Besetzung I: Zurückweisung der Besetzungsrüge, oder: Ist eine Verfassungsbeschwerde zulässig?

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Auf geht es in die 8. KW./2022 – und wieder ohne Corona. Derzeit gibt es zu der Thematik weniger Entscheidungen. Gott sei Dank.

Ich stelle heute zwei Entscheidungen zu Besetzungsfragen vor, und zwar zunächst den BVerfG, Beschl. v. 16.12.2021 – 2 BvR 2076/21 u. 2 BvR 2113/21 – betreffend (erfolglose) Verfassungsbeschwerden bezüglich der Entbindung eines Schöffen im Strafprozess.

Folgender Sachverhalt: Grundlage ist ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das BtMG. Die Angeklagten rügen mit ihren Verfassungsbeschwerden einen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG missachtenden Entzug des gesetzlichen Richters. Sie machen geltend, der Kammervorsitzende habe in verfassungsrechtlich nicht mehr tragfähiger Weise die Verhinderung eines Schöffen angenommen. Im Besetzungsrügeverfahren nach § 222b Abs. 2 und Abs. 3 StPO hätten dann sowohl das LG Leipzig als auch das OLG Dresden in willkürlicher Weise über ihre Besetzungsrügen entschieden.

Einer der Hauptschöffen und die nach diesem Schöffen zu berufende Ersatzschöffin wurden vom Kammervorsitzenden – von den Angeklagten unbeanstandet – wegen Urlaubs von der Pflicht zum Schöffendienst entbunden. Auf Anordnung des Vorsitzenden lud die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle telefonisch den nächsten Hilfsschöffen. Die Beamtin fertigte eine Aktennotiz über das Gespräch, wonach der Schöffe mitgeteilt habe, er müsse am 09.082021 um 8:10 Uhr „einen Termin zur Führerscheinprüfung“ wahrnehmen. Der entsprechende Nachweis werde über die Fahrschule zugesandt. Noch am selben Tag leitete der Schöffe eine E-Mail der Fahrschule weiter, mit der ihm eine Mitarbeiterin einer Fahrschule die angekündigte Bescheinigung der Fahrschule zugesandt hatte. Er versah diese E-Mail mit einer Signaturzeile, die auf seinen Beruf als Prüfingenieur hinwies. Das der E-Mail als Anlage beigefügte Dokument war mit „Entschuldigung“ überschrieben. Dem Schöffen wurde bescheinigt, er nehme am 09.08.2021 von 7:15 Uhr bis 9:20 Uhr „in [der] Fahrschule an der praktischen Fahrprüfung [und] an einer Fahrstunde teil“.

Die Verteidigerinnen haben die Besetzungsrüge erhoben, die das LG als unbegründet angesehen und dem OLG vorgelegt hat. Das OLG hat die Besetzungsrüge als unbegründet verworfen. Wegen der Einzelheiten verweise ich auf den Volltext des Beschlusses.

Die Verteidigerinnen haben gegen den Beschluss des LG und des OLG Verfassungsbeschwerde eingelegt. Das BVerfG hat die nicht zur Entscheidung angenommen:

„Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen, denn die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG sind nicht erfüllt. Grundsätzliche Bedeutung kommt den Verfassungsbeschwerden nicht zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte der Beschwerdeführer angezeigt. Soweit sie sich gegen den Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 16. September 2021 richten, sind sie unzulässig (I.). Im Übrigen sind sie unbegründet (II.).

I.

Soweit sich die Verfassungsbeschwerden gegen den Beschluss des Landgerichts Leipzig vom 16. September 2021 richten, sind sie unzulässig.

Die Entscheidung eines Tatgerichts, einem Besetzungseinwand nicht abzuhelfen und das Verfahren nach § 222b Abs. 3 Satz 1 StPO dem Rechtsmittelgericht vorzulegen, ist als reines Verfahrensinternum nicht gesondert mit der Verfassungsbeschwerde angreifbar. Das Tatgericht trifft keine abschließende Entscheidung, sondern setzt – wie bei einer Nichtabhilfeentscheidung im Beschwerdeverfahren nach § 306 Abs. 2 Halbsatz 2 StPO (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 17. Dezember 2020 – 2 BvR 1787/20 -, Rn. 43) – lediglich den Instanzenzug in Gang. Ein Interesse, dass über die Verfassungsmäßigkeit der Zwischenentscheidung des Landgerichts selbst und nicht erst in Verbindung mit der Überprüfung der den Instanzenzug des § 222b Abs. 3 StPO abschließenden Entscheidung des Oberlandesgerichts erkannt wird, ist hier weder dargetan noch ersichtlich (vgl. BVerfGE 1, 322 <324 f.>; 58, 1 <23>).

II.

Soweit sich die Verfassungsbeschwerden gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 28. Oktober 2021 richten, sind sie zwar zulässig (1.). Allerdings sind sie unbegründet, da den Beschwerdeführern der gesetzliche Richter nicht in einer Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG missachtenden Weise entzogen wurde (2.).

1. Die Verfassungsbeschwerden gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts sind zulässig, denn sie stellen den Lebenssachverhalt in einer eine tragfähige verfassungsrechtliche Prüfung ermöglichenden Weise dar und setzen sich mit den dem Verfahren zugrundeliegenden Verfassungsfragen hinreichend substantiiert auseinander. Ferner ist diese Entscheidung gesondert mit der Verfassungsbeschwerde angreifbar (a). Nach Abschluss des Besetzungsrügeverfahrens steht den Beschwerdeführern zudem ein weiterer Rechtsweg gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht offen, und sie haben auch keine anderweitige Möglichkeit, den behaupteten Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG im fachgerichtlichen Verfahren geltend zu machen (b).

a) Durch das am 13. Dezember 2019 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens vom 10. Dezember 2019 (BGBl I S. 2121) wurde für Strafverfahren, die im ersten Rechtszug vor dem Land- oder Oberlandesgericht verhandelt werden, ein spezielles Besetzungsrügeverfahren geschaffen. Wie zuvor gilt: Wird die Gerichtsbesetzung den Regeln des § 222a StPO entsprechend zugestellt, ist ein Verfahrensbeteiligter gehalten, innerhalb einer Woche nach Zustellung die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts zu rügen. Gemäß § 222b Abs. 2 StPO entscheidet das derzeit mit der Sache befasste Gericht über die Besetzungsrüge. Die Begründungs- und Substantiierungserfordernisse für diese Rüge sind nach § 222b Abs. 1 Sätzen 2 und 4 StPO dem Revisionsrecht nachgebildet. Eingeführt wurde mit § 222b Abs. 3 StPO ein Instanzenzug im Verfahren über die Besetzungsrüge. Erachtet sich das derzeit mit der Sache befasste Gericht als zuständig, ist es gehalten, das Verfahren dem jeweiligen Rechtsmittelgericht vorzulegen. Das Rechtsmittelgericht entscheidet dann abschließend über die Besetzungsrüge. Einen weiteren Rechtsbehelf gegen die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts sieht das Strafprozessrecht nicht vor.

Die eingeführten Regelungen zum Instanzenzug im Besetzungsrügeverfahren gehen einher mit einer Beschränkung der Rügemöglichkeiten im Revisionsrecht; § 338 Abs. 1 Nr. 1 StPO wurde ebenfalls neu gefasst. Das Verfahren nach § 222b Abs. 3 StPO soll eine endgültige Klärung des Besetzungseinwandes im fachgerichtlichen Verfahren herbeiführen. § 338 Abs. 1 Nr. 1 StPO enthält nicht nur eine Präklusionsregelung. Ein Verfahrensbeteiligter, der das Vorabentscheidungsverfahren des § 222b Abs. 3 StPO nicht durchführt, kann nach Ablauf der in § 222b Abs. 1 Satz 1 StPO bestimmten Wochenfrist mit der Besetzungsrüge nicht mehr gehört werden. Für den Fall, dass auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten das Rügeverfahren nach § 222b Abs. 3 StPO durchgeführt wurde, entzieht § 338 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b StPO in der nun geltenden Fassung dem Revisionsgericht darüber hinaus die Möglichkeit, die Ordnungsmäßigkeit der Gerichtsbesetzung zu überprüfen. Helfen weder das Tatgericht noch das Rechtsmittelgericht dem form- und fristgerecht erhobenen Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung ab, ist die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts bindend. Sie steht der Überprüfung des Besetzungseinwands in der Revisionsinstanz entgegen.

Mit der Einführung des Instanzenzugs in § 222b Abs. 3 StPO hat der Gesetzgeber mithin ein selbstständiges Zwischenverfahren geschaffen, in dem abschließend über eine verfassungsrechtlich determinierte Rechtsfrage befunden wird. Die Entscheidung über diese Rechtsfrage kann im weiteren fachgerichtlichen Instanzenzug nicht mehr nachgeprüft und korrigiert werden. In einem solchen Fall ist die Verfassungsbeschwerde gegen die im Zwischenverfahren ergangene Entscheidung zuzulassen (vgl. BVerfGE 1, 322 <325>; 24, 56 <61>; 58, 1 <23>).

b) Die Beschwerdeführer haben der ihr auferlegten Pflicht Genüge getan, über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinne hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um eine Korrektur des geltend gemachten Verfassungsverstoßes bereits im fachgerichtlichen Verfahren zu erwirken (vgl. BVerfGE 31, 364 <368>; 73, 322 <325>). Insbesondere haben sie die Besetzungsrüge in einer den Vorgaben der § 222b Abs. 1 Sätze 2 und 4, § 345 Abs. 2 StPO genügenden Weise erhoben und zu den von ihnen als wesentlich erachteten Gesichtspunkten ausgeführt. Nach der Durchführung des Verfahrens nach § 222b Abs. 3 StPO bleibt es ihnen überdies verwehrt, die behauptete Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG im Revisionsverfahren zu rügen. Im Hinblick auf die geltend gemachte Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG stellt die Revision damit einen offensichtlich aussichtslosen Rechtsbehelf dar, auf den die Beschwerdeführer vor Erhebung einer Verfassungsbeschwerde nicht verwiesen werden können (vgl. BVerfGE 55, 154 <157>).

2. Die Verfassungsbeschwerden sind allerdings unbegründet, denn die Beschwerdeführer sind nicht in ihrem Recht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt.  ……..“

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