

„Die Ermessensentscheidung des Gerichts fällt ebenfalls zu Lasten des Antragstellers aus, weil die angefochtenen Regelungen mit jedenfalls überwiegender Wahrscheinlichkeit rechtmäßig sind und Gründe der Verkehrssicherheit das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegen.“

Nach § 5 Abs. 1 der Verordnung über die Zulassung von Fahrzeugen zum Straßenverkehr (Fahrzeug-Zulassungsverordnung [FZV]) i. d. F. vom 06. Juni 2019 (BGBl. I S. 756) kann die Zulassungsbehörde dem Eigentümer oder Halter eine angemessene Frist zur Beseitigung der Mängel setzen oder den Betrieb des Fahrzeugs auf öffentlichen Straßen beschränken oder untersagen, wenn sich ein Fahrzeug als nicht vorschriftsmäßig nach der Fahrzeug-Zulassungsverordnung oder der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung erweist.

Das streitgegenständliche Kraftfahrzeug, ein Mitsubishi Outlander des Baujahrs 2005 – 2012, erweist sich nach dem maßgeblichen Kenntnisstand des Antragsgegners (vgl. VG Augsburg, Urt. v. 29. März 2016 – Au 3 K 15.1733 –, juris Rn. 42; Dauer in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 5 FZV Rn. 2 a. E.) als in diesem Sinne „nicht vorschriftsmäßig“. Zwar machen bereits der Wortlaut des § 5 Abs. 1 FZV („erweist sich“) und der systematische Zusammenhang mit § 5 Abs. 3 FZV („Besteht Anlass zu der Annahme“) deutlich, dass die dem Kraftfahrzeug fehlende Vorschriftmäßigkeit durch Offenkundigkeit oder durch Augenschein festgestellt, jedenfalls aber erwiesen, sein muss (Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Aufl. 2017, § 5 FZV Rn. 3; MüKoStVR/Huppertz, 1. Aufl. 2016, FZV § 5 Rn. 7; beide zit. nach https://beck-online.beck.de; Dauer in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 5 FZV Rn. 3). Davon ist jedoch – zumindest nach derzeitiger Sachlage in dem vorliegenden Eilverfahren – auszugehen.

Zwar ist das Kraftfahrzeug SPN-RG 300 entsprechend § 40 Abs. 2 S. 1 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) i. d. F. v. 26. April 2012 (BGBl. S. 679) mit „selbsttätig wirkenden Scheibenwischern“ ausgestattet und es ist im vorliegenden Einzelfall gerade nicht festgestellt worden, dass eine „Korrosion innerhalb des Scheibenwischermotors oder des Wischergelenks“ vorläge. Hierauf kommt es in dem vorliegenden Zusammenhang jedoch bei summarischer Prüfung auch nicht entscheidend an. Der Antragsteller berücksichtigt nicht hinreichend, dass sein Kraftfahrzeug einer vom Kraftfahrt-Bundesamt überwachten Rückrufaktion des Fahrzeugherstellers unterliegt und dass es im Zuge dieser Aktion der individuellen Feststellung eines konkreten Mangels nicht bedarf. Ein vom Kraftfahrt-Bundesamt überwachter Rückruf durch den Hersteller erfolgt, wenn dieser Informationen darüber hat, dass ein Produkt ein ernstes Risiko darstellt. Im Rahmen der Rückrufaktion ist eine maximale Erfüllungsquote anzustreben, zu deren Erreichung in der Regel die Halter aller betroffenen Fahrzeuge, die zum Zeitpunkt des Rückrufs in der Bundesrepublik Deutschland als zugelassen oder im Verkehr befindlich im Zentralen Fahrzeugregister registriert sind, zu informieren sind (vgl. unter Nr. 2.2.4.2 und 2.5, S. 7, des Kodex zur Durchführung von Rückrufaktionen des Kraftfahrt-Bundesamtes, Stand: September 2019, zit. nach: https://www.kba.de/DE/Marktueberwachung/Rueckrufe/Kodex/kodex_pdf.pdf?__blob=public-ation File&v=6). Das Kraftfahrzeug des Antragstellers unterliegt einer Rückrufaktion des Herstellers Mitsubishi, die offenbar bereits seit August 2017 in Amerika durchführt wurde und weltweit 688.000 Fahrzeuge, in Deutschland 25.000 Exemplare der Modelljahre 2006 bis 2012 betrifft. Die Vertragsbetriebe tauschen im Rahmen der Aktionen mit dem internen Code R30328 und R30341 sowohl Motor als auch Wischergestänge aus, weil es durch eine Korrosion im Inneren des Motors oder des Wischergelenkes zu einem plötzlichen Ausfall des Scheibenwischers kommen kann (vgl. https://www.kfz-rueckrufe.de/mitsubishi-outlander-rueckruf-nun-auch-in-europa/3985/ und https://www.kba-online.de/gpsg/auskunftServlet zur KBA-Referenznummer 7886).

Hiervon ausgehend sind sämtliche Kraftfahrzeuge, die der sachverständigen Einschätzung des Herstellers nach der Rückrufaktion unterliegen, (produkt-)mangelbehaftet, und zwar selbst dann, wenn sich der Mangel im Einzelfall noch nicht gezeigt oder ausgewirkt haben sollte. Entgegen der Auffassung des Antragstellers bedarf es – gerade im Rahmen des nicht auf eine Klärung des Sachverhalts angelegten Eilverfahrens – in diesem Zusammenhang nicht weiteren Nachforschungen, welche Umstände den Hersteller des Kraftfahrzeugs bewogen haben, die Rückrufaktion einzuleiten; dass dem Autohersteller für den Rückruf hinreichende Fakten vorlagen, kann schon mit Blick auf die hohen Kosten und den Imageverlust, die mit jeder – vorliegend gar offenbar weltweiten – Rückrufaktion eines Produkts für einen Hersteller verbunden sind, ohne Weiteres unterstellt werden (zu einer vergleichbaren Konstellation: VG Augsburg, Urt. v. 17. Februar 2012 – Au 3 K 11.1708 –, juris). Dass das Kraftfahrzeug des Antragstellers mangelfrei ist, wird von ihm nicht belegt, insbesondere ist auch der Umstand, dass vor Kurzem erfolgreich die Hauptuntersuchung durchgeführt wurde, schon deshalb ohne hinreichende Aussagekraft, weil in deren Rahmen jedenfalls eine Korrosion des Scheibenwischermotors kaum festgestellt werden dürfte.

Der Antragsteller ist auch zutreffend als Halter oder Eigentümer des Fahrzeugs in Anspruch genommen worden. Der Antragsteller stellt die Annahme des Antragsgegners, dieser sei jedenfalls Eigentümer des Kraftfahrzeugs nicht in Frage, und die Behörde dürfte auch zutreffend davon ausgegangen sein, dass der Antragsteller Halter, d.h. derjenige ist, der das Fahrzeug für eigene Rechnung in Gebrauch hat und der die Verfügungsgewalt besitzt (zu diesem Begriff etwa Urt. d. Kammer v. 11. Dezember 2014 – 1 K 118/13 –, Urteilsausfertigung [UA] S. 8 m. w. N.). So wird der Antragsteller nicht nur bei dem Antragsgegner, sondern etwa auch in dem von ihm nachgereichten Bericht des TÜV Rheinland als Halter bezeichnet.

Entgegen des Vorbringens des Antragstellers ist die angeordnete Betriebsuntersagung auch nicht wegen eines Ermessensausfalls rechtswidrig. Ein Entschließungsermessen steht dem Antragsgegner nicht mehr zu, nachdem der Antragsteller nicht an der Rückrufaktion des Fahrzeugherstellers teilgenommen und die ihm mit Schreiben vom 01. Juli 2019 gesetzte Frist, die Beseitigung der Mängel nachzuweisen, ungeachtet der am 16. Juli 2019 gewährten Fristverlängerung hat verstreichen lassen. Auch das Auswahlermessen des Antragsgegners war vorliegend gebunden, insbesondere ist eine praktikable Möglichkeit, den Betrieb des Fahrzeugs lediglich zu beschränken, nicht ersichtlich; die Hinweise des Antragstellers aus dem Schriftsatz vom 05. Oktober 2019 sind jedenfalls nicht geeignet, die naheliegende Annahme einer hohen Selbst- und Fremdgefährdung bei Ausfall des Scheibenwischers in Frage zu stellen.

Die Verpflichtung, das Kraftfahrzeug außer Betrieb zu setzen, ergibt sich aus § 5 Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 14 FZV. Die Androhung der Ersatzvornahme findet ihre Rechtsgrundlagen in den §§ 3, 27, 28 und 32 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Brandenburg (VwVGBbg); die fehlerhafte Angabe der Rechtsgrundlagen in dem angefochtenen Bescheid ist unschädlich, wenn und soweit – wie vorliegend – tatsächlich die Voraussetzungen einer Ermächtigungsgrundlage vorliegen.“

Die Rohmessdaten bei der Fahrtenbuchauflage, oder: Wir folgen dem VerfGH Saarland nicht…..

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Heute hier im „Kessel Buntes“ dann seit längerem mal wieder zwei verwaltungsrechtliche Entscheidungen.

Die erste, der VG Saarlouis, Beschl. v. 09.01.2020 – 5 L 1710/19 – steht in Zusammenhang mit einer owi-rechtlichen Problematik, nämlich der Anordnung zur Führung eines Fahrtenbuchs (§ 31a StVZO). Die dem Verfahren zugrunde liegende Geschwindigkeitsüberschreitung ist mit PoliScan FM1 gemessen worden. Nachdem man den Fahrer nicht hatte ermitteln können, ist gegen den Halter die Fahrtenbuchauflage ergangen. Dagegen hat der sich gewehrt und u.a. geltend gemacht, dass man „seinem Kfz“ eine Geschwindigkeitsüberschreitung nicht nachweisen könne. Das ermittelte Messergebnis sei nicht verwertbar, da von dem Messgerät keine Rohmessdaten gespeichert werden. Also: Bezug auf die Rechtsprechung des VerfGH Saarland, Urt. v. 05.07.2019 – Lv 7/17.

Das VG Saarlouis, also aus dem Saarland, sieht das anders und hat in seinem umfangreichen Beschluss begründet warum. Hier die Leitsätze der Entscheidung:

1. Geeichte Geschwindigkeitsmessgeräte mit Bauartzulassung der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt erbringen bei Fehlen konkreter Anhaltspunkte für eine Fehlfunktion oder unsachgemäße Bedienung zumindest für die Anordnung zur Führung eines Fahrtenbuchs hinreichend verlässlich Beweis für eine Geschwindigkeitsüberschreitung (Fortführung VG des Saarlandes, Beschluss vom 23.12.2019 – 5 L 1926/19).

2. Es kann dahinstehen, ob bzw. inwieweit der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes zur Verwertbarkeit von Geschwindigkeitsmessungen im Bußgeldverfahren (Urteil vom 05.07.2019 – Lv 7/17) angesichts der beachtlichen Kritik der ganz überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung und Literatur an dieser Entscheidung zu folgen ist.

3. Es ist davon auszugehen, dass bei dem Messgerät Vitronic PoliScan Speed FM1 das Messergebnis aufgrund gesicherter Rohmessdaten im Sinne der Rechtsprechung des Saarländischen Verfassungsgerichtshofs grundsätzlich überprüfbar ist (Anschluss OLG Zweibrücken, Beschluss vom 23.07.2019 – 1 OWi 2 Ss Rs 68/19).

4. Die Anordnung zur Führung eines Fahrtenbuches stellt keine Strafe dar, sondern eine Maßnahme zur vorbeugenden Abwehr von Gefahren für die Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs (Anschluss OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.12.2018 – 8 B 1018/18).

5. In Verfahren betreffend den Erlass einer Fahrtenbuchauflage verpflichtet der Amtsermittlungsgrundsatz die Behörde nicht, ohne konkreten Anlass gewissermaßen „ins Blaue hinein“ das Ergebnis der Geschwindigkeitsmessung zu hinterfragen; anders als im Strafprozess genügt es im Verwaltungsverfahren, wenn mit hinreichender Sicherheit feststeht, dass ein Verkehrsverstoß begangen worden ist.

6. Geschwindigkeitsmessergebnisse, die mit amtlich zugelassenen Geräten in standardisierten Verfahren gewonnen werden, dürfen nach Abzug der Messtoleranz von Behörden und Gerichten im Regelfall ohne Weiteres zu Grunde gelegt werden; auch wenn kein standardisiertes Messverfahren angewandt wurde, ist eine Prüfung möglicher Fehlerquellen erst dann geboten, wenn von dem Fahrzeughalter Unstimmigkeiten der Messung aufgezeigt werden oder sie sich der Behörde aufdrängen müssen.

Schon beachtlich, was man für eine Mühe verwendet, um zu begründen, warum man dem „eigenen“ VerfGH nicht folgt. Wobei ich – ohne das jetzt näher geprüft zu haben – so meine Bedenken habe, ob das richtig ist oder ob nicht für das Saarland die Bindungswirkung betreffend das Urteil vom 05.07.2019 eingreift.

Wahrscheinlich werden wir dazu dann aber etwas vom OVG Saarland hören. Die Richtung kann ich mir denken….

Ich habe da mal eine Frage: Muss da nicht eine Kosten(grund)entscheidung ergehen?

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Und dann noch das Gebührenrätsel, leider nicht zur Nr. 4142 VV RVG. Dazu habe ich keine Frage in meinem Ordner. Der ist eh ziemlich leer, so dass ich immer wieder auf Fragen zurückgreifen muss, die an anderer Stelle schon gestellt und auch schon beantwortet sind. So auch heute.

In der heutigen Frage geht es um die Erforderlichkeit einer Kostengrundentscheidung, und zwar im Verfahren über den Bewährungswiderruf bei der StVG. Der Kollege fragte:

„StA beantragt Bewährungswiderruf.

Gericht bestimmt Anhörungstermin, der auch stattfindet.

Gericht lehnt dann den Widerrufsantrag der StA als unbegründet ab.

Frage: Muss eine Kostenentscheidung bzgl. der notwendigen Auslagen des Verurteilten getroffen werden? Ich finde dazu im Gesetz leider nichts, außer bei KK-StPO, § 464, Rn. 3 („Bei sog. Nachtragsentscheidungen in Strafvollstreckungssachen nach §§ 453 ff., ua für zu Gunsten oder Ungunsten des Verurteilten getroffene Entscheidungen im Prüfungsverfahren nach § 57 StGB, ist im ersten Rechtszug für eine Kosten- und Auslagenentscheidung kein Raum“).

Kann doch nicht sein, dass der Verurteilte hier auf seinen Anwaltskosten sitzen bleibt, wenn der (aussichtslose) Widerrufsantrag der StA nicht erfolgreich war.“

Nun?

Wann entsteht die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV RVG?, oder: Kein Eiertanz in Sachsen

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Das zweite Posting des Tages befasst sich – wie angekündigt – auch mit der Nr. 4142 VV RVG. Ich stelle dazu zwei Entscheidungen vor, und zwar den LG Chemnitz, Beschl. v. 09.01.2020 – 4 KLS 310 Js 40553/18 – und die dazu gehörende Beschwerdeentscheidung, den OLG Dresden, Beschl. v. 14.02.2020 – 1 Ws 40/20. Beide Entscheidungen hat mir der Kollege Kohn aus Chemnitz geschickt.

Und beide Entscheidungen machen – in Zusammenhnag mit der Festsetzung des Gegenstandswertes – um das Entstehen der Nr. 4142 VV RVG nicht viel Federlesens, oder man könnte auch sagen: Keinen Eiertanz in dem Bestreben, die Gebühr möglichst nicht festsetzen zu müssen, wie einige andere LG und OLG es getan haben. Das ein oder andere Gericht wäre darauf angesichts eines im Raum stehenden Gegenstandswertes von rund 270.000 EUR sicherlich gekommen.

Das LG Chemnitz führt dazu „nur“ aus:

Auf zulässigen Antrag des Pflichtverteidigers war der Gegenstandswert für die Ermittlung der Verfahrensgebühr nach Nr. 4142 RVG auf 269.546,09 € festzusetzen.

Bei der Gebühr nach Nr. 4142 RVG handelt es sich um eine besondere, als Wertgebühr ausgestaltete Verfahrensgebühr. Sie entsteht (zusätzlich) für Tätigkeiten des Rechtsanwaltes bei Einziehung oder verwandten Maßnahmen, hier also solchen nach § 73 StGB. Dabei genügt es, dass in dem Verfahren, in dem der Rechtsanwalt als Verteidiger tätig wird, eine Einziehung in Betracht zu ziehen ist. Es ist insbesondere nicht erforderlich, dass die Einziehung bereits beantragt ist, es reicht vielmehr aus, wenn nach Aktenlage eine Einziehung ernsthaft in Betracht kommt. Nach der Novellierung der Einziehungsvorschriften ist gerade bei Verfahren wegen des Vorwurfes der Steuerhinterziehung stets damit zu rechnen, dass im Wege der Vermögensabschöpfung die hinterzogenen Steuerbeträge eingezogen werden.

Besondere Tätigkeiten des Rechtsanwaltes sind dabei nicht erforderlich, da ihm die Gebühr als reine Wertgebühr – unabhängig vom Umfang der Tätigkeit – zusteht. Es genügt also, wenn der Rechtsanwalt — wie hier vorgetragen — beratend im Zusammenhang mit der drohenden Einziehung tätig wird.

Der Gegenstandswert richtet sich nach § 2 Abs. 1 RVG. Danach ist Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit der Anspruch auf Einziehung, auf den sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts bezieht. Gegenstandswert ist der objektive Geldwert des hinterzogenen Betrages in Euro, hier also 269.646,09 €.“

Eine solche Entscheidung kann die Staatskasse natürlich nicht hinnehmen. Da legt man Beschwerde ein – und scheitert beim OLG Dresden, das ausführt:

„Die Verfahrensgebühr nach Nr. 4142 W RVG entsteht für alle gerichtlichen und außergerichtlichen Tätigkeiten des Rechtsanwalts im Hinblick auf Einziehung oder verwandte Maßnahmen. Es kommt weder darauf an, ob der Erlass der Maßnahme rechtlich zulässig ist noch ob es an einer gerichtlichen Entscheidung über die Einziehung fehlt noch ist erforderlich, dass die Einziehung ausdrücklich beantragt worden ist. Es genügt, dass sie nach Lage der Sache in Betracht kommt (Burhoff/Volpert, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 5. Aufl. Nr. 4142 W Rdnr. 20 m.w.N.). Die Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV wird auch durch eine bloß beratende Tätigkeit des Rechtsanwalts ausgelöst (KG JurBüro 2005, 531). Erforderlich, aber auch ausreichend für das Entstehen der zusätzlichen Gebühr ist eine nach Aktenlage gebotene Beratung des Mandanten (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10. Dezember 2009 – 1 Ws 654/09 -). Das wird immer der Fall sein, wenn Fragen der Einziehung naheliegen. Letzteres hat das Landgericht mit zutreffender Begründung festgestellt.“

Gebühren im selbständigen Einziehungsverfahren, oder: Inkonsequentes LG Freiburg

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Heute am „Gebührentag“ zwei Postings zur zusätzlichen Verfahrensgebühr, das eine zu einer nicht ganz so schönen Entscheidung des LG Freiburg, und das andere zu einer Entscheidung des LG Chemnitz und der dazu ergangenen Beschwerdentscheidung des OLG Dresden.

Zunächst also der LG Freiburg, Beschl. v. 29.10.2019 – 16 Qs 30/19 – der zu folgendem Sachverhalt ergangen ist: Gegen den Betroffenen war am 30.8.2017 wegen eines Verstoßes gegen die SpielV und die GewO ein selbstständiger Einziehungsbescheid gem. § 29a Abs. 1, Abs. 5, § 87 Abs. 6 OWiG über 31.299,99 EUR nebst Auslagen ergangen. Ein Bußgeldbescheid wurde nicht erlassen. Nach Anzeige der Vertretung des Betroffenen durch den Rechtsanwalt und Einspruch gegen den Einziehungsbescheid durch diesen wurde das gerichtliche Verfahren im ersten Rechtszug am AG durchgeführt und mit Urteil eine Einziehung in Höhe von 20.000,00 EUR angeordnet. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ordnete das OLG Karlsruhe wegen Verfolgungsverjährung die endgültige Einstellung des Verfahrens an und legte die Kosten und notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse zur Last.

Mit seinem Kostenfestsetzungsantrag begehrt der Verteidiger aus einem Gegenstandswert von 31.303,49 EUR die Festsetzung der Gebühren Nr. 5100, 5103, 5109, 5113 und 5116 VV RVG sowie Auslagen in Höhe von insgesamt 2.080,12 EUR. Das AG hat nur die Gebühren Nrn. 5116, 7002 VV RVG festgesetzt und den Antrag des Verteidigers im Übrigen zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Verteidiger mit der sofortigen Beschwerde. Er verfolgt seinen Kostenfestsetzungsantrag weiter. Er Beschwerdeführer geht nunmehr davon aus, dass neben den Gebühren Nrn. 5100, 5103, 5109 und 5113 VV RVG die Gebühr Nr. 5116 VV RVG zweimal – für die Tätigkeit im ersten Rechtszug und in der Rechtsbeschwerde – angefallen sei. Das Rechtsmittel hatte (nur) teilweise Erfolg.

Das LG führt aus, dass der Bevollmächtigte des Betroffenen im Einziehungsverfahren vor dem Gericht des ersten Rechtzugs, also dem AG, tätig. Daher sei die Gebühr Nr. 5116 Abs. 1 VV RVG entstanden. Da der Bevollmächtigte zudem im Rechtsbeschwerdeverfahren tätig gewesen sei, sei insoweit nach Nr. 5116 Abs. 3 Satz 2 VV RVG die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5116 VV RVG noch einmal entstanden. Die 1,0 Verfahrensgebühr betrage hier im ersten Rechtszug 938,00 EUR (Gegenstandswert in Höhe von 31.303,49 EUR) und im zweiten Rechtszug 742,00 EUR (Gegenstandswert in Höhe von 20.000,00 EUR).

Und dann zur weiteren Vergütung: Insoweit ist ja umstritten, ob im selbständigen Einziehungsverfahren – hier nach § 29a OWiG – neben der Nr. 5116 VV RVG noch weitere Gebühren entstehen. Das wird in Literatur und Rechtsprechung uneinheitlich beurteilt.  Teilweise wird dies verneint (Mayer/Kroiß/Krumm, RVG, Vorbemerkung 5, Rn 38; OLG Karlsruhe RVGreport 2012, 301 = StRR 2012, 279 = VRR 2012, 319 m. jew. abl. Anm. Burhoff = AGS 2013, 173; LG Koblenz RVGreport 2018, 386 = AGS 2018, 494; LG Kassel RVGreport 2019, 343), nach anderer Auffassung bejaht (Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 24. Aufl.; 5116 VV Rn 1; Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Nr. 5116 VV Rn 5; LG Karlsruhe RVGreport 2013, 234 = AGS 2013, 230 = VRR 2013, 238 = RVGprofessionell 2013, 119 = StRR 2013, 310; LG Oldenburg JurBüro 2013, 135 = RVGreport 2013, 62 = VRR 2013, 159 = StRR 2013, 314 = RVGprofessionell 2013, 153 = AGS 2014, 65; LG Trier RVGreport 2016, 385 = VRR 10/2016, 20 = RVGprofessionell 2017, 102).

Das LG ist davon ausgegangen, dass neben der Verfahrensgebühr bei Einziehung Nr. 5116 VV RVG – auch die Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG als allgemeine Gebühr entstehen könne. Weitere Vergütung nach den Nrn. 5101 bis KV Nr. 5114 VV RVG falle jedoch nicht an. Das verneint das LG im Wesentlichen damit, dass dDie Gebührentatbestände für das Verwaltungsverfahren und für den ersten Rechtszug an die Höhe der verhängten Geldbuße anknüppfen. Daran werde deutlich, dass diese systematisch dem Bußgeldverfahren zugehörig seien. Im gerichtlichen Verfahren könnten daher Verfahrens- und Termingebühr gem. Nrn. 5107 bis 5112 VV RVG bereits deshalb nicht entstehen, da diese nach dem Vergütungsverzeichnis jeweils zwingend von der Höhe des im Verfahren verhängten Bußgeldes abhängig seien und durch die Höhe des Bußgeldes überhaupt erst bestimmbar werden.

Ich habe mit der Entscheidung erhebliche Probleme. Zutreffend ist die Festsetzung der zwei zusätzlichen Verfahrensgebühren Nr. 5116 VV RVG. Zutreffend ist es auch, dass das Ag dem Verteidiger des Betroffenen die Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG gewährt. Nicht nachzuvollziehen ist hingegen, warum nicht auch die vom Verteidiger geltend gemachten Gebühren Nrn. 5103, 5109 und 5113 VV RVG festgesetzt worden sind. Die für die Nichtgewährung vom LG angeführte Begründung trägt die Entscheidung nicht. Das LG verhält sich widersprüchlich, wenn es einerseits die Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG gewährt, weitere Gebühren aber nicht. Denn die Argumentation, mit der die Grundgebühr festgesetzt worden ist, hätte auch die Festsetzung der anderen Gebühren getragen. bzw.: Mit der Begründung, mit der die Gebühren Nrn. 5103, 5109 und 5113 VV RVG nicht festgesetzt worden sind, hätte auch die Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG nicht festgesetzt werden können.

Das LG hat die weitere Beschwerde gegen seine Entscheidung nicht zugelassen. Das wäre aber vielleicht angesichts der Unklarheiten in der Entscheidung und dem Umstand, dass man von der Rechtsprechung des OLG Karlsruhe (a.a.O.) zumindest teilweise abgewichen ist – das OLG Karlsruhe (a.a.O.) gewährt noch nicht einmal die Grundgebühr Nr. 5100 VV RVG, ratsam gewesen. So steht also nun neben den beiden oben dargestellten Auffassungen eine dritte im Raum. Dieses Durcheinander zeigt, dass der Gesetzgeber die Streitfrage allmählich durch eine gesetzliche Neuregelung klarstellen sollte.