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Jugendstrafe II: Die „besondere Schwere der Schuld“ im JGG-Verfahren

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Nach dem BGH, Beschl. v. 19.04.2016 – 1 StR 95/16 (dazu Jugendstrafe I: Jugendstrafe muss erziehen)  der Hinweis auf den BGH, Beschl. v. 22.06.2016 – 5 StR 524/15. Die zur Aufnahme in BGHSt bestimmte Entscheidung befasst sich mit dem Merkmal der besonderen Schwere der Schuld in § 105 Abs. 3 Satz 2 JGG. Der BGH sagt: Auf dieses Merkmal sind die von der Rechtsprechung zu § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB entwickelten Maßstäbe anzuwenden:

b) Der Rechtsfolgenausspruch erweist sich ebenfalls als rechtsfehlerfrei. Weder gegen die Anwendung von Jugendrecht auf den Angeklagten nach § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG noch gegen die Verhängung von Jugendstrafe gemäß § 17 Abs. 2 JGG ist von Rechts wegen etwas zu erinnern. Dies gilt schließlich auch für die Anwendung des § 105 Abs. 3 Satz 2 JGG und die ihr zugrunde liegende Annahme der besonderen Schwere der Schuld des Angeklagten.

aa) Die Entscheidung der Frage, ob die besondere Schwere der Schuld zu bejahen ist, hat das Tatgericht unter Abwägung aller im Einzelfall für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände zu treffen (vgl. BGH, Großer Senat für Strafsachen, Beschluss vom 22. November 1994 – GSSt 2/94, BGHSt 40, 360, 370; Urteile vom 2. März 1995 – 1 StR 595/94, BGHSt 41, 57, 62; vom 18. Juni 2014 – 5 StR 60/14, BGHR StGB § 57a Abs. 1 Schuldschwe-re 29). Dem Revisionsgericht ist bei der Nachprüfung der tatgerichtlichen Wer-tung eine ins Einzelne gehende Richtigkeitskontrolle versagt. Es hat nur zu prü-fen, ob das Tatgericht alle maßgeblichen Umstände bedacht und rechtsfehler-frei abgewogen hat; es ist aber gehindert, seine eigene Wertung an die Stelle derjenigen des Tatgerichts zu setzen (BGH, Urteil vom 30. März 2006 – 4 StR 567/05, NStZ 2006, 505, 506; Beschluss vom 20. August 1996 – 4 StR 361/96, BGHSt 42, 226, 227).

bb) Die angefochtene Entscheidung hält entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts im Ergebnis revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.

(1) Die von der Rechtsprechung zu § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB entwickelten Maßstäbe sind gleichermaßen auf § 105 Abs. 3 Satz 2 JGG anzuwenden (vgl. BeckOK JGG/Schlehofer, Stand: 15. März 2016, § 105 Rn. 23 l ff.). Hierfür spricht bereits der insoweit identische Wortlaut der beiden Vorschriften. Darüber hinaus steht diese Auslegung im Einklang mit dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers. Die Begründung des Koalitionsentwurfs führt hierzu aus: „Auch wenn das Jugendstrafrecht vom Erziehungsgedanken geleitet wird und insbesondere bei seiner Anwendung im Einzelfall erzieherische und spezialpräventiv behandlungsorientierte Aspekte im Vordergrund stehen, bleibt es vom Ausgangspunkt her Strafrecht und muss deshalb angemessene Reak-tionsmöglichkeiten auf strafrechtlich vorwerfbares Unrecht bereitstellen“ (BT-Drucks. 17/9389 S. 8). Durch § 105 Abs. 3 Satz 2 JGG soll demnach in Fällen des Mordes einer besonders schweren Schuld Rechnung getragen wer-den können, wenn das allgemeine Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende von zehn Jahren dafür im Einzelfall auch unter Berücksichtigung des das Jugendstrafrecht leitenden Erziehungsgedankens nicht ausreicht (vgl. BT-Drucks. aaO S. 8 f., 20); aufgrund dieser gesetzgeberischen Entscheidung kommt hier dem Gebot gerechten Schuldausgleichs gegenüber dem Erzie-hungsgedanken Vorrang zu. Dieser ist im Übrigen Grund dafür, dass im Unterschied zum allgemeinen Strafrecht das Höchstmaß der Jugendstrafe zeitlich begrenzt ist.

(2) Das Landgericht hat – ersichtlich unter Berücksichtigung des Erzie-hungsgedankens – bei der Prüfung des § 105 Abs. 3 Satz 2 JGG alle maßgeblichen Umstände bedacht und rechtsfehlerfrei abgewogen. Zwar hat es sie bei diesem gesonderten Zumessungsschritt nicht (nochmals) ausdrücklich benannt. Es hat aber – in zulässiger Weise – auf seine konkreten Strafzumessungserwägungen Bezug genommen.

Als für den Angeklagten sprechende Umstände hat es insbesondere seine bisherige Unbestraftheit, die durch seine Verteidiger in der Hauptverhandlung abgegebene Erklärung, dass er die Tat nicht abstreite, die Zahlung von 500 € als Schmerzensgeld an den Nebenkläger H. und seinen Versuch gewertet, sich bei den Eltern der Getöteten zu entschuldigen; insgesamt hat es keine für den Angeklagten sprechenden Umstände übersehen.

Diebstahl hat zu Mord i.d.R. keine enge Beziehung

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Jetzt dann mal eine Entscheidung aus einem ganz anderen Bereich, und zwar „großes Kino“ = die besondere Schwere der Schuld beim Mord (§ 57a StGB). Ich meine, dass ich dazu bislang noch nie gepostet hatte. Zu der Frage bin ich aber vor einiger Zeit auf eine ganz interessante Entscheidung des BGH gestoßen, nämlich den BGH, Beschl. v. 19.05.2015 – 1 StR 152/15. Sachverhalt und Problem dann wie folgt: Das LG hatte den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und dabei auch festgestellt, dass die Schuld besonders schwer wiegt (§ 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB). Dagegen die Revision des Angeklagten mit der u.a. die Bejahung der besonderen Schuldschwere angegriffen worden ist. Und der Angeriff hat Erfolg:

„Jedoch hält die Begründung, mit der das Landgericht die besondere Schuldschwere im Sinne des § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB bejaht hat, rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Zwar obliegt es dem Tatrichter, unter Würdigung aller hierfür erheblichen Umstände die Schuld des Angeklagten im Sinne der §§ 46, 57a StGB zu gewichten; das Revisionsgericht darf seine Wertung nicht an die Stelle derjenigen des Tatrichters setzen (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 20. August 1996 – 4 StR 361/96, BGHSt 42, 226, 227; BGH, Beschluss vom 5. April 2001 – 4 StR 106/01, NStZ-RR 2001, 296 jeweils mwN). Doch auch nach diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab erweist sich die tatrichterliche Entscheidung als rechtsfehlerhaft.

Das Landgericht hat schulderschwerend gewertet, dass der auch wegen Diebstahls vorgeahndete Angeklagte noch während der Unterbringung in der Entziehungsanstalt im Rahmen der gewährten Vollzugslockerungen Diebstahlstaten begangen hat. Das wegen der dahingehenden Vorwürfe geführte Ermittlungsverfahren ist nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellt worden.

Zwar hat sich das Landgericht davon überzeugt, dass die eingestellten Diebstahlsvorwürfe zutreffen. Dennoch erweist sich die Berücksichtigung dieser Taten zu Lasten des Angeklagten bei der Gewichtung der Schwere der Mordschuld als rechtsfehlerhaft. Bei der Bewertung sonstiger strafrechtlich relevanter Verhaltensweisen ohne gesonderte Anklage – bei Beachtung der Unschuldsvermutung und der Vermeidung einer Doppelbestrafung – kann es in aller Regel nur darum gehen, Umstände festzustellen, die wegen ihrer engen Beziehung zur Tat als Anzeichen für Schuld oder Gefährlichkeit des Täters verwertbar sind. Diese durch Sinn und Zweck von § 46 Abs. 2 StGB gezogene Grenze ist jedenfalls dann überschritten, wenn es an dem notwendigen inneren Zusammenhang mit dem angeklagten Tatvorwurf fehlt (BGH, Beschluss vom 19. November 2013 – 4 StR 448/13, NStZ 2014, 202 mwN). Eine solche enge Beziehung der Diebstahlstaten zum Mord ist hier nicht dargetan (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 8. August 2001 – 3 StR 162/01). Denn es handelt sich bei diesen Taten weder um vergleichbare bzw. gleichartige Schuldvorwürfe, aus de-nen sich unmittelbare Rückschlüsse auf die Tatschuld des Angeklagten ableiten ließen, noch waren die Diebstahlstaten Anlass für die Tötung der Geschädigten oder standen dazu in einem sonstigen inneren Zusammenhang.“

Und noch mal Mord – Habgier + Heimtücke = „besondere Schwere der Schuld“?

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Nach Mord – niedriger Beweggrund? zum BGH, Beschl. v.  26.03.2014 – 2 StR 505/13 – heute dann noch einmal der Tatbestand des Mordes, nun aber zum Merkmal der „besonderen Schwere der Schuld“. Für Verteidiger in Kapitalsachen immer auch Ziel der Verteidigung in „Kapsachen“, die Feststellung der besonderen Schuldschwere zu vermeiden, um die daran geknüpfte Mindestverbüßungsdauer zu vermeiden. Im BGH, Beschl. v. ‌23‌.‌01‌.‌2014‌, 2 StR ‌637‌/‌13‌ – hatte der BGH es nun mit zwei Mordmerkmalen zu tun. Das LG hatte darauf die Annahme der besonderen Schuldschwere gestützt.

Dazu der BGH: Er ist der Ansicht, dass die Verwirklichung zweier Mordmerkmale nicht per se zu besonderer Schuldschwere führt. Die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld bei einer Verurteilung wegen Mordes habe vielmehr zur Voraussetzung, dass das gesamte Tatbild einschließlich der Täterpersönlichkeit von den erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Mordfällen so sehr abweicht, dass eine Strafaussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe nach 15 Jahren auch bei dann günstiger Täterprognose unangemessen wäre. Das Zusammentreffen zweier Mordmerkmale führe aber für sich genommen nicht ohne weiteres zur Bejahung der besonderen Schuldschwere, und zwar auch dann nicht, wenn die Mordmerkmale auf materiell verschiedenen schulderhöhenden Umständen beruhen, hier waren es die Mordmerkmale Habgier und Heimtücke. Erforderlich sei auch in diesem Fall eine Gesamtwürdigung anhand der Umstände des Einzelfalles.

Schnittstelle „Besondere Schwere der Schuld“ und „minder schwerer Fall“

Eigentlich m.E. keine Besonderheit, auf die das OLG Hamm in seinem Beschl. v. 08.06.2010 – III 3 RVs 6/10 zur Strafzumessung hingewiesen hat bzw. hat hinweisen müssen. Nämlich, dass im JGG-Verfahren die besondere Schwere der Schuld i.S. des § 17 Abs. 2 JGG vor allem dann näherer Prüfung bedarf, wenn ein minder schwerer Fall (des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln) in Betracht zu ziehen ist. Denn bei Bewertung der Tat als minder schwerer Fall stellt sich die Frage, ob angesichts dessen die von dem Angeklagten begangene Tat objektiv noch ein ausreichendes Gewicht aufweist, um eine besondere Schuldschwere begründen zu können.

Sollte man in „passenden“ Fällen dran denken.