Archiv für den Monat: September 2010

Gilt die 2-Wochen-Frist in Nr. 4141 VV RVG für „beide Seiten“

Nach Nr. 4141 VV RVG verdient der Verteidiger die Befriedungsgebühr u.a. auch dann, wenn er seine Berufung mehr als Zwei-Wochen vor der Berufungshauptverhandlung zurücknimmt. Fraglich ist, ob diese Frist auch gilt, wenn der Verteidiger an der Rücknahme der Berufung der StA mitgewirkt hat, diese ihre Berufung dann aber später als zwei Wochen vor der Berufungshauptverhandlung zurücknimmt. Dazu hatte das LG Dresden vor einiger Zeit (vgl. LG Dresden RVGprofessionell 2010, 27 = RVGreport 2010, 69 = VRR 2010, 239) entschieden, dass die Frist in Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 3 Halbsatz 2 VV RVG teleologisch dahingehend reduziert werden müsse, dass sie nur auf die Rücknahme der Berufung seitens des Angeklagten Anwendung findet. Das hat das OLG Dresden in seinem Beschl. v. 01.09.2010 – 2 Ws 111/10 – jetzt anders gesehen und den Beschluss des LG aufgehoben. In der Sache war der Angeklagte wegen eines Verstoßes gegen das BtM-Gesetz verurteilt worden. Dagegen hatte die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt, die hinsichtlich des Strafmaßes Erfolg hatte. Auf die Revision des Angeklagten hat das OLG das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das LG zurückverwiesen. Dann hat die stA ihr Rechtsmittel zurückgenommen. Der Verteidiger hatte argumentiert: Wegen meiner Revisionsbegründung. Das OLG sagt über die Fristproblematik hinaus: Selbst wenn, gibt es dafür keine Gebühren. Das ist keine Mitwirkung.

Umpflichtung des (Pflichtverteidigers) mit zeitlicher Beschränkung – ist das zulässig?

 Mal wieder eine gebührenrechtliche Frage aus dem Forum auf meiner HP www.burhoff.de, die in er Praxis immer wieder eine Rolle spielt.

Der Verteidiger fragt:

Ich verteidige einen Mandanten seit 1.6.2010 in einem Verfahren vor dem AG L.. Der bisherige Pflichtverteidiger wird entpflichtet und ich werde durch Beschluss vom 1. 7. 2010 zum neuen Pflichtverteidiger bestellt, und zwar wörtlich „ab 1. 7. 2010“.
Rechtspflegerin beim AG Lüdenscheid meint nun, Gebühren und Auslagen für Tätigkeiten vor dem 1.7.2010 seien nicht zu erstatten. Trotz meines Hinweises auf §
48 Abs. 5 S. 1 RVG werden die von mir insoweit angemeldeten Gebühren und Auslagen vom Justizamtsrat abgesetzt. Der Bezirksrevisor beim LG Hagen meint, meine Erinnerung hiergegen sei unbegründet. Bei der Festsetzung sei der Urkundsbeamte an den Beiordungsbeschluss gebunden. Selbst die Grundgebühr hätte nicht festgesetzt werden dürfen. Insoweit legt er sogar Anschlusserinnerung ein.
M.E. ist das grober Unfug oder übersehe ich irgendwas?

Ich habe geantwortet:

Hallo, m.E. nicht zulässig, aber leider eine Einschränkung, die von den Gerichten immer wieder gemacht wird und dazu führt bzw. führen kann, dass der neue Verteidiger nur die Terminsgebühr erhält. Der Grundsatz ist nach § 48 Abs. 5 S. 1 RVG aber ein anderer. Ich gehe mal davon aus, dass ein „notwendiger Verteidigerwechsel“ vorgelegen hat (Fall des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO), oder?. Die Konstellation hat vor einiger Zeit das LG Osnabrück (vgl. hier) entschieden, allerdings auch zu Ungunsten (und m.E. auch falsch). Die Entscheidung mit Anmerkung finden Sie in StRR 2010, 270 = StV 2010, 563 (dort allerdings ohne die gebührenrechtliche Passage). Sie sollten gegen die Argumentation der Staatskasse die Rechtsprechung zur „Erstattung der Gebühren für mehrere Verteidiger“(vgl. zu dieser Problematik Volpert in: Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen, 2. Aufl., ABC-Teil: Kostenfestsetzung in Straf- und Bußgeldsachen, Rn. 27 ff.) geltend machen und sich darauf berufen, dass nach der Rechtsprechung der Obergerichte, die beschränkte Beiordnung „zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts“ zutreffend als unzulässig angesehen wird (vgl. dazu Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 5. Aufl., 2010, Rn. 1200 m.w.N.). Letzeres passt auf Ihren Fall.“

Ich bin gespannt, was daraus wird. Das ist sicherlich eine Problamtik, die – vor allem im Bereich des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO – von großer praktischer Bedeutung ist. Vielleicht liefert mir der Kollege ja noch ein wenig Sachverhalt nach. Dann werde ich weiter berichten.

Mal wieder was zur Verständigung – jetzt zu den Hinweispflichten

Die Verständigung (§ 257c StPO) ist bei den Instanzgerichten und auch beim BGH angekommen. Das zeigen deultich die vermehrt veröffentlichten Entscheidungen des BGH. So auch der Beschl. v. 17.08.2010 – 4 StR 228/10, in dem ein Verstoß gegen § 257c Abs. 5 StPO gerügt worden war; offenbar war nicht belehrt worden. Allerdings ohne Erfolg. Der BGH führt aus:

„Der Senat braucht auf die – zulässig erhobene – Rüge, das Tatgericht habe bei der getroffenen Verständigung gegen die Hinweispflichten in § 257c Abs. 5 StPO verstoßen, nicht näher einzugehen. Denn jedenfalls beruht das Urteil nicht auf einem etwaigen Verstoß. Die Strafkammer hat die Urteilsabsprache, insbesondere die hierbei angekündigte Strafobergrenze von vier Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe eingehalten. Ob Fälle denkbar sind, in denen – wie die Revision meint – sich ein Angeklagter allein auf Grund der Hinweise auf die „Risiken eine(r) Verfahrensabsprache im Falle eines Scheiterns“ dazu veranlasst sieht, eine „streitige“ Verhandlung vorzuziehen, bedarf hier kei-ner Entscheidung (vgl. § 257c Abs. 4 StPO und zu dessen praktischer Bedeu-tung Altenhain/Haimerl JZ 2010, 327, 332). Jedenfalls in dem hier zu beurteilenden Einzelfall sind keine Gründe erkennbar, die den Angeklagten W. auch nur im Entferntesten dazu verlasst haben könnten, auf eine Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO (vgl. zu deren Zweck BT-Drucks. 16/12310 S. 15) die schließlich getroffene und ihm günstige Verständigung abzulehnen. Immerhin war ihm mit der Anklage ein Verbrechen des besonders schweren Raubes vor-geworfen worden, für das § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB eine Strafuntergrenze von fünf Jahren vorsieht. Unter diesen Umständen kann der Senat ausschließen, dass der Angeklagte eine Absprache, die ihm – ausgehend von einem ungeladenen Zustand der mitgeführten Schreckschusspistole – eine Strafobergrenze von vier Jahren und sechs Monaten in Aussicht stellte, abgelehnt und sich auf eine streitige Verhandlung eingelassen hätte. Eine Fehlvorstellung des verteidigten Angeklagten über Art und Umfang der Bindung des Tatgerichts vermag der Senat nicht zu erkennen.“

Entpflichtung des Pflichtverteidigers, ja oder nein? Warum fragt man nicht mal nach?

In den schwierigen Bereich der Pflichtverteidigerentpflichtung gehört die Entscheidung des OLG Celle v. 19.08.2010 – 1 Ws 419/10. Dort war offenbar unter den Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 Nr. 4 StPO dem Beschuldigten – mit dessen Einverständnis – weil er einen anderen Rechtsanwalt nicht kannte – so sagt es offenbar das Protokoll (?), die Beschwerdebegründung sagt etwas anderes – ein Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Dann meldet sich ein Wahlverteidiger und beantragt seine Beiordnung und die Entpflichtung des ersten Pflichtverteidigers. Der Antrag hat keinen Erfolg, u.a. auch deshalb, weil der Beschuldigte der Beiordnung zugestimmt habe. Zudem scheide eine Beiordnugn/Umpflichtung aus, wenn die Bevollmächtigung des Wahlanwalts nur erfolgt, um die Entbindung des bisherigen Pflichtverteidigers zu erzwingen und zu erreichen, dass der Wahlverteidiger an dessen Stelle Pflichtverteidiger wird.

Na ja, ob das so richtig ist, habe ich meine Zweifel. Letztlich kann man die Frage aber, ohne Kenntnis der Akten, nicht abschließend beurteilen. Dafür müsste man mehr um die Umstände der Beiordnung wissen. Die liegen im Dunklen, denn m.E. stehen sich „Aussage gegen Aussage“ gegenüber. Hat der Beschuldigte nun zugestimmt, oder nicht. wenn nicht, wäre m.E. zu entpflichten gewesen. Das hat in dem Zusammenhang auch schon bei einer ähnlichen Fallgestaltung das OLG Düsseldorf entschieden. So bleibt nur die Frage: Warum hat das OLG nicht einfach mal beim Amtsrichter nachgefragt.? Vielleicht ist ja auch nur das Protokoll nicht richtig. Soll ja vorkommen.

Pflichtverteidiger bei unzulässiger Videomessung – jetzt nicht mehr?

Spät kommt sie, aber sie kommt. Die Entscheidung eines OLG zur Frage, ob dem Betroffenen im OWi-Verfahren, in dem es um die Fragen der unzulässigen Videomessung auf der Grundlage von 2 BvR 941/08 geht, ggf. ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden muss. Das OLG Dresden hat das jetzt in seinem Beschl. v. 30.08.2010 – Ss (OWi) 812/09 – bejaht und – weil das AG einen Pflichtverteidiger nicht beigeordnet hatte – das amtsgerichtliche Urteil auf die Rüge nach § 338 Nr. 5 StPO hin aufgehoben. Es sieht die zu lösenden Rechtsfragen als schwierig an. Nur schade, dass die Entscheidung so lange hat auf sich warten lassen. Das amtsgerichtliche Urteil ist vom 03.11.2009. Ob auch heute noch ein Pflichtverteidiger beigeordnet werden muss bzw. wird/würde, wage ich nach den beiden Entscheidungen des BVerfG vom 05.07.2010 ( 2 BvR 759/10) und vom 12.08.2010 (2 BvR 1447/10) zu bezweifeln. Die Gerichte werden jetzt sicherlich argumentieren (können): Schwierig war es, jetzt ist es aber das nicht mehr. Aber: Versuchen kann man es ja mal, unter Hinweis auf die Entscheidung die Beiordnung als Pflichtverteidiger zu beantragen.