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Hilfe beim Vermeiden eines Fortsetzungstermins, oder: LG Bochum „repariert“ AG Herne-Wanne

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Und als zweite Entscheidung dann der LG Bochum, Beschl. v. 20.12.2024 – 9 Qs 35/24 – viel „frischer“ geht es kaum. Bei der Entscheidung handelt es sich um die Beschwerdeentscheidung zum AG Herne-Wanne, Beschl. v. 23.04.2024 – 44 OWi-152 Js 120/24-12/24, über den ich hier ja auch berichtet habe (vgl. Hilfe beim Vermeiden eines Fortsetzungstermins, oder: Fortsetzungstermin ist nicht „die Hauptverhandlung“).

Folgender Sachverhalt: Das AG Herne-Wanne hatte in seinem Beschluss eine zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 5151 VV RVG festgesetzt, obwohl „nur“ ein Fortsetzungstermin entfallen war, was der h.M. zu der Frage widerspricht. Ich hatte in meinem Posting dazu dann ja Stellung genommen und angedeutet, dass der Bezirksrevisor das nicht hinnehmen wird. Und genau das ist eingetreten. Der Bezirksrevisor hat Beschwerde eingelegt. Und er hat beim LG Bochum Recht bekommen. Das hat den AG Herne-Wanne-Beschluss aufgehoben:

„Die sofortige Beschwerde ist auch begründet.

Das Amtsgericht Herne-Wanne hat rechtsfehlerhaft bei der Festsetzung der notwendigen Auslagen des Betroffenen eine Gebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG zuzüglich Mehrwertsteuer in Ansatz gebracht. Eine Gebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG ist im hiesigen Verfahren jedoch nicht entstanden.

Eine Gebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG entsteht lediglich dann, wenn durch die anwaltliche Mitwirkung das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde erledigt oder die Hauptverhandlung entbehrlich wird. Dies ist im hiesigen Verfahren nicht der Fall gewesen.

Vorliegend ist es zwar durch anwaltliche Mitwirkung zu einer Einstellung des Verfahrens in der Hauptverhandlung gekommen, aufgrund derer es einer Anberaumung weiterer Hauptverhandlungstermine nicht mehr bedurft hat. Die Gebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG entsteht jedoch nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur, der sich die Kammer nach eigener kritischer Prüfung anschließt, dann nicht, wenn die Einstellung – wie vorliegend – in der Hauptverhandlung erfolgt, selbst wenn dadurch weitere Hauptverhandlungstage entbehrlich werden (vgl. Burhoff/ Volpert, RVG, 6. Aufl. 2021, Nr. 5115 VV Rn. 21 (letzter Absatz) und Nr. 4141 VV Rn. 45 Nr. 14; HK-RVG/Krumm, 8. Aufl. 2021, RVG W 5115 Rn. 7 m. w. N.; BeckOK RVG/Knaudt, 64. Ed. 1.6.2024, RVG VV 5115 Rn. 11.1 m. w. N.; Ahlmann/ Kapischke/Pankatz/Rech/Schneider/Schütz/Kapischke, 11. Aufl. 2024, RVG VV 5115 Rn. 3 m. w. N.; LG Siegen, Beschluss vom 03.07.2020, 10 Qs 61/20, BeckRS 2020,37917; vgl. zu Nr. 4141 VV RVG: BGH, Urteil vom 14.04.2011, IX ZR 153/10, NJW 2011, 3166 m. w. N.).

Eine Ausdehnung des Anwendungsbereiches auf die vorliegende Sachverhaltskonstellation ist auch entgegen der Rechtsauffassung des Verteidigers weder mit dem Wortlaut noch mit dem Sinn und Zweck des Gebührentatbestandes in Einklang zu bringen.

Nach dem Wortlaut des Gebührentatbestandes entsteht die Gebühr gemäß Nr. 5115 VV RVG lediglich dann, wenn durch die anwaltliche Mitwirkung die Hauptverhandlung entbehrlich wird. Im Hinblick auf den Grundsatz der Einheitlichkeit der Hauptverhandlung kann die Frage der Entbehrlichkeit der Hauptverhandlung dabei nur einheitlich beantwortet werden (vgl. zu Nr. 4141 VV RVG: BGH, Urteil vom 14.04.2011, IX ZR 153/10, NJW 2011, 3166 m. w. N.). Unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes erfasst bereits der Wortlaut lediglich Sachverhaltskonstellationen, in denen die Hauptverhandlung in ihrer Gänze entfällt und nicht einzelne Hauptverhandlungstage einer als Einheit zu betrachtenden Hauptverhandlung durch eine Einstellung entbehrlich werden.

Gleiches gilt unter Zugrundelegung der Gesetzeshistorie und des Sinnes und Zweckes des Gebührentatbestandes. Die Gesetzesmaterialien führen zur ratio legis des Gebührentatbestandes aus, dass die Zusatzgebühr den Anreiz, Verfahren ohne Hauptverhandlung zu erledigen, erhöhen werde und somit zu weniger Hauptverhandlungen führen werde (vgl. Bundestagsdrucksache 15/1971, dort S. 227). Ziel der Regelung ist damit die Verringerung der Arbeitsbelastung der Gerichte; dieses Ziel soll durch eine adäquate Vergütung des Verteidigers bereits im Vorfeld der Hauptverhandlung erreicht werden (vgl. zu Nr. 4141 VV RVG: BGH, Urteil vom 14.04.2011, IX ZR 153/10, NJW 2011, 3166 m. w. N.). Auch dieser Normzweck spricht dafür, dass eine Einstellung, die innerhalb der Hauptverhandlung erfolgt, eine Befriedungsgebühr nicht mehr auszulösen vermag (a. a. O.).“

Die Aufhebung der – für den Verteidiger positiven – Entscheidung des AG Herne-Wanne überrascht mich nicht. Die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur sieht die Frage des Entstehens der zusätzlichen Verfahrensgebühren Nr. 4141, 5115 VV RVG unter Hinweis auf den Wortlaut und die „Einheitlichkeit der Hauptverhandlung“ anders, als das AG es gesehen hatte. Deshalb hatte ich von Anfang an Zweifel am Bestand der Entscheidung, die sich nun bestätigt haben. Die Argumentation des Verteidigers, dass auch die Mitwirkung an einer Einstellung des Verfahrens in der Hauptverhandlung, die zum Entfallen von Fortsetzungsterminen führe, der Entlastung der Justiz diene, ist zwar nicht von der Hand zu weisen. Aber der Wortlaut der Vorschriften und die auch vom LG herangezogene „Einheitlichkeit der Hauptverhandlung“ lassen sich damit nicht überwinden. Letztlich ist die vom AG Herne-Wanne – gegen die h.M. – entschiedene Frage eine Frage, die sich nicht durch Auslegung und oder ggf. eine entsprechende Anwendung der Regelungen lösen lässt, sondern durch den Gesetzgeber gelöst werden muss. Aber: Welche gebührenrechtlichen Fragen löst der schon. Der bekommt ja – Stand heute – noch noch nicht einmal eine längst überfällige lineare Erhöhung der Gebühren auf die Reihe.

Zusätzliche Verfahrensgebühr, oder: Nicht beim Entfallen von Fortsetzungsterminen?

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Die zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG beschäftigt die Verteidiger, die Vertreter der Staatskasse, die Rechtsschutzversicherungen und damit dann letztlich auch immer wieder die Gerichte. Es handelt sich m.E. um die Gebührenziffer des VV zu der mit am meisten Rechtsprechung vorliegt, wenn es nicht sogar die Ziffer ist, zu der es die meisten Entscheidungen gibt. So dann jetzt auch das AG Hannover, Urt. v. 17.07.2018 – 571 C 4229/18 – mit einem ganz einfachen Sachverhalt:

Der ehemalige Angeklagte hat gegen seine Rechtsschutzversicherung die Zahlung einer zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4141 VV RVG geltend gemacht. Der Kläger war in einem Strafverfahren wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte sowie Körperverletzung von seinem jetzigen Prozessbevollmächtigten verteidigt worden. Das Strafverfahren ist dann in der Hauptverhandlung nach § 153a StPO (vorläufig) und nach Erfüllung von Auflagen dann endgültig eingestellt worden. Der Kläger hatte den Anfall der Nr. 4141 VV RVG u.a. mit dem Wegfall mehrerer Fortsetzungstermine begründet. Das AG hat die Klage abgewiesen:

„Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 196,35 € aus dem zwischen den Parteien bestehenden Rechtsschutzversicherungsvertrag. Entgegen der Ansicht des Klägers rechtfertigt die Einstellung des gegen ihn geführten Strafverfahrens wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte sowie Körperverletzung gem. § 153 a StPO in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Hannover am 25.01.2018 nicht die Entstehung der Zusatzgebühr nach Nr. 4141 Abs. 1 Nr. 1 RVG VV, deren Erstattung der Kläger begehrt. Diese Gebühr entsteht, wenn „das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt wird.“ Die Gebühr entsteht bei Einstellung des Verfahrens nach § 153 a StPO dabei nur, wenn die Einstellung nach Aussetzung der Hauptverhandlung erfolgt, nicht aber bei Abkürzung des Hauptverhandlungstermins durch Einstellung. Dies entspricht dem Ziel der Gebührenregelung einen Anreiz zu schaffen, Verfahren ohne Hauptverhandlung zu erledigen und damit weniger Hauptverhandlungen durchzuführen. Es kommt auch nicht darauf an, wiederum entgegen der Ansicht des Klägers, ob durch die Einstellung Fortsetzungstermine vermieden werden, da im Hinblick auf den Grundsatz der Einheitlichkeit der Hauptverhandlung deren Entbehrlichkeit auch nur einheitlich beurteilt werden kann. Ebenfalls nicht zur Entstehung der Gebühr führt, dass bei Nichterfüllung der Auflage eine neue Hauptverhandlung anberaumt werden müsste, da es sich hierbei um eine rein spekulative, vom Leistungswillen des Angeklagten abhängende, Erwägung handelt (vgl. insgesamt BGH, Urteil vom 14.04.2011, IX ZR 153/10). Daher kommt es auch nicht darauf an, dass der nunmehrige Prozessbevollmächtigte des Klägers die Auflagenerfüllung überwacht hat.“

Ich habe die Entscheidung für den RVGreport und den StRR kommentiert. Daraus hier nur ein Punkt:

„Nach Auffassung des AG haben auch die durch die Einstellung nach § 153 a StPO „vermiedenen“ Fortsetzungstermine nicht zum Anfall der Nr. 4141 VV RVG geführt. Auch das entspricht der herrschender Meinung in der Rechtsprechung und Literatur (OLG Köln RVGreport 2006, 152 = AGS 2006, 339 m. zust. Anm. Madert; AnwKomm-RVG/N. Schneider, VV 4141 Rn 64; Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, VV 4100 Rn 23; Jungbauer DAR 2008, 738), die auf die „Einheitlichkeit der Hauptverhandlung“ verweist (OLG Köln, a.a.O.). Diese Auffassung ist aber zu hinterfragen. Denn sie ist, wenn man vom Sinn und Zweck der Nr. 4141 VV RVG ausgeht, nämlich die Mitwirkung des RA an der Entlastung der Justiz zu honorieren bzw. einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass ihm aufgrund seiner Mitwirkung eine Hauptverhandlungsgebühr entgeht, nicht folgerichtig/konsequent. Denn auch in diesen Fällen verliert der RA/Verteidiger die Terminsgebühr(en) für die weiteren Hauptverhandlungstermine; zudem tritt auch eine Entlastung der Justiz ein.2

Also: Steter Tropfen höhlt den Stein…..